Am 16. Juli 1945 zündete das US-Militär einen ersten nuklearen Sprengsatz in der Wüste von New Mexico

josef

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#1
TRINITY-TESTS
Als die Sonne zweimal aufging: Der erste Atombombentest am 16. Juli 1945
Vor 74 Jahren zündete das US-Militär einen ersten nuklearen Sprengsatz. Wenig später sollten die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki kriegsentscheidend werden
REPORTAGE - Frank Herrmann aus Tularosa, New Mexico

Foto: AP Photo/File
16. Juli 1945, 5.29 Uhr Ortszeit: In der Wüste von New Mexico wird die erste Atombombe getestet – über der Erde, wie es noch viele Jahre lang üblich bleiben sollte. Bis heute starben über 800 Menschen an den Folgen der atomaren Strahlung der Tests.

Der Tag begann wie jeder andere auch. Henry Herrera stand mit Kübel und Trichter am alten Ford seines Vaters, um Wasser in den Autokühler zu gießen. Der Vater, ein Ingenieur, arbeitete auf dem Luftwaffenstützpunkt Holloman, etwa 40 Kilometer entfernt von Tularosa, dem Dorf, in dem sie lebten.

Nie fuhr er allein zur Arbeit, stets nahm er Kollegen mit, weil nur die wenigsten in Tularosa ein Auto besaßen. Und bevor er sich hinters Lenkrad setzte, ließ er seinen Sohn in aller Herrgottsfrühe den Kühler mit Wasser auffüllen. Auch am 16. Juli 1945, einem Montag. An einem Tag, der ganz normal begann, bis sich auf einen Schlag alles änderte. "An dem Tag", sagt Henry Herrera, damals elf Jahre alt, "ist die Sonne zweimal aufgegangen."

Fünf Uhr 29 Minuten und 45 Sekunden
Das erste Mal um halb sechs – früher als normal. Plötzlich habe ein greller Blitz die Landschaft erhellt. Es habe ohrenbetäubend geknallt, dann habe die Erde gebebt, erzählt der alte Mann.


Foto: Frank Herrmann
Henry Herrera, 85, in seiner Küche in Tularosa, einem Dorf südöstlich des Testgeländes, auf dem am 16. Juli 1945 die erste Atombombe gezündet wurde.

Explosionen, nun ja, die hätten irgendwie dazugehört zum Alltag in Tularosa. Auf der Alamogordo Bombing and Gunnery Range, im militärischen Sperrbezirk in der Nähe, seien im Zweiten Weltkrieg ständig Bomben gezündet worden. "Einen so lauten Knall aber hatte hier noch keiner gehört."

Um fünf Uhr 29 Minuten und 45 Sekunden detoniert in der Wüste von New Mexico die erste Atombombe der Weltgeschichte. Trinity (Dreifaltigkeit) ist der Name, den Robert Oppenheimer, der Leiter des Forscherteams, dem Testgelände gegeben hat. Tularosa liegt rund 80 Kilometer von Trinity entfernt.

3.000 Menschen leben in Tularosa
Henry Herrera sitzt in der Küche seines bescheidenen Einfamilienhauses, von der Decke baumelt ein Kruzifix, an der Tür eine Marienfigur. Die Religion bedeutet ihm viel. Solange es seine Gesundheit zuließ, spielte er sonntags beim Gottesdienst Gitarre. Nur einmal hat der bodenständige Mann den Ort, in dem er geboren wurde, für längere Zeit verlassen. Da diente er bei der Kriegsmarine und wurde nach Japan beordert.
Knapp 3.000 Menschen leben in Tularosa mitten im Tularosa-Becken, einem trockenen Tal zwischen zwei hoch aufragenden Bergketten, den San Andres Mountains und den Sacramento Mountains. "Nirgendwo auf der Welt gibt es bessere Pekannüsse", schwärmt Herrera, der Lokalpatriot.

Eine menschenleere Einöde, das war damals die offizielle Sprachregelung des Militärs. "Jornada del Muerto" – Wegstrecke des Toten –, hatten spanische Konquistadoren die unwirtliche Gegend genannt. Bis auf ein paar Klapperschlangen und den einen oder anderen Kojoten, wurde im Juli 1945 verbreitet, sei niemand zu Schaden gekommen.

"Für Washington waren wir Luft"
Menschenleeres Ödland? Wenn Herrera das hört, in seinen Augen irreführende Phrasen, überkommt ihn der Zorn. Dann schimpft er so heftig auf die "Idioten" in ihren Amtsstuben, dass ihn seine Frau Gloria ziemlich resolut bremst. Menschenleer, sagt auch Gloria, allerdings ohne zu fluchen, das klinge nach Mondlandschaft. Und auf dem Mond lebe man in Tularosa nun wirklich nicht. Allerdings glaube sie, der Regierung sei ziemlich egal gewesen, was mit ihnen passierte. "Die meisten hier sind Hispanics wie wir. Ich schätze, für Washington waren wir Luft."
Die zu testende Bombe hieß zur Tarnung nur "The Gadget", was so viel bedeutet wie der Apparat, das Gerät, das Ding, eine technische Spielerei. Als hätten sich die Beteiligten mit Erfolg eingeredet, dass eine Nuklearwaffe, die man im Namen der Wissenschaft statt des Krieges zur Explosion bringe, kaum Schaden anrichte, schreibt Joshua Wheeler, ein Buchautor aus New Mexico.

Geheimer Test
Der Test sollte geheim bleiben. Präsident Harry Truman war nach Potsdam gereist, um die USA auf einer Konferenz der Siegermächte zu vertreten. Dort wartete er auf Nachrichten aus New Mexico. In einem Betonbunker des Trinity-Areals saß Oppenheimer mit seinen Männern, ohne mit Sicherheit zu wissen, was passieren würde. Denn trotz penibler Berechnungen schien in der Praxis alles möglich. Würde die Kettenreaktion ausbleiben? Oder würde der "Apparat" am Ende die gesamte Atmosphäre entzünden?


Überflugsfoto jener Stelle, an der am 16. Juli 1945 die erste Atombombe gezündet wurde.

In Tularosa beobachtete der elfjährige Henry Herrera, wie sich eine Wolke auftürmte, ein gigantischer Pilz, der später in mehrere Teile zerfiel. Irgendwann fielen graue Flocken vom Himmel. Seine Mutter hatte weiße Wäsche zum Trocknen aufgehängt, Bettlaken, Unterhosen, die sie nun ein zweites Mal waschen musste. Stinksauer sei sie gewesen – er dagegen habe das faszinierende Spektakel gebannt verfolgt.

Schnee im Juli! Im Radio meldeten sie, bei Alamogordo sei ein Munitionsdepot explodiert, ohne dass Menschen zu Schaden gekommen seien. Dass es aus der Wolke, die über die Gegend zog, radioaktiven Niederschlag regnen könnte, davor hat niemand gewarnt.

Damals glaubte man noch der Regierung
"Was die Regierung vermeldete, glaubten die Leute, so war das damals", sagt Gloria Herrera, die neun Jahre jünger ist als ihr 85-jähriger Mann und erklärend einspringt, wenn Henry den Faden verliert. Eine Explosion in einem Munitionslager, das war kein Grund, etwas an der täglichen Routine zu ändern. Niemand kam auf die Idee, kein Regenwasser mehr zu trinken. Wasser, das über Dachrinnen und Fallrohre in Zisternen geleitet wurde – und das nun, in der sommerlichen Regenzeit, von Dächern floss, auf denen radioaktiver "Schnee" lag. Kühe wurden gemolken, ihre Milch wurde getrunken, Gemüse im Garten geerntet, alles wie immer.

Associated Press

Die Wahrheit erfuhren sie erst, nachdem am 6. August über dem japanischen Hiroshima die erste Atombombe – genannt Little Boy – in einer kriegerischen Auseinandersetzung abgeworfen wurde. Aber auch das war kein Grund zur Unruhe, geschweige denn zur Panik. "Was Radioaktivität bedeutet, das wusste hier damals keiner", erklärt Gloria Herrera und lässt drei bittere Sätze folgen. Noch lange nach dem Test fuhren die Bewohner der umliegenden Dörfer auf das Trinity-Gelände, um grüne Scherben zu sammeln, die man sonst nirgends fand. Trinitit, eine Art künstliches Glas. Es entstand, weil die Bombe eine solche Hitze entwickelte, dass sogar der Wüstensand schmolz.

