Aufarbeitung der Rolle der ehemaligen österreichischen Polizei im NS-Terrorregime

josef

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#1
AUFARBEITUNG
Wie die österreichische Polizei das NS-Terrorregime stützte
Lange vor 1938 war die Exekutive von Nationalsozialisten unterwandert. Polizeiakten geben Einblick in interne Säuberungen, raren Widerstand und zaghafte Entnazifizierung

Beeidigung des Reserve-Polizeibataillons Abschnitt West, 27. Juli 1940. Die Exekutive war zentraler Bestandteil der NS-Diktatur.
BMI/LPD Wien
Es ist ein klassisches Gruppenfoto, entstanden in der Alarmabteilung der Wiener Sicherheitswache am 15. Juni 1933. Viele Männer in festlichen Polizeiuniformen, ein paar Ehefrauen. Der Anlass ist die Verabschiedung des Oberinspektors Franz Hickl, der zu einem neuen Posten in Tirol aufbricht. Nichts deutet darauf hin, um welche "brisante Mischung" es sich handelt, wie der Historiker Kurt Bauer es formuliert. Die Abgebildeten werden bald komplett unterschiedliche Richtungen einschlagen.

Drei der Herren in der ersten Reihe, allesamt hochrangige Mitglieder der Exekutive, wälzen zum Zeitpunkt des Fotos Putschpläne gegen die Regierung Dollfuß, wie Kurt Bauer rekonstruiert hat. Sie werden wenig später verhaftet und verurteilt, kommen nach dem "Anschluss" frei und machen steile Karrieren im NS-Polizeiapparat. Zwischen ihnen sitzen Kollegen, denen es ganz anders ergehen wird. Zwei von ihnen, Heinrich Hüttl und Rudolf Manda, werden am 1. April 1938 im ersten Zug, dem sogenannten "Prominentenzug", nach Dachau deportiert. Sie wurden wie viele andere Polizeibeamte für die Verfolgung der illegalen Nationalsozialisten von 1933 bis 1938 verantwortlich gemacht. Beide überstanden die Nazi-Zeit. Nicht so Franz Hickl, der im Mittelpunkt des Fotos steht. Sein energisches Auftreten gegen Illegale in Tirol kam nicht gut an. 1934 wird er von einem SS-Anhänger auf offener Straße erschossen.


Trügerische Idylle: Das Gruppenfoto veranschaulicht, wie sich die Wege von einstigen Kollegen bereits nach 1933 trennten
.Kurt Bauer/ÖNB

Frage nach Handlungsspielräumen
Details zu diesen und vielen weiteren Fällen fanden sich tief unter der Erde in den Kellern des Innenministeriums und der Landespolizeidirektionen. In den Archiven verstauben seit Jahrzehnten Polizeiakten aus der NS-Zeit. Vor zwei Jahren wurden sie im Rahmen des vom Innenministerium geförderten Forschungsprojekts "Die Polizei in Österreich: Brüche und Kontinuitäten 1939–1945" endlich geöffnet und zugänglich gemacht. Erste Ergebnisse der Aufarbeitung wurden vergangene Woche vorgestellt.

Sich diesen dunklen Flecken zu stellen sei eine mutige und wichtige politische Entscheidung gewesen, sagte Barbara Stelzl-Marx, wissenschaftliche Leiterin des Projekts der Universität Graz und des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung. Projektpartner waren die Gedenkstätte Mauthausen und das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW). "Die Polizei war Teil der totalitären Diktatur, deren Herrschaft auf extremer Gewalt beruhte", sagt Stelzl-Marx. Es gehe um die Aufarbeitung der Verbrechen, die Rolle der Gestapo und der Kriminalpolizei sowie um personelle Kontinuitäten, angefangen vom Ständestaat bis hin zur Nachkriegsjustiz. Bis heute relevant sei auch die Frage nach persönlichen Handlungsspielräumen in Extremsituationen.

Frühe Nazifizierung
Das eingangs erwähnte Gruppenfoto veranschaulicht das Spektrum dieser Handlungsoptionen, wie Kurt Bauer erläuterte: Verrat, Loyalität (zu diesem Zeitpunkt zu Dollfuß, der dabei war, einen autoritären Polizeistaat zu errichten) oder Sympathie für die Nationalsozialisten, die bereits vor 1933 die Exekutive unterwanderten. Quellenbasierten Schätzungen Bauers zufolge hielten sich vor 1938 die NS-Anhänger mit 20 bis 30 Prozent der Exekutive mit den dezidierten NS-Gegnern, die etwa 25 Prozent ausgemacht haben dürften, in etwa die Waage. Der Rest war gleichgültig, abwartend bis opportunistisch eingestellt.

"Schon vor Hitlers Machtergreifung, also vor 1931, gab es in der österreichischen Polizei und Gendarmerie beträchtliche Sympathien für die NS-Ideologie", sagt Bauer. Biografische Eckdaten aus den Akten lassen darauf schließen, dass gerade das Führungspersonal traditionell deutschnational eingestellt war. Mehrere Offiziere waren schon vor 1933 ganz legal NSDAP-Mitglieder und danach illegal aktiv – so wie zahlreiche gewöhnliche Beamte.

Auf diese frühe Nazifizierung des Polizeiapparats konnte sich das NS-Regime stützen, das sich unmittelbar nach dem "Anschluss" an den Umbau der Polizei machte und Gegner auch innerhalb der eigenen Reihen verhaftete und ermordete. "Die Polizei ist nach dem ,Anschluss‘ zentrale Instanz der Verfolgung geworden, noch bevor sie am Massenmord an Jüdinnen und Juden beteiligt war", sagte Andreas Kranebitter vom DÖW.

