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ÖLDORADO
Kampf um Niederösterreichs ergiebige Erdölquelle
Die fossilen Lagerstätten des Weinviertels zählen zu den ergiebigsten Mitteleuropas. Dieser Reichtum führte in den Weltkriegen und danach zu Begehrlichkeiten

Moderne Förderanlagen, die in ihrem Aussehen an nickende Pferdeköpfe erinnern, haben alte Bohrtürme abgelöst.

Ist heute die Rede von einem Erdöl-Hotspot, denkt man wohl an Länder wie die USA oder Saudi-Arabien. Dass die Habsburgermonarchie mit ihren weitläufigen Gebieten im Osten um 1900 die drittwichtigste Erdölnation der Welt war – nach USA und Russland –, ist nicht so bekannt. Bereits nach dem Ersten Weltkrieg und dem Zerfall der Habsburgermonarchie waren die Felder in Galizien – der heutigen Westukraine und Südpolen – weg. Deshalb gerieten bald das Weinviertel und das Marchfeld in den Fokus der Energiestrategen, wo man fossile Lagerstätten vermutete.

Autarke Energieversorgung
Es war das geologisch dazugehörende Gebiet auf der anderen Seite der March, wo die Förderungen ihren Anfang nahmen. Es begann im kleinen Örtchen Gbely in der Slowakei, nordöstlich von Hohenau. Die verschlafene Ortschaft hieß Egbell und gehörte zum Königreich Ungarn. In Egbell lebte um die Jahrhundertwende ein pfiffiger Bauer, der in den Wäldern seines Dorfes zufälligerweise auf Erdgas stieß. Darauf aufmerksam wurde er, weil sich der Waldboden seltsam aufblähte, wie Jan Medlen später erzählte. Es waren Blasenbildungen durch aufsteigendes Erdgas. Im Jahr 1910 kaufte Medlen das Grundstück, auf dem er dieses Phänomen beobachtet hatte, baute ein Haus darauf und kochte und heizte künftig gratis.
Als es dabei zu einer Explosion kam und sein Haus in die Luft ging, war Schluss mit lustig. Die Budapester Behörden schickten Vertreter, die das Gelände untersuchten und herausfanden, welch Schatz da unter der Erde schlummerte. 1913 kaufte der ungarische Staat dem Bauern das Grundstück ab. Eine Goldgräberstimmung setzte ein. Denn es stellte sich heraus, dass unter der Gasblase ein Erdölfeld lag.

"Erdöl wie Wasser finden"
Diese Funde östlich der March und der Zerfall der Monarchie mit den großen Gebietsverlusten brachten es mit sich, dass man begann, das Gebiet westlich der March auf "Erdölhöffigkeit" zu untersuchen. Gebiete um Rabensburg, Hohenau oder Raggendorf kamen dran. Diese ersten Bohrungen waren jedoch enttäuschend: Die Funde waren wenig ergiebig. Der Geologe Friedrich Musil setzte seine Wünschelrute ein. Er war sich sicher, dass es möglich sei, "Erdöl wie Wasser zu finden", heißt es in dem Buch Öldorado Weinviertel von Gerhard Ruthammer, der an der Montanuniversität Leoben Erdölwesen studierte. Vielfach fehlten die geologischen Kenntnisse, die man für eine saubere wirtschaftliche Verwertung gebraucht hätte.

Erst in den 1930er-Jahren kam es im Raum Zisterdorf zu bedeutenden Erdölfunden: zum Beispiel bei Windisch-Baumgarten, später bei Gösting und Neusiedl an der Zaya. Das Vorkommen bei Gösting war jahrzehntelang ergiebig. Und das Erdölfeld in Matzen im Marchfeld galt als eines der größten zusammenhängenden Erdölfelder Mitteleuropas.

Zeitreise zum frühen Ölboom
Wenn man die Gegend heute besucht, wähnt man sich zurückversetzt in den frühen Ölboom von Pennsylvania, USA. Bei Neusiedl an der Zaya stehen sieben Stück der alten Fördertürme, wie man sie in den 1950er-Jahren einsetzte. Es sind dies einige der wenigen "Gitternetztürme", die in Europa noch herumstehen. Heutzutage kommen auf den Feldern moderne Förderpumpen zum Einsatz, die wegen ihres Aussehens "nickende Pferdeköpfe" genannt werden.

Die Weltpolitik hat in die Erdöl- und Erdgasförderung im Weinviertel immer hineingespielt – und nicht zum Besten. Mit dem "Anschluss" Österreichs begann ab 1938 eine brutale Förderung. Unter dem Titel des "Bitumengesetzes" wurde arisiert, bestehende Schürfrechte erloschen zudem binnen kurzem. Das Zepter übernahm die Deutsche Petroleum AG (DPAG). Ab dann wurden teure vorbereitende Aufschlussbohrungen hintangehalten, stattdessen kam es zu einer Förderung auf Teufel komm raus.

Raubbau an Vorkommen
Im Buch "Öldorado Weinviertel" wird Reichsstatthalter Arthur Seyß-Inquart zitiert: "Wo Erdöl vorkommt, ist es angebohrt. Überall sitzen Pfropfen drauf. Ich brauch nur zu drehen, und schon strömt das kostbare Gut des Erdöls zur Verwertung heraus", erklärte er großspurig auf dem Nürnberger Reichsparteitag vom 25. September 1938. Es war ein Raubbau an den bestehenden Vorkommen. Die Suche nach neuen Lagerstätten unterblieb.

Als das Weinviertel Teil der sowjetischen Besatzungszone wurde, war für Russland die Einnahme der förderbaren Felder ein zentrales Ziel. 1945 fuhren Panzer auf und blieben, um die Felder abzusichern. Die deutschen Explorationsfirmen gingen in den sowjetischen USIA-Konzern auf, der das "sowjetische Vermögen in Österreich" verwaltete. Die schnelle Ausbeute führte immer wieder zu Explosionen. In Matzen kam es im Dezember 1950 zu einem Gasausbruch samt Selbstentzündung, der Brand konnte sechs Monate lang nicht gelöscht werden.

Reparationszahlungen an die Sowjetunion
Wegen der eminenten strategischen Bedeutung war die Erdölförderung 1955 sogar Teil des Staatsvertrags. Sechs weitere Jahre musste das Weinviertler schwarze Gold an die Sowjetunion geliefert werden – als Teil der Reparationszahlungen. Obwohl die Staatsgrenzen im aufziehenden Block-Kommunismus immer mehr schlossen, standen sie für die Ausfuhr dieses begehrten Rohstoffs immer offen.

Und heute? Das Erdölmuseum von Neusiedl ist mittlerweile geschlossen. Die Zukunft, will man damit wohl suggerieren, liegt in der erneuerbaren Energie, der Windkraft. Und Windräder drehen sich auch in Sichtweite auf den Hügelketten – windig ist es oft genug.
(Johanna Ruzicka, 14.12.2022)

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