Blog: Warum ist Geschichte wichtig?

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Die Geschichte wiederholt sich. So falsch sie auch ist: Ich bekomme diese Aussage immer wieder zu hören. Und das ist auch auf eine gewisse Art verständlich. Mit dieser Logik lassen sich aktuelle Ereignisse eben einfach erklären. „Das hat es alles schon mal gegeben, die Geschichte wiederholt sich. Da kann man wohl nichts machen“. Ganz so simpel ist die Sache aber nicht. Denn natürlich wiederholen sich die Ereignisse der Vergangenheit nicht einfach. Jede Zeit hat ihre eigenen Rahmenbedingungen und Probleme. Man kann die Gegenwart nicht mit der Vergangenheit gleichstellen oder noch schlimmer: Versuchen, die Zukunft mit Hilfe der Vergangenheit vorherzusagen. So funktioniert die Welt nicht. Es würde ja auch niemand auf die Idee kommen, seine heutigen Alltagsprobleme mit den Methoden des 18. Jahrhunderts zu lösen! Hast du Zweifel? Ich lade dich gerne zum Selbstversuch ein. Spaziere doch bei nächster Gelegenheit mit einem Bajonett in die Bankfiliale deines Vertrauens, um deinen Kreditrahmen zu besprechen. Das wird sicher ein spannendes Experiment.

Das bedeutet aber nicht, dass an der Idee der sich wiederholenden Geschichte überhaupt nichts dran wäre. Es handelt sich dabei aber eben nicht um eine tatsächliche historische Regelmäßigkeit sondern vielmehr um ein Gefühl. Manchmal kommen uns Ereignisse eben bekannt vor. Und es ist ja auch nicht von der Hand zu weißen! Es geschehen doch tatsächlich immer wieder Dinge in der Welt, die uns stark an vergangene Zeiten erinnern. Das ist dann aber keine Wiederholung, es ist bestenfalls ein Déjà-vu und deshalb habe ich ja auch diesen Blog genau so genannt. Fast jede Art von Ereignis kann ein solches „Das kommt mir doch bekannt vor“-Gefühl in uns auslösen. Ob es sich dabei nun um Finanzkrisen und Migrationsströme, Donald Trump oder der Brexit handelt … Diese Déjà-vus, diese Ähnlichkeiten und Zusammenhänge, kann man sich durchaus näher anzuschauen. Auch ohne zwangsläufigen Wiederholungen und Zukunftsvorhersagen.

Warum die Vergangenheit wichtig ist
Die Geschichte wiederholt sich somit nicht. Das ist übrigens eine gute Nachricht für uns alle, falls das noch nicht ganz klar wurde! Weite Teile der Vergangenheit waren furchtbare Zeiten, in die ich nicht mal meinen schlimmsten Feind wünschen würde. Krankheiten, Hungersnöte, Kriege wo das Auge hinfällt … und von den hygienischen Zuständen ganz zu schweigen! Da sollten wir mal lieber froh sein, dass sich das nicht ständig wiederholt. Aber auch wenn die Gegenwart eben ihren eigenen Regeln folgt, kann uns die Vergangenheit durchaus dabei helfen, diese Regeln besser zu verstehen. Genau das ist letzten Endes die Aufgabe von Historikern und all jenen, die mit Geschichte arbeiten (also auch von mir). Die Welt von heute ist schließlich nicht vom Himmel gefallen. Alles um uns herum ist historisch gewachsen und auch nur ein klein wenig mehr darüber zu wissen, kann uns schon ganz neue Perspektiven geben.

Obendrein ist Geschichte aber nicht nur wichtig und hilft uns dabei, die Welt um uns herum besser zu verstehen. Geschichte ist auch schlicht und ergreifend interessant und spannend, auch wenn der Geschichtsunterricht in der Schule das nicht in allen Fällen so gut widerspiegelt. Denn was ist die Vergangenheit denn, wenn nicht eine Ansammlung von menschlichen Geschichten – von spannenden und weniger spannenden, von tragischen und lustigen, von folgenschweren und eher nebensächlichen. Solche Geschichten liebten wir Menschen schon immer. Wir lauschen ihnen mit Leidenschaft, wir finden sie unterhaltsam, lernen durch sie und fühlen uns dementsprechend zu ihnen hingezogen. Logisch: Sonst hätten Netflix, Disney und Co. auch kein Geschäftsmodell.