Säuberungen und Gewaltorgien
Dennoch, es gab wenige Beispiele des organisierten Widerstands innerhalb des NS-Polizeisystems, "rare Ausnahmeerscheinungen", wie Winfried Garscha vom DÖW bei der Konferenz berichtete. So waren unter den zwölf Mitgliedern der Patriotengruppe "Freies Österreich" sechs Polizeiangehörige. Sie wurden von der Gestapo aufgedeckt und im April 1945 hingerichtet. Andere Beamte waren Teil des kommunistischen Widerstandes, viele waren Einzelkämpfer oder hatten nur wenige Mitstreiter. Deren Verdienste würden bis heute weitgehend ignoriert, kritisierte Garscha.

"Weil die Polizei ein wesentlicher Bestandteil des Terrorapparats des NS-Regimes war, begannen die Nationalsozialisten bereits in den Märztagen, die Polizei von unzuverlässigen Elementen zu säubern", sagte Garscha. In einer überwiegenden Mehrheit der Personalakten der Gendarmen und Polizisten, die 1938 aus dem Dienst ausschieden, habe sich der Hinweis auf die Neuordnung gefunden. In den Ruhestand versetzt zu werden war jedenfalls die harmloseste Variante. In anderen Fällen wurden Mitglieder der Exekutive nach der Machtübernahme Opfer regelrechter Gewaltorgien, wie Garscha verdeutlichte.


Karl Silberbauer als Polizeischüler im Jahr 1935. 1944 war er an der Verhaftung von Anne Frank beteiligt. Bis zu seiner Pensionierung war er im Polizeidienst tätig.
Archiv der Landespolizeidirektion

Neue Blickwinkel boten die Polizeiakten insbesondere auf den Komplex der Entnazifizierung. Die Schwierigkeiten dabei veranschaulicht der Fall Karl Silberbauer – das war jener österreichische Gestapobeamte, der an der Verhaftung von Anne Frank beteiligt gewesen war. Er wurde nach Kriegsende mehrmals festgenommen und wieder freigelassen, 1947 als "belastet" aus dem öffentlichen Dienst entlassen, 1953 als unbelastet eingestuft und 1954 wieder in den Dienst als Kriminalbeamter aufgenommen. Als 1963 der als "Nazi-Jäger" bekannte Simon Wiesenthal Silberbauer als Beteiligten bei der Frank-Verhaftung identifizierte, wurde dieser suspendiert. Eine Anzeige wurde jedoch 1964 wieder zurückgelegt. Bis zu seiner Pensionierung war er im Dienst der Exekutive.

Ein anderer prominenter Fall ist jener von Gustav Schwarzenegger, dem Vater von Arnold Schwarzenegger. Trotz einer SA-Mitgliedschaft, die vor 20 Jahren ans Tageslicht kam, wurde er als "minderbelastet" eingestuft und war bis 1972 als Gendarm tätig. Wegen des Personalmangels sei nach Kriegsende insbesondere in der Gendarmerie auf minderbelastete Nationalsozialisten zurückgegriffen worden, während in den meisten Polizeidirektionen der Anteil der "Ehemaligen" im Jahr 1945 sehr gering gewesen sei, resümieren Kurt Bauer, Barbara Stelzl-Marx und Richard Wallerstorfer in ihrem Beitrag zur Entnazifizierung der Sicherheitsexekutive, der kommendes Jahr in einem Sammelband zum Projekt erscheinen wird. Es sei aber davon auszugehen, dass eine größere Anzahl nicht identifizierter NS-Täter weiter in der Exekutive ihren Dienst versah, heißt es weiter. Wie im Rest der Gesellschaft auch, ließ die anfängliche Energie bei der Aufarbeitung rasch nach, Urteile fielen milder aus oder wurden revidiert.


Ein Foto aus dem Wehrstammakt von Gustav Schwarzenegger, dem Vater von Arnold Schwarzenegger.
Österreichisches Staatsarchiv

Nachdem mit dem Pilotprojekt ein erster Schritt gesetzt sei, bedürfe es einer weiteren quantitativen Analyse der Kontinuitäten nach 1945, sind sich die Forschenden einig. Es gebe noch viele offene Fragen, die in Folgeprojekten beantwortet werden müssten, unter anderen auch zur Rolle der Frauen als Täterinnen. Die Handlungsspielräume einzelner Personen aufzuzeigen wird ein Fokus einer Wanderausstellung sein, die Anfang nächsten Jahres im Innenministerium ihren Auftakt hat. Die Forschungsergebnisse sollen außerdem in die Polizeiausbildung einfließen. Barbara Glück, Leiterin der Gedenkstätte Mauthausen, fasste es so zusammen: "Menschen machen Geschichte, damals wie heute."
(Karin Krichmayr, 17.11.2023)
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#2
ZEITGESCHICHTE
Die Rolle der Wiener Kripo in der Nazizeit
Der frühere Kriminalist Ernst Geiger hat für sein erstes zeitgeschichtliches Buch "Berggasse 41" drei Jahre lang in Archiven recherchiert

