1943 bis 1945 – Deutsche, Frauen und die Feuerwehr

Geist

Worte im Dunkel
Mitarbeiter
#1
Wer fand Einlass in die Luftschutzräume? Dieser Frage gehe ich heute anhand von Beschriftungen in einem sogenannten Luftschutzdeckungsgraben nach. Diese Anlage diente den Mitarbeiter_innen eines Industriebetriebs als Schutzort bei Fliegeralarmen. Doch nicht jeder Mensch war hier willkommen. In erster Linie waren die jüdische Bevölkerung, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter_innen von ausschließenden Bestimmungen betroffen.

So manches Mal sind in derartigen Luftschutzanlagen eingeritzte Namen von Italienern, Bürgern der Sowjetunion, Frankreichs und anderer Staaten zu entdecken – sie hinterließen ihre Daten meist aber nicht als Schutzsuchende während eines Bombenangriffs. KZ-Häftlinge, aber vor allem Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter_innen wurden zum Bau sowohl von bombensicheren Bunkern als auch von splitter- und trümmersicheren Luftschutzanlagen herangezogen, die sie dann aber nicht benutzen durften. Der Unterschied zwischen diesen Bauwerkstypen lag in ihrer unterschiedlichen Festigkeit. War ein Bunker dafür konzipiert, auch einem direkten Bombentreffer standzuhalten, so hatte ein splitter- und trümmersicherer Deckungsgraben oder Unterstand einem Voll- oder Nahtreffer nichts entgegenzusetzen. In einem solchen Fall hatten die Schutzsuchenden kaum eine Überlebenschance.

Je sicherer ein Bauwerk war, umso eher diente es der Benutzung durch die deutsche Bevölkerung oder Mitarbeiterschaft eines Betriebs, während Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter_innen in die splitter- und trümmersicheren Anlagen eingewiesen wurden.

Blick in einen Deckungsgraben, links an den Wänden sind die Halterungen für Sitzbänke erhalten, rechts der Notausstieg

Diskriminierung im Schutzraum

Generell war der Einlass in die Luftschutzräume eine ambivalente Angelegenheit für die Behörden des Deutschen Reichs. Noch im Oktober 1940 gab es die im Vokabular NS-typischen Rassedenkens verfasste Anweisung, auch der jüdischen Bevölkerung Zugang zu den Luftschutzräumen zu gewähren. Aus dem Text geht deutlich das Bedauern des Verfassers Hermann Göring über diese humanitäre Maßnahme hervor, der nur der Zwang durch die Öffentlichkeit zugrundelag. Man befürchtete Unstimmigkeiten:

„Im Einvernehmen mit dem Herrn Stellvertreter des Führers [Rudolf Heß] wird darauf hingewiesen, daß bei Fliegeralarm Juden der Zutritt zu öffentlichen und sonstigen LS-Räumen nicht versagt werden kann, da andernfalls Unzuträglichkeiten zu befürchten sind, die sich auch auf die deutschblütige Bevölkerung nachteilig auswirken könnten. Falls mehrere LS-Räume vorhanden sind, sollen die Juden in einem derselben gesondert untergebracht werden. Steht nur ein LS-Raum zur Verfügung, wird es zweckmäßig sein, durch Abtrennung eines Teils des LS-Raumes die Möglichkeit zu schaffen, daß die Juden getrennt von deutschblütigen Insassen den LS-Raum benutzen können.“[1]

Wegweiser zum Sektor für Deutsche

Da im Zuge des Führer-Sofortprogramms, das ab Herbst 1940 der Errichtung von Luftschutzanlagen für die Zivilbevölkerung diente, trotz eines ungeheuren Aufwands nicht genug Schutzplätze für alle geschaffen werden konnten, wurde der Zutritt zu diesen Anlagen bald reglementiert. In erster Linie waren die Bauten für Frauen, Kinder, Kriegsversehrte sowie alte und gebrechliche Personen gedacht. Gesunde Männer zwischen 16 und 60, später 70 Jahren wurden von der Benutzung ausgeschlossen mit der Begründung, diese sollten bei der aktiven Luftverteidigung oder an der Front dienen und nicht im Bunker sitzen. Das Bunkerverbot galt auch für Fronturlauber.