Kann man aus der Geschichte lernen?
Nun haben wir schon einige ganz grundlegende Dinge angesprochen. Geschichte ist für uns also wichtig, weil sie uns etwas über die heutige Welt erzählt und darüber, wie sie entstanden ist. Abgesehen davon ist sie auch noch verdammt interessant und erfüllt einige ganz alte Bedürfnisse der Menschheit. Die große Frage in Bezug auf die Geschichte ist in der Öffentlichkeit und in Diskussionen, die ich so mitbekomme, aber oft eine ganz andere. Nämlich ob wir aus der Geschichte auch lernen können. Das ist ja auch wirklich eine gute Frage! Denn all das Wissen und all die spannenden Erzählungen hätten doch herzlich wenig Wert, wenn wir nichts davon umsetzen könnten. An der Front sieht es aber leider nicht sonderlich gut aus … Die Geschichte hat uns gelehrt, dass wir nicht sehr gut darin sind, aus ihr zu lernen. Zumindest kann man kaum zu einer anderen Schlussfolgerung kommen, wenn man sich die Vergangenheit näher ansieht.

Wir wissen zum Beispiel fast alles über die Weltwirtschaftskrise von 1929, trotzdem haben wir in den letzten zwanzig Jahren gleich zwei ähnliche Finanzkrisen erlebt. Griechenland war in den vergangenen 200 Jahren regelmäßig alle paar Jahrzehnte bankrott. Ein wirksames Mittel dagegen wurde offensichtlich bis heute nicht gefunden. Populistische Politiker mit unglaubwürdigen Versprechungen wurden im 20. Jahrhundert von Europa bis Lateinamerika mit überwältigen Mehrheiten gewählt und scheiterten überall spektakulär. Trotzdem ist Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten und Boris Johnson britischer Premierminister. Da muss man fast sagen: Die Menschheit wurde über die letzten paar hundert Jahre offensichtlich keinen Deut klüger. Eher ist sie sogar noch mehr verblödet und wir haben anscheinend rein gar nichts dazugelernt.

Aber trotzdem ist nicht alles schlecht. Für liberal denkende Menschen mögen der Brexit oder die Präsidentschaft Donald Trumps zwar ein Desaster historischen Ausmaßes sein. Da ist es aber zumindest schön, zu sehen, dass es ähnliche Desaster auch früher gab. Und wir leben immer noch! Auf den zweiten Blick hat sich sogar einiges verbessert. Klar: Wir müssen uns heute mit allerlei dummen politischen Ereignissen rumschlagen, die Jugend sieht die Welt nur noch durch ihren Smartphone-Bildschirm, die Autokonzerne belügen uns und ohnehin geht alles den Bach runter, ich weiß schon … Aber zur Erinnerung: Noch 1929 setzte eine Weltwirtschaftskrise die westliche Welt um Jahrzehnte zurück und führte in Europa zu politischem Extremismus ganz neuen Ausmaßes. Das tun Krisen zwar auch heute noch, ganz für einen neuen Adolf Hitler reicht es dann aber offensichtlich doch nicht. Ging Griechenland im 19. Jahrhundert pleite, bedeutete das für viele Griechen Hungersnot und den sicheren Tod. Heute wandern sie nach Irland aus und arbeiten in einem Pub. Die Beispiele könnte man noch lange fortsetzen.

