Am Schöckl bei Graz wird römisches Höhenheiligtum freigelegt

josef

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Das Höhenheiligtum am Schöckl
Auf dem Grazer Hausberg zeugt eine untypische Tempelanlage von einer kultischen Nutzung des Geländes
"Wonach sucht ihr?", "Habts schon was gefunden?" Diese und ähnliche Fragen hören wir während der Grabungskampagnen auf dem Schöckl, dem Grazer Hausberg. Kein Wunder: Der Schöckl ist ein beliebtes Ausflugsziel, und auf den ersten Blick sieht das Wander- und Sportvolk, das den Ostgipfel wegen der phänomenalen Aussicht und wegen des Sportflugbetriebs besucht, in unseren Grabungsschnitten nur Steine und dunkle Erde. Zur Beantwortung der interessierten und neugierigen Fragen geben wird dann eine kurze Einführung in unsere Tätigkeit: Wir erforschen hier seit 2015 eine römische Fundstelle, die sich als Höhenheiligtum entpuppt hat, und die zunächst unspektakulär erscheinenden Steine sind die letzten Überreste eines ehemaligen Gebäudes.


Die diesjährige Grabungsfläche am Ostgipfel des Schöckl.
Foto: Institut Für Archäologie, Universität Graz

Bedeutende Fundstelle
Der Schöckl liegt 14 Kilometer nordöstlich von Graz und stellt die prominenteste Erhebung des Grazer Berglands dar. Die Fundstelle selbst liegt beim Ostgipfel, auch "Schöcklkopf" genannt, auf einer Seehöhe von 1.423 Metern – der höchste Punkt des Berges mit einer Seehöhe von 1.445 Metern liegt weiter im Westen des weitläufigen Gipfelplateaus. Dieser Bereich bietet einen hervorragenden Ausblick auf das Umland, umgekehrt ist der markante Ostgipfel weithin sichtbar.Ende 2014 wurden dem Bundesdenkmalamt zahlreiche römische Keramikfunde gemeldet, die in den Fahrspuren eines Baufahrzeugs im Bereich des Ostgipfels gefunden wurden. Dies veranlasste das Institut für Archäologie der Universität Graz im darauffolgenden Jahr, systematische Oberflächenbegehungen durchzuführen, sogenannte Surveys, bei denen weitere römische Funde getätigt wurden. Neben einem Metalldetektor – die Verwendung muss vom Bundesdenkmalamt genehmigt werden – waren bei der Suche auch Maulwürfe hilfreich, die mit ihren Hügeln Erde und damit als Nebeneffekt auch archäologische Funde an die Oberfläche bringen. Die Menge der Funde und vor allem die Qualität (Feinkeramik, Glasschmuckfragmente, Buntmetallobjekte) deutete bereits darauf hin, dass es sich um eine bedeutende Fundstelle handelt.


Die bei der Doline gefunden Glasperlen nach der Reinigung.
Foto: Robert Pritz

Bei der Doline wurden auch zahlreiche zerbrochene Glasarmreifen gefunden.
Foto: Robert Pritz

Nach einer kleinen "Probegrabung" im Jahr 2016 erbrachte eine Lehrgrabung 2017 genauere Aufschlüsse. Die früheste bislang fassbare menschliche Nutzung des Ostgipfels fand schon in der Hallstattzeit (circa 800–450 v. Chr.) statt. Eine kultische Nutzung des Geländes ist denkbar, konnte bisher aber aufgrund der nur einzelnen und stets verlagerten Funde nicht belegt werden. Funde aus der folgenden La-Tène-Zeit (circa 450 v. Chr. bis zur Zeitenwende) fehlen bislang, die römische Nutzung ist ab dem späten 1. Jahrhundert n. Chr. bis in das mittlere 4. Jahrhundert n. Chr. fassbar. Aus dieser Epoche stammen nicht nur die meisten Funde, sondern auch alle bisher angetroffenen Befundstrukturen.

Untypischer Tempelgrundriss
Im Rahmen der Lehrgrabung 2017 konnten wir westlich unterhalb des eigentlichen Ostgipfels einen "Weiheplatz" nachweisen. Eindeutige Baubefunde fehlten im Grabungsschnitt, allerdings fanden sich im Umfeld einer Doline (ein natürlicher Karsttrichter) zahlreiche römisch-spätantike Funde wie Armreifen aus Glas, Fingerringe aus Eisen, beinerne Haarnadeln, hunderte Glasperlen und zahlreiche Münzen. Einige Stücke legten einen langen Weg zurück, bevor sie am Schöckl niedergelegt wurden, etwa eine silberne Tetradrachme, die 215/17 n. Chr. in Emesa (heutiges Homs in Syrien) geprägt wurde und vielleicht als Erinnerungsstück in der Tasche eines Soldaten hierher kam. Weitere Funde wie Statuettenfragmente von Muttergottheiten, ein Webstuhlgewicht und mehrere Votivspiegelrahmen aus Blei geben diesem Weiheplatz jedoch insgesamt eine stark weibliche Prägung.

