2 Brüder aus Bordeaux betätigten sich bereits 1834 als erste "Hacker" von über optischer Telegrafenstationen übertragene Nachrichten

josef

Administrator
Mitarbeiter
#1
OPTISCHE TELEGRAFIE
Wie ein Brüderpaar den ersten Hack der Weltgeschichte durchführte
François und Joseph Blanc führten den ersten erfolgreichen Angriff auf ein Kommunikationssystem durch. Ihre Methoden werden noch heute eingesetzt

Die optische Telegrafie wurde 1792 von Claude Chappe erfunden. Ein Netzwerk von Stationen durchzog schon bald ganz Frankreich.
Foto: Getty Images / Ilbusca

Wer war der erste Hacker? Gemeinhin gilt Nevil Naskelyne als erster Mensch, der erfolgreich ein Kommunikationssystem angegriffen hat. Der britische Magier und Erfinder übernahm 1903 ein als sicher angepriesenes Telegrafensystem und schickte Beleidigungen durch den Äther.

Doch der weltweit erste Hack eines Kommunikationssystems geht noch viel weiter zurück, und die Täter nutzten damals ganz ähnliche Methoden, wie man sie heute zur Schaffung eines Sicherheitslecks im Cyberspace nutzt. Aber davon war 1834 noch nicht die Rede, als die Postkutschen von Paris nach Bordeaux unterwegs waren. Im Postsack befand sich eine enorm wichtige Fracht: Aktienkurse aus Paris. Diese beeinflussten auch die Preise an der Börse in Bordeaux, wo sich die Zwillingsbrüder François und Joseph Blanc einen Handel mit Staatsanleihen aufgebaut hatten. Doch die zweitägige Wartefrist, bis die Neuigkeiten aus Paris eintrafen, war dem Brüderpaar bald zu lange. Wie wäre es, wenn man früher an die Informationen kommen könnte? Das würde im Handel enorme Vorteile bringen. Doch wie konnte man nur die Kommunikation beschleunigen?

Der Schlüssel: Das Semaphor-Netzwerk
Börsennachrichten wurden damals entweder per Postkutsche oder auch Brieftaube übertragen, doch gab es auch ein Netzwerk optischer Telegrafenstationen, das ganz Frankreich überzog. Auf einem kleinen Turm befanden sich zwei hölzerne Arme, die durch einen Querbalken verbunden waren. Mit einem simplen mechanischen System konnten die Arme bewegt werden.

Jeder der etwa zwei Meter langen Arme konnte sieben Positionen einnehmen, der Querbalken konnte in vier verschiedenen Winkeln eingestellt werden – das ergab somit 196 Symbole. Die Bedeutungen der Symbole wurden in einem Codebuch festgehalten. 550 sogenannte Semaphor-Stationen durchzogen Frankreich auf einer Länge von fast 5000 Kilometern – ein schnelles und zuverlässiges Kommunikationssystem. Zivilpersonen durften damit aber keine Nachrichten verschicken, dies war allein dem Militär vorbehalten.

Der erste Social Hack
Zwischen Paris und Bordeaux befanden sich auf einer Distanz von rund 600 Kilometern Fahrtstrecke insgesamt 81 dieser Stationen. "Damit war es möglich, Nachrichten von Paris nach Bordeaux innerhalb von 95 Minuten zu übermitteln", erklärt der Historiker Daniel Meßner, der den ersten erfolgreichen Angriff auf ein Informationsnetzwerk für den Podcast "Geschichten aus der Geschichte" aufgearbeitet hat.

Doch wie konnten die Brüder Blanc das eigentlich gesperrte und noch dazu codierte System für sich nutzen? Die Brüder bestachen einen Telegrafisten in Tours auf halber Strecke zwischen Paris und Bordeaux. Dieser konnte aber nicht einfach Nachrichten über Börsenkurse senden, das wäre sofort aufgefallen. Aber: Er konnte eine bestehende Nachricht um ein Extrazeichen modifizieren und es sogleich für ungültig erklären, indem er das Kontrollsignal "Achtung Fehler" hinterherschickte. Da die Signalübermittlung zwischen den Türmen nahezu in Echtzeit erfolgte, konnte dieser Fehler nicht korrigiert werden – er setzte sich wie fallende Dominosteine bis Bordeaux fort.

Handschuhe für steigende, Socken für sinkende Kurse
Jetzt musste nur noch ein Komplize aus Paris die Börsenkurse an den Telegrafisten melden, ohne dass es auffiel. Dafür wurde ein Paket mit der Postkutsche an den bestochenen Operateur geschickt. Enthielt es einen Handschuh, sandte er das Zeichen für steigende Kurse, enthielt es ein Paar Socken, jenes für sinkende. Da das falsche Fehlersignal immer weitertransportiert wurde, konnten die Brüder einfach die Semaphor-Station in Bordeaux beobachten und mussten nur auf das vorletzte Zeichen warten. So hatten sie einen Vorsprung von etwa 24 Stunden gegenüber der Konkurrenz.

Die Blancs verdienten zwei Jahre lang gutes Geld, flogen aber auf und landeten vor Gericht. Doch sie wurde nur wegen der Bestechung von Beamten verurteilt, weil es noch keine Straftatbestände für die Manipulation von Informationsnetzwerken und Insiderhandel gab. "Was mich am meisten überrascht hat, war, dass sie fast das gesamte Geld behalten durften", berichtet Meßner im Gespräch mit dem STANDARD.

Damit war die Karriere der Brüder Blanc nicht vorbei. Denn mit dem an der Börse verdienten Geld stiegen sie ins Kasinogeschäft ein und machten Monaco zur Hauptstadt des Glücksspiels in Europa. Das Gespür für kreative Lösungen blieb: François Blanc modifizierte das Roulette und erleichterte es um die Doppelnull – und schuf so die moderne Variante des Glücksspiels, wie sie heute noch in Europa verbreitet ist.
(Peter Zellinger, 23.2.2023)

Wie ein Brüderpaar den ersten Hack der Weltgeschichte durchführte
 
Oben