Diagnose: Schilddrüsenkrebs
Henry Herrera war 64, als Ärzte die erste Krebsdiagnose stellten. Schilddrüsenkrebs. Es folgte eine langwierige Behandlung, bald darauf die zweite Krebsdiagnose und schließlich eine dritte. Herreras Kieferknochen ist teilweise abgestorben – auch das, sagt er, eine Spätfolge der Strahlung.
Zwar war der Ingenieur, der seinen Lebensunterhalt wie sein Vater auf der Luftwaffenbasis Holloman verdiente, dank seines Arbeitgebers durchgängig krankenversichert, was in den USA keine Selbstverständlichkeit ist. Doch die Versicherung deckte nicht alles ab – und was er zuzahlen musste, summierte sich zu solchen Beträgen, dass es die Ersparnisse der Herreras auffraß. "Immerhin konnte Henry geholfen werden", sagt Gloria und erzählt im Kontrast dazu von einem Nachbarn. Der habe sich aus Verzweiflung das Leben genommen, weil er sich mangels Versicherung keine Klinik leisten konnte.

Über 800 Strahlentote
Tina Cordova lässt jedes Jahr im Juli Kerzen anzünden. Über 800 sind es inzwischen, eine für jeden, dessen Tod Angehörige auf die Strahlung zurückführen. Cordova, 59, Besitzerin eines Dachdeckerbetriebs, hat das "Tularosa Basin Downwinders Consortium" gegründet. Downwinders: Der Begriff steht für Menschen, auf deren Wohngegenden der Wind atomare Wolken zutrieb.
Cordova will zweierlei erreichen: eine Entschuldigung und eine Entschädigung. Zum einen soll das Weiße Haus in Washington endlich zugeben, dass man die Bewohner des Tularosa-Beckens 1945 ignorierte, statt sie zu warnen. Zum anderen soll auch in New Mexico Schadenersatz gezahlt werden – und nicht nur, wie bislang geschehen, in Nevada, Utah und Arizona.


Foto: AP Photo/File
Der Atompilz der "Gadget"-Atombombe, fotografiert am 16. Juli 1945 aus zehn Kilometern Entfernung.

Nevada statt New Mexico
Nach der Premiere in der Jornada del Muerto wurde die Wüste Nevadas zum Hauptschauplatz der Atombombenversuche. Mitte der 1950er Jahre drehte Hollywood in der Nähe, im Süden Utahs, den "Eroberer". Der Hauptdarsteller, John Wayne, erlag 1979 einem Krebsleiden. Im Jahr darauf berichteten amerikanische Zeitungen, von den 220 Filmleuten, die seinerzeit für die Dreharbeiten nach Utah geschickt wurden, seien 91 an Krebs erkrankt und 46 daran gestorben.
"Es war ein Wendepunkt", sagt Cordova. Erst mit dem Tod John Waynes habe das Land angefangen, ernsthaft über die Folgen der Tests zu diskutieren. 1990 verabschiedete der US-Kongress ein Gesetz, das Strahlungsopfern in Nevada, Utah und Arizona eine Entschädigung garantierte.
New Mexico allerdings wurde ausgeklammert: Nach der offiziellen Darstellung soll die radioaktive Wolke am 16. Juli 1945 in Richtung Nordosten abgedriftet sein, auf eine Ecke des Bundesstaats zu, die tatsächlich nur sehr dünn besiedelt ist. Carrizozo, Tularosa und Alamogordo, die Ortschaften südöstlich des Trinity-Areals, könnten folglich gar nicht betroffen sein.

"Das stinkt doch zum Himmel"
Augenzeugen wie Henry Herrera haben es anders erlebt, und Tina Cordova fliegt mindestens einmal alle zwölf Monate in die Hauptstadt, um Volksvertretern ins Gewissen zu reden. Der Topf sei leer, leider reiche das Geld nicht, um auch New Mexico einzubeziehen, hört sie dann oft. "Das stinkt doch zum Himmel", schimpft sie und verweist auf Untersuchungsergebnisse.
Bereits 2010 kamen Experten des amerikanischen Seuchenkontrollzentrums zu dem Schluss, dass die radioaktiven Werte rings um das Trinity-Areal stellenweise um das Zehntausendfache über den Werten lagen, die später als akzeptabel galten. Auf Bürgerforen, erzählt Tina Cordova, werfe man ihr bisweilen vor, den nötigen Patriotismus vermissen zu lassen. Weil die Bombe den Krieg doch früher beendet habe, als es sonst der Fall gewesen wäre. Und weil New Mexico stolz auf seinen Anteil sein könne. Was sie dann antworte? "Was für ein Quatsch!"
(Frank Herrmann aus Tularosa, New Mexico, 15.7.2019)


Am 6. August 1945 warf die US-Luftwaffe die erste Atombombe auf die japanische Stadt Hiroshima ab (Foto vom 8. September 1945), eine weitere folgte am 9. August in Nagasaki.
Foto: Stanley Troutman/Pool Photo via AP

Wissen: Atombombentests seit 1945
Rund 2.100 Atombombentests fanden seit 1945 statt – viele davon zunächst überirdisch. Schätzungen gehen davon aus, dass infolge der freigesetzten Radioaktivität bis zu 300.000 Menschen starben. Die Tests fanden zumeist in Wüsten sowie auf Inseln, manchmal auch unter Wasser oder im Inneren von Gebirgen statt. Immer wieder befanden sich dabei Menschen in unmittelbarer Nähe, nicht nur weil sie dort wohnten, sondern mitunter auch weil sie extra zu Atomwaffentests eingeladen wurden, um die Fortschritte der Militärs selbst beobachten zu können.
Besonders brisant: Bis heute sind 32 sogenannte "broken arrows" bekannt. Das sind Unfälle, die zu einer unbeabsichtigten Detonation oder dem Verlust einer Atomwaffe führten. Noch heute fehlt von sechs verlorenen Atombomben jede Spur.

Alle Atomtests des 20. Jahrhunderts.Min Choi

Der rasante Anstieg der Strahlenbelastung seit Ende des Zweiten Weltkriegs veranlasste 1963 die USA, Großbritannien und die UdSSR, den Vertrag zum Verbot von Nuklearwaffentests in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser zu unterzeichnen. Seither fanden ihre Kernwaffentests nur noch unterirdisch statt. China und Frankreich testeten weiterhin oberirdisch.
Am 10. September 1996 wurde von der Uno-Generalversammlung mit 158 von 173 Stimmen der Kernwaffenteststoppvertrag angenommen. Seither liegt er zur Unterschrift auf und fordert die 44 Kerntechnikstaaten auf, diesen zu ratifizieren. Für ein Inkrafttreten des Vertrags müssten ihn noch Ägypten, China, Indien, der Iran, Israel, Nordkorea, Pakistan und die USA ratifizieren. Die für die Einhaltung des Vertrags geschaffene Organisation, die ihre Arbeit nach Inkrafttreten des Vertrags vollends aufnehmen soll, hat ihren Sitz in Wien.
(faso)
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#2
Bisher unbekannter Spion im Manhattan-Projekt identifiziert
Der Amerikaner Oscar Seborer versorgte die Sowjetunion zwischen 1942 und 1946 mit Informationen über die US-Atombombe. Er starb 2015 in Moskau

Trinity-Test: Aufnahme der ersten Atombombenexplosion der Welt am 16. Juli 1945, acht Sekunden nach der Zündung.
Foto: Picturedesk / Science Source

Vorbereitungen für den Trinity-Test im Juli 1945. Die erste sowjetische Kernwaffe wurde am 29. August 1949 auf dem Atomwaffentestgelände Semipalatinsk in Kasachstan getestet.
Foto: AP

Am 16. Juli 1945 erreichten die gigantischen Anstrengungen der USA zur Entwicklung von Atomwaffen ihren vorläufigen Höhepunkt. Um 5.29 Uhr Ortszeit explodierte auf einem Testgelände im US-Bundesstaat New Mexico die erste Atombombe der Welt. Nur vier Jahre später, im August 1949, testete die Sowjetunion zum Entsetzen des Westens ihrerseits erstmals eine Atombombe – und schuf damit das „Gleichgewicht des Schreckens“, das die Jahrzehnte des Kalten Krieges prägte.

