Irak: Reste einer 3.400 Jahre alten Stadt aus dem Tigris aufgetaucht

josef

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DAS ALTE ZACHIKU
3.400 Jahre alte Stadt mit Palästen und Keilschriftarchiv aus dem Tigris aufgetaucht
Anhaltende Trockenheit lieferte die Gelegenheit, die versunkenen Ruinen eines wichtigen Zentrums im Reich von Mittani freizulegen

Der sinkende Wasserstand des Mosul-Stausees gab die Ruinen der Mittani-Stadt Zachiku frei. Hier eine Drohnenaufnahme des Palasts von Kemune.
Foto: Universität Tübingen

Der Nahe Osten zählt zu den am schlimmsten von den Folgen des Klimawandels betroffenen Ländern. Die anhaltende extreme Trockenheit fügt der Landwirtschaft schwere Schäden zu. Gerade in solchen Dürrezeiten kommt der Mosul-Talsperre im Nordirak besondere Bedeutung zu. In guten Zeiten staut sich der Tigris hinter dem früheren "Saddam-Damm" zu einem mehr als zwölf Milliarden Kubikmeter Wasser fassenden See.

Wegen der Dürre wurden zu Bewässerungszwecken seit Dezember jedoch große Mengen Wasser aus dem Mosul-Stausee abgelassen. Der sinkende Wasserspiegel gab frei, was jahrzehntelang versunken war – für Archäologinnen und Archäologen ein Glücksfall: An einer Stelle am Nordufer des Sees unweit des Dorfes Kemuna erhoben sich die Überreste einer bronzezeitlichen Stadt aus dem Tigris. Es handelt sich um ein wichtiges Zentrum des Mittani-Reiches – die Zeit, sie zu untersuchen, war jedoch knapp bemessen.


Wenig Zeit, viel zu entdecken. Die Archäologinnen und Archäologen mussten sich beeilen, so viel wie möglich von der Stadt freizulegen und zu dokumentieren.
Foto: Universitäten Freiburg und Tübingen, KAO

Auf Augenhöhe mit den Pharaonen
Das Reich von Mittani war im zweiten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung im Zweistromland ein wichtiger Machtfaktor. Es erstreckte sich zwischen dem 15. Jahrhundert und der Mitte des 14. Jahrhunderts von der Mittelmeerküste bis in den Osten des heutigen Nordirak. Das Kerngebiet dieses Großreichs befand sich in Nordostsyrien, wo auch seine bisher nicht sicher lokalisierte Hauptstadt Waschukanni vermutet wird.

Akkadische Keilschrifttexte aus dem Fundort Tell el-Amarna in Ägypten zeigen, dass die mittanischen Könige auf Augenhöhe mit den ägyptischen Pharaonen und den Großkönigen von Hatti und Babylonien agierten. So ist etwa bekannt, dass der mittanische König Tuschratta seine Tochter dem Pharao Amenophis III. zur Frau gab.

Charakteristische Keramik
Um 1350 vor unserer Zeitrechnung verlor Mittani seine politische Bedeutung. Das Reich geriet nach und nach unter die Kontrolle der benachbarten Hethiter und Assyrer. Charakteristisch für diese Kultur ist ihre bemalte Keramik. Solche Keramikgefäße zeichnen sich durch eine sorgfältig ausgeführte helle Bemalung auf dunklem Grund aus. Ihr auffälliges Aussehen ermöglicht es Archäologen, Fundorte, an denen Scherben dieser Gefäße gefunden werden, einigermaßen sicher zu datieren.


Die Lehmziegel der bronzezeitlichen Gebäude sind zwar vom Wasser des Stausees aufgeweicht, sie lassen sich aber noch gut erkennen und freilegen.
Foto: Universitäten Freiburg und Tübingen, KAO

Das alte Zachiku
Bei den nun von einem deutsch-kurdischen Team an der Ausgrabungsstätte Kemune erforschten Ruinen dürfte es sich um das alte Zachiku handeln. Die ausgedehnte Stadtanlage mit Palast und mehreren Großbauten war vor 3.400 Jahren ein wichtiges Zentrum im Großreich von Mittani. Entdeckt wurde sie im Jahr 2010, acht Jahre später wurde sie bei einem ähnlichen niedrigen Wasserstand erstmals genauer untersucht. Ihr erneutes, mehr oder weniger unvorhergesehenes Auftauchen aus den Fluten des Tigris brachte die Archäologie gehörig unter Zeitdruck: Es galt, zumindest Teile dieser großen, wichtigen Stadtanlage freizulegen und zu dokumentieren, bevor sie wieder im Wasser versinkt.