Nach dem "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich wurde die Polizei in der Wiener Innenstadt auf den nationalsozialistischen Diktator Adolf Hitler vereidigt.
Scherl / SZ-Photo / picturedesk.
Berggasse 41, das ist in Wien seit 120 Jahren eine besondere Adresse. Hier im Bezirk Alsergrund befindet sich bis heute die Zentrale der Kriminalpolizei. Das angeschlossene Polizeianhaltezentrum taufte der Volksmund "Liesl", weil der Eingang zum Untersuchungsgefängnis ums Eck in der Elisabethpromenade lag. Und obwohl der korrekte Straßenname vor 1903 und seit 1919 wieder Rossauer Lände heißt, ist "die Liesl" bis heute ein gängiger Begriff. Wienerinnen und Wiener lieben solche G'schichtln. Zeitgeschichte hingegen, vor allem die Aufarbeitung des Nationalsozialismus, blieb lange ein blinder Fleck. Zur Rolle der Wiener Kriminalpolizei während des Naziregimes gibt es fast keine Veröffentlichungen. Der frühere Kripo-Chef Ernst Geiger will das mit seinem neuen Buch "Berggase 41 – Die Wiener Kripo in der Nazizeit" (erschienen im Verlag Edition A) ändern.

25 Jahre im Sicherheitsbüro
Kriminalist Geiger ging selbst 25 Jahre lang in der Berggasse 41 ein und aus. Er war Leiter der Mordkommission und Vizechef des Wiener Sicherheitsbüros, das in den 2000er-Jahren vom Landeskriminalamt abgelöst wurde. Zuletzt war Geiger in leitender Funktion im Bundeskriminalamt tätig, Ende 2017 trat er in den Ruhestand. In Geigers Amtszeit fielen zahlreiche spektakuläre Kriminalfälle, darunter die Ermittlungen zum Frauenmörder Jack Unterweger und zu den Mordschwestern von Lainz. Zwei seiner Fälle hat der 69-Jährige bisher zu Büchern verarbeitet: die sogenannten Mädchenmorde von Favoriten und den Diebstahl der Saliera. "Berggase 41" ist sein erstes zeitgeschichtliches Werk, für das er akribisch in zahlreichen Archiven und Bibliotheken recherchierte und sich fachkundige Unterstützung von Historikerinnen und Historikern holte.

Warum er sich drei Jahre lang durch historische Unterlagen wühlte? "Ich habe in der Kriminalpolizei alle Stufen mitgemacht, kenne den Behördenapparat und die Ermittlungsarbeit. Ich wollte wissen, wie sich meine Vorgänger in schwierigen Zeiten verhalten haben", sagte Geiger am Freitagabend bei der Erstpräsentation des Buches in der Buchhandlung Morawa in der Wiener Innenstadt dem STANDARD. Da er zum Thema kein aktuelles Buch gefunden habe, "musste ich selbst eines schreiben". Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, das gerade an einem Forschungsprojekt des Innenministeriums zur Aufarbeitung der Polizeiarbeit zwischen 1938 und 1945 beteiligt ist, attestiert anerkennend, dass Ernst Geiger eine Lücke geschlossen habe.


Ernst Geiger fand kein Buch über die Wiener Kripo während des Nationalsozialismus, also schrieb er selbst eines.
Michael Simoner

Die Übernahme der Polizei durch die Nationalsozialisten war wie in allen staatlichen Institutionen in den Jahren zuvor vorbereitet worden. Die Infiltrierung bei der Wiener Kripo begann 1933. Am Abend des Einmarsches der deutschen Wehrmacht am 12. März 1938 berichtete Ernst Kaltenbrunner, Leiter der illegalen österreichischen SS, dem Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler, dass die Exekutive fast hundertprozentig zuverlässig sei und er "die Ausnahmen bald reparieren" werde. In der Wiener Kriminalpolizei gab es kaum Widerstand. Aus dem Sicherheitsbüro ist überliefert, dass sich ein leitender Beamter darüber beschwerte, dass er in unwürdiger Weise von Kriminalbeamten gewaltsam aus seinem Arbeitszimmer entfernt worden sei. Ein Großteil der Beamten passte sich der neuen Macht an, um Dienstverhältnisse und Existenzgrundlage zu erhalten.

Karriere nach dem Krieg
Der Teil der Kriminalbeamten, die bereits mit der NSDAP sympathisiert hatten und über Verbindungen zu illegalen Nationalsozialisten verfügten, versuchte die Gunst der Stunde für einen Karrieresprung zu nützen. Von den damals im Dienst befindlichen Beamten der Wiener Kriminalpolizei sei es aber keinem gelungen, eine wirklich große Karriere im NS-Staat zu machen, so Geiger. Dennoch ging das Verhalten vieler Kriminalisten über reines Mitläufertum hinaus. Und in den Führungsetagen kamen ausschließlich NSDAP-Mitglieder zum Einsatz. Manchen gelang es, nach dem Zweiten Weltkrieg weiter Kariere zu machen. Karl Zechenter etwa, SS-Obersturmbannführer und letzter Wiener Kripochef während des Naziregimes, schaffte es 1966 bis zum Sicherheitsdirektor von Oberösterreich.