Der vierte Mann
Der Bau der sowjetischen Bombe war durch Spionage im Manhattan-Projekt (so der Tarnname des US-Atomwaffenprogramms) erheblich beschleunigt worden. Drei Spione wurden bisher enttarnt: der aus Deutschland emigrierte Physiker Klaus Fuchs und die beiden US-Amerikaner David Greenglass und Theodore Hall. Nun sind Forscher auf einen vierten Spion gestoßen: Oscar Seborer, ein Elektroingenieur aus New York, lieferte zwischen 1942 und 1946 Informationen über die Bombe an die Sowjetunion.
Aus Angst, aufzufliegen, floh Seborer 1951 aus den USA und lebte bis zu seinem Tod 2015 unter falschem Namen in Moskau. Wie die US-Historiker Harvey Klehr und John Haynes in der aktuellen Ausgabe des CIA-Magazins "Studies in Intelligence" berichten, hatten die US-Sicherheitsbehörden Seborer tatsächlich auf dem Radar – allerdings erst mehrere Jahre nach seiner Flucht. Die Ermittlungen gegen ihn und Mitglieder seiner Familie, die ebenfalls für die Sowjetunion tätig waren, wurden unter Verschluss gehalten.

Zu welchen Informationen Seborer Zugang hatte und in welchem Ausmaß er spionierte, ist noch unklar. Klehr und Haynes zufolge sind viele Akten nach wie vor nicht einsehbar. Seborer, Jahrgang 1921, trat jedenfalls 1942 in die US-Armee ein und kam zunächst in eine Ingenieureinheit in Oak Ridge, Tennessee. Dort wurde an der Urananreicherung für Atomwaffen gearbeitet.

Von Los Alamos nach Moskau
1944 wurde Seborer dann in die aus dem Wüstenboden gestampfte Forschungsstadt Los Alamos in New Mexico versetzt, die zum Herzstück des Manhattan-Projekts wurde. Auch beim ersten Atombombentest im Juli 1945 hatte er zu tun: Seine Einheit war für die „Überwachung der seismologischen Effekte“ zuständig.

Archivakten des sowjetischen Geheimdiensts KGB machten Klehr und Haynes auf den Fall aufmerksam. Daraus ging hervor, dass es in den USA ein Netzwerk von Informanten gab, dem mehrere Brüder angehörten. Einer davon galt demnach als besonders wertvoller Kontakt: Er lieferte Informationen über die Atombombe. Kürzlich veröffentlichte Dokumente zu einer FBI-Operation aus den 1950er-Jahren erwiesen sich dann als heiße Spur zu Oscar Seborer und seinen beiden Brüdern Stuart und Max.

FBI-Dilemma
Dem FBI war es 1952 gelungen, zwei Führungsmitglieder der kommunistischen Partei der USA (CPUSA) als Informanten zu rekrutieren. In deren Berichten tauchten die Seborers immer wieder auf, 1955 wurde klar: Oscar und sein Bruder Stuart hatten sich in die Sowjetunion abgesetzt. „Oscar war in New Mexico, du weißt, was ich meine“, erfuhr einer der FBI-Spitzel von einem Verbindungsmann zum sowjetischen Geheimdienst. Er habe „die Formel für die A-Bombe“ weitergegeben, später seien „die Dinge zu heiß geworden“.

"Heiß" war die Sache aber auch für das FBI, da Ermittlungen zu den Seborers die Informanten im kommunistischen Führungszirkel der USA gefährden konnten. Wohl auch deshalb wurde die Angelegenheit allem Anschein nach nicht allzu energisch verfolgt und vor allem nicht publik gemacht: Die Spitzel-Operation in der CPUSA lief noch bis 1980.

Roter Stern und letzte Ehre
Die Brüder verließen die USA 1951 in Richtung Europa. Kurioserweise beantragten sie 1952 in Wien noch neue Pässe, ehe sie in der DDR untertauchten und sich später in Moskau niederließen. Oscar Seborer wurde dort 1964 der Orden des Roten Sterns für "herausragenden Dienst im Zuge der Verteidigung der Sowjetunion" verliehen. Er heiratete eine Russin und erzählte später einem Besucher, sich vollkommen "sowjetisiert" zu haben. Bei einer Rückkehr in die USA, sagte er damals, drohe seinem Bruder und ihm die Todesstrafe.

Klehr und Haynes zufolge starb Seborer im April 2015. Bei seinem Begräbnis soll ein Repräsentant des russischen Geheimdiensts FSB anwesend gewesen sein. Sein Bruder Stuart überlebte ihn offenbar – alle Versuche der Historiker, ihn zu kontaktieren, blieben aber erfolglos. (David Rennert, 26.11.2019)

Link
Studies in Intelligence: "On the Trail of a Fourth Soviet Spy at Los Alamos" (PDF)

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#3
Atombombentests beeinflussten das Wetter
Britische Forscher verglichen meteorologische Daten mit durchgeführten Tests und fanden einen Zusammenhang
Der Kalte Krieg war die Hochphase der Atomwaffentests. Über 2.100 wurden von 1945 bis heute weltweit durchgeführt, insbesondere in den 50er und 60er Jahren. Etwa ein Viertel davon fand oberirdisch statt. Obwohl die Atommächte für ihre Tests natürlich abgelegene Regionen auswählten, wurden radioaktive Partikel weit um den Globus getragen. Aus deren Verteilung haben Wissenschafter in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einiges über die Strömungen in der Atmosphäre gelernt, sagt der Atmosphärenforscher Giles Harrison von der Universität Reading in Großbritannien.

Die Bomben brachten den Regen
Harrison und seine Kollegen von den Universitäten Bath und Bristol sind inzwischen einer weiteren Konsequenz der Explosionen auf die Spur gekommen: Die scheinen nämlich das Wetter beeinflusst zu haben, genauer gesagt den Regen – und das auch in Regionen, die weit von den Testgeländen entfernt waren. Die Tests hätten dichtere Wolken und eine im Schnitt um 24 Prozent erhöhte Regenmenge nach sich gezogen, berichtet das Team im Fachmagazin "Physical Review Letters".


16. Juli 1945: Mit dem Trinity-Test nahe Alamogordo im US-Bundesstaat New Mexico begann die Ära der Atomwaffentests.
Foto: AP

Zu diesen Daten kamen die Forscher durch historische Aufzeichnungen der Wetterstationen Kew nahe London und Lerwick auf den Shetland-Inseln und deren Vergleich mit Ort und Zeitpunkt durchgeführter Atomwaffentests. Die Aufzeichnungen stammen aus dem Zeitraum 1962 bis 1964, als oberirdische Tests noch gang und gebe waren und entsprechende Mengen Radioaktivität freisetzen. Insbesondere das abgelegene Kerwick, das zumindest damals noch weitestgehend frei von sonstiger Umweltverschmutzung war, lieferte einen guten Gradmesser für die Menge radioaktiver Partikel, die von weither angeweht wurden.

Faktor elektrische Ladung
Die verstärkte Wolkenbildung kam laut Harrison durch eine Ionisierung der Atmosphäre zustande, für die radioaktive Partikel wie etwa Strontium-90 verantwortlich waren. Der Faktor elektrische Ladung gelte schon lange als entscheidend dafür, wie Wassertröpfchen in Wolken kollidieren und zu größeren Tropfen verschmelzen. Das sei in natura nur schwer nachzuverfolgen, doch die "politisch aufgeladene Atmosphäre des Kalten Kriegs" ermögliche nun einen Einblick, bemüht Harrison ein Wortspiel.

