GB – Festungen des Wahnsinns

Stoffi

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#1
Hier ist der Artikel und eine interessante Fotostrecke: http://einestages.spiegel.de/external/ShowTopicAlbumBackground/a17121/l0/l0/F.html#featuredEntry


Festungen des WahnsinnsStählerne Hüttendörfer und bemannte Triumphbögen: Aus skurrilen Festungen vor der Küste bekämpfte das britische Militär im Zweiten Weltkrieg deutsche Minenleger. Die gigantischen Forts setzten nicht nur Hitlers Luftwaffe zu - sie trieben auch die eigenen Besatzungen in den Wahnsinn. Von Solveig Grothe

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Vielleicht hatte der Kapitän der "Baalbeck" das skurrile Gebilde im letzten Moment noch gesehen, das da im dichten Nebel der Themsemündung rund 25 Meter hoch aus den Wasser ragte - stoppen konnte er die Maschinen nicht mehr: In voller Fahrt rammte der schwedische Frachter am späten Nachmittag des 1. März 1953 etwa sechs Kilometer vor der ostenglischen Küste eine Gruppe seltsamer Stahlkolosse. Es waren Metallboxen von der Größe zweistöckiger Wohnhäuser, die auf jeweils vier massiven Betonbeinen thronten und durch Laufstege miteinander verbunden waren. Auf ihren Dächern standen Geschütze.

Als sich tags darauf der Nebel lichtete, war das Ausmaß der Katastrophe selbst von der Küste aus mit bloßem Auge zu erkennen: Am Horizont zeichnete sich das beschädigte Nore Fort der britischen Armee ab, dem jetzt zwei seiner sieben Türme fehlten.

Das Unglück versetzte Großbritanniens Plänen zur Luftraumverteidigung einen schweren Schlag. Es erschütterte ein Projekt, das Armee und Marine in den fünfziger Jahren im beginnenden Kalten Krieg mit Nachdruck verfolgt hatten: Die Errichtung von gut einem Dutzend Seefestungen rund um die Insel zum Schutz aller strategisch wichtiger Häfen und Fahrrinnen. Die Briten wollten vorbereitet sein. An der Schlagkraft der außergewöhnlichen Flugabwehr hegte die Admiralität keinen Zweifel - schließlich hatten die stählernen Kolosse bereits an vorderster Front gegen Hitlers Wehrmacht gedient. Wenn auch nicht von Anfang an.

Im Würgegriff der deutschen Kriegsmarine
Der deutschen Kriegsmarine war es gelungen, das Insel-Königreich gleich zu Beginn des Zweiten Weltkriegs an seiner empfindlichsten Stelle zu treffen - der Schifffahrt. Rund 2500 Frachter waren zu jener Zeit täglich auf den Meeren unterwegs, um Güter aus aller Welt nach Großbritannien zu bringen. Auch ihren inländischen Warenverkehr wickelten die Briten fast ausschließlich auf dem Seeweg ab. Die meistgenutzte Route verlief entlang der Ostküste der Insel - eine Lebensader, die der Gegner schon nach wenigen Wochen Krieg abzudrücken drohte.

Unablässig verlegten deutsche Zerstörer Minen vor der Ostküste und der Themsemündung. In den ersten Kriegsmonaten sanken mehr als hundert Schiffe und mit ihnen lebens- und kriegswichtige Lieferungen. Noch bedrohlicher wurde die Lage, als die Deutschen ab Mitte November 1939 ihre tödliche Fracht auch aus der Luft abwarfen. Die britische Handelsschifffahrt stand praktisch still.

Pausenlos waren die Minensucher im Einsatz - doch das Ergebnis blieb unbefriedigend. Viele Verluste waren einfach nicht zu erklären. Offenbar besaßen die Deutschen Minen, die von den Briten nicht aufzuspüren waren. Der Chef der Admiralität, Winston Churchill, befahl daher, ein Muster dieser neuartigen Waffen zu beschaffen - koste es, was es wolle.

Tödlicher Wettlauf
Der Zufall kam ihm zu Hilfe: In der Nacht zum 22. November 1939 erfasste ein Suchscheinwerfer einen deutschen Heinkel-Bomber, als er vor der Ostküste ein unbekanntes Objekt an einem Fallschirm abwarf. Experten bargen und untersuchten den Fund: eine Magnetmine.

Obwohl die Briten ihr Suchgerät nun entsprechend anpassen konnten, war die Gefahr für die Schifffahrt längst nicht gebannt: Zwischen Minenlegern und Minensuchern entbrannte ein Wettlauf. Ebenso wie zwischen Wissenschaftlern und Ingenieuren auf beiden Seiten, die immer neue Minentypen entwickelten - und immer neue Gegenmaßnahmen. Eine Chance, sich vom tödlichen Treibgut zu befreien, sah die Admiralität nur darin, die Minenleger abzuschießen oder zumindest abzuschrecken.

Im Ministerium besann man sich zu dieser Zeit auf einen Bauingenieur, der sich offenbar seit längerem Gedanken über eine drohende Invasion machte. Der Architekt Guy Maunsell hatte der Admiralität ursprünglich Entwürfe für bemannte Tauchkapseln vorgelegt. Fest verankert sollten diese versenkbaren Stationen rund um die britische Küste positioniert werden und alle feindlichen Bewegungen auf und unter Wasser beobachten. Es ist nicht bekannt, ob eines dieser flaschenartigen Gebilde je gebaut wurde - der originelle Entwurf ermutigte die Admiralität aber offenbar zur Zusammenarbeit.

