josef

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Arge Planungsfehler bei der Entscheidung von Rüstungsstandorten

Renato, vollkommen richtig!
Für mich beginnt die Fehlplanungsphase schon Anfang-Mitte 1940 mit der Standortentscheidung Trasdorf für die Errichtung einer Muna! Mit den Chemie-Fusionierungen der Donau-Chemie unter der Herrschaft von I.G.-Farben wurde schon 1939 für Moosbierbaum die Produktionslinie in Richtung Treibstoffproduktion festgelegt. Damals hätten schon die Alarmglocken läuten müssen, wenn man 3 km neben einem (damals noch zukünftigen) Primärziel ein Logistikzentrum für sensibles Material plant und in weiterer Folge auch baut! Zu diesem Zeitpunkt war die A4 Geschichte noch weit entfernt, da ging es vorerst um "leicht brennbare Mineralölprodukte" versus "Explosivstoffe" bzw. beides im Doppelpack.

Dann folgte Anfang 1943 die nächste krasse Fehlentscheidung mit dem Auftrag zum A4 Serienbau im Raxwerk Wiener Neustadt, genau in der Mitte zwischen den 2 Werken der WNF gelegen...! Hier dürften das Bestreben der Henschel AG, am "Kuchen" der A4 - Aufträge mitzunaschen, mit ausschlaggebend gewesen sein. Begünstigt auch durch die sofortige Zurverfügungstellung von freien Produktionsflächen der damals gerade in Fertigstellung begriffenen "Serbenhalle". Diese, als Kriegsbeute in Kraljevo/Serbien demontierte Halle von 300 m L x 70 m B, erlaubte mit ihrer Höhe von 30 m die Montage von aufrecht stehenden Raketen.

Wie Renato im Vorbericht schrieb, dürfte damals (geplant waren Lager mit einer Gesamtkapazität von 1.000 Stk. Raketen im Großraum WN) auch der Baustart für "Isabella" als Erweiterung der Muna in Trasdorf gefallen sein. Dies erhöhte abermals das Gefahrenpotential im Bereich Trasdorf - Moosbierbaum - Pischelsdorf (mit den dort zwischenzeitlich teilweise fertiggestellten Anlagen der Großchemie) und Umgebung!

Wie auf den Luftbildern ersichtlich, dürften die Lagereinrichtungen (fischgrätenartig entlang eines Feldbahnstranges angelegte Lagerhütten) zumindest in Trasdorf und Groß Mittel - "Lina" (=> siehe Foto Beitrag #63) und eventuell auch St. Egyden - "Maria" (kein exaktes Lubi zur Verfügung, Karte siehe Beitrag #61) fertiggestellt worden sein.

Ob je eine Lagerung des A4 in den bekannten 3 österreichischen Lagern erfolgte bzw. wenn ja, in welchen Zeitraum ist ja die Kernfrage dieses Threads!

Zumindest für Trasdorf gibt es die (durch keine Dokumente usw. belegte...) Veröffentlichung der "Erinnerungen" von Siegfried Selle, der vom belegten Lager bzw. der Räumung berichtet:
Mit Beginn des Jahres 1945 rollten somit Tag und Nacht pausenlos V2-Züge aus dem Lager. Am Morgen des 5. Februar 1945 verließ der letzte mit V2 beladene Zug das Lager.
Auch meine im Bericht #121 (Lokalaugenschein...) erwähnten einheimischen Gesprächspartner (keine Zeitzeugen, alle jüngere Jahrgänge) erzählten aus Überlieferungen der "Altvorderen" von "der Lagerung von V2-Raketen"...in Trasdorf sowie dann auch gleich weiter, "dass man ja nichts genaues erfuhr, da die Züge in der Nacht fuhren"... Wir wissen ja alle, was von solchen Aussagen zu halten ist! :D

Unabhängig von Selles Erinnerungen berichtet, zumindest in Teilbereichen, mit Status 08.44, der deutsche Kriegsgefangene im ADI(K) Report No 221/45 ähnliches...

