Archäologisches Grabungsprojekt am Gelände des ersten Wiener Frauenspitals

josef

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#1
Bei den "Lieserln auf der Landstraße"

Archäologische Spuren von Wiens erstem Frauenspital
Obwohl jeder archäologische Auftrag immer irgendwo etwas Spannendes hat, gibt es Projekte, die etwas ganz Besonderes haben. Sei es aufgrund des exotischen Ortes, der außergewöhnlichen Befunde – oder eben aufgrund der Lebensgeschichten der Menschen, die dadurch sichtbar werden. Anfang Oktober 2018 begann für uns ein solches Grabungsprojekt im Innenhof des Elisabethinen-Klosters am unteren Ende der Landstraßer Hauptstraße, da im Innenhof des Klosters derzeit ein neues Alten- und Pflegeheim des Souveränen Maltesterordens errichtet wird.


foto: novetus
Die Grabungsfläche am Rand der Baugrube im Innenhof des Elisabethinen-Klosters. Nicht ganz so romantisch, wie man sich archäologische Grabungen im Allgemeinen vorstellt.

Das Spital wurde 1715 vom Orden der Elisabethinen als erste Einrichtung in Wien eröffnet, die im Gegensatz zu allen anderen Spitälern ausschließlich medizinisch kranken Frauen offenstand. Der im 17. Jahrhundert in Aachen unter dem Namen "Hospitalschwestern der heiligen Elisabeth" gegründete katholische Frauenorden gehört zur Ordensfamilie der Franziskaner und ist bis heute der Krankenpflege verschrieben. Neben dem Standort in Wien werden in Österreich auch in Linz, Graz und Klagenfurt Spitäler betrieben. Das Spital in Wien umfasste anfangs 50 Betten und unterhielt weder eine Station für "Wöchnerinnen" noch für "Venerische" (an Syphilis Erkrankte).


foto: novetus
Die Rückseite des barocken Elisabethinen-Klosters, das sich teilweise noch im baulichen Originalzustand befindet.

Friedhof im Innenhof des Klosters


foto: österreichisches staatsarchiv
Das Elisabethinen-Kloster mit dem angeschlossenen Friedhof auf dem Vogelschauplan von Wien und seinen Vorstädten von Johann Daniel Huber (1778). Die archäologischen Funde zeigen, dass das tatsächliche Friedhofsareal bedeutend größer war.

Verstarben Patientinnen während ihres Aufenthalts im Spital, wurden sie zumindest bis 1784, als Joseph II. aus hygienischen Gründen innerstädtische Bestattungen untersagte, in einem eigenen Friedhof im Innenhof des Klosters bestattet. Aus den Sterbebüchern des Spitals geht hervor, dass dies doch recht häufig der Fall war, da sich pro Monat etwa fünf bis 15 Einträge finden. Die recht ausführlichen Einträge in diesen Büchern liefern aber auch noch weitere Informationen über die Patientinnen des Spitals. So wird deutlich, dass es Frauen aus den unteren sozialen Schichten waren – etwa Dienstbotinnen, Hauspersonal oder Händlerinnen –, die dort behandelt wurden. Die in den Sterbebüchern eingetragenen Geburtsorte der Frauen demonstrieren darüber hinaus eindrucksvoll eines der zentralen Merkmale der Wiener Bevölkerungsstruktur im 18. Jahrhundert: die Migration aus allen Teilen der Habsburger-Monarchie. Diese trug maßgeblich dazu bei, dass sich die Bevölkerung Wiens im 18. Jahrhundert mehr als verdoppelte.

Hohe Sterblichkeitsrate
Die hygienischen und gesundheitlichen Verhältnisse im barocken Wien waren katastrophal. So lag die durchschnittliche Lebenserwartung für Frauen gegen Ende des 18. Jahrhunderts etwa bei 22 bis 23 Jahren. Von 100 Neugeborenen überlebten durchschnittlich nur etwa 40 das erste Lebensjahr. Hauptgrund für die hohen Sterblichkeitsraten waren in erster Linie Infektionskrankheiten. Als das Elisabethinen-Spital 1715 eröffnet wurde, stand Wien noch unter dem Eindruck der letzten großen Pestepidemie des Jahres 1713. Danach war es im 18. Jahrhundert insbesondere die Tuberkulose, gefolgt von Typhus und anderen, vor allem gastrointestinalen Infektionen, die für 30 bis 50 Prozent aller Todesfälle sorgten. Das spiegelt sich auch in den Sterbebüchern des Elisabethinen-Spitals wider, in dem die "Lungensucht", der zeitgenössische Ausdruck für Tuberkulose, zu den häufigsten Todesursachen zählt.

