China: Geheimnis um 4000 Jahre alte Mumien gelöst

josef

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MYSTERIÖSE HERKUNFT
Rätsel um 4.000 Jahre alte Mumien aus Westchina gelöst
Im Tarimbecken wurden hunderte mumifizierte Leichen entdeckt, deren Herkunft völlig unklar war. Genetiker konnten das Geheimnis nun lüften

Mumie einer natürlich konservierten Frau aus dem Tarimbecken.
Foto: Wenying Li/Xinjiang Institute of Cultural Relics and Archaeology

Schon Anfang des 20. Jahrhunderts berichteten Forschungsreisende von Funden natürlich mumifizierter Leichen im westchinesischen Tarimbecken. Im Lauf der Jahrzehnte wurden dort immer mehr Mumien entdeckt, die ältesten sind rund 4.000 Jahre alt, die jüngsten immerhin 1.800 Jahre. Wer diese Menschen waren, deren bestattete Überreste durch die Trockenheit konserviert worden sind, stellte Archäologen vor ein Rätsel: Ihr "europäisches" Aussehen, ihre Lebensweise und Bekleidung und auch die Art ihrer Bestattung ließen auf Einwanderer aus dem Westen schließen und sorgten für zahlreiche Theorien über deren genaue Herkunft.

Alle weit gefehlt, wie ein internationales Forscherteam nun im Fachblatt "Nature" enthüllt: Genetische Analysen zeigen, dass die Mumien von Menschen einer indigenen asiatischen Gruppe stammen, die bereits seit Jahrtausenden in der Region lebte – und trotz ihrer genetischen Isolation eine Vorliebe für kulturelle Einflüsse aus der Ferne entwickelte.

Verbindende Seidenstraße
Die ausgedehnte, trockene Landschaft des Tarimbeckens befindet in der heutigen Uigurischen Autonomen Region Xinjiang. Hier führte die Seidenstraße durch, die eine wirtschaftliche und kulturelle Verbindung zwischen Europa und Asien darstellte. Auch deshalb wurden die Tarim-Mumien lange Zeit mit Migrationsbewegungen assoziiert, dafür sprachen viele Details. Nicht nur das Aussehen der Toten selbst deutete auf eine nicht allzu lange zurückliegende Einwanderung hin. Sie schienen sich auch durch andere Merkmale kulturell stark von ihrer Umgebung zu unterscheiden, etwa durch ihre gefilzte und gewebte Wollkleidung und ihre Ernährung. Sie betrieben offenbar Viehzucht und ernährten sich von Milchprodukten wie Kefirkäse. Die Toten wurden in Bootssärgen in der kargen Wüste begraben.


Hunderte Mumien wurden in Begräbnisstätten wie dieser entdeckt.
Foto: Wenying Li/Xinjiang Institute of Cultural Relics and Archaeology

Manche Wissenschafter vermuteten, dass diese Menschen Nachkommen von wandernden Yamnaya-Hirten waren, einer sehr mobilen bronzezeitlichen Gesellschaft aus der Schwarzmeerregion. Andere Fachleute sahen ihren Ursprung in zentralasiatischen Wüstenoasen-Kulturen mit Verbindungen zu frühen Bauern der iranischen Hochebene oder vermuteten ihren Ursprung in Gebirgsregionen des heutigen Kasachstan.

Genetische Spurensuche
Um das lange währende Rätsel endlich zu lösen, griff nun ein internationales Forscherteam zu neuesten genetischen Analysemethoden. Die Wissenschafter von der chinesischen Jilin University, des deutschen Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie, der Seoul National University und der Universität Harvard sammelten und analysierten genomweite Daten von dreizehn der frühesten bekannten Mumien des Tarimbeckens aus der Zeit von circa 2.100 bis 1.700 v. Chr. Zum Vergleich wurden zudem fünf Individuen aus dem benachbarten Dsungarischen Becken aus der Zeit von 3.000 bis 2.800 v. Chr. untersucht.

Das überraschende Ergebnis: Die Mumien stammen keineswegs von Neueinwanderern ab, sondern von direkten Nachkommen einer einst weitverbreiteten eiszeitlichen Bevölkerung, die schon über Jahrtausende in der Region gelebt hatte. Das genetische Erbe dieser als Ancient North Eurasians bezeichneten Population ist heute noch in der indigenen Bevölkerung Sibiriens und Amerikas zu finden.

Kulturelle Einflüsse
Im Gegensatz zu diesen weisen die Mumien aus dem Tarimbecken aber offenbar keine Anzeichen für Vermischungen mit anderen Gruppen auf. Anders die in der Studie verglichenen frühen Bewohner des benachbarten Dsungarischen Beckens: Sie stammten nicht nur von der lokalen Bevölkerung, sondern auch von westlichen Steppenhirten ab, wie die Wissenschafter berichten.

"Trotz ihrer genetischen Isolation waren die bronzezeitlichen Bewohner des Tarimbeckens kulturell bemerkenswert kosmopolitisch", sagt Studienautorin Christina Warinner von der Universität Harvard und dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Sie ernährten sich demnach von Weizen und Milchprodukten aus Westasien, von Hirse aus Ostasien und nutzten Heilpflanzen wie Meerträubel aus Zentralasien.
(dare, 30.10.2021)

Studie
Nature: "The genomic origins of the Bronze Age Tarim Basin mummies"

Rätsel um 4.000 Jahre alte Mumien aus Westchina gelöst
 
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