Die Langobarden waren auch friedlich...

josef

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Die Langobarden waren auch friedlich
Im Zuge der Völkerwanderung kamen die Langobarden über das heutige Österreich nach Norditalien. Dabei wurde viel gemordet und geplündert – aber es gab auch friedliche Koexistenz, wie ein bisher einzigartiges Forschungsprojekt zeigt.

Ein Team aus Archäologen, Historikern und Genetikern hat dabei zwei langobardische Gräberfelder genau untersucht. Die eine Fundstätte (Szólád) liegt am Plattensee im heutigen Ungarn, dem damaligen Pannonien, und stammt aus der Mitte des 6. Jahrhunderts, die andere (Collegno) liegt in Norditalien nahe Turin und ist rund 50 Jahre älter. Die Forscher verglichen die Knochen und Grabbeigaben von mehr als 100 Bestatteten.

„Noch nie zuvor wurden so viele genetische Proben aus einzelnen Gräberfeldern untersucht“, freut sich Walter Pohl, Mitautor einer soeben erschienenen Studie und Direktor des Instituts für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. „Durch die Zusammenarbeit von Genetik, historischen Quellen und Archäologie können wir die sozialen Verhältnisse jetzt viel plastischer beschreiben.“


Institute for Advanced Study
Karte des Langobardenreichs (gelb) und Pannoniens (rot) mit den Fundorten

“Multikulti-Siedlungen“ mit wenig Mischung
Die DNA-Analysen der Knochen zeigten, dass langobardische Familienverbände am ungarischen Fundort mit einer Gruppe von Ortsansässigen zusammenlebte, bei Turin mit zwei Gruppen. Das widerspreche der Vorstellung aus deutsch-nationaler Zeit, wonach bloß soldatische Männer von einzelnen Germanenstämmen „völkerwanderten“, so Walter Pohl.

Die Gruppen lebten an beiden Fundorten offenbar friedlich miteinander, mischten sich aber auch nicht stark. Darauf deuten sowohl die genetischen Hinweise als auch die Grabbeigaben. Denn während die lokale Bevölkerung – passend zu ihrem christlichen Glauben – keine hatte, waren die Gräber der Langobarden reich ausgestattet. Den Männern wurden in ihren holzverkleideten Ruhestätten kriegerische Accessoires wie Schwerter und Lanzenspitzen, aber auch Gewandnadeln beigelegt, den Frauen desselben Clans vor allem Schmuckstücke wie Ohrringe oder Armreifen.

„Es hat uns überrascht, wie stark die genetischen Befunde mit der materiellen Kultur übereingestimmt haben“, sagt Walter Pohl gegenüber science.ORF.at. Die zugewanderten Langobarden dürften so etwas wie die bewaffnete Oberschicht in den Siedlungen gewesen sein. Darauf deuten auch die Hinweise, wonach sie eine proteinreichere Kost genossen – sprich mehr Fleisch gegessen haben. „Es lebten hier also unterschiedliche Gruppen zusammen und bildeten sozusagen Multikulti-Siedlungen“, so Pohl.


Institute for Advanced Study
Einige der entdeckten Grabbeigaben

300 Jahre aus Geschichte verschwunden
Die Geschichte der Langobarden ist bis heute nicht restlos geklärt. Sicher ist, dass sie erstmals im ersten Jahrhundert an der unteren Elbe im heutigen Norddeutschland aufgetaucht sind. Über 300 Jahre lang – zwischen 200 und 500 n. Chr. – gibt es auf sie aber in historischen Quellen keine Hinweise. „Ob sie unauffällig weitergelebt haben oder ob sich im 5. Jahrhundert eine neue Gruppe gebildet hat, die sich den traditionsreichen Namen beigelegt hat, ist nicht leicht nachzuweisen“, so Pohl.

Sicher ist, dass die „Langbärte“ (hier die mythologische Herleitung ihrer Namen) zu Beginn des 6. Jahrhunderts in das Gebiet des heutigen Österreichs und Ungarns zogen und ab 568 begannen, den nördlichen und mittleren Teil Italiens zu erobern. Das Königreich der Langobarden bestand über 200 Jahre lang, ehe es 774 unter Karl dem Großen an das Fränkische Reich fiel. Die beiden nun untersuchten Fundorte stammen somit aus der Frühphase des Langobardenreiches.

Gekommen um zu bleiben
Die Kulturen der Familiengruppen waren also anders, das dürfte einem friedlichen Zusammenleben aber nicht widersprochen haben. „In der Völkerwanderung gab es sowohl kriegerische Auseinandersetzungen und Plünderungszüge als auch friedliche Koexistenz und kulturelle Vereinheitlichung“, sagt Walter Pohl. Letztere zeigte sich beim Vergleich der beiden Fundorte in der aktuellen Studie zwar nicht – dafür war der Zeitabstand mit rund 50 Jahren zu knapp – im Laufe der Jahrhunderte sollte sich das aber ändern.

„Die Langobarden sind damals wie die Goten oder Vandalen gekommen, um zu bleiben. Sie wussten genau, dass es nicht sinnvoll ist, alles rundherum auszuplündern, weil sie dadurch die eigene Existenzgrundlage zerstört hätten. Sowie sie in einem neuen Gebiet einzogen, haben sie alles versuchten, um die Infrastruktur zu erhalten und mit der lokalen Bevölkerung friedlich zu leben, weil man die ja auch brauchte“, sagt Walter Pohl.

Daraus ist dann das „Völkergemisch“ geworden, das Europa genetisch und kulturell geprägt hat und bis heute prägt. Walter Pohl: „So wurden aus den germanisch sprechenden Langobarden die norditalienischen Lombarden, die Italienisch sprechen und sich nicht mehr an irgendeine germanische Herkunft erinnerten.“

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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Publiziert am11.09.2018
Die Langobarden waren auch friedlich - science.ORF.at
 
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