Die Wahrheit zu Leopold Figls legendären Radioansprache am 24. Dezember 1945

josef

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#1
Das Geheimnis hinter Figls Weihnachtsrede
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Vor 75 Jahren hat Bundeskanzler Leopold Figl im Radio seine Weihnachtsansprache gehalten, die mit den Worten „Ich kann euch zu Weihnachten nichts geben …“ begann. Die Rede ist zwar vielen bekannt, die Geschichte dahinter kennen aber wohl die wenigsten.

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„Ich kann euch zu Weihnachten nichts geben, ich kann euch für den Christbaum, wenn ihr überhaupt einen habt, keine Kerzen geben, kein Stück Brot, keine Kohle zum Heizen, kein Glas zum Einschneiden. Wir haben nichts. Ich kann euch nur bitten: Glaubt an dieses Österreich!“ Die Worte Leopold Figls berühren auch heute noch. Der Bundeskanzler sprach damals vor 75 Jahren das an, was die Menschen bewegte und bedrückte, acht Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Er wollte ihnen wohl auch Mut für die Zukunft vermitteln.

Figl: „Und nun wollen wir an die Arbeit gehen“
Am 20. Dezember 1945 war der 43-jährige Leopold Figl (ÖVP) von Bundespräsident Karl Renner (SPÖ) als erster Bundeskanzler der Zweiten Republik angelobt worden. In seiner Regierungserklärung vor dem Nationalrat, einen Tag später, am 21. Dezember 1945, führte er aus: „Es wird heuer leider kein Weihnachten sein, so wie wir es gerne haben möchten. Auf den Christbäumen, so wir welche haben, wird ein schönes Päckchen voll Sorgen hängen. Trotzdem wollen und dürfen wir an diesem Weihnachtsabend, wo zum ersten Mal wieder die Kerzen in einem neuen demokratischen Österreich leuchten, […] versprechen, dass wir […] Stück um Stück und Stein um Stein gemeinsam […] zusammenlegen können für den Neuaufbau unseres geliebten Österreichs. […] Und nun wollen wir an die Arbeit gehen.“


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Leopold Figl (2.v.r.): „Trotzdem wollen und dürfen wir […] versprechen, dass wir […] Stück um Stück und Stein um Stein gemeinsam […] zusammenlegen können für den Neuaufbau unseres geliebten Österreichs“

Weihnachten vor 75 Jahren wurde zwar wieder ohne Kriegslärm gefeiert, doch zum wirklichen Feiern fehlte viel, sehr viel. Wenige Tage vor Weihnachten war es nicht einmal sicher, ob es in der letzten Dezemberwoche 1945 noch Brot geben wird. Hans Werner Scheidl beschrieb das 2015 in einem „Presse“-Artikel über Leopold Figls Weihnachtsansprache eindrucksvoll.

„Wien, im Dezember 1945. Im Bundeskanzleramt am Ballhausplatz schreiben die Beamten in diesem Winter ihre ersten Akten mit klammen Fingern auf halb kaputten Schreibmaschinen. Der rechte Flügel des Barockpalais ist seit dem 10. September 1944 durch Bomben völlig zerstört. Dort, wo später bis zum Jahr 2000 die Regierungschefs amtieren werden, herrscht Einsturzgefahr, die Räumlichkeiten sind gesperrt. Wenn es finster wird, flitzen gleich neben den provisorischen Büros des neuen Kanzlers Leopold Figl Ratten über die Trümmer. Aber es gibt immerhin schon wieder eine Heizung. In anderen Ministerien werden um diese Zeit alte Büromöbel zerhackt und verheizt.“

Drei Sätze, die zur Legende wurden
„Am 24. Dezember nachmittags baut man für den Bundeskanzler ein Mikrofon auf. Seine Radioansprache sollte zur meistzitierten jener Zeit – und zugleich eine Legende werden. Drei Sätze nur, aber sie gehören zu den großen Erzählungen dieses Landes. Denn die Schlichtheit und Kürze des Tondokuments lassen die bittere Not und die Ärmlichkeit der Menschen erahnen“ (Hans Werner Scheidl).


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Eines der letzten Fotos von Leopold Figl (l.) im April 1965, neben ihm Bundeskanzler Josef Klaus

1965, 20 Jahre nach dieser Weihnachtsansprache, hatten der Journalist Hans Magenschab und der Regisseur Ernst Wolfram Marboe die Idee, Figls Worte aus dem Jahr 1945 noch einmal aufzunehmen. Warum? Nicht nur, um die Rede der Nachwelt zu erhalten, sondern auch weil Magenschab, damals 26 Jahre alt und Generalsekretär der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Verbände, zum 20. Jahrestag des Kriegsendes auf dem Wiener Stephansplatz eine effektvolle Show in Szene setzen wollte. Mit Licht und Ton, mit dem Heulen der alliierten Bomber, am Ende dann die Radiorede Leopold Figls vom Heiligen Abend 1945.