Diesen Einblick wollen die Forscher nun für weitere Analysen heranziehen: zum einen, was die Rolle der natürlichen Elektrizität bei einem Gewitter anbelangt. Zum anderen denken sie aber auch an potenzielle Geoengineering-Maßnahmen. Zumindest theoretisch wäre es möglich, über elektrische Ladungen Einfluss auf den Regen zu nehmen, um beispielsweise Trockenperioden zu verkürzen oder auch um Überflutungen durch drohenden Starkregen vorzubeugen.
(red, 24. 5. 2020)

Abstract
Physical Review Letters: "Precipitation Modification by Ionization"

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#4
Heute vor 75 Jahren explodierte die erste Atombombe der Welt
Der US-amerikanische Trinity-Test am 16. Juli 1945 veränderte die Weltpolitik grundlegend – und beschäftigt Geologen bis heute
Das Wetter schien nicht mitzuspielen. Hunderte Wissenschafter und Militärangehörige harrten auf ihren Beobachtungsplätzen in sicherer Entfernung aus, um das Ergebnis des größten militärischen Forschungsprojekts der Menschheitsgeschichte mit eigenen Augen zu sehen: Unter dem Codenamen Trinity sollte um exakt vier Uhr früh am 16. Juli 1945 in der Wüste New Mexicos die erste Atombombe der Welt explodieren und die USA zur Atommacht befördern. Eine quälende Minute um die andere verstrich, das Gewitter tobte weiter.


Vorbereitungen für den ersten Atombombentest der Welt: Die Plutonium-Implosionsbombe, genannt "The Gadget", wurde auf einem 30 Meter hohen Stahlturm aufgehängt.
Foto: AP

Die Wetterprognosen hatten schon im Vorfeld befürchten lassen, dass der Zeitpunkt ungünstig sein könnte. Das Risiko von Blitzeinschlägen in den 30 Meter hohen Stahlturm, auf dem die Plutonium-Implosionsbombe gezündet werden sollte, bereitete den verantwortlichen Physikern Sorgen. Aber der politische Erfolgsdruck war groß: Deutschland hatte im Mai kapituliert, noch aber war der Krieg nicht zu Ende. Für den 17. Juli 1945 hatten die USA, Großbritannien und die Sowjetunion die Potsdamer Konferenz anberaumt, um über die Zukunft Europas und insbesondere Deutschlands zu verhandeln. Da wollte US-Präsident Harry Truman das erste Testergebnis des Manhattan-Projekt genannten Atomwaffenprogramms in der Tasche haben.

Zerstörer der Welten
Im Morgengrauen kam dann grünes Licht: Der Himmel über dem Testgelände klarte auf. Um 5 Uhr 29 Minuten und 45 Sekunden wurde die Testwaffe gezündet – und eine grelle, künstliche Sonne mit ungeheurer Zerstörungskraft bescherte eine radioaktive Morgendämmerung. Der Trinity-Test war ein voller Erfolg: Die gemessene Sprengkraft erreichte 21 Kilotonnen TNT und riss einen 330 Meter breiten Krater in den Sand. Eine Pilzwolke stieg zwölf Kilometer empor.


Der erste Atompilz der Welt wuchs zwölf Kilometer in den Himmel, die Druckwelle des Trinity-Tests war 160 Kilometer weit zu spüren. Übrig blieb ein riesiger, verstrahlter Krater.
Foto: Picturedesk

"Wir wussten, die Welt würde nicht mehr dieselbe sein. Ein paar Leute lachten, ein paar Leute weinten, die meisten waren still", erinnerte sich J. Robert Oppenheimer, der wissenschaftliche Leiter des Manhattan-Projekts, später an diesen Moment. Die Tragweite seiner Arbeit war Oppenheimer bewusst, er musste an eine Zeile aus der Bhagavad Gita denken, ein zentraler Text des Hinduismus: "Jetzt bin ich zum Tod geworden, dem Zerstörer der Welten." Schon die Ereignisse der nächsten Wochen gaben ihm recht: Im August 1945 wurden die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki durch US-Atombomben zerstört.

Dass Trinity und die Folgen Geologen noch Jahrzehnte später beschäftigen und für Diskussionen darüber sorgen würden, ob sie nicht am Beginn einer Entwicklung standen, die ein neues Erdzeitalter einleitete, hätte Oppenheimer vermutlich doch überrascht.

Angst vor deutscher Bombe
Zu den Augenzeugen des Trinity-Tests zählte auch der gebürtige Wiener Otto Robert Frisch. Der Physiker war gleich in mehrfacher Hinsicht in den Bau der ersten Atombombe verstrickt: Gemeinsam mit seiner Tante Lise Meitner und in Zusammenarbeit mit Otto Hahn und Fritz Straßmann hatte er 1938 das Prinzip der Kernspaltung entdeckt. Frisch, der aus einer jüdischen Familie stammte, hatte seine Karriere wie Meitner in Deutschland begonnen, lebte aber seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 im Exil.

Angetrieben von der Sorge, in Nazideutschland könnte bereits an der militärischen Nutzbarmachung der Kernspaltung gearbeitet werden, verfasste er 1940 gemeinsam mit dem ebenfalls aus Deutschland emigrierten Rudolf Peierls in Birmingham das "Memorandum über die Eigenschaften einer radioaktiven Super-Bombe": Darin machten die beiden Physiker die britische Regierung erstmals auf die Möglichkeit der Herstellung von Atomwaffen aufmerksam und warnten vor der Gefahr einer deutschen Bombe.


Von links: William Penney, Otto Robert Frisch, Rudolf Peierls und John Cockcroft nach der Auszeichnung mit der "Medal of Freedom" für ihre Teilnahme am Manhattan-Projekt 1946.
Foto: Los Alamos National Laboratory

Damit gaben sie einen wichtigen Anstoß für das britische und bald auch das ambitioniertere US-amerikanische Atombombenprogramm. Peierls und Frisch gingen 1943 als Teil einer britischen Physikerdelegation nach Los Alamos im US-Bundesstaat New Mexico, um sich selbst am Manhattan-Projekt zu beteiligen, und leisteten dort wichtige Beiträge zum Bau der ersten "Super-Bombe".

Schreckliches Gleichgewicht
In ihrem Memorandum hatten sich Peierls und Frisch nicht nur mit Physik beschäftigt, sondern auch das Prinzip der nuklearen Abschreckung vorhergesehen: Die effektivste Antwort auf eine atomare Bedrohung sei es, mit einer vergleichbaren Waffe eine Art Bedrohungsgleichgewicht herzustellen, hielten die beiden Physiker fest – und dachten dabei an eine deutsche Waffe, die es in Schach zu halten galt.

Tatsächlich war das deutsche Kernwaffenprojekt nicht aus seinen Kinderschuhen gekommen, eine Bombe gab es nie. Ein atomares Gleichgewicht des Schreckens sollte aber die kommenden Jahrzehnte des Kalten Kriegs zwischen den USA und der Sowjetunion prägen, ausgerechnet mit maßgeblicher Hilfe eines Freunds und Mitarbeiters von Peierls. Auch er war beim Trinity-Test zugegen: Klaus Fuchs, der nach einem späteren Urteil des US-Kongresses "größeren Schaden angerichtet hat als jeder andere Spion in der Geschichte".

Moskaus Mann im Manhattan-Projekt
Der brillante theoretische Physiker Fuchs, der als überzeugter Kommunist ebenfalls 1933 aus Deutschland geflüchtet war, arbeitete acht Jahre lang mit Peierls in den Atomwaffenprojekten Großbritanniens und der USA – und gab über die gesamte Zeit wertvolle Informationen an Moskau weiter. Als Fuchs Ende 1949 aufflog und bald darauf verhaftet wurde, hatte die Sowjetunion zum Entsetzen des Westens bereits ihrerseits einen ersten erfolgreichen Atombombentest absolviert.


Klaus Fuchs um 1940
Foto: UK National Archives

Das darauffolgende nukleare Aufrüsten verursachte nicht nur Erschütterungen in der machtpolitischen Tektonik. Insbesondere die Vielzahl an atmosphärischen Atombombentests in den 1950er- und 1960er-Jahren brachte geologische Auswirkungen mit sich, die bis heute messbar sind. 1963 wurden nukleare Bombentests in der Luft, im Weltall und unter Wasser verboten. Doch bis dahin war es in der Atmosphäre wie auch in den Gewässern und Gesteinsschichten unseres Planeten zur Anreicherung von Radionukliden gekommen.