Erster Interpol-Generalsekretär
Geiger hat in seinem Buch insgesamt 49 Einzelbiografien eingebaut, die die Geschichte der Wiener Kripo sehr lebendig darstellen. Erwähnt sei hier der Polizeijurist Otto Dressler. Er war der erste Generalsekretär der 1923 in Wien gegründeten Internationale Kriminalpolizeiliche Kommission (IPK), die heute als Interpol mit Sitz in Lyon bekannt ist und die kommende Woche in Wien eine große Jubiläumsveranstaltung abhält. Dressler sprach mehrere Sprachen, galt als Spitzenjurist und war ab 1934 Kripochef in Wien. Der Umbruch im Jahr 1938 traf den Ständestaat-Musterbeamten "wie ein Keulenschlag", wie Geiger schreibt. Um nach seiner Absetzung im Behördenapparat über die Runden zu kommen, musste er NSDAP-Mitglied werden. Wie bei derartigen Interventionen häufig der Fall, erhielt er eine gefälschte niedrige Mitgliedsnummer, die zeigen sollte, dass er den Nationalsozialisten schon lange verbunden sei. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges fiel ihm allerdings genau diese niedrige NSDAP-Nummer auf den Kopf, weil sie ihn als illegalen Nazi identifizierte, der er eigentlich gar nicht war. Aus der Polizei geworfen war Dressler jahrelang völlig mittellos, erst 1954 wurde ihm eine kleine Pension gewährt, fünf Jahre später starb er.

Wenige SS-Mitglieder in der Kripo
Obwohl Heinrich Himmler, einer der Hauptverantwortlichen für den Holocaust, als Reichsinnenminister die Kriminalpolizei und die nationalsozialistische Schutzstaffel (SS) verschmelzen wollte, blieb der SS-Anteil bei der Wiener Kripo immer gering. In der Sammlung des Leiters des Kriminalmuseums, Harald Seyrl, fand Geiger ein originales Namensverzeichnis, wonach im Jahr 1943 rund 14 Prozent der 616 Kriminalbeamten SS-Mitglieder waren. Geiger führt das auch darauf zurück, dass viele ältere Kripobeamte sich einfach nicht der anstrengenden Prozedur zur Aufnahme unterwerfen wollten oder konnten. Zu den SS-Aufnahmetests gehörten unter anderem ein 3.000-Meter-Lauf, Weitsprung und Kugelstoßen.

Verhältnis zur Gestapo
Auch zur Geheimen Staatspolizei (Gestapo) der Nazis mit ihrer Zentrale im Hotel Métropole am nahegelegenen Morzinplatz hatte die Wiener Kripo ein gespanntes Verhältnis. Vor allem der Umstand, dass die Kripo dauernd Personal an die Gestapo abgeben musste, sorgte in der Berggasse für Unmut. Einen Beweis für den Mythos "saubere Kripo – verbrecherische Gestapo" fand Geiger bei seinen Recherchen aber nicht. Auch die Kripo ließ Menschen, die im Nazijargon als asozial bezeichnet wurden, verschwinden. Die sogenannte Vorbeugungshaft konnte ohne richterliche Veranlassung verhängt werden. Jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger wurden der Gestapo ausgeliefert. Ebenso Arier, die Beziehungen zu Jüdinnen und Juden hatten. Die Kripo selbst kerkerte unter anderem Homosexuelle ein und Angehörige der Roma und Sinti, deren Auslöschung die Nazis ebenfalls von Anfang an geplant hatten.

Zuständig für "Zigeunerlager"
Die Erfüllung dieses "Zigeuner-Auftrages" ist für Geiger neben der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung überhaupt das schlimmste Verbrechen, dessen sich die Wiener Kripo schuldig gemacht hat. Sie war zuständig für das "Zigeunerlager" in Lackenbach im Burgenland, wo tausende Roma und Sinti ermordet wurden beziehungsweise die katastrophalen Zustände nicht überlebten. Die beiden Lagerleiter Hans Kollross und Franz Langmüller wurden von Überlebenden als sadistische Tyrannen beschrieben, denen das Quälen Freude bereitet habe. Kollross starb wie zahlreiche Internierte im Lager an Typhus, sein Kripokollege Langmüller wurde nach dem Krieg zu nur einem Jahr Gefängnis verurteilt.
(Michael Simoner, 18.11.2023)

Buchtipp:
Ernst Geiger, "Berggasse 41 – Die Wiener Kripo in der Nazizeit". Edition A, 2023
Die Rolle der Wiener Kripo in der Nazizeit
 

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#3
Polizei war vor dem "Anschluss" 1938 massiv von Nazis unterwandert
Kurz nach 1945 kamen Gestapo-Beamte und Angehörige von Mordeinheiten wieder in der Polizei unter
Die Rolle österreichischer Polizisten während der NS-Zeit ist noch immer weitgehend unbekannt. Doch nun beginnt das Innenministerium gemeinsam mit Wissenschafterinnen und Wissenschaftern, seine Vergangenheit aufzuarbeiten. Dabei wurden erstmals verstaubte Akten ausgewertet.

Die Ergebnisse des Forschungsprojekts "Die Polizei in Österreich: Brüche und Kontinuitäten 1938-1945" sollen nächstes Jahr in Form eines Sammelbandes und einer Wanderausstellung präsentiert werden und auch in die Polizeiausbildung einfließen.

20 bis 30 Prozent der Polizisten und Gendarmen waren Nazis
Ein Aspekt der Aufarbeitung ist die Unterwanderung der Polizei durch Nationalsozialisten vor dem sogenannten Anschluss 1938. Laut dem Historiker Kurt Bauer waren in den 1930er-Jahren 20 bis 30 Prozent der Polizisten und Gendarmen deklarierte NS-Anhänger. 25 Prozent waren NS-Gegner, während der Rest als "Indifferente und abwartende Opportunisten" eingestuft werden kann, wie Bauer bei der Abschlusskonferenz des Forschungsprojekts ausführte.


