06. Juni 2009, derStandard
Historiker: Bedeutung der Österreicher entscheidend an Nazi-Waffenentwicklung beteiligt
österreichischen Physiker häufig unterschätzt
Wien - Wie in praktisch allen Belangen des Naziregimes waren Österreicher auch an der Entwicklung von Waffen entscheidend beteiligt. Im Rahmen eines in Wien stattfindenden Workshops, organisiert im Rahmen des vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützten Projekts "Geschichte der österreichischen Kernforschung", haben Forscher unter anderem die Rolle österreichischer Physiker bei der Entwicklung von Kernwaffen und der "Thermobaren Bombe" - auch Vakuumbombe genannt - beleuchtet.
Unterschätzte Bedeutung
Die österreichischen Beiträge zum Uran-Projekt der Nationalsozialisten sind vor allem mit dem II. Physikalischen Institut der Universität Wien und dem Namen Georg Stetter verbunden. "Die Bedeutung der österreichischen Physiker wird dabei häufig unterschätzt, erklärte der Berliner Wirtschaftshistoriker Rainer Karlsch im Gespräch. So war es der überzeugte Nazi Stetter, der 1939 das erste Patent für einen Uranreaktor beim Reichspatentamt einreichte. Stetter kam damit allerdings in Konflikt mit den Kollegen des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik in Berlin.
Auch das zweite Patent des Wiener Physikers auf Kernfusion - das Prinzip der 1952 von den USA erstmals gezündeten Wasserstoffbombe - rief Eifersüchteleien in Berlin hervor. Laut Karlsch, der vor einigen Jahren das Buch "Hitlers Bombe" verfasst hat, gab es auf einem Truppenübungsplatz bei Klosterneuburg Fusions-Versuche 1) . Wenngleich diese Experimente eher stümperhaft durchgeführt worden seien, wären doch wichtige Denkanstöße aus Wien gekommen, so Karlsch.
Schweres Wasser
Dass den Nationalsozialisten die Entwicklung eines für die Herstellung von Kernwaffen nötigen Reaktors nicht geglückt ist, wird nach Aussagen von Karlsch heute vor allem auf den Umstand zurückgeführt, dass man nicht über die nötige Menge von rund fünf Tonnen an Schwerem Wasser verfügte. Das Deuteriumoxid wäre in Norwegen herstellbar gewesen, allerdings wurde die Fabrik nach der Besetzung Norwegens durch Deutschland bombardiert.
Wenig bekannt und bezüglich der genauen Umstände noch kaum erforscht ist die Tatsache, dass es auch in Tirol bei Wehr 2) eine Anlage für die Herstellung von Schwerem Wasser gab. 3) "Wir wissen bis heute nicht, wer die Anlage wann gebaut hat", so Karlsch. Auch wie viel des Materials dort hergestellt wurde, ist unklar. 1945 habe es jedenfalls noch einen Bombenangriff der Alliierten auf die Anlage gegeben.
Entwicklung der Vakuumbombe
Bis zu praktischen Tests entwickelten österreichische Physiker unter der Leitung des begeisterten Nazis Mario Zippermayr 4) die "Thermobare oder Thermobarische Bombe", landläufig auch Vakuumbombe oder korrekter Aerosolbombe genannt, so Rainer Karlsch. Im Jahr 2007 erregte Russland mit der Zündung einer stark verbesserten Version dieser Waffe Aufsehen, es soll sich dabei um die stärkste nichtnukleare Bombe handeln.
Das Prinzip dafür ist von Unglücken in Kohlebergwerken abgeschaut, bei denen sich fein in der Luft verteilter Kohlestaub entzündet und damit eine Explosion auslöst. Auch bei Zippermayrs Versuchen wurde hauptsächlich Kohlestaub zur Zündung gebracht. Dabei verteilte eine erste Explosion das Material, eine zweite Ladung zündete den Staub.
Versuche
Laut den Recherchen von Karlsch hat Zippermayr über Versuche mit einer Bombe in der Nähe des Fliegerhorstes Zwölfaxing bei Wien berichtet 5) . 1943 habe er mit seinen rund 35 Mitarbeitern 60 Kilogramm eines Gemisches aus Kohlenstaub und flüssigem Sauerstoff gezündet. Dabei seien noch in einer Entfernung von 1,5 Kilometern Fenster zu Bruch gegangen.
Zum Einsatz kam die Aerosolbombe während des Krieges nicht mehr. Nach 1945 hatte Zippermayr Kontakt mit den USA, diese wollten das Know-how für die Waffe. "Letztendlich war der Physiker den Amerikanern offensichtlich doch zu 'braun', man hielt sich daher an Mitarbeiter Zippermayrs", sagte der Historiker. Zippermayr verlegte sich nach dem Krieg auf zivile Aufgaben. Er entwickelte Geräte zur Aerosolbehandlung von Atemwegserkrankungen.
Russischer Test 2007
Schließlich schaffte es auch Russland, sich das Wissen für die Aerosolbombe anzueignen und weiterzuentwickeln. Laut Medienberichten vom September 2007 verlief der Test der stärksten nichtnuklearen Bombe erfolgreich. Dem russischen Militär zufolge sei die Sprengkraft der Vakuumbombe "vergleichbar" mit einer Atombombe. Die Waffe habe rund sieben Tonnen Sprengstoff enthalten. (APA)