Die Russen kommen
Zwei Tage nach den Sprengungen im Trasdorfer Lager, am Abend des 9. April 1945, drangen die Russen in Atzenbrugg ein. Am 13. April verlief die Front schon auf Höhe Traismauer - Kapelln - Böheimkirchen. Die Flakstellungen auf dem Schusterberg konnten noch bis zum 13. April gehalten werden, dann ging die Munition aus und sie wurden bei hohem Blutzoll gestürmt. Unter den Gefallenen befanden sich unter anderem 43 erst 16 - 17-jährige Schüler, die erst kurz zuvor eingezogen und in aller Eile zu Flakhelfern ausgebildet wurden.*
Als die Russen Heiligeneich einnahmen, erschossen sie im Extrazimmer des Gasthauses Ring (dem heutigen Gasthaus Haidegger-Waldner) den Fleischhauer Anton Haidegger (den Großvater von Alfred Haidegger und Waltraud Waldner), und dessen Gehilfen, einen französischen Kriegsgefangenen namens Pierre nach einem Streit, bei dem Herr Haidegger einem Russen eine Ohrfeige verpasste. Ein Hilfsarbeiter wurde durch einen Schuss verletzt und erlag dieser Verwundung nach einigen Tagen. Im Ort wurde noch ein deutscher Soldat aufgestöbert und erschossen.
(Nach Aufzeichnungen von Oberst Girschik).
In Trasdorf wurde der Greißler Franz Reisner während der Besatzung eines Abends von den Russen erschossen.
Dazu liegen verschiedene Aussagen vor. Entweder kam er mit den Russen im Keller in der Bindergasse in Streit und wurde an Ort und Stelle erschossen oder er wurde aus dem Keller geholt und anschließend im Feuerwehrhaus getötet.
Damit endet der erste Teil unserer Serie. Für ihre überaus wertvolle Mitarbeit möchte ich mich ganz besonders bedanken bei den Frauen Anna Otzlberger, Margarete Selle und Herta Trünkel und bei den Herren Anton Otzlberger, Josef Fitz, Richard Heinz, Josef Lust und Alois Stiegler.
*Unsere Serie wird in den nächsten Heften mit der Aufzeichnung der dramatischen Ereignisse beim Endkampf am Schusterberg fortgesetzt.
Die Flakstellung am Schusterberg
Folge 1
Vorwort
Die unscheinbare Anhöhe in den Ausläufern des Alpenvorlandes zwischen dem südlichen Rand des Tullnerfeldes und dem Perschlingtal ist heute wieder von fruchtbaren Feldern überzogen, die von den fleißigen Bauern der Umgebung bestellt werden. Heute liegt dieser Höhenrücken friedlich da und kaum jemand würde glauben, dass gerade auf diesem "Berg" in jenen Tagen, Anfang 1945, so unsagbares Leid über viele junge Menschen kam.
Während meiner Recherchen für die Abhandlung zum Lager Isabella in Trasdorf wurde ich von verschiedenen Zeitzeugen immer wieder auf die Geschehnisse rund um den Schusterberg nördlich von Weinzierl und Ebersdorf während des Zweiten Weltkrieges aufmerksam gemacht. Also begann ich, den Zeitraum Anfang April 1945 näher zu untersuchen.
Einige Bücher waren bald gefunden und die Suche nach den "Helden" jener Tage konnte beginnen. Schon zu Beginn musste ich aber erkennen, dass ich die Geschichte des Schusterberges nicht ohne Hintergrundwissen erzählen kann.
Die Lage
Bis Mitte 1943 galten im Führerhauptquartier die Donau- und Alpenreichsgaue und die Protektorate Böhmen und Mähren als der
„Reichsluftschutzkeller".
Es lagen diese Gebiete zwar in der Reichweite der alliierten Bomberflotten, doch konnte man damals solchen Verbänden keinen Jagdschutz bieten. Die alliierten Jagdflieger hatten diese Reichweiten nicht und deshalb wären die Verluste bei den Bombern mangels Begleitschutz zu hoch gewesen. Die Reichsführung nützte diese Tatsache schon im Herbst 1942 und setzte die Sollstärken der Luftverteidigung in der Ostmark erheblich herab, um 120.000 Mann für die Ostfront mobilisieren zu können. Die dortigen Verluste, die der Ostfront allgemein und Stalingrad im Besonderen, sind hinlänglich bekannt.