Foto: DÖW

Schon im März 1933 verwandelte der autoritär regierende Bundeskanzler Engelbert Dollfuss das demokratische Österreich in einen "Polizeistaat", in dem "mehr oder weniger willkürliche Polizeigewalt" herrschte, sagte Bauer. Dies funktionierte ohne "Säuberungen großen Stils". Gipfelpunkt stellte die sogenannte Anhalteverordnung dar, die Möglichkeit, ohne Gerichtsurteil oder konkret nachweisbaren Delikt, "an einem bestimmten Ort angehalten zu werden" – in einem "Anhaltelager". Bauer betonte, dass zwar die Polizeibefugnisse ab 1933 "weit über das Gebotene und Erträgliche" ausgebaut wurden, aber sie "waren nicht grenzenlos und endeten nicht in nackten Terror und Völkermord wie im NS-Regime." Dieser Umbau verlief ohne nennenswerten Widerstandard innerhalb der Polizei.

Illegale NS-Zellen
Der Historiker geht davon aus, dass es bereits vor Hitlers Machtergreifung in Deutschland "beträchtliche Sympathien in der österreichischen Polizei und Gendarmerie für die NS-Ideologie gab". Besonders unter den Führungsoffizieren, die traditionell eine starke deutschnationale Einstellung hatten. Die NSDAP-Ortsgruppe für die Angehörigen der Wiener Sicherheitswache und Kriminalpolizei, gegründet zwischen 1930 und 1931, hatte allein "1000 Mitglieder und mehr", wie ihr Anführer behauptete.

Nachdem die NSDAP in Österreich im Jahr 1933 als Reaktion auf einen Terroranschlag in Krems verboten wurde, blieben viele NS-Polizisten "ihrer Überzeugung treu" und waren "nicht selten illegal aktiv", sagt Bauer. In allen Bereichen, Regionen und Dienststellen bildeten sich "nationalsozialistische Zellen". Diese warnten ihre Parteigenossen vor bevorstehenden Hausdurchsuchungen oder Verhaftungen, ließen belastendes Material verschwinden und versorgten die NS-Führung mit staatspolizeilich relevanten Informationen. So wurde die Verfolgung von Nationalsozialisten sabotiert.

Polizisten als Putschisten
Auffällig war auch die Teilnahme ranghoher Polizisten am Putschversuch im Juli 1934, bei dem Dollfuß erschossen wurde. Die österreichischen Nazis versuchten mit ihrem Putsch eine NS-kompatible Regierung zu installieren. Der Coup wurde jedoch schnell niedergeschlagen, einige der Verschwörer wurden hingerichtet, andere kamen ins Gefängnis. Einer von ihnen war Leo Gotzmann, der bis 1933 Kommandant der Wiener Alarmabteilung war. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich wurde er zum Polizeipräsidenten von Wien ernannt; er starb 1945 in US-amerikanischer Haft.

Ein weiteres Beispiel für eine bemerkenswerte Karriere im NS-System ist der Wiener Polizist Franz Sonnleithner. Als Jurist wurde er Vertreter des Auswärtigen Amts im Führerhauptquartier bei Adolf Hitler. Er überlebte sogar das Attentat vom 20. Juli 1944 unverletzt.

Kontinuitäten nach 1945
Es gab jedoch auch andere Karrieren, die nicht so spektakulär, aber Teil des Nachkriegsösterreichs waren. Nach meist kurzen Unterbrechungen wurden zahlreiche ehemalige Gestapo-Beamte (kurz für Geheime Staatspolizei) nach 1945 wieder in die Polizei aufgenommen. Darunter war auch Karl Josef Silberbauer, der das jüdische Mädchen Anne Frank während seiner Dienstzeit in Amsterdam verhaftete.

Die Gestapo-Leitstelle in Wien, die größte im Deutschen Reich mit 900 Mitarbeitern, bestand zu 80 Prozent aus Österreichern. In ihrem Wiener Hauptquartier am Morzinplatz wurden Gegner der Nazis gefoltert und Deportationstransporte organisiert, mit denen Jüdinnen und Juden in die Gaskammern geschickt wurden.


Foto: Markus Sulzbacher

"Normale" Polizisten begleiteten Deportationszüge nach Theresienstadt, Auschwitz oder Maly Trostinez. Am Wiener Aspang-Bahnhof bewachten sie schwer bewaffnet die "Einwaggonierung" von Jüdinnen und Juden.

1946 wurden Polizisten aus Wien-Strebersdorf, die als "fliegendes Mordkommando" an der Ermordung von 44.000 Menschen beteiligt waren, wieder in den Dienst der Wiener Polizei aufgenommen. Mit dem Beginn des Krieges im Jahr 1939 wurden ganze Polizeibataillone gebildet und in den Osten entsandt. Ihre Hauptaufgabe bestand darin, das Hinterland zu sichern, sie arbeiteten eng mit der Wehrmacht und den SS-Einsatzgruppen zusammen.

Etwa 100 Polizeibataillone waren im Osten im Einsatz und spielten eine zentrale Rolle bei der Bewachung von Ghettos, der Durchführung von Deportationen, dem Zusammenführen von Menschen, Exekutionen und der Tötung in Gaswagen. Schätzungen zufolge waren Polizeibataillone im Osten an dem Tod von etwa einer Million Menschen beteiligt.