Die Einträge machen aber auch ein weiteres großes gesundheitliches Problem der frühen Neuzeit deutlich: Ähnlich häufig wurde als Sterbegrund "am Brandt" angeben. Dies wurde allgemein als Bezeichnung für jede Art von bakterieller oder viraler Wundinfektion verwendet. Bis zu den Erkenntnissen des englischen Arztes Joseph Lister in den 1860er-Jahren kostete der "Wundbrand" hunderttausende Spitalspatienten das Leben, da selbst bei kleinsten Wunden, insbesondere aber offenen Frakturen Wundinfektionen entstanden, die durch mangelndes medizinisches Wissen tödlich endeten.

Vermählung nach dem Tode
Einen Einblick in ebendiese Zustände bieten nun die Ergebnisse der archäologischen Ausgrabungen, die seit Oktober 2018 im Innenhof des Spitals durchgeführt werden. Ende Jänner 2019 konnte erstmals eine größere Fläche des ehemaligen Spitalsfriedhofs freigelegt werden. Seitdem wurden etwa 300 vollständige und sehr gut erhaltene Bestattungen von Spitalspatientinnen (es konnten bisher tatsächlich nur Frauen nachgewiesen werden) archäologisch dokumentiert und fachgerecht geborgen.

Die Bestattungsweise entspricht dem typischen Bild frühneuzeitlicher Spitalsfriedhöfe. Die Toten wurden in Holzsärgen in engen, rechteckigen Grabschächten bestattet. Vermutlich aus Platzgründen und Pragmatismus wurde jeder Schacht für mindestens drei, oft jedoch bis zu sechs aufeinanderfolgende Bestattungen genutzt. Viel Zeit dürfte zwischen den Bestattungen zumeist nicht vergangen sein, da die Toten direkt aufeinander liegen. In der Zeit zwischen den Begräbnissen standen die Schächte offen und wurden nicht verfüllt.


foto: crazy eye/ novetus
3D-Rekonstruktion (image-based modelling) der sechs aufeinanderfolgenden Bestattungen in einem typischen Grab im Elisabethinen-Friedhof.

Die Ausstattung der Toten entspricht ebenfalls dem allgemeinen Bestattungsritus im Barock, denn aufwendige Bekleidung, Schmuck oder andere Trachtbestandteile waren ohnehin nicht üblich. Etwa der Hälfte der Frauen wurden einfache religiöse Anhänger mit Heiligenbildern mitgegeben, seltener fanden wir einfache Kreuze, aber auch zwei Rosenkränze mit Perlen aus Bein. Ebenfalls typisch für die Zeit sind drei Totenkronen aus dünnem Metalldraht, eine davon mit Blumen aus Buntmetalldraht verziert. Dieser Brauch, Kindern und unverheirateten Frauen solche Kronen mit ins Grab zu geben, war vom 16. bis ins 19. Jahrhundert im gesamten christlichen Europa verbreitet und sollte eine Vermählung nach dem Tode symbolisieren.


foto: novetus
Ein Kruzifix aus Bein, das einer der Verstorbenen mit ins Grab gegeben wurde.


foto: novetus
Ebenfalls bei einer Verstorbenen fand sich dieser Bildanhänger aus Bronze, Glas und Papier. Durch die konservierende Wirkung des Metalls und eine sorgfältige Restaurierung ist das Marienbild auch nach 300 Jahren Lagerung in der Erde immer noch erhalten.

Syphilis war weit verbreitet
Die Knochen der Toten selbst bezeugen das harte und ungesunde Leben der Frauen aus den unteren sozialen Schichten im 18. Jahrhundert. Bereits bei der Ausgrabung zeigten sich zahlreiche teils außergewöhnliche pathologische Veränderungen. Dazu zählen natürlich chronische Tuberkuloseerkrankungen, die oftmals bereits zu einer Zerstörung von Wirbeln und/oder Gelenken führten. Aber auch eine etwa fünf Zentimeter große verknöcherte Zyste eines Bandwurms.


foto: novetus
Starke, vermutlich angeborene Wirbelsäulenverkrümmung am Skelett einer jungen Frau.

Mehrere Frauen hatten starke angeborene Wirbelsäulenverkrümmungen, die an den Lebenden wohl als starker Buckel zu sehen gewesen sein müssen. Auch wenn es keine Station für die "Venerischen" gab, fanden sich mehrere typische Fälle von fortgeschrittener Syphilis, nicht weiter verwunderlich, da diese Infektionskrankheit im barocken Wien sehr weit verbreitet war.