Radioaktive Spurensuche
In Gewässern handelt es sich dabei hauptsächlich um Tritium – ein Isotop des Wasserstoffs. Dieses wird auch in der Atmosphäre gebildet und durch Niederschlag in Gewässer eingetragen. Doch als Folge der Atombombentests sind die Tritiumwerte im Niederschlag in den 1960ern auf das Tausendfache angestiegen, berichtet Gerhard Schubert, Leiter der Fachabteilung Hydrogeologie der Geologischen Bundesanstalt, einer Forschungseinrichtung des österreichischen Wissenschaftsministeriums. "Für Hydrologen ist Tritium ein wichtiger Spurenstoff, den man verwenden kann, um das Alter von Gewässern zu bestimmen", sagt Schubert.

Die Halbwertszeit von Tritium beträgt 12,3 Jahre – in dieser Zeitspanne zerfällt also die Hälfte der Tritiumkerne. Weist ein Gewässer einen hohen Tritiumgehalt auf, kann man daraus schließen, dass es um die 60 Jahre alt sein muss, als der Tritiumgehalt im Niederschlag viel höher war als heute. Enthält ein Gewässer kein Tritium, deutet das darauf hin, dass es noch älter und gut geschützt vor Einträgen von der Oberfläche ist. "Solche geschützten Tiefengrundwässer sind eine sehr wichtige Reserve", sagt Schubert.

Ein neues Erdzeitalter
Auch in den Böden ist radioaktiver Fallout, der auf die oberirdischen Atombombentests der 1950er- und 1960er-Jahre zurückgeht, zu finden. Genau diese Ablagerungen könnten dazu herangezogen werden, ein neues Erdzeitalter zu definieren, nämlich jenes, das maßgeblich vom Menschen dominiert wird: das Anthropozän. Im Jahr 2000 brachte der Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen bei einer Konferenz eher spontan die Idee auf, dass die globalen, vom Menschen verursachten Umweltveränderungen rechtfertigen würden, ein neues Erdzeitalter auszurufen.

Mit diesem Vorschlag entspann sich eine geologische Debatte, die bis heute im Gang ist. Letztlich muss die Internationale Kommission für Stratigraphie ihre Zustimmung geben. Entscheidend ist, ob das Zeitalter einer bestimmten Gesteinsschicht zugeordnet werden kann, die sich klar von früheren Schichten unterscheidet. Genau dabei kommen die durch Atombombentests global freigesetzten Radionuklide ins Spiel.

Willkommen im Anthropozän
"Es war nicht unsere erste Idee, das Anthropozän um 1950 beginnen zu lassen", sagt Jan Zalasiewicz, Geologe an der University of Leicester und langjähriger Vorsitzender der Anthropozän-Arbeitsgruppe in der Internationalen Kommission für Stratigraphie. Lokal wären die menschlichen Einflüsse auf die Erde schon viel früher zu bemerken, doch um ein neues Erdzeitalter zu begründen braucht es einen Marker, der rund um die Welt ziemlich genau zur selben Zeit nachweisbar ist. Vor fünf Jahren brachten Geologen um Colin Waters, ebenfalls von der University of Leicester, den Vorschlag ein, die radioaktiven Ablagerungen in den Gesteinsschichten, die durch Atombombentests verursacht worden sind, als diesen Marker heranzuziehen.


Heute erinnert ein Gedenkstein an den "Ground Zero" der ersten Kernwaffenexplosion der Welt in der kargen Wüstenlandschaft des US-Bundesstaats New Mexico.
Foto: Picturedesk

Inzwischen reihen sich immer weitere Evidenzen hinzu, die einen Beginn des Anthropozäns um 1950 sinnvoll erscheinen lassen: die explosionsartige Verbreitung von Plastik, der enorme Einsatz von Beton, die Verwendung von Pestiziden oder der gewaltige Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre. "Durch die schnellen geologischen Veränderungen ab 1950 sehe ich eine Notwendigkeit, das Anthropozän als eigenständiges Erdzeitalter einzuführen", sagt Waters. Die Entscheidung, ob jene militärischen Versuche in New Mexico vor 75 Jahren auch die Einführung eines neuen Erdzeitalters rechtfertigen, wird die Geologen jedenfalls noch länger beschäftigen.
(David Rennert, Tanja Traxler, 16.7.2020)

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Vor 75 Jahren explodierte die erste Atombombe der Welt - derStandard.at
 

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#5
"VATER DER ATOMBOMBE"
Oppenheimer und die Atombombe: Als Patriot gefeiert, als Kommunist verrufen
Das filmreife Leben von J. Robert Oppenheimer, reueloser Leiter des US-Atomwaffenprojekts, kommt auf die Kinoleinwand

Der theoretische Physiker mit kommunistischem Umfeld J. Robert Oppenheimer war ein unwahrscheinlicher Kandidat für die Leitung des US-Atomwaffenprojekts. Sein Organisationstalent brachte das Manhattan-Projekt zum Erfolg.
imago images/Reinhard Schultz

Am Morgen des 16. Juli 1945 ging eine künstliche Sonne über der Wüste des US-Bundesstaates New Mexico auf, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte. Die gigantischen Anstrengungen der USA zur Entwicklung von Atomwaffen erreichten um 5 Uhr, 29 Minuten und 45 Sekunden ihren vorläufigen Höhepunkt: Die erste Atombombe der Geschichte explodierte auf einem militärischen Testgelände und bescherte den Augenzeugen eine radioaktive Morgendämmerung.

"Wir wussten, die Welt würde nicht mehr dieselbe sein", erinnerte sich J. Robert Oppenheimer später an den historischen Moment. "Ein paar Leute lachten, ein paar Leute weinten, die meisten waren still." Oppenheimer, der wissenschaftliche Leiter des Manhattan-Projekt genannten Atomwaffenprogramms der USA, konnte zufrieden sein. Der Test war ein voller Erfolg. Davon zeugten ein 330 Meter breiter Krater im Wüstensand und eine Pilzwolke, die zwölf Kilometer in den Himmel wuchs.

Zerstörer der Welten ohne Reue
Die Tragweite seiner Arbeit war Oppenheimer bewusst, er musste beim Anblick der Explosion an eine Zeile aus der hinduistischen Bhagavad Gita denken: "Jetzt bin ich zum Tod geworden, dem Zerstörer der Welten." Die Ereignisse der nächsten Wochen gaben ihm recht. Im August 1945 wurden die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki durch US-Atombomben zerstört, unzählige Menschen kamen ums Leben.

Bereut hat Oppenheimer seine Rolle bei der Entwicklung der Atombombe entgegen weitverbreiteten Annahmen nie. Im Gegenteil: In den 1960er-Jahren drohte er sogar mit gerichtlichen Schritten gegen den deutschen Schriftsteller Heinar Kipphardt, weil ihn dieser in einem Stück als tragischen Helden skizzierte, der mit den Folgen seiner Arbeit haderte. Zu diesem Zeitpunkt war Oppenheimers Höhenflug allerdings längst vorbei. Aus dem prominenten Physiker und gefeierten Patrioten war ein gedemütigter Außenseiter geworden.


Oppenheimer verantwortete den ersten Atombombentest im Juli 1945 in New Mexico.
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Das Leben des "Vaters der Atombombe" zieht Historikerinnen, Autoren und Filmemacher bis heute in seinen Bann. Aktuell versucht sich auch US-Regisseur Christopher Nolan daran, mit "Oppenheimer" kommt am 20. Juli ein Spielfilm über den exzentrischen und zugleich introvertierten Physiker in die Kinos – mit Hollywood-Starbesetzung. An Material für einen dreistündigen Oppenheimer-Blockbuster mangelt es nicht.

Psychische Krise
Die Voraussetzungen, zu einem der bedeutendsten Wissenschafter des 20. Jahrhunderts zu werden, standen gut für Oppenheimer. 1904 in New York City in eine wohlhabende jüdische Familie deutscher Abstammung geboren, genoss er große Förderung durch seine Eltern. Französische Poesie begeisterte ihn ebenso wie Gesteinsfunde oder sein Segelschiff auf Long Island, das er auf den Namen Trimethy taufte – abgeleitet von der Bezeichnung einer chemischen Substanz.

