Ein als "totes Wasser" bezeichnetes nautisches Phänomen bremst Schiffe ein

josef

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KEIN SEEMANNSGARN -
Wie totes Wasser Schiffe zum Stillstand bringt
Forscher entschlüsseln ein nautisches Phänomen, das sich Seefahrer lange Zeit nicht erklären konnten

Die Schlacht von Actium von Lorenzo A. Castro, 1672.
Foto: National Maritime Museum, Greenwich

Am 2. September 31 vor unserer Zeitrechnung standen einander am Ausgang des Ambrakischen Golfs vor der Westküste Griechenlands die Flotte von Octavian, dem späteren Kaiser Augustus, und jene seines Gegenspielers Marcus Antonius und der ägyptischen Königin Kleopatra VII. gegenüber. Bekanntlich ging die Seeschlacht bei Actium für Kleopatra und Mark Anton nicht gut aus: Octavians Sieg sicherte ihm letztlich die Alleinherrschaft im Römischen Reich, besiegelte das Ende der Römischen Republik, und Ägypten wurde zur kaiserlichen Provinz degradiert.

Obwohl die Schiffe Kleopatras und Mark Antons größenmäßig jenen von Octavian deutlich überlegen waren, konnten sie sich nicht durchsetzen. In der Antike wurde Kleopatras Niederlage unter anderem Schiffshaltern zugeschrieben, einer Fischart mit einer Saugplatte am Kopf, die der Sage nach die Flotte der ägyptischen Königin gebremst haben soll. Vielleicht aber hat ein anderes marines Ereignis den Schiffen beim Manövrieren Probleme bereitet. Waren sie etwa im "toten Wasser" gefangen?


Besonders in Fjorden kann totes Wasser die Schifffahrt einbremsen.
Foto: imago/alimdi

Kein Vorankommen im "toten Wasser"
Seefahrer der Vergangenheit kannten das Phänomen "Totwasser" als merkwürdigen Bremseffekt, der dazu führt, dass Schiffe in manchen Gebieten der Ozeane kaum vorwärts kommen. Bestimmte Umstände im Meer bewirken dabei auch heute noch, dass Wasserfahrzeuge auf mysteriöse Weise langsamer fahren oder sogar gestoppt werden, obwohl ihr Antrieb ordnungsgemäß funktioniert. 1904 hat man die Erscheinung zwar experimentell beschreiben können, doch die Geheimnisse rund um das Totwasser waren bisher nur in Ansätzen verstanden. Einem Team um Johan Fourdrinoy von der Universität Poitiers ist es nach eigenen Angaben nun gelungen, dem Phänomen endgültig auf den Grund zu gehen.

1893 beschrieb der norwegische Entdecker Fridtjof Nansen auf seiner Reise nördlich von Sibirien ein merkwürdiges Ereignis: Sein Schiff wurde von einer mysteriösen Kraft verlangsamt, die das Manövrieren annähernd unmöglich machte. An ein Vorwärtskommen mit normaler Geschwindigkeit war schon gar nicht zu denken. Es sollten elf Jahre vergehen, ehe der schwedische Physiker und Ozeanograph Vagn Walfrid Ekman in einem Labor erstmals nachweisen konnte, dass sich unter der Wasseroberfläche an der Grenzfläche zwischen Salzwasser- und Süßwasserschichten Wellen bilden, die einen Bremseffekt bewirken.

Video: Der Totwasser-Effekt auf Film gebannt.
New Scientist

Zwei Widerstandsphänomene
Mit Totwasser kann man auf allen Meeren und Ozeanen konfrontiert werden, in denen sich Wasser unterschiedlicher Dichte vermischt. Bei Experimenten, die die Gruppe um Fourdrinoy in einem transparenten Wellenkanal mit gefärbtem Salz- und ungefärbtem Süßwasser durchführten, wurden auf Aufnahmen von Hochgeschwindigkeits-Kameras interne Turbulenzen der Grenzschicht sichtbar gemacht. Dabei zeigte sich, dass man es im Grunde mit zwei Widerstandsphänomenen zu tun hat: Das erste, Nansen-Wellenwiderstand genannt, bewirkt einen konstanten Bremseffekt. "Dies ist eine Senke, die sich unter dem Schiff bildet und die sich mit ihm mitbewegt, als ob sie an ihm festgemacht wäre", erklären die Wissenschafter.

Das zweite Phänomen heißt Ekman-Wellenwiderstand und zeichnet sich beim betroffenen Schiff durch Geschwindigkeitsschwankungen aus. Die Ursache hierfür war bislang allerdings unbekannt – erst Fourdrinoys Beobachtungen konnten klären, was es damit auf sich hat: "Ursache ist offenbar eine weitere interne Welle, die sich am Bug bildet", berichten der Wissenschafter und seine Kollegen im Fachjournal "Pnas". Die Ausläufer dieser Wellen werden am Ufer reflektiert und ziehen wieder unter dem Schiff durch. "Jede Passage eines dieser Wellenausläufer verursacht beim Schiff eine Änderung der Fahrtgeschwindigkeit", sagen die Forscher. Die Wellen wirken dabei gleichsam wie ein ruckelndes Förderband, auf dem sich das Schiff vorwärts und rückwärts bewegt.


Was bringt Schiffe dazu, auf mysteriöse Weise langsamer zu fahren oder sogar anzuhalten, obwohl ihre Motoren ordnungsgemäß funktionieren?
Illustr.: Morgane Parisi -StudioBrou.com

Zug und Widerstand
Während also die Nansen-Welle in geschichtetem Wasser praktisch immer in Erscheinung treten kann, macht sich das zweite Phänomen vor allem in Hafenbecken, Fjorden und anderen begrenzten Meeresgebieten bemerkbar. Der Grund dafür: Je größer die Wasserfläche ist, desto schwächer fallen die zurückgeworfenen Wellen aus. Die Forscher haben auch die Beobachtungen von Nansen und Ekman in Einklang gebracht, indem sie nachwiesen, dass das Ekman-Oszillationsregime nur vorübergehend besteht: Ab einer gewissen Geschwindigkeit kann das Schiff dem Ekman-Effekt entkommen und erreicht die konstante Nansen-Geschwindigkeit. Für die Forscher hat das Totwasser damit seine Geheimnisse preisgegeben: "Der Begriff umfasst zwei verschiedene bremsende Wellenphänomene: einen kinematischen Zug und einen dynamischen Widerstand."

(tberg, red, 12. 7. 2020)

Abstract
Nachlese
Wie totes Wasser Schiffe zum Stillstand bringt - derStandard.at
 
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