Der mutige Polizist, der Hunderte jüdische Kinder aus dem Ghetto rettete
Es gab jedoch auch einige wenige Polizisten, die sich weigerten, den angeordneten Mordaktionen zu folgen. Ein Wiener Polizist, der ursprünglich als glühender Anhänger Hitlers nach Polen kam, erlebte die Gräueltaten, die von der Wehrmacht, der SS und seinen Kollegen in Krakau begangen wurden. Entsetzt von dem, was er sah, entschied er sich dazu, Hunderte jüdische Kinder aus dem Ghetto zu retten. Er wurde verraten und im Jahr 1944 erschossen. Heute wird er als einer von fünf Polizisten in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem als "Gerechter unter den Völkern" geehrt. Sein Name lautet: Oswald Bosko.
(Markus Sulzbacher 2.12.2023)
Polizei war vor dem "Anschluss" 1938 massiv von Nazis unterwandert
 

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#4
SPÄTE AUFARBEITUNG
Die österreichische Polizei im NS-Staat

Wie umfassend die Exekutive in das Terrorsystem der Nazis eingebunden war, zeigt der kürzlich erschienene Forschungsband „Exekutive der Gewalt“. Hier stellt sich die österreichische Polizei zum ersten Mal – und mit deutlicher historischer Verspätung – der Nazi-Vergangenheit. Er zeigt Polizisten als Täter, aber auch als Opfer und Widerstandskämpfer. Erstmals waren verschlossene Akten der Wissenschaft zugänglich.
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Die Polizei war umfassend an den Verbrechen der Nationalsozialisten beteiligt: am Holocaust, bei der „Euthanasie“, bei der Verfolgung und Ermordung von Homosexuellen, Roma und Sinti, politischen Gegnern und Gegnerinnen, Kriegsgefangenen, Zwangsarbeitern – um nur einige der Opfergruppen zu nennen. Kaum eine Schreckensanstalt der Nazis kam ohne polizeiliche Mitarbeit aus, etwa das KZ Mauthausen und die Tötungsanstalt Hartheim in Oberösterreich.

Der Forschungsband räumt mit dem Mythos auf, dass hauptsächlich die Gestapo (Geheime Staatspolizei) in die Verbrechen des Nazi-Regimes eingebunden war. Von der Kriminalpolizei bis zur Gendarmerie hielten alle Einheiten der Polizei das Unterdrückungs- und Mordsystem aufrecht, von den Polizeieinheiten, die sich am Massenmord an Juden und Jüdinnen in den besetzten Gebieten beteiligten bis zu den Gendarmerieposten in den Dörfern, die meldeten und verfolgten – und fallweise auch mordeten.

„Meilenstein“ der Geschichtsaufarbeitung
Projektleiterin Barbara Stelzl-Marx bezeichnet das Forschungsprojekt gegenüber ORF Topos als „Meilenstein“. Ein Forschungsvorhaben über die Entnazifizierung der Polizei, das Innenminister Franz Löschnak in den 1990er Jahren geplant hatte, sei damals noch am Widerstand innerhalb der Exekutive gescheitert. Stelzl-Marx betont, dass es sich aber auch bei dem neuen Projekt nur um erste Schritte handeln könne, wichtige Fragen seien noch unerforscht.

Die deutliche Verspätung, mit der sich die österreichische Exekutive ihrer Selbsterforschung widmet, sei auch der „Opferthese“ geschuldet, meint Projektpartner Gregor Holzinger von der KZ-Gedenkstätte Mauthausen auf Nachfrage von ORF Topos. Das lange vorherrschende Selbstbild Österreichs als Hitlers erstes Opfer habe die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Österreich blockiert. In Deutschland hat sich die Polizei bereits ab Ende der 1990er Jahre dem Thema gestellt.

Die Polizei wird zur Terrorinstanz
Der gewichtige, 820 Seiten starke Forschungsbericht beleuchtet mit Beiträgen von 32 Expertinnen und Experten aus verschiedenen Blickwinkeln, wie die Exekutive von einer Instanz, die Verbrechen bekämpfen sollte, zu einem Instrument der Unterdrückung und des Terrors wurde.
Die Unterwanderung der Polizei durch Nationalsozialisten begann bereits während der Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur. Der damalige deutsche Gesandte in Wien schätzte die Anzahl der Nationalsozialisten in der österreichischen Polizei sogar auf 60 Prozent. Eine paradoxe Situation, denn die Polizei sollte eigentlich gegen illegale Nazis vorgehen.

Nach dem „Anschluss“ im März 1938 wurde die Exekutive dann systematisch von potenziellen Nazi-Gegnern „gesäubert“. Ehemals illegale Nazis nahmen blutige Rache an ihren einstigen Verfolgern. Als erstes Opfer der Nationalsozialisten gilt Kriminaloberinspektor Josef Schmirl aus Linz, der am 13. März im dortigen Polizeigefangenenhaus erschossen wurde. Schmirls Berufskollegen vertuschten den Mord als „Selbstmord durch Erhängen“.

Nicht nur die Führungsriege der Polizei wurde in die KZ deportiert und teilweise ermordet. Auch als politisch unzuverlässig eingestufte Gendarmeriebeamte, die bis 1938 ein mehr oder weniger ruhiges Leben auf ihren Posten am Land geführt hatten, mussten tiefe Einschnitte in ihr eigenes und das Leben ihrer Familien hinnehmen: Der Zeithistoriker Winfried R. Garscha nennt „Schikanen am Arbeitsplatz, Versetzungen oder Zwangspensionierung“ als Mittel des Umbaus der Polizei.

