100 Jahre staatliche Höhlenforschung in Österreich

josef

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Im Schatten der „Bärenhöhle“
Seit 100 Jahren gibt es in Österreich staatliche Höhlenforschung, über 15.000 Höhlen bieten reichhaltiges Anschauungsmaterial. Doch die Geschichte der Zunft ist auch geprägt von Nationalismus und Antisemitismus. Ein Beispiel: die „Bärenhöhle“.

„In Wien hat sich im Jahr 1879 der erste höhlenkundliche Verein der Welt gegründet und vor genau 100 Jahren wurde die staatliche Höhlenforschung etabliert“, erklärt der Historiker an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und Höhlenforscher Johannes Mattes.

Kein Wunder also, dass Höhlen eine wichtige Rolle bei der nationalen Identitätsstiftung Österreichs gespielt haben. „Höhlen und ihre wissenschaftliche Auswertung sind in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als ein Feld der Politik zu begreifen“, erläutert Johannes Mattes in einem wissenschaftlichen Artikel, der im Herbst in einer Schriftenreihe des Universalmuseums Joanneum erscheinen wird: Die Erkundung der Höhlen „überließ man weitgehend den neu gegründeten naturkundlichen Vereinen, welche gleichsam wie im Bergsport die Kultur des Populären mit wissenschaftlichem Forschungsinteresse verbanden.“


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Österreichische Soldaten suchen im Ersten Weltkrieg bei einer Isonzoschlacht Schutz in einer Höhle

Auf Identitätsfindung in Höhlen
Die Mitglieder dieser Vereine vertraten nicht selten eine patriotisch-nationalistische Gesinnung. Das sei auch damit zu erklären, dass man die Niederlage im Ersten Weltkrieg und die damit verbundenen Gebietsverluste nicht verkraftet hatte. „Die nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie aus Mähren, Krain und dem Küstenland nach Österreich zurückflutenden Forscher setzten bei Expeditionen auf eine soldatische Ordnung, Führerprinzip und militärische Ausrüstung, mit welcher der oberirdisch verloren gegangene Krieg im Untergrund – wenn auch in symbolischer Form – weitergeführt wurde“, hält Mattes in seinem Artikel fest.


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Othenio Abel 1932

Und die historische Rede des Paläontologen und Höhlenforschers Othenio Abel anlässlich der Gründung der „Speläologischen Gesellschaft“ – Speläologie ist der lateinische Begriff für Höhlenkunde – gibt ihm Recht. „Meine hochgeehrten Herren. Unser geliebtes Heimatland ist zwar dem Umfange nach recht klein geworden, aber es birgt doch noch in diesem Rahmen manchen wertvollen Schatz, der im Boden schlummert, und zählt eine Reihe von Männern zu den seinen, deren Liebe zur Wissenschaft trotz allen Unglücks nicht geschmälert werden konnte“, verkündete Abel 1922 feierlich.

Die antisemitische „Bärenhöhle“
Eben dieser Othenio Abel war zur selben Zeit auch Initiator des antisemitisch-akademischen Geheimbunds „Bärenhöhle“, der es sich zum Ziel gesetzt hatte, jüdische oder links-politische Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen von der Universität Wien zu verbannen – mit Erfolg. „Die Bärenhöhlen-Vereinigung hat letztlich auch den Ausschlag gegeben, dass die Höhlenkunde eine institutionelle Wissenschaft wurde“, sagt Mattes.

Dementsprechend war insbesondere die universitäre Höhlenkunde damals Sammelbecken und Nährboden zugleich für den aufkeimenden Antisemitismus. Selbst der Name „Bärenhöhle“ ging auf eine Höhlenexpedition zurück. Der Paläontologe Abel war fasziniert von Bären. „Er hat bei Ausgrabungen in der Drachenhöhle im steirischen Mixnitz zahlreiche Knochen dieser Tiere geborgen und im Seminarraum des Paläontologischen Instituts aufbewahrt. Und genau dort haben sich die antisemitischen Akademiker getroffen“ – in ihrer geheimen Höhle, umringt von Bärenknochen.