Und deshalb beschäftigen wir uns mit der Vergangenheit
Damit sind wir dann auch beim Kern der Sache angekommen. Wir beschäftigen uns nicht mit Geschichte, um auf magische Weise die Zukunft vorherzusagen oder ein Allheilmittel für die Probleme unserer Zeit zu finden. Wir tun es, um uns eine neue Perspektive auf das Hier und Jetzt zu schaffen. Zum Beispiel: Die Geschichte lehrt uns offenbar, dass es seit Entstehung des marktwirtschaftlichen Systems immer wieder Wirtschaftskrisen gab. Daraus schließen wir, dass es auch in Zukunft wieder welche geben wird. Wir wissen deshalb aber noch lange nicht, wann genau dies das nächste Mal der Fall sein wird. Doch wenn es soweit ist, ist es genau die vergangene Erfahrung, die uns ein Gradmesser sein kann. Sie hilft uns bei der Einordnung der Ereignisse, sie gibt uns Vergleiche und wir können aus der Vergangenheit zumindest unterschiedliche Lösungsansätze ziehen und ihre Vor- und Nachteile evaluieren. Wie erfolgreich war Präsident Hoover bei der Bekämpfung der Weltwirtschaftskrise in den USA? Wie war das bei Roosevelt?

Das ist meiner Meinung nach auch der Grund, warum man sich mit Geschichte beschäftigen sollte und warum das Fach in der Schule zum Glück noch gelehrt wird (wenn auch nicht immer in angemessenem Ausmaß oder Qualität). Es gibt da nämlich noch eine verlängerte Version des anfangs erwähnten Zitats: „Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich“. Mark Twain soll das mal gesagt haben, wenn die Zuordnung auch eher fragwürdig ist. Es ist aber auch egal, denn das Zitat bringt die Sache wie ich finde wunderbar auf den Punkt. Genau diese Reime der Geschichte sind das vorhin angesprochene Déjà-vu, in dem wir uns regelmäßig wiederfinden. Jetzt müssen wir aus diesen Reimen nur noch ein ansprechendes Gedicht formen, um es für uns Menschen auch begreifbar zu machen. Wir müssen die Geschichte unterhaltsam und doch fundiert erzählen. Aber auch das ist leichter gesagt als getan …

Geschichte darf auch spannend, lustig und unterhaltsam sein
Die Geschichte reimt sich also. Auch das ist erst mal eine gute Nachricht. Jeder liebt doch einen guten Reim, genauso wie jeder eine gute Geschichte liebt! Aber da sind wir dann schon beim nächsten Problem: Die Geschichtswissenschaft hat es über die letzten Jahrzehnte leider mit Bravour vollbracht, die Menschen von sich abzuschrecken und auch der Geschichtsunterricht konnte die Begeisterung vieler Schüler für das Fach nicht am Leben halten. Es hat sich ein klaffender Spalt aufgetan. In der Geschichtswissenschaft wird weiterhin vor sich hin geforscht, es werden teils atemberaubend und spannende Erkenntnisse offen gelegt, aber in der Öffentlichkeit kommt davon wenig an. Stattdessen wird der Raum von halbherzigen TV-Dokumentationen und YouTube-Videos unterschiedlicher Qualität gefüllt. Das ist dann doch bezeichnend. Denn die Geschichtsbegeisterung ist in der Öffentlichkeit nach wie vor da! Sonst gäbe es diese Angebote ja nicht. Nicht ohne Grund gehören auch historische Romane seit Jahren zu den meistverkauften Literaturgenres und nicht ganz zufällig wurden historisch angehauchte Erzählungen wie „Game of Thrones“ zu Geschichten einer ganzen Generation.

Es ist aber auch klar, warum die „alte“ Wissenschaft dagegen nicht anstinken kann. Warum sollte auch irgendjemand Lust darauf haben, sich von einem alten Professor die Welt erklären zu lassen, der geistig in den 1960er-Jahren und modisch im frühen 19. Jahrhundert hängengeblieben zu sein scheint … Aber es muss doch einen Mittelweg geben zwischen der oftmals trockenen Wissenschaft und der effekthascherischen TV-Geschichte, die als Themen nur den Zweiten Weltkrieg und die Wikinger zu kennen scheint. Man kann Geschichte doch fundiert und kritisch erzählen und dabei trotzdem unterhalten! Man kann die Vergangenheit leicht konsumierbar wiedergeben, ohne dabei auf wichtige Details und Querverweise zu verzichten. Genau das habe ich mir hier vorgenommen! Aus genau diesem Grund gibt es diesen Blog, darum gibt es den Déjà-vu Geschichte Podcast und genau deshalb mache ich alles andere, was ich eben tue. Wozu brauchen wir Geschichte also? Für eine bessere Welt, nichts weniger als das.
 
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