In seiner Studienzeit an der Universität Harvard widmete er sich zunächst der Chemie, entdeckte aber bald seine Faszination für die Physik. Oppenheimer brillierte in Harvard und galt als Ausnahmetalent. Seine eigentliche wissenschaftliche Ausbildung erhielt er dann im damaligen Zentrum der Physik – in Europa. Dort erlebte der erfolgsverwöhnte junge Mann einen ersten Dämpfer: An der Universität Cambridge stellte er sich als äußerst unbegabter Experimentator heraus.

Seine Misserfolge im Labor und persönliche Probleme stürzten Oppenheimer 1925/1926 in eine tiefe Krise. Er beschäftigte sich intensiv mit Psychoanalyse, war fasziniert von Sigmund Freuds Schriften und fand schließlich den Weg zurück in die Physik. In Europa wurde er in die Grundzüge der neuen Quantenmechanik eingeführt – an den US-Hochschulen wurde diese epochale Theorie der modernen Physik Mitte der 1920er-Jahre noch nicht unterrichtet.

Charismatischer Leiter des Geheimprojekts
Sein wissenschaftliches Talent so richtig entfalten konnte Oppenheimer dann in Göttingen, das zu dieser Zeit eines der Zentren der theoretischen Physik war. Zurück in den USA sprach sich schnell herum, dass Oppenheimer fundiertes Wissen der Quantenmechanik aus erster Hand besaß. Er entschied sich schließlich für eine geteilte Stelle zwischen der Universität Berkeley bei San Francisco und dem Caltech in Pasadena bei Los Angeles. Dass seine Wahl auf Kalifornien fiel, hatte auch damit zu tun, dass er seine Sommer seit Jugendtagen immer wieder in New Mexico bei Los Alamos verbrachte – ein Ort, den er liebte wie keinen anderen.

Als Oppenheimer 1942 zum wissenschaftlichen Leiter der Atomwaffenentwicklung ernannt wurde, brachte er bald Los Alamos als Standort für das streng geheime Projekt ins Spiel. Viele zweifelten anfangs an seiner Fähigkeit, ein derartiges Unterfangen zu leiten. Doch mit seiner charismatischen Art führte er das Projekt auf Erfolgskurs. "Er war ein Anführer, aber er war nie dominant, er diktierte uns nie, was wir tun sollten. Er brachte das Beste aus uns hervor", erinnerte sich der spätere Physiknobelpreisträger Hans Bethe.
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Konkurrenz zu Nazideutschland
Das 1942 gestartete Manhattan-Projekt verschlang bis 1945 zwei Milliarden US-Dollar, was heute rund 25 Milliarden Dollar entsprechen würde. Mehr als 150.000 Forscher und Forscherinnen arbeiteten direkt oder indirekt mit. Viele Beteiligte waren durch die Befürchtung angetrieben, Nazideutschland könnte an der Entwicklung von Atomwaffen arbeiten. Auch Oppenheimer, der sich politisch links verortete und Sympathien für den Kommunismus hegte, teilte diese Sorge. Tatsächlich erreichte das Nazi-Kernwaffenprojekt nie jenes Ausmaß, das für den Bau einer Bombe nötig gewesen wäre.
"Ein paar Leute lachten, ein paar Leute weinten, die meisten waren still."
– J. Robert Oppenheimer über den ersten Atombombentest.​
Nach dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki wurde Oppenheimer zum Star: Porträts des Physikers zierten Magazine wie "Time", und er wurde zum gefragten politischen Berater. Auf den kometenhaften Aufstieg folgte bald der Absturz.

Jagd auf Kommunisten
Seit den 1930er-Jahren hatte Oppenheimer etliche Freunde und Familienmitglieder, die der Kommunistischen Partei angehörten. Er selbst war zwar vermutlich nie Parteimitglied gewesen, seine Kontakte führten aber dazu, dass er ab den frühen 1940er-Jahren unter Beobachtung durch das FBI stand.

Anfang der 1950er-Jahre kippte das politische Klima in den USA. Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und angefacht durch den republikanischen Senator Joseph McCarthy, setzte eine rigorose Verfolgung echter und vermeintlicher Kommunisten ein. Auch Oppenheimer, der nach dem Krieg unter anderem für die Atomenergiekommission der USA arbeitete, wurde denunziert. Ihm wurde gar Spionage für die Sowjetunion vorgeworfen. Belege gab es dafür keine, dennoch wurde Oppenheimer 1954 in einer demütigenden Anhörung die Sicherheitsfreigabe für die Arbeit an geheimen staatlichen Projekten entzogen. Seine Karriere war damit vorbei.

J. Robert Oppenheimer starb zurückgezogen 1967 an Kehlkopfkrebs. An folgenreicher Spionage mangelte es im Manhattan-Projekt zwar nicht, Oppenheimer spielte dabei aber keine Rolle. Auch in der Sicherheitsanhörung 1954 wurde er eigentlich weitgehend entlastet, wie aus den erst 60 Jahre später veröffentlichten Protokollen hervorgeht. Bis zu Oppenheimers vollständiger Rehabilitierung sollte es noch lange dauern: Erst 2022 erklärte US-Energieministerin Jennifer Granholm die Entscheidung von 1954 für ungültig und sprach von einem mangelhaften Verfahren.
(Tanja Traxler, David Rennert, 15.7.2023)
Oppenheimer und die Atombombe: Als Patriot gefeiert, als Kommunist verrufen
 

josef

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#6
"KEINE ANDERE MÖGLICHKEIT"
Als der Pazifist Einstein in den USA Werbung für die Atombombe machte
Der neue Blockbuster "Oppenheimer" beleuchtet auch Albert Einsteins Verbindung zur Atombombe. Sein Konflikt ist heute Sinnbild für die Gefahren von Wissenschaft

Albert Einstein auf einer späten Aufnahme.
IMAGO/UIG

Am 2. August 1939 setzte Albert Einstein seine Unterschrift unter einen denkwürdigen Brief, der heute ein Museumsstück ist. Darin warnt er den damaligen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, "daß es möglich werden könnte, nukleare Kettenreaktionen in einer großen Menge Uran auszulösen, wodurch gewaltige Energiemengen (…) erzeugt werden". Damit wäre "fast sicher" in unmittelbarer Zukunft zu rechnen. "Das neue Phänomen würde auch zum Bau von Bomben führen." Vor allem die Entwicklungen der letzten vier Monate hätten dieses Szenario ermöglicht. Schließlich schreibt Einstein: "Ich habe erfahren, daß Deutschland den Verkauf von Uran (…) eingestellt hat." Seine Schlussfolgerung: Deutschland brauche das Uran selbst, weil es mit der Arbeit an einer Atombombe begonnen habe. Fast genau einen Monat später überfiel Hitler Polen, und der Zweite Weltkrieg begann. Er endete 1945 mit dem Abwurf der ersten beiden Atombomben über Hiroshima und Nagasaki durch die USA.

Was war in diesen erwähnten vier Monaten zuvor geschehen, das Einstein so nervös machte? Es ging um Arbeiten, bei denen auch die große Physikerin Lise Meitner ihre Finger im Spiel hatte. Otto Hahn und Fritz Straßmann hatten gegen Ende des Jahres 1938 in Berlin die Kernspaltung bei Uranatomen entdeckt. Meitner und ihr Neffe Otto Frisch lieferten die Interpretation dazu. Dass bei einer solchen Reaktion große Energiemengen frei werden sollten, war bereits einige Jahre zuvor klar geworden. Die Atomkerne, um die es hier geht, werden von einer Kraft zusammengehalten, die sich von allen anderen bekannten Kräften unterscheidet. Sie ist so stark, dass sie "starke" Wechselwirkung genannt wird. Die Atomkerne sind eigentlich enorm stabil. Doch wenn sie zerlegt und neu zusammengesetzt werden, ist das immer mit dem Austausch riesiger Energiemengen verbunden. In manchen Fällen wird diese Energie frei.

