Ausstellung zur Geschichte, Gegenwart und Zukunft von Eisenhüttenstadt, der ersten Planstadt der DDR

josef

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#1
Planstadt der DDR: Utopie Alltag
Eisenhüttenstadt ist die erste sozialistische Planstadt der DDR. In einer Ausstellung werden nun Geschichte, Gegenwart und Zukunft beleuchtet. Lernfaktor enorm
Der Hochofen ist das höchste Bauwerk der Stadt. So etwas wie der Kirchturm auf dem Dorfplatz. Bloß halt wichtiger, praktischer, effizienter. "19. September 1951 in Betrieb genommen", steht auf einer Metalltafel am Fundament. Und damit nahm Eisenhüttenstadt an der ostdeutsch-polnischen Grenze, knapp 100 Straßenkilometer von Berlin entfernt, seinen Anfang. Heute zählt die sozialistische Planstadt, die aussieht, als hätte ein SED-Funktionär mit der Modelleisenbahn gespielt und zwischen all den Häusern, Laternen und Moosgummibäumen vor lauter Euphorie auf die Zuggleise vergessen, zu den außergewöhnlichsten Stadtutopien des 20. Jahrhunderts.
"Eisenhüttenstadt ist die erste sozialistische Planstadt der DDR und war damals der gebaute, manifest gewordene Ausdruck eines neuen gesellschaftlichen Modells", sagt Florentine Nadolni. "Tatsächlich steht diese Stadt für Euphorie und Optimismus, denn sie war das Produkt einer jungen, tatkräftigen und technisch gebildeten Bevölkerung, die dem kriegszerstörten Deutschland den Rücken kehrte und in dieser neuen Stadtutopie ihre Träume ausleben konnte. Schon der erste Eindruck auf der Leninallee mit ihren weiten Plätzen, ihren Blumenbeeten und all ihren Lokalen und Feinkostläden war für die Ankommenden ein Erlebnis."


Schöne Grüße aus Eisenhüttenstadt: Im östlichsten Brandenburg beschloss die SED die Errichtung einer Idealstadt. Die Straße der Republik …
Foto: Walter Fricke / Museum Utopie und Alltag

Nadolni, 40 Jahre alt, selbst ein Kind der DDR, ist ausgebildete Soziologin und Kulturwissenschafterin und beschäftigt sich mit dem kulturellen Erbe der Deutschen Demokratischen Republik. Seit 2017 leitet sie das Museum Utopie und Alltag mit Sitz in Eisenhüttenstadt. Die rund 500 Quadratmeter kleine Institution ist in einem ehemaligen Kindergarten beheimatet und widmet sich der wissenschaftlichen Aufbereitung und Dokumentation der DDR-Alltagskultur.

"Ohne Ende Anfang"
"Und Teil dieser Kultur", sagt Nadolni, die die Ausstellung gemeinsam mit Axel Drieschner kuratierte, "ist auch die Art und Weise, wie in der DDR gelebt und gewohnt wurde und wie wir mit diesem Erbe heute umgehen." Diesen Fragestellungen widmet sich die Ausstellung Ohne Ende Anfang, die neben dem prominenten Protagonisten Eisenhüttenstadt auch Querverbindungen zu Schwedt/Oder (Erdölverarbeitung) und zum polnischen Pendant Nowa Huta bei Krakau (Stahlindustrie) schafft.
Im Gegensatz zu bestehenden Städten, die in den DDR-Jahrzehnten lediglich überformt und erweitert wurden, konnten in Eisenhüttenstadt jene 16 Grundsätze des Städtebaus, die im April 1950 in der Sowjetunion verfasst und im Juli 1950 vom Ministerrat der DDR verabschiedet wurden, vom Fundament auf als perfektes Ideal realisiert werden. Dazu zählen etwa die "harmonische Befriedigung des menschlichen Anspruchs auf Arbeit, Wohnung, Kultur und Erholung" (2. Grundsatz) sowie ein adäquates "Antlitz der Stadt", eine "individuelle künstlerische Gestalt" und Plätze als "strukturelle Grundlage der Planung der Stadt und ihrer architektonischen Gesamtkomposition" (9. Grundsatz)

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… und die Kaufhalle in der Leninallee, der heutigen Lindenallee, sind Teil der
Innenstadt, die heute das größte Flächendenkmal Deutschlands ist.
Foto: Walter Fricke / Museum Utopie und Alltag

"Das Zentrum von Eisenhüttenstadt wurde zu Beginn errichtet und ist in einem historisierenden, sozialistischen Klassizismus gehalten", sagt Nadolni. "Mit dem Tod Stalins 1953 ändert sich die Architektursprache, und die weiteren Bauten werden schlichter, nüchterner, industrieller. In den äußeren Wohnkomplexen wurden dann nur noch günstige und schnell zu errichtende Plattenbauten realisiert. Was sich jedoch als Qualität durch ganz Eisenhüttenstadt durchzieht: Platz, Weite, Licht, Luft und viel Grün."