Bemannter Triumphbogen
Zur Abwehr der Minenleger in der Themsemündung schlug Maunsell zunächst die Errichtung von Offshore-Bauten vor, die in Form und Ausmaß an den Pariser Triumphbogen erinnerten. Die Admiralität stimmte dem Entwurf nach einigen Änderungen zu. Er sah vor, auf einem schwimmfähigen Ponton zwei hohle Stahlbetontürme von je sieben Meter Durchmesser zu errichten. In den Türmen sollte auf je sieben Etagen eine rund 120-Mann-starke Besatzung samt Ausrüstung und Verpflegung untergebracht werden. Den oberen Abschluss bildete eine Plattform mit zwei 3,7-Zoll-Flak- und zwei 40-Millimeter-Bofors-Geschützen.

Vier dieser 4500 Tonnen schweren und gut 33 Meter hohen Konstrukte wurden schließlich von Februar bis Juni 1942 an ihre Standorte - sechs bis zwölf Seemeilen vor der Küste - geschleppt. Nach dem Fluten der Pontons setzten die Bauten auf dem Meeresgrund auf und die Besatzungen konnten ihre Arbeit aufnehmen.

Parallel zu diesen sogenannten Naval Sea Forts hatte Maunsell Anfang 1941 den Auftrag erhalten, eine Flugabwehranlage auch für die Mersey-Bucht vor Liverpool zu entwerfen. Wegen des schwierigen Untergrunds wählte der Konstrukteur hier ein anderes Modell: Auf einen Stahlbetonsockel in Form eines Bilderrahmens stellte er vier hohle Stahlbetonbeine von je 90 Zentimetern Durchmesser, die ein zweistöckiges Stahlhaus mit elf mal elf Metern Grundfläche tragen sollten.

Je sieben dieser 750 Tonnen schweren Türme, aufgestellt im Abstand von 30 Metern und mit Stahlrohrlaufstegen verbunden, bildeten eine Festung. Die Anordnung der Türme war den von Land bekannten Flugabwehrstellungen nachempfunden: in der Mitte der Kontrollturm mit Radar, umgeben von vier Türmen mit 3,7-Zoll-Kanonen und einem Turm mit zwei Bofors-Geschützen, etwas abseits ein Turm mit Suchscheinwerfern. Drei ähnliche Bauten wie in der Mersey-Mündung orderte die Armee 1943 auch noch für die Themse, darunter das Nore Army Fort.

Wahnsinn unter Wasser
Die Lebensbedingungen auf den künstlichen Inseln waren extrem, zeitweise hielten sich bis zu 265 Männer in einer der siebentürmigen Festungen auf. Die Enge und Abgeschiedenheit wurden zur schweren Belastung. Besonders in den Betonbeinen der Naval Sea Forts: Denn während sich die Schlafräume der Offiziere im oberen Teil des Zylinders befanden, mit ausreichend Licht und Ölheizung, war es für die Mannschaften, die ihre Nächte unterhalb der Wasseroberfläche verbringen mussten, unerträglich.

Um sich abzulenken, wenn es nichts zu tun gab, wurden die Männer überredet, sich ein Hobby zuzulegen: Psychologen empfahlen Malen, Stricken oder Modellbau. Sechs Wochen blieben die Männer jeweils an Bord, dann dienten sie für zehn Tage an Land - viele mussten in psychiatrische Behandlung. "Fort Madness", Festung des Wahnsinns, hießen die künstlichen Plattformen bald bei den Soldaten.

Die Bilanz ihres Einsatzes am Ende des Kriegs war beachtlich: 22 Flugzeuge und 30 V1-Flügelbomben waren von den Themseforts abgeschossen worden, eines war zudem an der Versenkung eines deutschen Schnellbootes beteiligt. Die Nutzung der Forts in der Mersey-Mündung hingegen hatte sich als schwierig erwiesen: Wegen ihres Standorts auf einer sich ständig verändernden Sandbank waren die Stelzenbauten immer weiter in den Meeresboden eingesunken. Da sie eine Gefahr für die Schifffahrt darstellten, ließ die Admiralität sie 1948 komplett demontieren.

Geheimprojekt Ausbau
Die Pläne für die Festungen an der Themse aber sahen anders aus: Im Juli 1948 erhielt das Nore Army Fort Besuch aus dem Kriegsministerium. Die Abordnung wollte die Nutzung der bestehenden Forts prüfen. Knapp ein Jahr später kam es im War Office zu einem geheimen Treffen: Diskutiert wurde der Bedarf weiterer Maunsell Army Forts.

Die versammelte Runde kam darin überein, dass zur Absicherung aller wichtigen Häfen und Schiffsrouten rund um das Vereinigte Königreich noch elf weitere Forts nötig seien. Nach mehreren Änderungen standen die Standorte fest - und auch die Kosten: Das Gesamtprojekt würde mit rund 2,8 Millionen Britischen Pfund zu Buche schlagen - eine gigantische Summe in der Nachkriegszeit. Das Unglück mit der "Baalbeck" am Nore Army Fort Anfang März 1953 machte das Vorhaben nicht eben populär. Im Juli 1953 fiel die Entscheidung: Das Projekt sollte ruhen.

Ende 1954 kam es zu einem weiteren Unfall am Nore Army Fort. Das War Office zog die Konsequenzen, 1956 wurden an allen Forts die Wartungsarbeiten eingestellt. Aufmerksamkeit erregten die Seefestungen noch einmal in den sechziger Jahren, als britische Piratensender die Plattformen besetzten. Mittlerweile bemühen sich private Initiativen, die nunmehr nur noch vier verbliebenen Maunsell-Seefestungen als kuriose Relikte des Zweiten Weltkriegs zu erhalten.


Zum Weiterlesen:

Turner, Frank R.: The Maunsell Sea Forts, Part 1-3, Turner, Gravesend 1994-1996

Turner, Stephen: Seafort, The Seafort Project, 2006
 
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