„Austria - Österreich. A Soldier’s Guide - Ein Leitfaden für Soldaten“

josef

Administrator
Mitarbeiter
#1
Leitfaden für US-amerikanische und britische Besatzungssoldaten:


Bemerkenswerte Außenperspektive
Im Jahr 1945 galt es, US-amerikanische und britische Besatzungssoldaten auf ihren Einsatz im Nachkriegsösterreich vorzubereiten. Zur Vorbereitung wurde der Leitfaden „Austria - Österreich. A Soldier’s Guide - Ein Leitfaden für Soldaten“ erstellt, eine schriftliche Einführung in die kulturellen und politischen Sitten und Gebräuche des Landes samt politischer Analyse. Über 70 Jahre nach seinem Erscheinen liegt das Zeitdokument erstmals in übersetzter Fassung vor - und vermittelt die bemerkenswerte Außenperspektive auf ein paradoxes Land in Trümmern, das gleichzeitig gefährlich und gemütlich war.


Reiseführer der anderen Art
Österreicher lieben Bier eiskalt, sie beweisen Stil und haben Charme, sind aber nicht sehr pünktlich. Außerdem muss mit erheblichen Gefahren durch Nazi-Untergrundorganisationen gerechnet werden, aber auch mit bitterer Armut und Geschlechtskrankheiten. Was US- und britische Besatzungssoldaten 1945 über Österreich wissen mussten, stand in einem Leitfaden, der nun erstmals übersetzt wurde.

Auf Facebook teilenAuf Twitter teilenAuf Google+ teilen
Erstellt wurde der Leitfaden „Austria – Österreich. A Soldier’s Guide – Ein Leitfaden für Soldaten“ im Jahr 1945, wobei Teile daraus bereits zwei Jahre zuvor erarbeitet wurden, als zunehmend deutlich wurde, dass sich die Alliierten auf einen Einsatz in Kontinentaleuropa gefasst machen müssen. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs lag die Kontrolle des Landes in den Händen der Alliierten. Es galt, die Heeresangehörigen auf den länger anhaltenden Einsatz als Besatzungssoldaten entsprechend vorzubereiten.

Czernin Verlag
Zur besseren Erklärung der jüngeren Geschichte wurden den GIs auch die einstigen Grenzen der Monarchie verdeutlicht (links). Das Handbuch selbst passte in jede Soldatentasche.

Ausgearbeitet wurde das Handbuch von der „Information & Education Section“ des Mediterrenean Theater of Operations, United States Army (MTOUSA), die den Guide auch den britischen Kollegen zur Verfügung stellte. Wer die Verfasser waren, darüber kann heute nur noch spekuliert werden.

USA sahen Österreich als Opfer von Nazi-Deutschland
Die jetzigen Herausgeber des übersetzten Handbuches, Philipp Rohrbach und Niko Wahl, vermuten angesichts der auffällig positiven Einführung in die Sitten und Gebräuche des Alpenlandes Exilösterreicher, die nach ihrer Flucht für die US-Army tätig wurden. Dass der Guide jetzt in übersetzter Form erscheint, ist auch dem Zufall zu verdanken.

Buchhinweis
Philipp Rohrbach und Niko Wahl (Hg.): Austria – Österreich. A Soldier’s Guide – Ein Leitfaden für Soldaten. Czernin Verlag, 80 Seiten, 15 Euro.

Rohrbacher und Wahl sind als Kuratoren der Ausstellung „SchwarzÖsterreich“, die sich mit Kindern afroamerikanischer Soldaten in Österreich beschäftigt hat, auf das Zeitdokument gestoßen und machen es nun in einer übersetzten Fassung, die auch den Originaltext beinhaltet, wieder zugänglich. Die Herausgeber erwähnen im Vorwort, dass sich der Leitfaden auch wie der erste Reiseführer der Zweiten Republik liest. Nicht nur das macht die Publikation bemerkenswert. Sie zeugt eindrücklich davon, dass die US-Army Österreich als Opfer Nazi-Deutschlands gesehen hat.

Historischer Irrtum
Die US-Amerikaner verstanden sich im Gegensatz zu ihrem Einsatz in Deutschland, das sie als besiegtes Land betrachteten, als Befreier des von Nazi-Deutschland militärisch okkupierten Österreichs, und saßen damit dem historischen Irrtum der Opferrolle auf. Was für die Zivilbevölkerung von großem Vorteil war. Der Guide hatte eine wohlwollende Schlagseite, was mitunter mit einer den Österreichern zugeschriebenen Naivität in Verbindung stand.