Energiequellen ungeheurer Wirksamkeit
Bereits in den 1920er-Jahren sorgte diese Möglichkeit auch abseits der wissenschaftlichen Welt für Begeisterung. Ein Gramm Brennstoff könnte, sofern sich die darin gespeicherte Energie gewinnen ließe, 3.000 Tonnen Kohle ersetzen. Darauf hatte bereits Einstein selbst bei der Publikation seiner berühmtesten Formel E=mc² aufmerksam gemacht. Während andere Fachleute skeptisch waren, ob das Konzept jemals dem Praxistest standhalten würde, meinte Einstein: "Es wäre möglich und ist nicht einmal unwahrscheinlich, daß daraus neuartige Energiequellen von ungeheurer Wirksamkeit erschlossen werden." Man könne durchaus nicht wissen, ob eine solche Entwicklung nicht auch sehr schnell gehen könnte, sofern die "freigemachten Strahlen ihrerseits wieder imstande wären, gleiche Wirkungen auszuüben".

Er brachte damit erstmals die Möglichkeit einer nuklearen Kettenreaktion ins Spiel, bei der eine Kernspaltung automatisch die nächste auslösen würde. Was das bedeuten würde, erklärte er in privaten Gesprächen recht eindrücklich: Man würde "an ein Zeitalter gelangen, gegen welches die kohlschwarze Gegenwart als golden gepriesen werden müßte". Sämtliche Bombardements seit Erfindung der Feuerwaffen zusammengenommen wären dagegen eine harmlose "Kinderspielerei".

Gefangen in Netz aus Mathematik
Diese Angst trieb Einstein also um, als er Roosevelt schrieb. Die Logik, der Einstein folgte, ist heute als "Gefangenendilemma" bekannt. Vereinfacht lässt sich die Situation, die Einstein sah, so skizzieren: Zwei verfeindeten Staaten bietet sich die Chance, Atomwaffen zu entwickeln. Im Grunde können vier verschiedene Dinge passieren. Im schlechtesten Fall entwickeln beide die Waffen und laufen Gefahr, einander zu zerstören. Im etwas besseren Fall entwickelt nur einer der beiden Staaten die Waffen, und nur die Menschen des anderen Staates sind bedroht. Im besten Fall verzichten beide auf die Entwicklung der Waffen. Letzterer Fall ist für die Allgemeinheit der erstrebenswerteste. Das Problem besteht darin, dass, egal was der andere Staat unternimmt, sich durch den Bau der Waffe immer ein subjektiver Vorteil erzielen lässt.

Agieren die Beteiligten also innerhalb des Systems rational, suchen also ihren größten Vorteil, so kommt es automatisch zum schlechtestmöglichen Ausgang für alle Beteiligten. Dieser verblüffende Teufelskreis lässt sich durchbrechen, wenn sich die Parteien verständigen und ein Abkommen schließen, das kontrolliert wird. Mit den Nazis hielt das Einstein für unmöglich.

Diese Argumentation ist ein besonders prominentes Beispiel eines mathematischen Feldes, das erst in den Jahren darauf aus der Taufe gehoben werden sollte. Sein Erfinder ist der ungarischstämmige Mathematiker John von Neumann, nebenbei ein führender Mitarbeiter des US-amerikanischen Atombombenprojekts in Los Alamos. Von Neumann begründete das mathematische Gebiet der Spieltheorie, das Spiele, aber auch Verhandlungssituationen zum Thema hat, und zu dem das Gefangenendilemma gehört. Wie kompromisslos von Neuman sich an die Logik seiner theoretischen Modellsituationen hielt, veranschaulicht ein Ausspruch, den er in einem Interview mit dem "Life"-Magazin getätigt haben soll, wobei das Zitat erst mit Jahren Verspätung veröffentlicht wurde. Von Neumann war überzeugt, dass es zu einem offenen Atomkrieg mit der Sowjetunion kommen würde, und warb für einen Erstschlag: "Wenn Sie sagen, warum bombardieren wir sie nicht morgen, sage ich, warum nicht heute? Wenn Sie sagen, heute um fünf, sage ich, warum nicht um eins?"


John von Neumann (rechts) neben Robert Oppenheimer vor einem frühen Computerprototyp.
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Ein Genie täuscht sich
Einstein stellte allerdings die Unausweichlichkeit dieser Logik infrage. Er nannte sie "scheinbare Zwangsläufigkeit". Denn natürlich sind die Beteiligten eines Gefangenendilemmas der Situation nicht ausgeliefert, sondern können das System ändern. Zudem legten spätere spieltheoretische Arbeiten nahe, dass Abschreckung ein Ausbrechen des Krieges verhindern könnte.

Letztlich täuschte sich von Neumann und der Erstschlag blieb aus. Man vermag sich nicht vorzustellen, was geschehen wäre, hätten die USA damals auf ihn gehört. Dass die Nationalsozialisten konkret an einer Atombombe gearbeitet hätten, erwies sich übrigens später als Irrtum, wie sich aus Abhörprotokollen deutscher Physiker nach dem Krieg entnehmen lässt.

Was Einstein nicht wusste: Er war nicht der Erste, der einen solchen Brief verfasst hatte. Bereits wenige Monate zuvor hatten etwa zwei deutsche Physiker den USA zur Entwicklung einer Atombombe geraten. "Das Land, welches sie zuerst nutzt", schrieben sie, "hat einen unschätzbaren Vorteil über die anderen." Einsteins Brief erreichte Roosevelt im Oktober. Von ihm ist dokumentiert, dass er die Nachricht sofort verstand: "Sie wollen verhindern, dass die Nazis uns in die Luft jagen."

Der Effekt von Einsteins Intervention blieb dennoch überschaubar. Rooseveltantwortete zwar, dass er die Warnung ernst nehme und einen Ausschuss ins Leben gerufen habe. Mit dabei waren unter anderem der von Einstein in seinem Brief erwähnte Enrico Fermi. Doch es gab nur wenig finanzielle Mittel für die Forschungen, die Einstein angeregt hatte, sodass er in einem zweiten Brief auf die Dringlichkeit der Sache aufmerksam zu machen versuchte. Erst Ergebnisse aus England überzeugten die USA, das größte Forschungsprojekt der Geschichte ins Leben zu rufen. Einstein war nicht Teil des Projekts, man betrachtete ihn als Sicherheitsrisiko.

Einsteins Verantwortung
Spätere Vorwürfe gegenüber Einstein, er hätte wegen seiner Forschungen zur Relativitätstheorie eine Mitverantwortung für die Atombombe und ihre schreckliche Wirkung, wies der Physiker zurück. Er habe nur die Natur verstehen wollen. "Keine Spur einer Möglichkeit von technischen Implikationen war sichtbar." Seinen Brief an Roosevelt verteidigte er: "Ich war mir der schrecklichen Gefahr für die Menschheit sehr bewusst", schrieb er dem Herausgeber des japanischen Magazins "Kaizo". "Aber die Wahrscheinlichkeit, dass die Deutschen an genau diesem Problem arbeiten könnten, mit einer guten Aussicht auf Erfolg, veranlasste mich zu diesem Schritt. Ich sah keine andere Möglichkeit, obwohl ich immer ein überzeugter Pazifist war."

Kurz vor seinem Tod unterzeichnete er ein Manifest, das der Philosoph Bertrand Russell 1955 der Presse übergab. Dabei warnten die unterzeichnenden Forschenden vor dem Ende der Menschheit durch Kernwaffen. Ein Abkommen über den Verzicht darauf wird als Notlösung ins Spiel gebracht, sofern sich eine Abschaffung des Krieges selbst als unmöglich erweist.