Der Mythos der „unpolitischen“ Kriminalpolizei
Halbmayr und Kranebitter dekonstruieren in ihrem Beitrag den Mythos vom „unpolitischen Spezialistentum“ der Kriminalpolizei und zeigen deren strukturelle Verstrickung in Nazi-Verbrechen unter SS-Chef Heinrich Himmler auf.

Der SS-Chef war bereits 1936 zum Oberhaupt der Polizei in Nazi-Deutschland ernannt worden und strebte eine Verschmelzung von Polizei und SS an. Welche Bedeutung der österreichischen Polizei nach dem „Anschluss“ zugemessen wurde, zeigt sich daran, dass Himmler bereits am 12. März 1938 um 4.30 Uhr in Wien eintraf.


Heinrich Himmler, Chef der SS und Oberhaupt der Polizei, 1938 in Wien

In der Folge setzte die Kriminalpolizei der nunmehrigen „Ostmark“ mit ungeheurem Tempo und befreit von gesetzlichen „Fesseln“ die Verfolgung von gesellschaftlichen Außenseiterinnen und Außenseitern um. Angehörige von Randgruppen – darunter Roma und Sinti, Homosexuelle oder als „Berufsverbrecher“ etikettierte Kleinkriminelle – wurden ohne Delikt in „Vorbeugehaft“ genommen und ins KZ deportiert.

Durch neu zugänglich gemachte Akten bekommen nun einige der Polizeiopfer auch Namen. Etwa der von der Polizei freihändig als „Zigeuner“ klassifizierte Otto Spazierer. Dieser wurde „vorbeugend“ verhaftet und schließlich im KZ Sachsenhausen ermordet. Er ist einer von Zehntausenden gesellschaftlich marginalisierten Menschen, deren Tod durch die Kriminalpolizei verursacht wurde.

Mängel bei der Entnazifizierung
Für den KZ-Komplex Mauthausen-Gusen hält Holzinger fest: „Beim Gros der kommandierenden Beamten in den Politischen Abteilungen handelte es sich um ausgebildete Kriminalpolizisten.“ Die Politischen Abteilungen waren in Konzentrationslagern unter anderem für Selektionen von politisch missliebigen Gefangenen wie etwa sowjetischen Offizieren verantwortlich, die dann ermordet wurden.

Die wenigsten dieser Polizeibeamten wurden nach 1945 belangt. Bei einigen konnte nachgewiesen werden, dass sie bis zu ihrer Pensionierung mehr oder weniger unbehelligt dem Polizeidienst nachgingen. Der österreichischen Kriminalpolizei gelang es insgesamt nach 1945, ihre institutionelle und personelle Verantwortung weit von sich zu weisen, so Kranebitter und Halbmayr.

Mängel bei der Entnazifierung und personelle Kontinuitäten bei der Polizei ziehen sich wie ein roter Faden durch die einzelnen Beiträge im Band und werden in einem eigenen Kapitel noch gesondert beleuchtet. Die Entnazifizerung sei in den Nachkriegsjahren „immer laxer und laxer“ gehandhabt worden, meint Projektleiterin Stelz-Marx gegenüber ORF Topos.

Geschichtsaufarbeitung für eine breite Öffentlichkeit
Ein Verdienst des Bandes liegt neben der Aufarbeitung neuer Quellen darin, dass er verstreute Erkenntnisse über die Polizei im Nationalsozialismus nebeneinanderlegt und so auch die Rolle der Polizei in bereits bekannten Geschichtserzählungen schärfer hervortreten lässt.

Dass vier Kompetenzzentren für die Erforschung des Nationalsozialismus, nämlich die Universität Graz, das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, das Mauthausen Memorial und das Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung, zusammenarbeiteten, gibt dem Projekt Glaubwürdigkeit und Tiefe.

Flankiert wird das 2022 das vom Innenministerium unter Karl Nehammer initiierte Forschungsprojekt von der ORF-III-Fernsehdokumentation „Hitlers Exekutive“, die 2023 erstmals ausgestrahlt wurde und über die neue ORF-Plattform ORF ON gestreamt werden kann.
Forschungserkenntnisse aus dem Projekt sollen auch in die Ausbildung von Polizisten integriert werden. Dazu gibt es eine Wanderausstellung, die nach einer ersten Station in Wien durch die Bundesländer touren wird, und eigens geschulte Vermittler aus der Polizei.

Polizeiwachtmeisters Oswald Bouska (1907–1944) rettete Juden und Jüdinnen im Krakauer Ghetto. Er desertierte und wurde 1944 hingerichtet.
Landespolizeidirektion Wien

Die Ausstellung – wie auch der Forschungsband – dokumentieren nicht nur die Verbrechen der Polizei, sondern auch individuelle Handlungsspielräume und vorbildhafte Fälle von Widerstand. Etwa den Fall des Wiener Polizeiwachtmeisters Oswald Bouska, den die ORF-Redaktion „Menschen und Mächte“ 2022 erstmals medial aufgegriffen hat.

Diese seltenen Fälle von Widerstand innerhalb der Polizei sind besonders hervorzuheben, denn so jemand „musste sich gegen die eigenen Institutionen stellen, er musste sich gegen die eigenen Kolleginnen und Kollegen stellen. Und er wurde auch von den eigenen Kollegen verfolgt“, so Kranebitter.