Die Nazis „versuchten, beinahe über Nacht, die Österreicher in ein Nazi-Deutschland-Modell zu pressen, ihnen ihre Unbekümmertheit zu nehmen und aus ihnen effiziente deutsche Roboter zu machen“, hieß es im Guide. Der Text legte nahe, dass sich unter den Österreichern zwar viele Täter befunden hätten, jedoch der Löwenanteil an Verbrechen Deutschen anzulasten sei. Ein Irrtum, der sich in den Köpfen festsetzte.

Österreicher und die Pünktlichkeit
Das Buch erzählt neben der Geschichte Österreichs ab dem Jahr 1918 („Zum Sterben zu groß und zum Leben zu klein“) und den politischen Wirren, die in den Zweiten Weltkrieg mündeten, ausgiebig von den Bewohnern des Landes, was zwangsläufig Skurriles, aber auch ewige Wahrheiten über Sitten und Gebräuche zutage fördert - und den Guide so nicht nur historisch interessant, sondern auch amüsant zu lesen macht.

Czernin Verlag
Das erwartet die Besatzer in Österreich: Menschen, die sich freuen, aber auch düstere Gestalten mit üblen Absichten

So näherten sich die Autoren etwa dem Bild des Österreichers als Gemütlichkeitsweltmeisters an: „Es hat keinen Sinn, von den Österreichern Pünktlichkeit und Verlässlichkeit zu erwarten, so wie wir diese Begriffe verstehen. So sind sie nicht gestrickt. Sie meinen es wirklich ehrlich, wenn sie versprechen, etwas zu tun. Sie meinen es genauso ehrlich, wenn sie sich dafür entschuldigen, es nicht getan zu haben. Dafür haben sie Sinn für ‚Stil‘.“

Finger weg vom Gin
Der Guide zeichnete zudem ein deutliches Bild der bitteren Not in der Zeit nach Ende des Zweiten Weltkriegs - und warnte vor den Gefahren von Nazi-Untergrundorganisationen. Die Besatzungssoldaten wurden darauf aufmerksam gemacht, dass sie, außer zu sparen, mit ihrem Sold zunächst nichts anfangen werden können, weil es nichts zu kaufen gibt. Zu Beginn der Besatzungszeit herrschte sogar Fraternisierungsverbot. Kontakte zur Bevölkerung und die Verteilung von Lebens- und Genussmitteln waren strengstens untersagt. Trotzdem wurde vor Geschlechtskrankheiten gewarnt.

Die Abschnitte über Literatur, Kunst und Musik des Landes lesen sich tatsächlich ähnlich einem Reiseführer. Den Österreichern attestierte man Charme, die berühmten Walzer fanden ebenso Erwähnung wie das große Können in Sachen Fußball: „Die Österreicher sind hervorragende Spieler, wie sie im Arsenal-Stadion beweisen konnten. Die Spieler der führenden Klubs sind Profis. Ihr Spiel ist weniger energisch als das der Engländer.“

Ist im Guide von Getränken die Rede, sind ausschließlich alkoholische gemeint. Österreichs Bevölkerung bevorzuge Bier und liebe es eisgekühlt – mehr das helle als das dunkle Bier, hieß es. Der Wein sei von guter Qualität und im Vergleich zu britischen Preisen billig. Hier dürften auch die Engpässe kleiner gewesen sein: „Das Einzige, was sie den Österreichern abkaufen können, ist ein Glas Bier oder Wein.“ Der österreichische Schnaps war Thema, ebenso wie der Mangel an Whiskey und Gin. Vor der Qualität des Letzteren wurde jedoch ausdrücklich gewarnt.

Link:

Johannes Luxner, für ORF.at
Publiziert am 25.04.2017
http://orf.at/stories/2388087/2388089/
 
Zuletzt bearbeitet:

josef

Administrator
Mitarbeiter
#2

Befreier und Besatzer
Mit der Befreiung durch die Alliierten USA, Großbritannien, Frankreich und Sowjetunion kehrte in Österreich 1945 nach Jahren des Nazi-Terrors Frieden ein. Die Befreier stießen in der Bevölkerung auf positive Resonanz - auch wenn die Beliebtheit der Besatzungsmächte sehr unterschiedlich war. Die vier Besatzungszonen existierten bis zum Staatsvertrag 1955, als Österreich wieder souverän wurde.