Die sodann geschwächte Luftverteidigung wurde Ende 1942 umorganisiert. Die leichten und mittleren Flakgeschütze um Wien, Wr. Neustadt und um Rüstungsbetriebe wurden nicht mit Luftwaffen-Personal, sondern mit Wehrmachtssoldaten besetzt.
Die zivilen Geschützhelfer
Schon um Mitte September 1942 entstanden die Heimat-Flak-Batterien. Auch dafür hatte man keine Luftwaffenmänner mehr. Die Geschütze wurden von "Flak-Wehrmännern" bedient, das waren Belegschaftsangehörige von nahe gelegenen Fabriken, die im Alarmfalle die Geschütze besetzten.
Auch bei den Flak-Stellungen um das Werk Moosbierbaum wurden aus der Bevölkerung Geschützgehilfen rekrutiert. Sie mussten, solange der Luftkampf tobte, bei den Geschützen Dienst machen.
Aus Heiligeneich beispielsweise wurden folgende Herren auf den Schusterberg geholt:
Karl Winkler, Fleischhauer und Landwirt
Anton Haidegger sen., Fleischhauer
Josef Nolz, Landwirt
Karl Raab, Kaufmann Johann Fichtinger, Kaufmann
Rudolf Serloth, Gastwirt und Kinobesitzer
Anton Indinger, Seilermeister
Stefan Wejda, Elektriker
Rudolf Kammerhofer, Tischler und Leichenbestatter
Herr Manner.
Aus Weinzierl wurden geholt:
Josef Kopp, Landwirt
Karl Pölzinger sen., Gastwirt;
Josef Figl, Landwirt.
Diese Auflistung ist sicherlich nicht vollständig.
Sowohl diese Zivilisten als auch die jungen Luftwaffenhelfer waren gemäß Kriegsvölkerrecht keine "Soldaten" und hätten keinesfalls an den Kampfhandlungen teilnehmen dürfen. Hitlers Schergen aber interessierte das natürlich herzlich wenig. Hätte einer der Beteiligten jemals auf diesen Umstand aufmerksam gemacht, er wäre ziemlich sicher im Konzentrationslager gelandet oder wäre an Ort und Stelle erschossen worden.
Die Luftwaffenhelfer
Zusätzlich wurden schon damals Schüler höherer Lehranstalten zu den Flak-Batterien eingezogen, wenn sie das 17. Lebensjahr erreicht hatten. Im Februar 1943 war es mit der Ruhe im "Reichsluftschutz-keller" vorbei. Am 13. dieses Monats griff die 15. US-Luftflotte (15. USAAF = United States Army Air Force) erstmals völlig überraschend die Messerschmitt-Werke und die Rax-Werke (Lokomotivfabrik) in Wr. Neustadt an. Gestartet war die US-Flotte mit 83 B-24 "Liberator" Bombern in Libyen, immerhin 1350 km von Wien entfernt. Der Angriff er folgte durch 61 Flieger, die anderen mussten frühzeitig wegen technischer Probleme umkehren. Die Luftabwehr auf österreichischem Gebiet hatte total versagt. Erst nach dem Angriff stürzten drei Maschinen infolge von Flaktreffern ab.
Meine Mutter hatte diesen Tag bestens in Erinnerung. Sie war damals Pflegerin in einem Pferdelazarett wenige Kilometer südlich von Wr. Neustadt. Man war die Ruhe gewöhnt und Mutter nahm gerade mit ein paar Freundinnen ein Sonnenbad auf einer Terrasse als das Brummen der Bomberflotte immer näher kam. Erst als die ersten Bomben auf die Stadt fielen, erkannte man, dass diese Flieger keine eigenen waren. Es war dies ein Angriff der Alliierten!
