Die Innsbrucker Glockengießerei Grassmayr

josef

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#1
Grassmayr goss Erinnerungsglocke für Prag
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In Prag wird künftig eine neue Tiroler Glocke läuten: Der Innsbrucker Betrieb Grassmayr goss sie zum 80-jährigen Jahrestag des letzten Glocken-Abtransports am 28. August 1942. Tausende tschechische Glocken waren von den Nazis eingeschmolzen worden.
Online seit heute, 6.08 Uhr
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Wie die Gießerei mitteilte, handelt es sich bei der neuen Glocke um die sechstgrößten Glocke der 423-jährigen Geschichte der Tiroler Firma. Sie wiegt 9.801 Kilogramm und schlägt mit dem besonders tiefen Ton f/0. Die Inschrift „Pax in terra“ – Friede auf Erden – wurde mit Ausbruch des Ukrainekrieges als Teil der Verzierung der neuen Glocke festgelegt.

Die Oberfläche der Glocke wirkt, als ob Bruchstücke anderer Glocken verbunden wurden. Bis 1942 wurden in Tschechien insgesamt 9.801 Glocken durch die Nationalsozialisten für Waffen eingeschmolzen. Verzierungselemente dieser alten Glocken prägen daher fragmenthaft die neue Glocke, deren exaktes Gewicht auch an die Zahl der zerstörten tschechischen Glocken erinnert.

Glocke soll über Moldau erklingen
Zukünftig soll das Tiroler Handwerksstück inmitten des Prager Flusses Moldau in der Nähe der berühmten Karlsbrücke auf einer schwimmenden Insel montiert sein und zu besonderen Anlässen durch das Prager Glockenläuterteam händisch geläutet werden, wie Firmenchef Johannes Grassmayr mitteilte.

Grassmayr
Die fertige Glocke, deren Oberfläche an ehemalige zerstörte Glocken erinnert

Letzte tschechische Glocke 1942 geraubt und zerstört
80 Jahre nach dem letzten Abtransport der Glocken mit einem Schiff nach Hamburg wird zum Jahrestag am 28. August 2022 die neue Glocke erstmalig geläutet werden, hieß es. Geplant ist auch das Einläuten eines Konzertes in Verbindung mit der tschechischen EU-Präsidentschaft am 2. September in Prag.
20.07.2022, red, tirol.ORF.at
Grassmayr goss Erinnerungsglocke für Prag
 

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#2
ALTE TRADITION, NEUE TECHNIK
Seit mehr als 400 Jahren werden bei Grassmayr Glocken gegossen
Heute führt die 15. Generation das Familienunternehmen, in dem Kunst, Tradition, Handwerk und Technik zusammenfließen

Vieles wird beim Glockegießen noch so gemacht, wie vor gut 400 Jahren.
Glockengießerei Grassmayr

Ein dumpfer Schlag ertönt in den Hallen der Glockengießerei Grassmayr in Innsbruck. Feinkörniger Lehm rieselt zu Boden, über den Köpfen der drei Mitarbeiter schwebt eine Glocke. Wie der erste Schrei eines Neugeborenen, kommentiert Seniorchef Christof Grassmayr. Ein verschmitztes Lächeln huscht über sein faltiges Gesicht. Die Glocke, die gerade das Licht der Welt erblickt hat, wird nach Rumänien geliefert. Der Familienbetrieb hat Kundschaft in über 100 Ländern der Welt. "Gutes Handwerk spricht sich herum", begründet das Grassmayr. Ein Kran hat die Glocke aus der Gussgrube gehoben, in der sie zuvor tagelang ausgekühlt ist. Mit gezielten Hammerschlägen befreit ein Mitarbeiter das Einzelstück aus der Lehmschicht. Bald wird sie nicht mehr dumpf klingen, sondern "in ihrer Reinheit und Komplexität perfekt". Das ist zumindest der Anspruch der Grassmayrs.

Deren Firmengeschichte geht bis ins Jahr 1599 zurück. Damals goss ein Mann namens Bartelmä Grassmayr im Tiroler Habichen die erste Glocke und legte damit den Grundstein für den Betrieb. Über 15 Generationen und 400 Jahre hat die Familie das Handwerk weiterentwickelt und perfektioniert. "Dabei wird vieles noch immer genauso gemacht wie vor Jahrhunderten", erzählt Grassmayr. Der 85-Jährige geht durch die Halle, unter seinem gemächlichen Schritt knirschen Klumpen aus Lehm.

Zur Herstellung einer Glocke wird eine dreiteilige Form benötigt. Der Kern entspricht dem Inneren der Glocke, er wird aus Ziegelsteinen und verschiedenen Lehmschichten gemauert. Darauf folgt die "falsche Glocke" mit Verzierungen aus rotem Wachs, die in Umfang und Aussehen exakt der zu gießenden Bronzeglocke entspricht. Schicht für Schicht wird darauf ein Lehmgemisch aufgetragen. Das genaue Rezept ist geheim, wurde über Generationen weitervererbt.

