"Frauenhäuser", die Bordelle des Mittelalters

josef

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PROSTITUTION IM WANDEL DER ZEIT
Mittelalterliche Bordelle in der Krise
"Sex sells" – gilt das auch in Notzeiten?
In der aktuelle Pandemie sind auch Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter akut vom ökonomischen Niedergang bedroht. Prostituierte bekommen medial wenig Aufmerksamkeit, obwohl sie zu den großen Verliererinnen und Verlierern der Pandemie zählen dürften: Eingeschränkte Sozialkontakte, Sicherheitsabstand und Lockdowns führen de facto zum Entzug der Arbeitsgrundlage des Sexgewerbes, das in seiner organisierten Form in Zentraleuropa bereits seit dem Spätmittelalter Bestand hat.

Der Bürgermeister als oberster Bordellwächter
Gemeine Dirnen, freie Frauen oder gute Fräulein, wie Prostituierte in deutschsprachigen Quellen des 15. und 16. Jahrhunderts genannt wurden, gingen in sogenannten Frauenhäusern, den Bordellen des Mittelalters, ihrer relativ anerkannten und geschützten Sexarbeit nach. Bürgermeister und Stadträte übernahmen die Aufsicht über einst illegale Bordelle oder gründeten neue Frauenhäuser, um das sündhafte Treiben in geordnete Bahnen zu leiten – und nicht zuletzt auch, um finanziell davon zu profitieren.

Stichwort Finanzen: Die Bordellwirtschaft galt vermutlich immer schon als lukratives Geschäft, das neben Gewinnern auch Verlierer kannte. Im konkreten Fall– hierin liegt eine Parallele zur Gegenwart – zählten meist die gemeinen Dirnen zu den Verliererinnen des Gewerbes. Seine Profiteure, die Bordellpächter und die städtischen Behörden, standen mitunter im Streit um die rechtliche Grundlage, quasi um die Gewerbeordnung, für die Ausübung der Prostitution. In eigens erlassenen "Frauenhausordnungen" wurden Rechte und Pflichten der Dirnen festgelegt. Dazu zählte etwa die Freiheit, aus dem Gewerbe auszusteigen, der heiligen Messe beizuwohnen oder sich in der Stadt frei zu bewegen. Die Pflichten hingegen fielen zahlreicher aus: Frauenhausdirnen mussten wahllos jedem Freier den Liebesdienst anbieten, sofern er ledig, christlich und finanziell dazu im Stande war. Sie mussten besondere Kleidervorschriften einhalten und durften bei Auftreten von Krankheiten oder Seuchen das Gewerbe nicht ausüben.


"Im Frauenhaus" – 15. Jahrhundert.
Foto: Public Domain

Christliche Absichten und ihre Paradoxien
Dies alles galt freilich für krisenfreie Zeiten, zu denen das Spätmittelalter bekanntlich nicht zählte. Trotz aller Versuche der Obrigkeiten, das Prostitutionsgewerbe zu ordnen und im christlichen Sinn für die freien Frauen zu sorgen, wurden diese im Notfall ihrem Schicksal überlassen. Paradoxerweise waren es just christliche Vorstellungen, die die Ausübung der Sexarbeit einschränkten: Prostitution war an Feiertagen sowie den Tagen davor verboten. Manche Städte belegten die Dirnen mit einem Stadtverweis während der gesamten Fastenzeit – diese mussten vorübergehend im rechtlich ungeschützten Bereich außerhalb der Stadtmauern für ihr Auskommen sorgen.

Dort waren mitunter aber auch die Bordelle angesiedelt: Für das spätmittelalterliche Wien sind unter anderem zwei Frauenhäuser vor dem Widmertor (neben der Burg) belegbar. Es darf angenommen werden, dass der Bordellbetrieb ante portas diskreter ablaufen konnte als in den engen Gassen der Stadt. Großer Nachteil jedoch: Im Fall eines Angriffs waren die Anwohner der Vorstadt ungeschützt – die Frauenhäuser vor dem Widmertor überstanden mit Müh und Not die kriegerischen Auseinandersetzungen des 15. Jahrhunderts, fielen jedoch schließlich der Belagerung durch die Osmanen 1529 zum Opfer.

Nützliche Dirnen und notwendige Übel
Andere Städte anerkannten die "eigenen" Frauenhausdirnen als Bewohnerinnen der Stadt an und räumten ihnen auch im Krisenfall Rechte wie Pflichten ein. Die Wiener Neustädter Verteidigungsordnung von 1455 verpflichtete die Prostituierten des lokalen Bordells dazu, in ihrem Viertel gemeinsam mit den Minoriten(!) Wasser zur Brandlöschung oder Munition zur Verteidigung der Mauern herbeizubringen. "Unnützes Volk" hingegen – dazu zählten die kommunalen Dirnen nicht – wurden bei Gefahr der Stadt verwiesen.

Der im Falle einer Krise entstandene wirtschaftliche Schaden wurde den Dirnen jedoch nicht ersetzt. Wie es überhaupt erst zur Einrichtung städtisch kontrollierter Bordelle im Spätmittelalter kam, die von der Kirche als sündhaftes, aber notwendiges Übel deklariert wurden, und welche Rolle die Kirchenspaltung bei ihrem Niedergang spielte, erfahren Sie im nächsten Blogbeitrag.
(Michael Hammer, 4.12.2020)

Michael Hammer ist Historiker und Geschichtsdidaktiker an der Pädagogischen Hochschule Steiermark.

Literaturhinweis
  • Michael Hammer, Gemeine Dirnen und gute Fräulein. Frauenhäuser im spätmittelalterlichen Österreich, Berlin: Peter Lang 2019.
Mittelalterliche Bordelle in der Krise - derStandard.at
 
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