Die Rettungsgrabungen unter der Leitung von Hasan A. Qasim (Kurdistan Archaeology Organization), Ivana Puljiz (Uni Freiburg) und Peter Pfälzner (Uni Tübingen) fanden schließlich im Jänner und Februar statt. Den Forschenden gelang es binnen kurzer Zeit, den Plan der Stadt weitgehend zu rekonstruieren.


An einigen Stellen blieben die Lehmziegelmauern eines riesigen Lagergebäudes sogar meterhoch erhalten.
Foto: Universitäten Freiburg und Tübingen, KAO

Riesiges Lager für große Gütermengen
Neben einem Palast wurden mehrere weitere Großbauten freigelegt: eine massive Befestigungsanlage mit Mauer und Türmen, ein monumentales, mehrstöckiges Magazingebäude sowie ein industrieller Komplex. "Das riesige Magazingebäude ist von besonderer Bedeutung, weil darin enorme Mengen an Gütern gelagert worden sein müssen, die wahrscheinlich aus der gesamten Region herbeigeschafft wurden", sagt Puljiz – ein Beleg dafür, dass der Ort ein wichtiges Zentrum im Mittani-Reich gewesen sei.

Erstaunlich sei, dass die Mauern dieser Gebäude sehr gut und in einigen Fällen mehrere Meter hoch erhalten seien, und dies obwohl es sich um Bauten aus ungebrannten Lehmziegeln handele, die über 40 Jahre lang unter Wasser lagen, so das Forschungsteam. Vermutlich liege es daran, dass die Stadt gegen 1350 vor unserer Zeitrechnung bei einem Erdbeben zerstört wurde und die einstürzenden oberen Teile der Mauern die Gebäude darunter versiegelten.


Ein besonderer Schatz: keilschriftliche Zeugnisse aus der Bronzezeit, teilweise noch in ihrem "Schutzumschlag". Sie wurden in der Ecke eines Raumes aus der mittelassyrischen Zeit (etwa 1350 bis 1100 vor unserer Zeitrechnung) entdeckt.
Foto: Universitäten Freiburg und Tübingen, KAO

Kostbares Keilschrift-Archiv
Eine besondere wichtige Entdeckung sind fünf Keramikgefäße, in denen ein Archiv aus über 100 Keilschrifttafeln untergebracht war. Sie datieren in die mittelassyrische Zeit, kurz nach der Erdbebenkatastrophe, die die Stadt heimgesucht hatte. Einige Tontafeln – möglicherweise Briefe – steckten sogar noch in ihren "Umschlägen" aus Ton. Von den Schriftstücken erhoffen sich die Forschenden kostbare Informationen über das Ende der Mittani-zeitlichen Stadt und den Beginn der assyrischen Herrschaft in dieser Region. "Dass die Keilschrifttafeln aus ungebranntem Ton so viele Jahrzehnte unter Wasser überdauert haben, grenzt an ein Wunder", sagt Pfälzner.


Zum Schutz der Überreste wurden die bereits freigelegten Areale mit Kunststofffolien abgedeckt, ehe das Wasser des Tigris wieder stieg.
Foto: Universitäten Freiburg und Tübingen, KAO

Vermutlich noch zahllose weitere Funde dürften unter dem jahrtausendealten Schutt verborgen liegen, doch der Fundort ist mittlerweile wieder vollständig überflutet, die Forschenden müssen sich gedulden. Um weitere Schäden an der bedeutenden Ruinenstätte durch den Stausee abzuwenden, wurden die ausgegrabenen Gebäude vollständig mit enganliegender Plastikfolie umkleidet und mit Kiesschüttungen bedeckt. Dadurch sollen die Mauern aus ungebranntem Lehm und eventuelle weitere in den Ruinen noch verborgene Schätze vor dem Wasser geschützt werden, bis die nächste Stauseeabsenkung Zachiku wieder aus den Tigrisfluten aufsteigen lässt.
(tberg, red, 31.5.2022)

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Geist

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#2
Extrem spannend!
Dank des Klimawandels wird es in den nächsten Jahren sicher mehrere Möglichkeiten geben dort weiterzuforschen.
 
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