Die Stadt und die umliegenden Rüstungsbetriebe wurden schwer getroffen, aber das Pferdelazarett glücklicherweise nicht.
Trotzdem verlegte man dieses schon vor der Intensivierung der Luftangriffe weiter nach Westen in den Raum Enns.
Verstärkung kommt
Schnellstens wurde die Fliegerabwehr im Großraum Wien und Wr. Neustadt völlig umgruppiert und verstärkt. Bei den nächsten Angriffen erwartete die Amerikaner heftigste Gegenwehr und gemeinsam mit den Jagdfliegern fügte man den Angreifern erhebliche Verluste zu.
Anfang 1944 begann man auch um Moosbierbaum Flak-Einheiten zu stationieren. Die erste Fliegerabwehr bestand aus Ballonsperren und leichten und mittleren Flak-Batterien vom Kaliber 2 cm und 3,7 cm. Es war nicht schwer, sich in die Absichten der Alliierten hineinzudenken. Durch das intensive Bombardement von Industriezielen war leicht zu erkennen, dass man Moosbierbaums Werke schon bald angreifen würde. In Moosbierbaum wurden damals bis zu 20% der gesamten Reichsproduktion an Flugbenzin erzeugt. Die Ausschaltung dieser Produktion sollte die Luftwaffe lahm legen.
Laufend wurden aus allen Teilen des Reiches Flak-Kräfte zur Verstärkung in die Ostmark verlegt. Am 24. Mai 1944 trafen beispielsweise eine Nebelbatterie und eine Flak-Batterie aus Bordeaux, Frankreich, in Moosbierbaum ein.
Die Vernebelung des ganzen Landstriches war eine weitere Schutzmaßnahme gegen die Luftangriffe. Je nach Windrichtung wurde chemisch erzeugter Nebel aus Fässern freigesetzt, um den Angreifern die Sicht auf ihre Ziele zu nehmen. Dieses Zeug war einigermaßen schädlich, da in der nächsten Umgebung dieser Nebelfässer sämtliche Bäume eingingen.
Bis zum ersten Großangriff am 26. Juni 1944 wurde um Moosbierbaum ein Flak-Gürtel von 24 Geschützen eingerichtet. Diese Einheiten wurden aus Wien und aus Wr. Neustadt abgezogen und folgendermaßen aufgestellt:
12 Geschütze um Asparn
6 Geschütze um Bärndorf und
6 Geschütze um Michelhausen.
Folge 2
Die Verstärkung
Die Kanonen der Verstärkungseinheiten hatten alle Kaliber 8,8 cm und waren teilweise Beutegeschütze französischer und russischer Bauart. Diese hatten ursprünglich Kaliber 8,5 cm, wurden aber von den Deutschen auf 8,8 cm aufgebohrt, um die eigene Munition verschießen zu können. Die modifizierten Rohre hatten aber bei weitem nicht die Zuverlässigkeit der deutschen Rohre, es kam vermehrt zu „Rohrkrepierern“.
Tatsächlich konnte man beim ersten Angriff auf Moosbierbaum den Feinden schwere Verluste zufügen. Man konnte das Überraschungsmoment nützen, da den Alliierten die Umgruppierungen der Flak noch nicht bekannt waren. Wohl auch deshalb wählte die 15. USAAF eine verhältnismäßig geringe Flughöhe von unter 5.000 Metern, einzelne Rotten flogen gar nur in 2.600 Metern Höhe. Zwar können bei diesen Flughöhen die Bomben genauer abgeworfen werden, andererseits hat die Flak aber eine erheblich höhere Treffergenauigkeit.
Flak-Schutz Mitte 1944
Bis Mitte Juli 1944 wurden noch weitere Flak-Einheiten aus dem Südwesten und dem Norden Deutschlands, aber auch aus dem Raum Fischamend und Wr. Neustadt herangekarrt. Die bereits installierten Batterien wurden abermals umgruppiert. Der so errichtete Flak-Schutz für Moosbierbaums Werke umfasste somit nördlich der Donau 24 Rohre Kaliber 8,8 cm bei Frauendorf an der Au und 16 Rohre Kaliber 8,8 cm bei Neuaigen.