Bouska wurde – unter Lebensgefahr – vom überzeugten Nationalsozialisten zum Retter von Juden und Jüdinnen im Krakauer Ghetto. Die Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem verlieh dafür dem Wiener, der 1944 hingerichtet worden war, den Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern“.
04.06.2024, Silvia Heimader
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ORF Topos
 

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„Hitlers Exekutive“ im GrazMuseum
„Hitlers Exekutive. Die österreichische Polizei und der Nationalsozialismus“: Unter diesem Titel startet am Mittwoch die neueste Ausstellung im GrazMuseum. Die Wanderausstellung war schon in Wien und Eisenstadt zu sehen und soll bis 2027 alle Bundesländer besuchen.
Online seit heute, 10.05 Uhr
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Die Ausstellung „Hitlers Exekutive. Die österreichische Polizei und der Nationalsozialismus“ fußt auf den Ergebnissen eines vom Innenministerium angestoßenen Forschungsprojekts und wurde in Kooperation mit dem Boltzmann-Institut umgesetzt.

Sie beleuchtet ein dunkles Thema: die Verstrickung von Polizisten und Gendarmen in Kriegsverbrechen und Holocaust, aber auch die Rollen von Beamten, die als Juden oder politisch Missliebige selbst Opfer wurden.

GrazMuseum
Büro im Gebäude der Polizeidirektion Paulustorgasse

Eröffnet wurde die Ausstellung im März 2024 erstmals im Innenministerium in Wien, mehr als ein Jahr später ist sie nun auch im GrazMuseum zu sehen. Oberstleutnant Gernot Sattler von der Landespolizeidirektion Steiermark sagte im Vorfeld der Ausstellung, es seien Dienstellenchroniken und Personalakten ausgewertet worden, die ganz konträre Biografien zutage gefördert hätten. „Damit werden die damaligen Geschichten greifbar“, sagte Sattler, der selbst zu dem Thema geforscht hatte.

Biographien von Opfern und Tätern
Unter den Biografien sind jene von Menschen aus allen Bundesländern, in der ganzen Bandbreite – Opfer der Nazis und Täter; Menschen, die erst den Nationalsozialisten begeistert folgten und dann Widerstand leisteten; Personen, die im Grunde nur Mitläufer waren und dennoch härter bestraft wurden als viele höherrangige Täter; und dann noch Unverschämte, die – dank brauner Seilschaften auch nach dem Krieg – es schafften, dass ihnen die „Dienstzeit“ im KZ auf die Pension angerechnet wurde oder eine Beförderung in den letzten Kriegsjahren der Witwe die Pension aufbesserte. Die Ausstellung kommt so gut wie ohne Exponate aus, stattdessen sprechen die Lebensläufe in der Schau Bände.

GrazMuseum
Die Polizeidirektion Paulustorgasse 8.

Die Leiterin des Boltzmann-Institutes für Kriegsfolgenforschung, Barbara Stelzl-Marx, spricht von einem „dunklen Thema“, einerseits wegen der Verstrickung in die NS-Zeit, andererseits, weil die Sache in der Zweiten Republik bisher kaum aufgearbeitet wurde. Man habe zum Beispiel zum ersten Mal Zugang zu Akten im Innenministerium und in den Landespolizeidirektionen erhalten. Es gehe auch darum, aufzuzeigen, welche Handlungsspielräume man als Polizist damals hatte.

Von Polizeispitzen bis zu Gestapo-Gehilfen
Da sind die Spitzen der deutschen Polizei von 1943 bis 1945, wie etwa der Chef der Sicherheitspolizei und des SD sowie Leiter des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) der SS, der Linzer Ernst Kaltenbrunner, 1946 als Kriegsverbrecher hingerichtet in Nürnberg.
Die Sekretärin Ilse Killer war bei der Gestapo-Leitstelle Graz dienstverpflichtet. Sofort nach Kriegsende wurde sie von den Sowjets verhaftet und 1949 zu 25 Jahren Arbeitslager verurteilt. 1953 kam sie frei, arbeitete als Sekretärin wieder bei der Polizei in Graz. Erst 1997 wurde sie von einem Gericht der Russischen Föderation rehabilitiert.

Ludwig Boltzmann Institut
Ilse Killer wurde von den Sowjets verhaftet und 1949 zu 25 Jahren Arbeitslager verurteilt.

Der steirische Gendarm Gustav Schwarzenegger – Vater des nachmaligen Weltstars Arnold Schwarzenegger – wurde nach dem Anschluss Angehöriger der deutschen Feldgendarmerie, hatte Fronteinsätze und Sicherungsaufgaben. Verwundung und Krankheit brachten ihn wieder in die Heimat, wo er nach Kriegsende als „minderbelastet“ in seinem Entnazifizierungsverfahren eingestuft wurde: Er hatte laut der Grazer Zeithistorikerin Barbara Stelzl-Marx erfolgreich seine NSDAP-Mitgliedschaft verheimlicht.

Bis 5. März im GrazMuseum zu sehen
Offizielle Ausstellungseröffnung in Graz ist am Mittwoch, ab 18.00 Uhr, zu sehen ist die Schau bis 5. März 2025, danach wandert sie weiter ins Kärnten Museum nach Klagenfurt. Auch ist sie Teil der Langen Nacht der Museen am Samstag, 5. Oktober – mehr dazu auch in Lange Nacht der Museen in der Steiermark erleben (17.9.2024).

Die Ausstellungsdauer in den einzelnen Bundesländern ist unterschiedlich, bis 2027 soll sie in allen Bundesländern zu sehen sein. Bisher machte sie im Innenministerium in Wien und in Eisenstadt Station.
02.10.2024, red, steiermark.ORF.at

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GrazMuseum

„Hitlers Exekutive“ im GrazMuseum
 
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