Von Neumann betrachtete die Atombombe allerdings als "unwichtig" im Vergleich zum Konzept des Computers, das damals noch in den Kinderschuhen steckte und an dem er maßgeblich mitgewirkt hatte. Tatsächlich hat die Computertechnologie heute weit größeren Einfluss auf unser Leben als die Spaltung des Atoms. Zunehmende pauschale Überwachung privater Online-Kommunikation und eindringliche Warnungen vor KI-Forschung zeigen, dass ein sorgfältiger Umgang mit potenziell gefährlichen Technologien nach wie vor schwer durchzusetzen ist. Einsteins "scheinbare Zwangsläufigkeiten" sind immer noch wirksam.
(Reinhard Kleindl, 20.7.2023)
Als der Pazifist Einstein in den USA Werbung für die Atombombe machte
 

josef

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#7
...und nochmals zu Oppenheimer:

SCHILLERNDE PERSÖNLICHKEIT
Zehn Fakten über J. Robert Oppenheimer
Um den "Vater der Atombombe" ranken sich Legenden, die auch Christopher Nolans neuen Film "Oppenheimer" prägen. Hier einige Fakten über den ungewöhnlichen Physiker

Oppenheimer neben dem eigentlichen Projektleiter des Atombombenprojekts, General Leslie Groves, im September 1945.
AP

Das "J." in seinem Namen steht für "Julius"
J. Robert Oppenheimer war der Sohn deutscher Einwanderer. Sein Vater war ein jüdischer Textilimporteur aus dem hessischen Hanau, der 1888 in die USA kam. Tatsächlich ging Oppenheimer für sein Studium zurück nach Deutschland, um in Göttingen Quantenphysik zu studieren, die damals in den USA noch nicht gelehrt wurde. Das "J." kürzte Oppenheimer immer nur ab und gab selbst an, es stehe für "nichts". Doch Julius war der Vorname seines Vaters.

Seine Frau "Kitty" war Botanikerin und Kommunistin
Katherine Puening stammt aus Deutschland und kam 1913 als Zweijährige mit ihren Eltern in die USA. Sie studierte an der Universität Pittsburgh und heiratete 1932 zum ersten Mal. Zwei weitere Ehen sollten folgen, bevor sie Oppenheimers Frau wurde. Ihr zweiter Ehemann Joseph Dallet war Mitglied der Kommunistischen Partei in den USA, der sie ebenfalls beitrat, bevor sie sie 1938 wieder verließ. Dallet starb im spanischen Bürgerkrieg. "Kitty" und Oppenheimer heirateten am 2. November 1940, nachdem sie einen Tag zuvor von ihrem vorherigen Ehemann geschieden worden war.

Er konnte Sanskrit lesen
Oppenheimer hatte viele unterschiedliche Interessen. Vielleicht zu viele, um in einem Fachgebiet zur Koryphäe zu werden. Neben Kunst – seine Mutter war Malerin – und der Psychoanalyse Freuds hatten es ihm vor allem (alte) Sprachen angetan. Griechisch lernte er an der Universität, Sanskrit beherrsche er später so gut, dass er hinduistische Schriften wie die Bhagavad Gita im Original las. Daraus stammte auch sein berühmtestes Zitat, in dem er sich als "Zerstörer der Welten" sieht. In der westlichen Welt gilt eigentlich die griechische Philosophie als Basis für die Wissenschaft, doch Oppenheimer sagte einmal, er finde die östlichen Schriften tiefgründiger.

Er studierte ursprünglich nicht Physik, sondern Chemie
Der junge Oppenheimer begann 1922 an der Universität Harvard zu studieren. Neben Vorlesungen in seinem Hauptfach Chemie besuchte er auch solche in künstlerischen Fächern und Architektur. Sein Interesse für Physik erwachte erst im dritten Studienjahr. Nach seinem Abschluss veröffentlichte er einige Arbeiten über Quantenphysik, die es ihm ermöglichten, im deutschen Göttingen bei Max Born sein Doktorat zu machen, in einem der Zentren für die "neue" Quantenphysik.

Seine größte wissenschaftliche Arbeit handelt von Schwarzen Löchern
Die Atombombe basiert wesentlich auf Arbeiten der Quantenphysik, die in den 1930er-Jahren noch vollkommen neu waren. Oppenheimer gehörte zur zweiten Generation von Physikern, die sich mit Quantenphysik beschäftigten. Es heißt, er sei zu spät gekommen, um an den großen Durchbrüchen mitzuwirken. Neben quantenphysikalischen Arbeiten zu Molekülen, die heute noch seinen Namen tragen, sind es Forschungen zu Schwarzen Löchern, die heute als herausragend gelten. Er berechnete, wie Sterne am Ende ihres Lebens in sich zusammenstürzen. Den Begriff des "Schwarzen Lochs" gab es damals allerdings noch nicht.


Der 30 Meter hohe Turm nahe Alamogordo in New Mexico, auf dem im Juli 1945 der erste Atombombenprototyp gezündet wurde.
AP

Er wollte ein Wettrüsten mit Atomwaffen verhindern
Schon während der Arbeit an der Atombombe in Los Alamos wurde dem Team klar, dass sich nicht nur durch die Spaltung von schweren Atomkernen Energie gewinnen ließ, sondern auch durch die Verschmelzung leichter Kerne. Doch um eine Fusionsreaktion in Gang zu bringen, braucht es extreme Drücke, die damals technisch noch nicht erreichbar waren. Dieses Problem lösten ausgerechnet Atombomben: Sie können als Zünder dienen, um Wasserstoffbomben anzutreiben. Oppenheimer wollte allerdings verhindern, dass weitere Bomben entwickelt werden. Er plädierte für Abkommen und Abrüstung. Doch ausgerechnet sein Mitarbeiter in Los Alamos, Edward Teller, lieferte später entscheidende Beiträge für die Konstruktion der ersten Wasserstoffbombe der USA.

Er war Kettenraucher und starb an Kehlkopfkrebs
Eine Zigarette oder eine Pfeife sind bei Oppenheimer oft mit im Bild. Wenn er konzentriert war, vergaß er manchmal zu essen. 1965 wurde bei ihm Kehlkopfkrebs diagnostiziert. Er wurde operiert, unterzog sich Chemotherapie und Bestrahlung, doch letztlich waren die Anstrengungen vergebens. Oppenheimer starb 1967 im Alter von 62 Jahren. Er war nicht der einzige Mitarbeiter des Atombombenprojekts, der an Krebs erkrankte. Auch John von Neumann erkrankte später an Krebs. Eine Zunahme von Krebserkrankungen unter Mitarbeitern des Projekts durch den Umgang mit Plutonium ist belegt.

Er wurde nach dem Krieg schlagartig berühmt
Das Manhattan-Projekt zur Entwicklung der Atombombe unterlag strengster Geheimhaltung. Als offengelegt wurde, welche Rolle Oppenheimer darin gespielt hatte, machte ihn das zur Berühmtheit. Er absolvierte unzählige öffentliche Auftritte, zierte das Cover des "Time"-Magazins, und seine Geschichte wurde später zur Inspiration für unzählige literarische Werke, die vor allem sein Scheitern bei der Durchsetzung von Rüstungskontrollen thematisieren. Er erhielt die Medal for Merit, die damals höchste zivile Auszeichnung der USA. Doch wegen seiner Kontakte zu Kommunistinnen und Kommunisten wurde er später diskreditiert.

Er versuchte als Student, seinen Professor zu vergiften
Als Oppenheimer 21 Jahre alt war, lag er im Streit mit seinem Physikvortragenden Patrick Blackett. Blackett drängte Oppenheimer, sich mehr mit Laborarbeit zu beschäftigen. Der Streit gipfelte darin, dass Oppenheimer einen vergifteten Apfel auf Blacketts Tisch legte. Zu dieser Zeit hatte Oppenheimer psychische Probleme, die ihn zwangen, sich in Behandlung zu begeben. Blackett aß den Apfel nicht, und der Vorfall hatte für Oppenheimer keine weiteren Folgen.

Ein Videoportrait J. Robert Oppenheimers.
Veritasium

Er war bis zum Schluss überzeugt, das Richtige getan zu haben
"Jetzt bin ich zum Tod geworden, dem Zerstörer der Welten" – diese Zeile aus dem spirituellen Gedicht Bhagavad Gita ging Oppenheimer nach eigenen Angaben durch den Kopf, als die Atombombe Realität wurde. Er ging immer davon aus, dass die Schrecken von Hiroshima und Nagasaki schlimmere Kriegshandlungen in Zukunft verhindern könnten. Später, in den 1960er-Jahren, drohte er dem deutschen Schriftsteller Heinar Kipphardt sogar rechtliche Schritte an, weil ihn dieser in einem Stück als tragischen Helden zeigte, der mit den Folgen seines Tuns haderte. (Reinhard Kleindl, 24.7.2023
Zehn Fakten über J. Robert Oppenheimer
 
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