Eine systematische wissenschaftliche Untersuchung der Skelette soll nun in den nächsten Jahren noch detailliertere Erkenntnisse über die Lebenswelten der einfachen Frauen im barocken Wien liefern. Es sind gerade diese Lebensgeschichten, die quer durch die Zeiten im Dunkel der Geschichte verschwinden, da sie selten für wert befunden wurden, aufgeschrieben zu werden. Die Verstorbenen aus Wiens erstem Frauenspital bieten nun die einzigartige Chance, diese Geschichten wieder hervorzuholen und damit eine große Lücke in unserem Wissen um die Stadt, in einer der bedeutendsten Perioden ihrer kulturellen und politischen Entwicklung, zu schließen.
(Michaela Binder, 6.6.2019)

Michaela Binder ist als Archäologin und Anthropologin für die Grabungsfirma Novetus in Wien tätig. Sie ist zuständig für Grabungsprojekte, Forschung und Vermittlung.

Bei den "Lieserln auf der Landstraße" - derStandard.at
 

josef

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#2
Als man noch den heiligen Benedikt und nicht die 1450 anrief
Die numismatische Bearbeitung von Funden religiöser Medaillen aus dem Elisabethinen-Friedhof im 3. Wiener Bezirk
In den letzten Wochen stößt man immer wieder auf Berichte von Wunderheilern und Sektenführern, die den zurzeit verunsicherten Menschen eine Lösung anbieten. Die Angst vor dem Coronavirus und dem Umstand, dass die Schulmedizin noch kein Mittel dagegen gefunden hat, lässt manche auf vermeintlich traditionelle Mittel zurückgreifen. In Brasilien warb eine evangelikale Sekte mit "einer Salbung mit geweihtem Öl", das "gegen Epidemien, Viren oder Krankheiten immun" machen soll, in Indien tauchte eine andere besondere Medizin auf: Eine Hindugruppierung versprach dieselbe Wirkung von der Konsumation von Kuh-Urin.

Zwar gibt es für die aktuelle Situation in Österreich keine Informationen über solche Wunderheilungen, jedoch finden wir heute noch Spuren von ähnlichen Heilungsversprechungen in der Vergangenheit. Ein Medium, das eine ähnliche Wirkung verspricht, sind religiöse Medaillen. Man findet sie auf jedem Flohmarkt, in Omas alter Holzschatulle oder in Souvenirläden bei Wallfahrtsorten über die ganze Welt verteilt. Heutzutage bestehen sie aus Aluminium oder Plastik, sind Teil von Rosenkränzen oder als einfache Anhänger meist recht billig zu erwerben.

Was hat das aber nun mit Archäologie zu tun?
Egal ob bei neuzeitlichen Bestattungen oder als Streufunde, bilden religiöse Medaillen ein immer wieder vorkommendes Fundgut. So auch bei der Ausgrabung im Friedhof des Elisabethinen-Spitals im 3. Bezirk in Wien. Dort kamen genau einhundert religiöse Medaillen, die den verstorbenen Frauen als Beigaben mit ins Grab gegeben wurden, zum Vorschein. Nach der Restaurierung wurden diese nun gemeinsam mit den anderen numismatischen Objekten an der Akademie der Wissenschaften bearbeitet.


Medaille in Fundlage im Beckenbereich einer Frau aus dem Elisabethinen-Friedhof.
Foto: Novetus GmbH

Was macht eine religiöse Medaille aus? Wie der Name schon sagt, handelt es sich dabei um Medaillen mit einem religiösen Thema. Generell lassen sie sich in zwei Gruppen einteilen: Die erste Gruppe sind Wallfahrtsmedaillen, also Medaillen mit einem direkten Ortsbezug durch eine Abbildung der Wallfahrtskirche oder des Gnadenbildes. Die zweite und häufigere Gruppe ist die der Personen- und Heiligenmedaillen. Zwar kann man manchmal anhand von regionalen Heiligenverehrungen beziehungsweise der Kombination von zwei bestimmten Heiligen auf einer Medaille auf einen Ortsbezug schließen, jedoch ist diese Gruppe meist nicht ortsgebunden.

Vielmehr steht dabei die Verehrung eines oder einer bestimmten Heiligen im Mittelpunkt. Beide Gruppen stehen immer wieder in Verbindung mit christlichen Kongregationen, Bruderschaften, Orden und Vereinen. Manchmal nehmen die Objekte auch Bezug auf bestimmte Ereignisse wie Kirchweihen oder Wallfahrten.