Südlich der Donau standen 18 Rohre 10,5 cm bei Oberbierbaum, 24 Rohre 8,8 cm bei Michelhausen, 16 Rohre 8,8 cm am Schusterberg, 18 Rohre 10,5 cm bei Asparn und 4 Rohre 12,8 cm Eisenbahn-Flak bei Judenau.
Das waren insgesamt 120 Flakrohre, die auf die Angreifer warteten.
Bei diesen Umgruppierungen und Übersiedlungsaktionen setzte man meist ältere, erfahrene Soldaten ein, um die neuen Stellungen möglichst effizient ausbauen zu können, aber schon bald danach wurden diese Männer teilweise durch Luftwaffenhelfer ersetzt, um die Erfahrenen für neue Aufgaben zur Verfügung zu haben.
Die Geschütze der Eisenbahn-Flak wurden vom Sommer 1944 fallweise auch in der Höhe von Heiligeneich abgefeuert. Eisenbahn-Flak bei Heiligeneich?? wird so mancher fragen. Ja! Man hatte einen Gleisstrang vom Stellwerk des Bahnhofes Moosbierbaum bis ans Südende von Heiligeneich verlegt. Dort sollte ein großes Umspannwerk gebaut werden, es wurde aber nie fertiggestellt. Baumaterial, Geräte, Transformatoren und dergleichen sollten über diesen Bahnanschluss transportiert werden. Die Überreste dieses Bauwerkes wurden erst beim Abbruch des alten Kindergartens 1995 abgerissen. Das waren die hohen, undefinierbaren Mauern direkt neben der heutigen St. Pöltner-Straße am Ortsende von Heiligeneich. Vom Stellwerk Moosbierbaum nach Süden erkennt man noch heute den damaligen Bahndamm. Die Anhöhe wurde mittels eines Durchstiches überwunden. Der wird heute noch als Feldweg verwendet. In weiterer Folge verlief das Gleis neben dem Friedhof und der heutigen Siedlung von Heiligeneich weiter nach Westen bis zur Baustelle des Umspannwerkes.
Wenn dieses Gleis nicht anders benötigt wurde, holte man die Eisenbahn-Flak von Judenau hierher und feuerte von Heiligeneich aus die 12,8 cm Geschütze ab. Die Lärmbelästigung dieser Monsterkanonen für die Bevölkerung war enorm, schossen doch gleichzeitig auch die 16 Geschütze Kaliber 8,8 cm auf dem Schusterberg. Zwei Tage, nachdem im Frühjahr 1945 diese Eisenbahn-Flak abgezogen wurde, erhielt genau diese Gleisanlage bei einem Angriff einige schwere Treffer.
Die Buben
Bis Juni 1944 hatte man schon ca. 56.000 „Flak-Pimpfe“ zu den Waffen gerufen. Diese Bezeichnung bekamen die Buben von den „alten Hasen“, die richtigerweise der Meinung waren, dass man mit Kindern keinen Krieg führen sollte. Trotzdem erwiesen sich die Jungen als perfekte Geschützführer und -bediener.
Egal, ob die Luftwaffenhelfer „Führer, Volk und Vaterland“ retten wollten oder ob es eine Art sportlicher Ehrgeiz war, die Flak-Buben erreichten eine Fertigkeit und Schnelligkeit beim Bedienen der Geschütze, dass den alten, eingefleischten Luftwaffenmännern Hören und Sehen verging. Viele von den Luftwaffenhelfern waren sehr wohl durch die Propagandamaschinerie des Joseph Goebbels, durch die Schulungen in der Hitlerjugend, durch die Schule und wohl auch teilweise durch die Erziehung im Elternhaus soweit manipuliert, dass sie den „frechen Eindringlingen“ eine Lehre erteilen wollten. Aber ein gar nicht so kleiner Teil war sich vollkommen bewusst, dass dieser Einsatz den Untergang nicht wird aufhalten können. Das geht aus den Briefen der Jungen an deren Familien eindeutig hervor.