Doch von dieser Radiorede gab es keine Tonaufnahme. Ernst Wolfram Marboe (1938-2012) wusste Rat. Ende April, wenige Tage vor seinem Tod am 9. Mai 1965, nahm Leopold Figl, seit 1962 Landeshauptmann von Niederösterreich, im ORF-Funkhaus in der Wiener Argentinierstraße Wien seine Radiorede auf. „Und so haben wir einen Plan ausgeheckt: Wir bitten ihn, diese Rede zu Weihnachten 1945, als es nichts zu essen gab und die Österreicher gefroren haben, noch einmal zu sprechen“, erinnerte sich Hans Magenschab vor fünf Jahren gegenüber noe.ORF.at.

Es waren Figls letzte Worte vor einem Mikrofon
„Am Ende der Aufnahme – es war übrigens auch seine letzte Rede als Landeshauptmann – bin ich zu ihm ins Studio und habe ihm den Zettel mit dem Text hingelegt. Und es wurden dann seine letzten Worte vor einem Mikrofon. Er hat seine berührenden, ergreifenden und erschütternden Worte aus dem Jahr 1945 im Jahr 1965 wie ein Vermächtnis noch einmal gesprochen“, erzählte Ernst Wolfram Marboe 1992 in einer ORF-Dokumentation über Leopold Figl, seinen Großonkel.


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Die Initiatoren der Aufnahme im Jahr 1965: Ernst Wolfram Marboe (l.) und Hans Magenschabb

Den Text der Weihnachtsansprache, den Leopold Figl 1965 noch einmal sprach, hatte Hans Magenschab geschrieben. „Er hat bestätigt, dass diese Worte in etwa jene Worte sind, die er 1945 gesagt hat und sagen wollte“, so der Journalist, der später u.a. Chefredakteur der „Wochenpresse“ und des „morgen“ sowie Pressesprecher von Bundespräsident Thomas Klestil war.

Sein Freund Ernst Wolfram Marboe, der im ORF u.a. Landesintendant des ORF Niederösterreich, Intendant von ORF2 und ORF-Programmintendant war und von 2000 bis 2007 die Raimundspiele Gutenstein leitete, über diese Aufnahme aus dem Jahr 1965: „Und gerade, weil er gewusst hat, das dies das letzte Mal ist, war es für uns alle – auch schon während der Aufnahme – und immer wieder, wenn wir es hören, ein so ergreifendes Erlebnis.“

24.12.2020, Reinhard Linke, noe.ORF.at

Links:
Das Geheimnis hinter Figls Weihnachtsrede
 
#2
Mag ja alles so korrekt gewesen sein; aber ich persönlich fühle mich schlicht überrumpelt.
Dachte ich doch bisher, die Rede ist original von diesem Zeitpunkt - die Dokus, die ich sah, hatten keinen Vermerk wie "Rede zu einem späteren Zeitpunkt aufgenommen" etc.

Da passt diese Nachricht dieser Tage ja sehr gut dazu - nicht wegen der politischen Note - sondern in der Art und Weise wie Nachrichten gehandhabt werden:
Seligsprechung für Leopold Figl soll eingeleitet werden
Die Vorbereitungen für das Verfahren sind laut dem St. Pöltner Diözesanbischof Alois Schwarz bereits im Gange.

Quelle
 
#3
"Österreich ist frei" wurde von Figl am 15. Mai 1955 ebenfalls nicht am Balkon des Belvedere ausgesprochen hat, sondern gleich nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags im Marmorsaal des Schlosses Belvedere. Erst nachdem seine berühmten Worte gefallen waren, trat Figl mit dem Staatsvertrag auf den Balkon. In der Wochenschau wurde der Film jedoch so geschnitten, dass die berühmten Worte fielen, als er bereits am Balkon stand.
 

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#4
Danke!
Wieder was gelernt.

Ich war in dieser Angelegenheit immer skeptisch, da ich mir dachte: "wie kann man es so deutlich hören, bei dem hohen Balkon und der vielen Leute mit Umgebungsgeräuschen".
Ich war dort wirklich sehr oft mit meinen ausländischen Gästen unterwegs (Wien-Führung) und habe die offizielle Version erzählt. :mad:
 
#5
Das erinnert mich an einen Besuch im ORF Sport am Montag Beitrag.
Mein Chef bekam von irgendwo die Karten und schleppte mich dorthin. Wir saßen auf den Rängen und die Show startete. Für unsere Reaktionen, die wir zu zeigen hatten, gab es im verdeckten Bereich große Anzeiger auf Rädern, die im Hintergrund durch die Halle gezogen wurden.
Da stand dann "Applaudieren" oder ähnliches drauf - je nach Situation.
Daher verstand ich später besser, warum der Gesichtsausdruck der Zuschauer mit den Aktionen nicht immer übereinstimmte.
Also z.B. applaudiert und schaut nicht sehr begeistert - oder Gelächter aber viele lachen nicht.
 
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