Am 18. September 1942 wurde eine Luftschutzraum-Ordnung erlassen, die die Verwendung der Schutzräume klar regelte. In einem Nachtrag zu dieser Ordnungsschrift war vermerkt:

„Kriegsgefangenen, Ostarbeitern und P-Polen* ist der Zutritt zu den LS-Bunkern bei Fliegeralarm grundsätzlich untersagt. Den übrigen Ausländern kann die Benutzung nur gewährt werden, wenn der LS-Bunker von der Zivilbevölkerung nicht voll in Anspruch genommen wird und sie von den deutschen Volksgenossen getrennt untergebracht werden können.“[2]

Wegweiser zum Bereich für deutsche Mitarbeiter

Eine Sonderkategorie bei den „übrigen Ausländern“ nahmen die Italiener ein. Diese standen als Verbündete des Deutschen Reichs unter ganz anderen Umständen im deutschen Arbeitseinsatz. Erst ab Herbst 1943, als Italien zweigeteilt war und deshalb viele italienische Soldaten, die nicht mehr an der Seite Deutschlands den Kampf fortsetzen wollten, zur Arbeit gezwungen wurden, galten die Bestimmungen auch für diese sogenannten italienischen Militärinternierten (IMI).

Etwa ab dem gleichen Zeitraum, in dem die Luftschutzraum-Ordnung erschien, mussten die Behörden in ihren Erlässen und Bestimmungen nicht länger auf die jüdische Bevölkerung eingehen, weil diese durch forcierte Auswanderung und Vernichtung bereits so weit an den gesellschaftlichen Rand gedrängt worden war, dass ihr Anteil kaum noch in Prozenten gemessen werden konnte.

Der gekennzeichnete Abschnitt für Deutsche

Nichts wert, aber doch so wertvoll

Die Entscheidungsträger des Deutschen Reichs fanden sich bald in einem Dilemma wieder. Einerseits waren vor allem Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter_innen aus dem Osten am untersten Ende ihrer Wertigkeitsskala eingestuft, andererseits wurde ihre Arbeitskraft dringend in der deutschen Kriegswirtschaft benötigt, denn die heimischen Arbeiter wurden mehr und mehr zum Dienst an der Waffe eingezogen. Man konnte sich also mit fortschreitender Kriegsdauer immer weniger leisten, die Arbeitskraft der Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter_innen bei Bombenangriffen zu gefährden respektive zu verlieren.

Dennoch hielten sich viele Bunkerwarte an die Bestimmungen der oben bereits angeführten Luftschutzraum-Ordnung vom September 1942 und ließen im Alarmfall keine Kriegsgefangenen und Ostarbeiter in die Luftschutzanlage. Für sie waren, wenn überhaupt, nur splitter- und trümmersichere Deckungsgräben angelegt worden, die aufgrund ihrer Unsicherheit bei Nah- und Volltreffern nicht sehr beliebt waren. Das wiederum hatte zur Folge, dass die Verluste bei Kriegsgefangenen und Ostarbeitern sehr hoch waren, was in weiterer Folge dazu führte, dass die Vorschriften gelockert wurden.