Leopold BANNY schrieb in seinem Buch „DRÖHNENDER HIMMEL, BRENNENDES LAND“: „Ab Februar 1945 erschienen die amerikanischen Bomber fast täglich über dem Wiener Raum und steigerten die Luftangriffe zu einer alles demoralisierenden Intensität. Auch in den Flak-Stellungen erwartete man das baldige Ende des militärischen Ringens: Die Luftwaffenhelfer wurden bis auf eine geringe Zahl von Spezialisten im Februar und im März 1945 nach Hause entlassen, wo sie meist umgehend die Einberufung zum RAD, zum ReichsArbeitsDienst, erhielten.“
Der Schusterberg
Nicht so war es am Schusterberg! Während die anderen Flak-Geschütze mangels Luftangriffen nicht mehr benötigt wurden, hatten die Leute am Schusterberg das Pech, dass ihre Kanonen im Abwehrkampf gegen die heranrückenden Russen dringend gebraucht wurden. Die jungen Luftwaffenhelfer hielten am Schusterberg Stellung und bekamen den Befehl: „Bis zum letzten Mann und zur letzten Patrone auf dem Posten zu bleiben!“ (Originalzitat aus der Pfarrchronik).
Dass die Geschützstellungen von führenden Offizieren frühzeitig verlassen wurden wurde mir von verschiedenen Seiten unabhängig immer wieder berichtet.
Und wie sie gehalten haben! Als Ende März 1945 die Luftangriffe aufhörten und die Ostfront immer näher rückte, begann man, die Stellungen für den Erdkampf umzurüsten. Nachdem die herannahenden Russen am 9. April in Atzenbrugg einmarschierten versuchten sie ab dem 10. April immer wieder, die Stellungen am Schusterberg zu nehmen. Obwohl die Russen Panzer, Grenadiere und Infanterie (alle mit jahrelanger Fronterfahrung) einsetzten, wehrten sich die Flak-Besatzungen immer wieder erfolgreich. Als die Russen den Berg im Norden über Hütteldorf umgehen wollten wurden sie von einem 2 cm-Flak-Geschütz nordöstlich von Hütteldorf unter Beschuss genommen und zurückgeworfen. Egal, was die Angreifer auch versuchten, die „Buben“ hielten sie nicht nur tagelang in Schach, sondern fügten ihnen schwerste Verluste zu und schossen fast alle russischen Panzer der ersten Angriffswelle ab.
Folge 3
Das Ende
Das Ende sollte am 13. April kommen. Die Front verlief zu diesem Zeitpunkt schon auf Höhe St. Pölten – Herzogenburg – Traismauer. In den Stellungen am Schusterberg ging die Munition aus. Die Russen konnten den Berg im Süden umgehen (man erzählt von einem einheimischen Verräter, der den Russen geholfen haben soll) und schließlich wurden die Verteidigungsanlagen ohne nennenswerte Gegenwehr mit aufgepflanzten Bajonetten gestürmt. Die Russen machten keine Gefangenen. Alle noch in den Stellungen befindlichen Soldaten und Flak-Helfer mussten hier ihr Leben für eine verlorene Sache lassen.
Belege
Der Pfarrchronik, geführt von Pfarrer Griessler, entnehmen wir:
„Die Kampfhandlungen an diesem Tage forderten auch nicht wenige Menschenleben, bei Tautendorf (Schusterberg) liegen über 60 Tote deutscherseits begraben, in Hütteldorf gegen 30, Russen zerstreut in Gärten, mehrere in Heiligeneich auf Äckern und Feldern, ihre Zahl ist unbekannt.“
Hofrat Walter Miedler aus Königstetten war selbst als Luftwaffenhelfer in Ternitz, bei Wr. Neustadt und auf der Schmelz in Wien eingesetzt. Er schreibt in einem Brief:
„Der besagte 13. April 1945 war ein Freitag. Er brachte für die gesamte Besatzung der am Schusterberg hauptsächlich zum Schutze des Werkes Moosbierbaum stationiert gewesenen schweren Großbatterie 2. und 9./290 den ebenso sicheren wie auch qualvollen Tod. Ein großes Holzkreuz kündet weithin den Ort des grauenvollen Gemetzels während der allerletzten Kriegstage. Die am Kreuzessockel angebrachte Gedenktafel weist 43 in dieser Stellung gefallene Kameraden aus. Und aus den nur spärlich vorhandenen Berichten darüber erfährt man, dass 20 dieser Toten Luftwaffenhelfer waren.
