Brexit hat auch spezielle Auswirkungen auf zwei Orte in Bayern

josef

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#1
Der neue Mittelpunkt der EU liegt vielleicht bald auf einem Acker in Bayern

Die Gemeinde Veitshöchheim bereitet sich sich auf den Brexit vor. Dann wandert nämlich die Mitte der EU auf ihr Gemeindegebiet
Wer sich dem möglichen neuen Nabel der EU von Berlin aus nähert, braucht Zeit und einige Verkehrsmittel. Zuerst fährt man mit dem ICE nach Würzburg und von dort mit dem Regionalexpress ins wenige Kilometer entfernte Örtchen Veitshöchheim. Dankenswerterweise bittet Bürgermeister Jürgen Götz (CSU) dort in sein Auto, sonst müsste man weit marschieren.

Hinaus geht es, vorbei an pittoresken fränkischen Häusern, durch Wälder und Wiesen Richtung Norden, in den 80-Einwohner-Ortsteil Gadheim. Zum Schluss rollt der Wagen über einen Feldweg, dann ist zwischen Getreidefeldern Endstation.


foto: birgit baumann
Wenn der Brexit kommt, dann wandert der geografische Mittelpunkt der EU auf einen Acker im bayerischen Veitshöchheim. Doch wie es mit den Briten weitergeht, ist ja unklar. Diese Frage hat die Gemeinde ganz schön beschäftigt. Dann wurde entschieden: Man setzt schon einmal ein Zeichen – mitten ins Feld.

Vielleicht bald berühmt
"Da wären wir", sagt Götz und steigt aus. Leise pfeift der Wind, aus der Ferne ist das Kreischen eines Vogels zu hören. Ansonsten ist es sehr still und sehr einsam am Koordinatenpunkt 9°54’07" östlicher Länge und 49°50’35" nördlicher Breite. Vielleicht wird dieser bald sehr berühmt. Aber so genau weiß man es ja noch nicht.

Götz hat die ganze Geschichte zunächst für einen Aprilscherz gehalten. Vor zwei Jahren hörte er im Radio, dass mit dem Brexit ein Acker seiner Gemeinde ins Zentrum der EU rücken würde. Berechnet hat dies das Nationale Geografische Institut Frankreichs (IGN). Dafür haben die französischen Experten den sogenannten Flächenschwerpunkt ermittelt: Würde man die Konturen der EU auf eine Platte übertragen und diese an einer Schnur aufhängen, dann wäre sie an einem Punkt genau ausbalanciert – ohne Briten eben auf dem Acker in Gadheim.


foto: birgit baumann
Veitshöchheim ist vorbereitet.

Derzeit liegt der Mittelpunkt der EU noch im bayerischen Westerngrund, einem Ort rund 80 Kilometer nordwestlich von Veitshöchheim/Gadheim. Bleiben die Briten, bleibt auch dieser Mittelpunkt. Gehen die Briten, schlägt die touristische Stunde von Veitshöchheim. Das hat auch das Vermessungsamt in Würzburg bestätigt.


foto: birgit baumann
So sieht der aktuelle Mittelpunkt der EU aus: Er liegt in der bayerischen Gemeinde Westerngrund.

Doch die Berechnungen in Paris und Würzburg sowie das Chaos in London stürzen Veitshöchheim ins Dilemma. "Wenn wir nichts vorbereiten, und dann kommt der Brexit, dann lachen uns alle aus", sagt Götz. Nachsatz: "Und wenn wir etwas vorbereiten, aber die Briten doch bleiben, dann lachen auch alle."

Moderate Vorbereitung auf dem Feld
Es ist ein bisschen so, als hätte sich die reiche Erbtante angekündigt, aber ihr Erscheinen nicht ganz fix zugesagt. Also richtet man zur Sicherheit ein paar Schnittchen her, aber natürlich nicht zu viele – weil wer soll das alles essen, wenn sie nicht kommt.

Und so haben die Veitshöchheimer nach einem Mittelweg gesucht: moderate Vor bereitung. Die Gemeinde schloss mit der Landwirtin, auf deren Acker sich die heißen Koordinaten befinden, einen Pachtvertrag auf fünf Jahre ab, stellte auf dem Grundstück eine Bank und einen Tisch auf und platzierte auf 9°54’07" östlicher Länge und 49°50’35" nördlicher Breite einen Gesteinsbrocken aus regionalem Muschelkalk samt rot-weiß-roter Stange drauf.

Drei Fahnenmasten stehen auch schon, dort werden – je nach politischer Entscheidung in London und Brüssel – die Flaggen der EU, Deutschlands oder Veitshöchheims wehen. Oder eben gar nichts. Die Auswahl der Bäume erfolgte nach pragmatischen Kriterien: Man entschied sich für Flachwurzler, die man – falls die Briten bleiben – leicht wieder entfernen kann.

"Wenn man auf der Bank sitzt und die Sonne hinter den Hügeln untergeht, dann ist das schon malerisch", freut sich Götz über den neuen Hotspot, der auch noch einen Busparkplatz kriegen soll.

Doch auch mit der Vorfreude ist das so eine Sache. Klar, die Veitshöchheimer und erst recht die Gadheimer wären schon gern Mittelpunkt der EU. In einem nicht ganz ernst gemeinten Video ("Gadheim first") richten sie den Briten auch aus, dass es auf den Gadheimer Äckern genug Platz für Londoner Investmentbanker gäbe.


foto: birgit baumann
Ein EU-Mittelpunkt muss auch gepflegt werden. Darum kümmert sich Marcus Eisel.

Andererseits will hier kaum jemand den Brexit. "Europa hat uns in 70 Jahren Freiheit, Frieden und Wohlstand beschert. Wenn Einzelne austreten, werden die Fliehkräfte größer", sagt der Bürgermeister. Auch Marcus Eisel ist der Meinung: "Die EU sollte sich wieder finden, und die Briten sollen bleiben." Er pflegt seit Jahren den aktuellen EU-Mittelpunkt in Westerngrund, organisiert dort Führungen, Feste und Gesprächskreise. "Es ist ein Ort der Begegnung geworden", sagt er.

Austritt statt Erweiterung
Dass der Mittelpunkt der EU wandert, wenn ein neuer Staat der Union beitritt, ist der Lauf der Welt. Doch Eisel klingt schon etwas betrübt, als er erklärt: "Westerngrund wäre der erste Ort, der den Mittelpunkt nicht durch Erweiterung der EU verliert, sondern durch einen Austritt."


foto: birgit baumann
Bürgermeister Jürgen Götz (CSU) glaubte an einen Scherz, als er im Radio hörte, dass mit dem Brexit seine Gemeinde ins Zentrum der EU rücken würde.

Und wenn die Briten doch bleiben? Für diesen Fall hat Veitshöchheim auch schon einen Plan B. "Dann machen wir aus dem Platz ein Mahnmal für den Zusammenhalt der EU", sagt Bürgermeister Götz. Inge Dieck, deren Bauernhof ganz nahe am möglichen neuen Mittelpunkt liegt, wäre ebenfalls nicht traurig: "Die neue Bank und den neuen Tisch können auch wir Gadheimer nutzen, um ohne Touristen in Ruhe unsere Brotzeit zu machen."
(Birgit Baumann aus Veitshöchheim, 19.5.2019)
Der neue Mittelpunkt der EU liegt vielleicht bald auf einem Acker in Bayern - derStandard.at
 

Varga

Mann aus den Bergen
Mitarbeiter
#2
Haben sie bei der Berechnung berücksichtigt, dass die Schweiz, Gott sei Dank, nicht zur EU gehört?

Gruss
Varga
 
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