Am 21. Jänner 1945 erteilte das Reichsministerium der Luftfahrt unter Hermann Göring in einem Rundschreiben die folgende Anweisung:

„Einzelne örtliche Luftschutzleiter haben Ausländer von der Benutzung öffentlicher LS-Räume und LS-Bunker ausgeschlossen oder auch während eines Fliegeralarms auf die Straße verwiesen. Da die im Reich anwesenden ausländischen Arbeitskräfte im Rahmen der deutschen Wirtschaft eingesetzt sind, müssen sie bei Luftangriffen – soweit wie irgend möglich – geschützt werden. Bei Benutzung von öffentlichen LS-Räumen und LS-Bunkern hat die deutsche Zivilbevölkerung den Vorrang. Ausländer sind, soweit der Raum ausreicht, grundsätzlich zuzulassen. Im Interesse der vollen Ausnutzung jedes Platzes in den öffentlichen LS-Räumen und LS-Bunkern ist jedoch von einer Bereitstellung besonderer Aufenthaltsräume für Ausländer abzusehen. Das schließt jedoch nicht aus, daß bei Unterbringung geschlossener Einheiten ausländischer Arbeitskräfte der LS-Bunkerwart diesen bestimmte Plätze anweist.“[3]

Auch Kriegsgefangene erhielten dank dieses Schreibens nun spät, aber doch, die Berechtigung Luftschutzbunker aufzusuchen, sofern diese noch über Kapazitäten verfügten.

Bei der in den Bildern dieses Artikels gezeigten Luftschutzanlage handelt es sich nicht um einen bombensicheren Bunker, sondern um einen splitter- und trümmersicheren Deckungsgraben, der mit einem relativ hohen Erdhügel überdeckt wurde. In diesem besonderen Fall scheint es also keine bombensicheren Unterstände im Betrieb gegeben zu haben, weshalb in der Mitte der Anlage, wo in der maximalen Distanz zu den Eingängen der sicherste Bereich zu finden war, ein Abschnitt für „Deutsche“ markiert wurde.

Unmittelbar im Anschluss an einen der beiden Eingänge befindet sich ein weiterer gekennzeichneter Bereich für Frauen und Feuerwehr. Warum anscheinend selbst damals „deutsche“ Frauen – heute Österreicherinnen – nicht zu den ausgewiesenen Deutschen zählten, erschließt sich mir nicht. Möglicherweise waren diese Plätze doch für im Betrieb tätige Zwangsarbeiterinnen vorgesehen, was mir allerdings unwahrscheinlich erscheint, oder in der nationalsozialistischen patriarchalen Denkstruktur stand der Mann auch im Luftschutz höher als die Frau.

Ein weiterer gekennzeichneter Abschnitt: Frauen und Feuerwehr


Fußnoten:

* P-Polen waren polnische Zwangsarbeiter, die mit dem Buchstaben P an der Kleidung markiert waren.
[1] Andrea Löw, Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945. Bd. 3: Deutsches Reich und Protektorat Böhmen und Mähren, September 1939–September 1941 (München 2012), S. 293, online unter:
Deutsches Reich und Protektorat September 1939 - September 1941 (13. Dezember 2020)
[2] Zitiert nach: Michael Foedrowitz, Bunkerwelten. Luftschutzanlagen in Norddeutschland (Augsburg 2011), S. 119f.
[3] Zitiert nach: Michael Foedrowitz, Bunkerwelten. Luftschutzanlagen in Norddeutschland (Augsburg 2011), S. 120f.

Links und Literatur:

Michael Foedrowitz, Bunkerwelten. Luftschutzanlagen in Norddeutschland (Augsburg 2011), online unter:
Bunkerwelten (13. Dezember 2020)
Dietmar Süß, Tod aus der Luft. Kriegsgesellschaft und Luftkrieg in Deutschland und England (München 2011), online unter:
Tod aus der Luft (13. Dezember 2020)
Zwangsarbeit 1939–1945. Erinnerungen und Geschichte
Zwangsarbeiter im Bombenkrieg, Videointerview online unter:
Zwangsarbeiter im Bombenkrieg • Zwangsarbeit 1939-1945. Erinnerungen und Geschichte (13. Dezember 2020)

Interne Links:

Mehr zu den Jahren von 1939 bis Kriegsende:
1939 bis Kriegsende

Link zum Originalbeitrag: 1943 bis 1945 – Deutsche, Frauen und die Feuerwehr – Worte im Dunkel
 
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