AP
Verleihung einer Ehrenmedaille an Mitglieder der in Österreich stationierten US-Streitkräfte im September 1945


AP
Die britischen Truppen im Juli 1945 am Ende der Inneren Mariahilfer Straße, knapp vor dem Westbahnhof


AP
Schloss Schönbrunn bildete ab Ende Juli 1945 das Hauptquartier der britischen Streitkräfte in Wien


AP
Der Kommandant der britischen Truppen Richard McCreery traf im Oktober 1945 auf seinen französischen Kollegen General Antoine Bethouart

Johannes Luxner, für ORF.at/
Agenturen

Publiziert am 25.04.2017
http://orf.at/stories/2388087/2388032/
 
Zuletzt bearbeitet:

josef

Administrator
Mitarbeiter
#3

Der Kulturtransfer nach dem Krieg

Als Teil der Alliierten haben US-amerikanische Soldaten nicht nur für den Frieden gesorgt, sie waren auch wesentlich am Kulturtransfer nach dem Zweiten Weltkrieg beteiligt. Mit der Präsenz der US-Streitkräfte rückte den Österreichern und Österreicherinnen die amerikanische Alltagskultur ein großes Stück näher. Jazz, Rock ’n’ Roll, Hollywood und Coca-Cola wurden populär. Und die USA prägten die Medienlandschaft nachhaltig.

Die United States Forces in Austria (USFA), die von 1945 bis 1955 auf österreichischem Boden stationiert waren, besaßen zu Spitzenzeiten eine Stärke von 40.000 Soldaten. Kurz vor dem Ende der Besatzungszeit waren es rund 15.000 Armeeangehörige, deren Hauptquartier sich mit Camp Riedenburg in der Salzburger Riedenburgkaserne befand.

Als Teil der USFA war in Camp Riedenburg auch die Information Services Branch (ISB) beheimatet. Ihre Aufgabe war die „Reorientation“ der Österreicherinnen und Österreicher. Damit war die ISB die Drehscheibe des Kulturtransfers zwischen den USA und dem von den Nazis befreiten Österreich. Um eine gemeinsame Identität zu signalisieren, stellte die blau-weiß-rote Flagge der USFA eine Kombination der österreichischen und der US-Flagge dar.

Neue Tageszeitungen
Besonders deutlich wurden die Aktivitäten der Amerikaner im Medienbereich. Etwa mit der Gründung von Tageszeitungen wie dem „Wiener Kurier“, den „Salzburger Nachrichten“ und den „Oberösterreichischen Nachrichten“. Die ISB sorgte auch für Journalistenausbildung, um den Medien einen entsprechenden amerikanischen Drall zu verpassen.

Jazz statt Marschmusik
Vor allem der Hörfunkbereich wusste ein gewisses Lebensgefühl amerikanischer Prägung zu vermitteln, das auf sehr große Resonanz stieß. Der Sender Blue Danube Network, der zunächst von Wien aus und später vom Salzburger Schloss Kleßheim aus sendete, machte Jazz populär. Er war maßgeblich dafür verantwortlich, dass sich in Österreich rund um Hans Salomon, Joe Zawinul und Carl Drewo eine prosperierende Jazz-Szene entwickelte, die auch in den USA wahrgenommen wurde.

Auch Radio Rot-Weiß-Rot war fest in amerikanischen Händen, um kulturell einzuwirken. Die Sendungen trugen Namen wie „Amerika ruft Österreich“ und „Wir lernen denken“. Eine der frühen Mitarbeiterinnen des Senders war Ingeborg Bachmann. Der zur RAVAG gehörende Sender Radio Wien wurde von den sowjetischen Besatzern betrieben.

Mit den Amerika-Häusern entstanden in mehreren österreichischen Städten Kultureinrichtungen mit breitem Bibliotheksangebot. Im Lauf der Jahre wurden Austauschprogramme und Jugendclubs etabliert. Und es wurde stark auf den Bereich Film gesetzt, um mittels Hollywood einen gemeinsamen kulturellen Horizont zu schaffen. Das Kolosseum-Kino im neunten Wiener Gemeindebezirk, unweit der US-Botschaft, wurde zum Soldatenkino Yanks umfunktioniert und war ein deutliches Signal amerikanischer Populärkultur in Wien.

Basketball statt Pferdestall
Der Wiener Messepalast, auf dem Gelände des heutigen MuseumsQuartiers, wurde in den Jahren 1945 bis 1955 zum wichtigen Veranstaltungsort der USFA. Ausstellungen erklärten den Marshall-Plan, es wurden Modeschauen abgehalten, und die ehemalige k. u. k. Reithalle mutierte zur „Sports Arena“, in der viele Österreicher und Österreicherinnen zum ersten Mal mit Basketball in Berührung kamen.

Ziel waren die Entnazifizierung und Demokratisierung mit den Mitteln der Kultur, aber auch des Konsums, um einen „American Way of Life“ zu fördern. Das Standardwerk zur Kulturmission der Amerikaner in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg, das vom Historiker Reinhold Wagnleitner in den 1990er Jahren verfasst wurde, trägt den bezeichnenden Titel „Coca-Colonisation und Kalter Krieg“.

Links:

Johannes Luxner, für ORF.at

Publiziert am 25.04.2017
http://orf.at/stories/2388087/2388248/
 
Oben