Gnadenbild Mariazell
Foto: ÖAW/ Novetus GmbH


Ein Beispiel für eine religiöse Medaille ohne Ortsbezug: die Apostel Petrus und Paulus.
Foto: ÖAW/ Novetus GmbH

Buch zur Anwendung von Medaillen
Der Ursprung religiöser Medaillen ist bis jetzt nicht gänzlich geklärt. Man geht aber davon aus, dass sie aus mittelalterlichen Pilgerzeichen entstanden sind. Mit dem Aufschwung der Gegenreformation im 17. Jahrhundert begann ihre erste große Blütezeit. Der massenmediale Charakter verhalf den kleinen Amuletten zu einer Verbreitung im gesamten katholischen Europa und in den Kolonialgebieten. Im 18. Jahrhundert, in der Zeit also, in der sich der Friedhof der Elisabethinen in Benützung befand, wurden religiöse Medaillen vielseitig verwendet. Ein Auszug aus einem sogenannten "Benediktsbüchlein" zeigt die diversen Anwendungsmöglichkeiten. Es ist ein seit 1647 bis heute immer wieder veröffentlichtes Buch zur Anwendung von Medaillen des heiligen Benedikt:
  1. "Sie vertreiben von den menschlichen Leibern alle Bezauberung und vom Teufel zugefügten Schäden.
  2. Sie verhindern, dass keine Hexe oder Zauberer könnte eingehen, wo dieser Pfennig ober der Thür angenagelt, oder unter der Türschwelle vergraben ist.
  3. Denjenigen, so vom Teufel angefochten werden, bringen sie Beschirmung.
  4. Wenn das Vieh verzaubert ist, und man den Pfennig ins Wasser legt, und das Vieh damit wäschet, so muss die Bezauberung weichen.
  5. Wann in der Milch oder Butter ein unnatürlicher Schaden verspühret wird, so soll man den Pfennig ins Wasser legen und das Vieh davon trinken lassen."
Benediktsmedaille: Am Avers der heilige Benedikt in Ordensgewand mit Bischofsstab, Kelch mit Schlange und der Regula Benedicti.
Foto: ÖAW/ Novetus GmbH

Am Revers die Abkürzungen einer mystisch aufgeladenen Beschwörungsformel gegen den Teufel, Benediktssegen in Benediktsschild.
Foto: ÖAW/ Novetus GmbH

Die religiösen Medaillen des Friedhofs des Elisabethinen-Klosters bilden einen interessanten Einblick in die barocke Frömmigkeit der Wiener Gesellschaft im 18. Jahrhundert. Die nachgewiesenen Wallfahrtsorte Altötting, Passau, Clum (Tschechien), Mariazell, Sonntagberg, Maria Einsiedeln, Loreto, Altbunzlau (Stará Boleslav, Tschechien), Salzburg, Maria Taferl und klarerweise Wien bieten Aufschluss über die Mobilität der Wallfahrer.

Auch die Verehrung bestimmter Heiliger kann eine interessante Quelle für die Mentalitätsgeschichte sein. Darüber hinaus sind sie auch aus kunsthistorischer Sicht interessant, als Zeugnisse christlicher Ikonografie und ihrer massenmedialen Verbreitung. Eine systematische Erforschung der Objekte mit den Methoden der Numismatik (Münz- und Geldgeschichte) kann nicht nur der historischen Wallfahrtsforschung neue Erkenntnisse liefern, sondern auch der Neuzeitarchäologie bei der Bearbeitung von Fundkomplexen helfen.
(Benedikt Prokisch, 26.3.2020)

Unbekanntes Gnadenbild: Nicht immer liefert die Untersuchung eine erfolgreiche Zuweisung. Vor allem bei schlecht erhaltenen Exemplaren ist es nicht einfach, den Wallfahrtsort zu bestimmen.
Foto: ÖAW/ Novetus GmbH

Eine Medaille des Minoriten-(Trinitarier- bzw. Weißspanier-)Klosters und Pfarrkirche der hl. Dreifaltigkeit im 8. Wiener Bezirk, Alser Straße 17. Dargestellt ist am Avers der Ährenchristus...
Foto: ÖAW/ Novetus GmbH

... und am Revers die fünf Wunden Christi, Symbol der dort angesiedelten Bruderschaft.
Foto: ÖAW/ Novetus GmbH

Benedikt Prokisch ist Student der Geschichte an der Universität Wien. Im Zuge eines Praktikums am Institut für Kulturgeschichte der Antike der Akademie der Wissenschaften hat er die numismatischen Objekte aus dem Elisabethinen-Friedhof bearbeitet.

Links
https://www.derstandard.at/story/2000116157174
/als-man-noch-den-heiligen-benedikt-und-nicht-die-1450
 
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