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Höhlenbär. Skizze von Othenio Abel 1924

Himmlers Suche nach „germanischen Urmenschen“
Als die Nationalsozialisten in Österreich restlos die Macht übernahmen und an der Universität Wien die Hakenkreuzfahnen entrollt wurden, zeigte sich Othenio Abel begeistert. „Das war der schönste Augenblick meines Lebens“, soll er später darüber gesagt haben. Frohlocken ließ Abel, der auch NSDAP-Mitglied war, dann wohl auch das große Interesse der Nationalsozialisten an der Höhlenkunde. Der SS-Reichsführer Heinrich Himmler rief diesbezüglich sogar eine eigene Abteilung innerhalb der Lehr- und Forschungsgemeinschaft „Das Ahnenerbe“ ins Leben.

„Die Abteilung hatte die Aufgabe, Höhlen vor allem in Deutschland aber auch in Österreich zu untersuchen und Ausgrabungen vorzunehmen. Dabei entwickelte sich ‚Das Ahnenerbe‘ zu einer der einflussreichsten wissenschaftspolitischen Institutionen des Dritten Reichs. In Mähren (im heutigen Tschechien Anm.) wurden sogar etliche Höhleneingänge von der Gestapo bewacht“, schildert der Historiker Mattes.

Aber wozu dieser Aufwand? „Man wollte die Urgeschichte neu deuten. Ziel war es, Beweise dafür zu finden, dass die Ursprünge des modernen Menschen nicht in Afrika, sondern im Deutschen Reich liegen.“ Man versuchte also, pseudowissenschaftlich eine Überlegenheit der „germanischen Rasse“ und damit verbunden auch eine Legitimation für ein „Tausendjähriges Reich“ herbeizufantasieren.

Schleppende Auseinandersetzung mit historischem Erbe
Dieser Nachweis misslang bekanntermaßen genauso wie die Etablierung einer generationenüberdauernden Diktatur. Trotzdem erwies sich das „Bärenhöhlen“-Netzwerk auch nach 1945 als engmaschig sowie zuverlässig. Viele der Mitglieder konnten ihre Karriere fortsetzen. Othenio Abel verstarb im Juli 1946. Die ÖAW setze ihm allerdings ein fragwürdiges Denkmal. Ab 1985 hat man dort den „Othenio-Abel-Preis“ für herausragende Arbeiten auf dem Gebiet der Paläontologie vergeben. Erst 2012 wurden Abels nationalsozialistische Verstrickungen thematisiert und die Auszeichnung schließlich umbenannt.

Ein Jahr später hat die ÖAW auch ein Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus an der ÖAW veröffentlicht. Der Historiker Johannes Mattes, der eben an dieser Einrichtung forscht und sich in Vorbereitung auf das 175. Jubiläum der ÖAW im Jahr 2022 derzeit intensiv mit dessen Geschichte beschäftigt, betont, wie wichtig die Auseinandersetzung mit dem eigenen Erbe ist – auch um die Höhlenforschung aus dem nationalistischen Dunstkreis zu befreien.

Heute ist die Höhlenkunde kein Hort des Nationalismus, gilt aber auch nicht mehr als eigenständig etablierte Wissenschaftsdisziplin. „Vielmehr ist sie fächerübergreifend angelegt, nämlich sowohl geistes- als auch naturwissenschaftlich, gleichzeitig betätigen sich hier auch viele Laienforscher und Laienforscherinnen.“ Das habe seine Vor- und Nachteile, meint Johannes Mattes, der selbst immer wieder in Höhlen hinabsteigt. „Dadurch ist man einerseits von einer regelmäßigen Finanzierung abgeschnitten, andererseits genießt man aber auch mehr Freiheiten. Man kann hier – was heute gar nicht mehr so selbstverständlich ist – mit einer Passion, mit einer Leidenschaft tätig sein. Und das ist es, was die Höhlenforschung heute für mich auszeichnet.“

Daphne Hruby, Ö1-Wissenschaft

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Publiziert am18.06.2018
Im Schatten der „Bärenhöhle“ - science.ORF.at
 
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