Von der Tullner Mittelschule waren zeitweise 25 Jungen als LwHs in Katzelsdorf, auf der Schmelz und in Michelhausen/Streithofen eingesetzt. Ein gütiges Schicksal forderte von ihnen keinerlei Opfer.
Anders war es ihren aus anderen Schulen gekommenen Kameraden auf dem Schusterberg ergangen. Ihnen wurde zum Verhängnis, dass sich von ihrer Stellung aus ein weiter Einblick in das unter ihnen liegende Perschlingtal bot.
Im Erdkampf eingesetzt, hielten sie zusammen mit den Flak-Soldaten die vom Osten anrückenden russischen Truppen volle sechs Tage lang, vom 8. bis zum 13. April, an diesem Punkt auf. Wütend darüber, machten die Angreifer nach der am sechsten Tag gelungenen Umgehung der Stellung und deren anschließenden Ausschaltung keinerlei Gefangene. Es gab nur Tote.“
Angesichts dessen scheint die Schilderung von Hofrat Miedler am glaubwürdigsten, da er nach dem Krieg mit Hilfe des Kameradschaftsbundes diesen Geschichten ausführlich nachgegangen ist.
Auszug aus der Pfarrchronik:
8. April 1945, Weißer Sonntag. Nur ein Gottesdienst bei geschlossenen Toren, nur 20 Teilnehmer. Einquartierungen in den Kellern, im Orte wird es stille, leere Straßen, ständige Schießereien im Osten und Westen, vom Turm Rauchsäulen und Brand im Osten sichtbar. Sprengung auf dem Schusterberg.
9. April 1945: stets wachsende und näherkommende Schießereien, schier unerträglich gegen Abend, gegen 7 Uhr Russeneinmarsch von Moosbierbaum her, im Hause Ring 2 Mann erschossen, im Pfarrhaus Einfall von rückwärts durch Garten und Scheune. „Visitationen“ in allen Räumen, ein buntes Treiben bis Mitternacht.
10. April 1945: endloses Kommen und Gehen, Küche stets belagert, kochen, essen, Eier und Hühner bevorzugt, suchen und nehmen, Kirche gewaltsam geöffnet, „musiziert“ auf dem Chor, Instrumente arg mitgenommen, auch allerlei anderes Inventar beschädigt und entwendet. Letzte heilige Messe.
11. April 1945: Das „Programm“ des 10. wird fortgesetzt und wiederholt. Erschießungen und Selbstmorde, insgesamt 10 bzw. 6.
13. April 1945: Ausmarsch zur Offensive gegen die Westfront hart hinter Heiligeneich, vormittags schärfste Schießerei, alles in den Kellern, schwere Schäden an Kirche und Pfarrhaus, Stadl und Garten, auch im Orte, harte Kämpfe um den Schusterberg bei Tautendorf ca. 60, bei Hütteldorf ca. 30 Tote auf deutscher Seite, nachmittags Ruhe, Detonationen immer entfernter, schwere Tanks (Panzer) fahren gegen Hütteldorf.
14. April 1945: weniger Rüsten auch mehr Ruhe, doch „Visitation“ geht weiter
15. April 1945: endlose Trains gegen Trasdorf ...
Mein besonderer Dank gilt Herrn Richard Heinz, Heiligeneich, der Familie Gutscher, Weinzierl, Pfarrer Richard Jindra mit der Pfarrchronik, die mich bei der Recherche tatkräftig unterstützten.
Chronik Zwentendorf.
Damit endet der Bericht über die Ereignisse am Schusterberg. Sollte unter unseren Lesern noch jemand sein, der sich an damals erinnern kann, möge er sich bitte bei Herrn Josef Goldberger melden.