Zudem wurden die Straßen und Wohnhäuser so positioniert, dass die Menschen von daheim in die Arbeit zu Fuß gehen und dabei den Straßenverkehr meiden konnten. "Die Innenhöfe sind miteinander verbunden, sodass sie nicht nur ein Ort der Freizeit, sondern auch eine attraktive Verkehrsfläche für Passantinnen und Passanten sind." Aufgrund der Architektur und der besonderen städtebaulichen Anlage steht Eisenhüttenstadt heute unter Denkmalschutz. Teile dieses größten Flächendenkmals Deutschlands sogar schon seit den 1980er-Jahren.

Wie geht es weiter?
Um die dramatisch schrumpfende Stadt – die Hälfte der einst 50.000 Einwohner ist bereits weg – vor dem Verfall zu schützen, hat sich Eisenhüttenstadt für einen einzigartigen Weg entschieden: Die Stadtränder mit ihren Plattenbau-Wohnkomplexen wurden in den letzten Jahren sukzessive abgerissen, das Zentrum der Stadt jedoch zum Teil aufwendig und behutsam saniert – zumindest dort, wo die Handhabe noch möglich ist. Nadolni: "Einige Schlüsselbauwerke wie etwa das Hotel Lunik befinden sich in privater Hand und sind reine Spekulationsobjekte. Die Investoren halten sich bedeckt, man kann den Häusern beim Einsturz zusehen."
Wie geht es weiter? Bis 2026 soll die Stahlhütte – einst Eisenhüttenkombinat Ost (EKO), heute ArcelorMittal – auf grüne Energie umgestellt werden. Fragwürdig, ob das Werk, das statt der einst 16.000 heute nur noch 2500 Menschen beschäftigt, eine weitere Wende überleben wird. "Aus denkmalpflegerischer Sicht ist Eisenhüttenstadt ein richtiges Juwel, aber das Gesellschaftsmodell, das diese Stadt verkörpert, ist bereits Geschichte", sagt Thomas Drachenberg, Landeskonservator in Brandenburg, dem ΔTANDARD. "Es braucht ein Existenzkonzept für die Zukunft, auch ohne die Schwerindustrie."

Wie dieses Konzept aussehen könnte, ist Teil der Ausstellung. Die Besucher sind eingeladen, ihre Ideen zu teilen. Und Kuratorin Florentine Nadolni träumt davon, sich mit anderen Planstädten wie etwa Nowa Huta, Dunaújváros (Ungarn), Dimitrowgrad (Bulgarien) und Magnitogorsk (Russland) zu vernetzen. "Bei aller Liebe zu diesem Denkmal, aber wir sind auch von Rückbau und Depression betroffen. Umso wichtiger sind eine gesamteuropäische Offenheit und eine internationale Vision für uns alle." (Wojciech Czaja, 25.07.2021)

Link:
Utopie und Alltag

Planstadt der DDR: Utopie Alltag
 

josef

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#4
Das Hüttenwerkskombinat hat auch einen Österreichbezug:

Anfang der 1980iger Jahre errichtete die damalige VOEST-Alpine Industrieanlagenbau GmbH Linz (heute "Siemens VAI Metals Technologies GmbH & Co" Linz -> Metallurgiezweig der "Siemens Industrial Solutions") das Konverterstahlwerk in Eisenhüttenstadt:

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Foto aus Geschichte der VOEST, Bd. 2, Hrsg. "Geschichte-Club VOEST" - Linz 1995 (S. 137)
 

kallepirna

Well-Known Member
#5
Lohnt sich auf jeden Fall, sowas findest du nicht noch einmal. Ich war von1968-1972 dort in der Lehre, wenn ich heute dort durch fahre, da hat sich schon einiges verändert. Aber die Gebäude sind so geblieben, es lohnt sich auf alle Fälle. In Berlin hat mich immer die Karl-Marx Allee (ehemals Stalinallee) etwas an Eisenhüttenstadt erinnert.
 
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