Dass die Weihegaben vor der Doline deponiert wurden, ist nicht zufällig, denn die Anziehungskraft der Schlünde und Höhleneingänge am Schöckl ist ein noch bis weit in die Neuzeit hinein zu beobachtendes Phänomen. Die sogenannten "Wetterlöcher" am Schöckl etwa stellte man sich lange Zeit hinweg als Orte vor, an denen Hexen das Hagelwetter brauten. Vielleicht ein Indiz dafür, dass die eine oder andere Erinnerung an antike kultische Rituale durch mündliche Tradierung im Gewande von Legenden überdauerte.


Die freigelegten Reste des römischen Gebäudes am Ostgipfel.
Foto: Institut Für Archäologie, Universität Graz

2017 konnte am eigentlichen Ostgipfel zudem erstmals die Mauer eines römischen Gebäudes erfasst werden. Nach den Grabungskampagnen 2018 und 2019 zeigt sich nun ein mindestens elf mal zehn Meter großes Gebäude, das keinen typischen "Tempelgrundriss" aufweist. Es wurde in einem Zuge errichtet, nimmt die ganze Kuppe des Ostgipfels ein und besteht aus zwei länglichen, grob Nord-Süd ausgerichteten Gebäudeteilen. Der westliche, 50 Quadratmeter große Teil wurde wohl von Süden her betreten; entlang der Ostwand lagen Weihegaben (vor allem Münzen). Der östliche, etwa gleich große Gebäudeteil ist dagegen in seinem Inneren fundleer und besteht aus mindestens zwei Räumen, deren Fußbodenniveau (wechselnd Fels und Mörtelestrich) teilweise noch erhalten ist.

Funde aus vor dem Bau aufgebrachten Planierschichten zeigen, dass das Gebäude frühestens in der zweiten Hälfte des zweiten, eher erst im dritten Jahrhundert errichtet wurde. Es stand bis ins frühe vierte Jahrhundert in kultischer Nutzung. Welche Gottheit(en) hier konkret verehrt wurden, ist jedoch mangels Inschriftenfunden bisher nicht zu sagen.


Eine weitere Mauer wird freigelegt.
Foto: Institut Für Archäologie, Universität Graz

Frequentierte Destination
Hunderte kleine Verputzfragmente zeugen davon, dass die meisten Innenwände des Gebäudes einst farbenprächtig bemalt waren. Malereireste auf den "Außenwänden" im Süden und Osten lassen an ein hölzernes Vordach denken. Gedeckt war das Bauwerk zumindest teilweise mit Ziegeln. Mit der Wahl des Platzes am Ostgipfel stellte man zudem sicher, dass die weiß gekalkte Fassade und die rote Bedachung auch aus weiter Entfernung wahrgenommen werden konnten.


Bemalte Verputzfragmente neben den Überresten einer Mauer.
Foto: Institut Für Archäologie, Universität Graz

Unzählige Fundpunkte im Umkreis des Schöcklmassivs, seien es Einzelfunde, die auf Siedlungsflächen oder Villen hindeuten, oder die für die norisch-pannonische Kultur in unseren Breiten typischen Hügelgräber, illustrieren die einstige hohe Siedlungsdichte. Ausgrabungen in Gleisdorf, Kalsdorf und Deutschfeistritz haben zudem gezeigt, dass im näheren Umfeld nicht nur ländlich-sittliche Landwirtschaftsstrukturen, sondern auch Niederlassungen mit kleinstädtischem Charakter existierten. Damit war der Berg wohl auch damals schon eine stark frequentierte Destination, die von den Bewohnern im Umfeld durchaus noch bequem zu erreichen war.

In den kommenden Jahren sind noch weitere Forschungen geplant, wobei wir auch in Zukunft für interessierte Fragen vor Ort zur Verfügung stehen werden. Einen zusammenfassenden Einblick in die bisherigen Forschungen wird zudem eine Sonderausstellung am Universalmuseum Joanneum (Graz, Schloss Eggenberg) im kommenden Jahr bieten.
(Manfred Lehner, Levente Horváth, Robert Pritz, 12.9.2019)

Manfred Lehner ist seit 2010 Vertragsdozent am Institut für Archäologie der Universität Graz. Neben der Projektleitung am Schöckl leitet er ein FWF-Projekt zur frühmittelalterlichen Besiedlung des Südostalpenraums (in Kooperation mit Slowenien) und eine Auslandsgrabung (spätantike Höhensiedlung) in Kroatien. Die Forschungsschwerpunkte liegen in der Mittelalter-, in der Provinzialrömischen Archäologie und in der Kontinuitätsproblematik.
Levente Horváth ist Projektassistent am Institut für Archäologie der Universität Graz und arbeitet seit 2015 bei den Feldforschungen am Schöckl mit. Neben den Römern am Grazer Hausberg liegen seine Forschungsschwerpunkte in der Mittelalter- und Neuzeitarchäologie.
Robert Pritz ist ab Oktober Projektassistent am Institut für Archäologie der Universität Graz und bearbeitet die Funde und Befunde vom Schöckl im Rahmen seiner Dissertation. Abgesehen von der provinzialrömischen Forschung im Inland ist er auch an österreichischen Projekten in Griechenland beteiligt.


Link
Das Höhenheiligtum am Schöckl - derStandard.at
 
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