Rauchloses Pulver zu dieser Zeit - Auszug
Quelle (derzeit nicht online)
Die Erzeugung von rauchlosem Pulver.
Von Oscar Guttmann.
(Nach einem Vortrage, gehalten am 21. Mai 1894 in der Society of Chemical Industry in London.)
Es ist bekannt, dass zuerst im Jahre 1888 die Welt in Erstaunen versetzt wurde durch Zeitungsberichte über ein neues und rauchloses Pulver, welches von einem Chemiker der französischen Regierung erfunden wurde, und dass sehr bald danach die deutsche Armee ein ähnliches besass.
Im Jahre 1889 nahm Alfred Nobel ein Patent auf die Erzeugung von Ballistit, welches ein Abkömmling seiner Sprenggelatine ist. Dieses und das vorerwähnte französische Pulver sind die zwei Typen, aufweichen die meisten der modernen rauchlosen Pulver beruhen.
Moderne rauchlose Pulver können in drei Klassen eingetheilt werden:
1) solche, bei welchen nur Schiessbaumwolle zur Verwendung kommt, sei sie nun die sogen. unlösliche oder die sogen. lösliche Gattung;
2) solche, bei welchen Nitroglycerin in Verbindung mit löslicher oder unlöslicher Nitrocellulose verwendet wird;
3) solche, in welchen Nitrocellulose zusammen mit einem Nitroderivate eines aromatischen Kohlenwasserstoffes enthalten ist.
Ich will ganz kurz die Zusammensetzung jener rauchlosen Pulver angeben, welche bisher auftauchten.
In erster Linie kommen die reinen Nitrocellulosepulver in Betracht, bei welchen die Nitrocellulose einfach in irgend einem Lösungsmittel aufgelöst ist und dann in die Form von Blättchen oder Körner gebracht wird. Solche Pulver sind die französischen B-Pulver, das deutsche rauchschwache Pulver, die Pulver von Wetteren, Walsrode, v. Förster und verschiedene andere. Die französische Regierung, |
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v. Förster und einige andere verwenden eine Mischung von Aether und Alkohol als Lösungsmittel, die übrigen deutschen Fabrikanten Aceton. Die verwendete Nitrocellulose ist gewöhnlich Schiessbaumwolle, obzwar einigemale Holznitrocellulose versucht wurde.
Zur zweiten Klasse gehören Pulver aus Nitroglycerin und Nitrocellulose. Da ist vor allem das
Ballistit von
Alfred Nobel, welches aus gleichen Theilen Nitroglycerin und Collodiumwolle besteht, mit einem Zusätze von 1 bis 2 Proc. Anilin oder Diphenylamin. Dieses Ballistit wurde mit einigen Abänderungen in Italien,
Oesterreich und für gewisse Geschütze in Deutschland angenommen. In Italien nennt man es, wenn zu Schnüren verarbeitet, Filit. Zur selben Klasse gehört das von der britischen Regierung angenommene Cordit. Es besteht aus 58 Th. Nitroglycerin, 37 Th. höchst nitrirter Schiessbaum wolle und 5 Th. Vaselin, welche in 19,2 Th. Aceton aufgelöst werden.
Zur dritten Klasse, nämlich zu der, welche nitrirte aromatische Kohlenwasserstoffe enthält, gehören die folgenden Pulver: das Indurit von Professor Charles Munroe, welches aus unlöslicher Nitrocellulose und Nitrobenzol hergestellt wird; das Du Pont-Pulver der Du Pont Powder Company in Wilmington, Vereinigte Staaten, welches auch aus Nitrocellulose und Nitrobenzol besteht und durch einen eigenthümlichen Process gekörnt wird. Es gibt auch eine grosse Anzahl von Pulvern, welche von der Smokeless Powder Company in Warwick erzeugt werden, unter den Namen Riflit, S. S.-Pulver, S. R.-, S. K.-, S. V.-, S. B.-Pulver. Dieselben sind nicht patentirt und ihre Zusammensetzung wird geheim gehalten, doch aus Nachrichten, welche ich von verschiedenen Seiten erhielt, schliesse ich, dass das Riflit aus löslicher Holznitrocellulose besteht, die in Aceton gelöst und mit Nitrobenzol gemischt ist und schliesslich in ähnlicher Weise wie E. C.-Pulver gekörnt wird. Ein sehr bemerkenswerthes Pulver dieser Klasse ist das von Hermann Güttler in Reichenstein in Deutschland unter dem Namen Plastomenit hergestellte, welches durch Auflösen von nitrirter Holzcellulose in geschmolzenem Dinitrotoluol erzeugt wird.
Ueber das für die Erzeugung von rauchlosem Pulver benützte Nitroglycerin ist nicht viel zu sagen, nachdem es heutzutage keiner Schwierigkeit unterliegt, ein vollkommen stabiles und in jeder Hinsicht geeignetes Product zu erzeugen. Es ist dies natürlich nicht so leicht, als es nach den Angaben in chemischen Werken scheint. Es kann nur in Fabriken geschehen, welche auf Grundlage von gesunden wissenschaftlichen Principien geleitet werden und welchen lange Erfahrung zur Seite steht.