Zuckermelasse und Kälberhaar
Ein paar kuriose Zutaten verrät Grassmayr im Gespräch: So sorgen etwa Bierhefe und Zuckermelasse dafür, dass der Lehm gärt und weich und sämig wird. Auch Kälberhaare sind im Gemisch enthalten. Wenn sie verglühen, entstehen feine Kanäle, durch die beim Guss Gase entweichen können. Die "falsche Glocke" wird vor dem Guss zerstört, in den Freiraum, der entsteht, fließt später das flüssige Metall.

Zu Kriegszeiten wurden Glocken auch aus Gussstahl gefertigt. Zinn oder Aluminium wurden ebenso verwendet. Doch kein Material klingt so schön wie Bronze, eine Legierung aus rund 80 Teilen Kupfer und 20 Teilen Zinn. Letzteres hat einen niedrigeren Schmelzpunkt und wird erst dann dazugegeben, wenn das Kupfer schon flüssig ist. Dann greift man zu einem feuchten Erlenstamm, der durch eine chemische Reaktion für eine homogene Durchmischung der beiden Materialien sorgt. Auch das ist eine jahrhundertealte Tradition. Die Legierung wird auf eine Temperatur von 1150 Grad Celsius gebracht. Als Christof Grassmayr das Handwerk erlernte, gab es noch keine Thermometer. Er habe die heiße Masse beobachtet, schildert er, und den richtigen Zeitpunkt am Aussehen erkannt.


In 15. Generation wird die Glockegießerei nun von Peter und Johannes Grassmayr geführt
Glockengießerei Grassmayr

Seine Söhne Peter und Johannes, die heute die Geschicke des Unternehmens lenken, verwenden Thermometer – und modernste Technik, um das traditionsreiche Handwerk immer weiter zu optimieren. Die beiden haben sich zum Ziel gesetzt, "die Stradivari" der Glocken zu gießen – ein klanglich perfektes Musikinstrument. In enger Zusammenarbeit mit verschiedenen Universitäten und Forschenden haben sie Klang, Optik und das Verfahren zur Berechnung der Glockenform perfektioniert. So weit, dass sie heute alle 50 Töne einer Glocke auf ein Hundertstel eines Halbtons genau berechnen können. Wie sie das schaffen, wird nicht verraten. Auch dieses Geheimnis wird sorgfältig gehütet.

Für die Herstellung einer Glocke sind viele Arbeitsschritte, Techniken und Fähigkeiten erforderlich: Die 15 Mitarbeitenden rechnen, zeichnen, mauern und formen Lehm. Zwei Bildhauerinnen stellen Reliefs und Inschriften her, es wird geschmiedet, Glockenstühle werden aus Holz gezimmert. Auch die Montage der Glocken und elektrischen Läuteanlagen am Turm erfordert Spezialwissen. Seit einigen Jahren kümmert sich das Unternehmen auch um historische Glocken, die beschädigt oder gesprungen sind, und bringt sie wieder zum Klingen. Immer wieder bildet der Betrieb auch Lehrlinge aus, das Interesse ist groß, berichtet Monika Unterholzner, eine Tochter Grassmayrs. Sie bietet Führungen durch die Gießerei und die Ausstellungsräumlichkeiten an. Einige Meter vor der schwebenden Glocke sitzt Kristina Kornbichler in einem Atelier im ersten Stock, über ein feines Relief aus rotem Wachs gebeugt. Sie ist gemeinsam mit einer Kollegin für die kreative Feinarbeit zuständig. Bis zu 40 Stunden feilt sie an komplexen Motiven, einfachere Motive wie Wappen sind in einigen Stunden vollendet, erzählt sie. Manchmal greift sie auf bestehende Schablonen zurück. Hunderte solcher Vorlagen lagern ein Stockwerk höher, im Archiv.

Segen und ein Stamperl Schnaps
Kornbichlers Kunstwerke werden auf der "falschen" Glocke angebracht. Diese ist ident mit der zukünftigen Glocke, besteht aber aus Lehm und Wachs. Sie wird in einen Lehmmantel eingemauert, der, sobald ausgehärtet, an Eisenringen in die Höhe gezogen wird. Die falsche Glocke wird herausgeschlagen, das Wachs herausgeschmolzen und der Mantel wieder auf den Kern gestellt. Die Gussform ist bereit für den Guss.

Dies bildet den Höhepunkt im zwei- bis dreimonatigen Produktionszyklus. Es werden immer mehrere Glocken mit einem Gesamtgewicht von mehreren Tonnen gegossen. Brodelnd und feurig rot ist die Legierung, wenn sie in die Form fließt. Der Guss muss sitzen, es gibt kein Absetzen und auch keinen zweiten Versuch, denn die Form wird zerstört, sobald das Material vollständig abgekühlt ist. Vor jedem Guss wird gebetet. Oft sind Pfarrer und Kirchenchor vor Ort, danach gibt es ein Stamperl Schnaps. Auf dem Areal der Glockengießerei ist übrigens im November 2016 die nach eigenen Angaben größte schwingende Kirchenglocke der Welt gegossen worden. Sie wiegt 25 Tonnen, ist 3,13 Meter hoch und ertönt heute in einer Kathedrale in Bukarest.
(Maria Retter, 6.8.2023)
Seit mehr als 400 Jahren werden bei Grassmayr Glocken gegossen
 
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