Deutscher Bundesnachrichtendienst (BND) spähte 2000 Ziele in Österreich aus

josef

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Systematische Überwachung



Laut einem aktuellen Bericht von „profil“ und „Standard“ hat der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) die Telekommunikation zentraler österreichischer Einrichtungen seit Ende der 1990er Jahre systematisch überwacht. Ministerien, Polizeibehörden, Universitäten, Botschaften, Unternehmen, Wirtschaftskammer, Vereinte Nationen, NGOs und Privatpersonen wurden angezapft - insgesamt 2.000 Ziele. Angesichts der zahlreichen Unternehmen steht der Verdacht der Wirtschaftsspionage im Raum.

Wen der BND in Österreich abhörte
Dass Österreich eines der Spähziele des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND) gewesen ist, ist seit der BND-Affäre 2015 bekannt. Eine den Zeitungen „profil“ und „Standard“ zugespielte Datei gewährt nun Einblick in die offenbar systematische BND-Überwachung in Österreich.

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Laut der vorliegenden BND-internen Datei wurden zwischen 1999 und 2006 insgesamt 2.000 Telefon-, Fax- und Mobilanschlüsse sowie E-Mail-Adressen überwacht. „Der BND nahm Ministerien in Wien, Firmen, internationale Organisationen, islamische Einrichtungen ebenso wie Terrorverdächtige und Waffenhändler ins Visier“, schreibt der „Standard“ (Samstag-Ausgabe). Besonderes Augenmerk sei auf die diplomatischen Vertretungen und internationalen Organisationen in Wien gelegt worden.

Die Datei erfasst etwa mehr als 200 Fernmeldeanschlüsse in 75 Botschaften, darunter die USA, der Iran, der Irak, Pakistan, Libyen, Afghanistan, Israel und Nordkorea. Auch die Austria Presse Agentur (APA) - und zwar ein vom BND der außenpolitischen Redaktion zugeordneter Faxanschluss - habe sich unter den Spähzielen befunden.

Liste von Selektoren
Die abgefangenen Informationen seien mit anderen Geheimdiensten - etwa der US-amerikanischen NSA - geteilt worden, heißt es. Das zeige die Liste der Selektoren, die den beiden Medien vorliegt. Geheimdienste nutzen Selektoren als Suchbegriffe für relevante Inhalte in Datenströmen. Taucht bei den untersuchten Daten „beispielsweise die E-Mail-Adresse eines Terrorverdächtigen auf, die als Selektor ausgewählt wurde, springt das System an“, heißt es im „Standard“.

Dann könnten „Agenten nachsehen, wann die Zielperson mit wem wie lange kommuniziert hat“. Noch sei nicht geklärt, ob auch Inhaltsdaten erfasst wurden, bei Faxgeräten könnte das aber der Fall sein. Mehr als die Hälfte der knapp 2.000 Einträge entfällt auf Faxnummern oder entsprechende TSI-Gerätekennungen, heißt es im „profil“.

Exportstarke Unternehmen
Besonders brisant ist, dass sich zahlreiche Firmen auf der Liste befinden - österreichische ebenso wie Dependancen internationaler Unternehmen: mehrere Waffenproduzenten wie Hirtenberger und Steyr-Mannlicher, die Bank Austria, die Raiffeisen Zentralbank, die Oesterreichische Nationalbank, die voestalpine, Lenzing, der Feuerwehrausrüster Rosenbauer, reihenweise Speditionen und mittelständische Unternehmen, vornehmlich aus den Branchen Biotechnologie, Holz- und Zellstoff und Maschinenbau. Was diese eint: Sie sind erfolgreiche Exporteure.

Zielaufgaben überschritten?
Es stelle sich die Frage, „ob der BND über seine Zielaufgaben hinaus auch Wirtschaftsspionage in Österreich betrieben hat, um Deutschland einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen“, schreibt der „Standard“. „Das wäre auch nach deutschem Recht unzulässig.“ Aber auch die anderen Ziele „lassen sich nur teilweise durch das Aufgabenprofil des Bundesnachrichtendienstes erklären“.

Die Datei wurde „profil“ und „Standard“ von einer deutschen Quelle zugespielt. Ihre Authentizität sei von mehreren Seiten bestätigt worden, schreibt das „profil“. Österreichische Ziele seien beim BND überproportional stark vertreten gewesen. Das BND wollte sich gegenüber den Zeitungen nicht äußern: „Zu operativen Aspekten seiner Arbeit berichtet der Bundesnachrichtendienst grundsätzlich nur der Bundesregierung und den zuständigen, geheim tagenden Gremien des Deutschen Bundestages“, hieß es aus dem BND auf eine entsprechende Anfrage.

Keine Politikernamen
Edward Snowden, ehemaliger IT-Fachmann in den Diensten von CIA und NSA, hatte 2013 Details der globalen Telekommunikationsüberwachung durch amerikanische und britische Dienste enthüllt, was in Deutschland die BND-Affäre auslöste. Denn auch der deutsche Geheimdienst war Teil des globalen Spionageverbundes. 2015 wurde bekannt, dass der BND für die Amerikaner „befreundete Länder“ aus aller Welt ausspioniert haben soll - auch Österreich.

Welche Daten aus Österreich der BND im Laufe der Jahre genau abgreifen konnte und was damit geschah, geht aus dem nun vorliegenden Material nicht hervor. Die Datei enthält laut „profil“ jedenfalls keine Namen österreichischer Politiker, auch politische Parteien sind darauf nicht zu finden. Die jüngsten Selektoren auf der Liste stammen vom Oktober 2006. „Es deutet aber einiges darauf hin, dass diese bis zu den Snowden-Enthüllungen 2013 aktiv waren, ehe der BND sie – angeblich – aus dem System nahm“, schreibt „profil“.

Ruf nach Aufklärung
In einer ersten innenpolitischen Reaktion zeigte sich die Liste Pilz empört, und forderte eine umfassende Aufklärung. „Sollten sich diese schwerwiegenden Vorwürfe bewahrheiten, hätten die zum Zeitpunkt bei uns Verantwortlichen beim Schutz der wirtschaftlichen und politischen Interessen versagt“, sagte Alma Zadic. Die Liste Pilz werde den Nationalen Sicherheitsrat einberufen.

„Es ist offensichtlich, dass es bei den Spähaktivitäten nicht nur um die Abwehr von Terror geht. Daher stellt sich die Frage, ob österreichische Ministerien und unsere Geheimdienste über den Umfang der deutschen Spionage informiert waren und ob es ein Stillhalteabkommen gibt“, sagte NEOS-Sicherheitssprecherin Stephanie Krisper.

Links:
red, ORF.at/Agenturen
Publiziert am15.06.2018
BND spähte 2.000 Ziele in Österreich aus
 
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