Wenn nun tatsächlich in Trasdorf A4 gelagert wurden, steht die Frage nach dem Sinn im Raum: Warum wurden die A4 zuerst hunderte km von der Fertigungsstätte in Mitteldeutschland ins Tullnerfeld gekarrt um dann später wieder hunderte Km auf überlasteten, schwer luftgefährdeten Eisenbahnstrecken zu den Einsatzorten im Westen zu transportieren...???

lg
josef
 
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H

hebbel

Nicht mehr aktiv
Deine Terminplanung ist nicht ganz korrekt,
Nö, nö. Die richtige Zuordnung in der Zeitleiste ist ja OK. Aber Renato hat eine ganz andere Frage zu beleuchten versucht. Ich dachte zuerst an Sizilien, musste mich aber dann eines Besseren belehren lassen. Von Nordlybien haben sie ihre Angriffe schon gestartet. Und das das tangiert nun mal die Frage nach dem "Weshalb gerade dort?" Der "Luftschutzkeller des Deutschen Reiches" war eben nicht mehr sicher.

Zu den Aufgaben der Munas respektive Heimatlager kann man nochmals hier nachschauen. (Schön wäre es ja, wenn die Angaben Bezug zum angeführten Quelldokument haben.)
Apropos Strahlruder: Bei 400 Grad Celsius gebrannt, mit Lack versiegelt und auf Strukturschwächen geröntgt, schreibt REISIG. Diese spröden Dinger werden in extra Transportkisten, vermutlich mit Filzstreifen gut gepolstert, angeliefert und in einem der letzten Komplettierungsschritte montiert worden sein.

Das nur zur Hilfe und Erinnerung, wenn man versucht, dieses "Lager" einzuordnen.

Gruss Dieter
 

josef

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@Henry, @hebbel und @zwölfaxinger,
danke euch für die interessanten, fundierten Beiträge!

Mir geht es in weiterer Folge primär um die (gesicherte) Klärung (wenn möglich), ob überhaupt bzw. wenn ja, über welchen Zeitraum, A4 in Trasdorf gelagert wurden?

lg
josef
 

SuR

... wie immer keine Zeit ...
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@Renato: volle Zustimmung auch vo mir.

Wenn nun tatsächlich in Trasdorf A4 gelagert wurden, steht die Frage nach dem Sinn im Raum: Warum wurden die A4 zuerst hunderte km von der Fertigungsstätte in Mitteldeutschland ins Tullnerfeld gekarrt um dann später wieder hunderte Km auf überlasteten, schwer luftgefährdeten Eisenbahnstrecken zu den Einsatzorten im Westen zu transportieren...???
Das ist wohl die Frage aller Fragen ... ich versteh´ das auch nicht.


Die vermeintlich sicheren Standorte in Österreich und der Tschechei entstanden wohl aus der Gegebenheit heraus, dass dies bis ´43 die einzigen Gebiete waren, die weder gescheit aufgeklärt noch von Bomberflotten überflogen werden konnten.

edit: Dieter war dazu schneller. "Luftschutzkeller des Reiches" trifft den Nagel auf den Kopf.
 

josef

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"Lina" - Groß Mittel und "Maria" - St. Egyden

Zwecks besserer Darstellung und Übersicht des Themenkreises "A4-Heimatlager" erstellte ich zu "Lina" Groß-Mittel und "Maria" St.Egyden neue Threads und kopierte die bereits in diesem Thread vorhandene Beiträge zu diesen Standorten in die zwei neuen Themenbereiche. Die vorhandenen Ursprungsbeiträge zu den beiden Lagern im "Isabella-Thread" ließ ich hier stehen, um den Gesamtzusammenhang zu bewahren.

Neue Berichte zu den "A4-Heimatlagern" ersuche ich den jeweiligen Standorten zuzureihen.

Die neuen Threads zu

"Lina" Groß-Mittel: Deckname "Lina" - Groß Mittel

"Maria" St.Egyden: https://www.unterirdisch-forum.de/index.php?threads/deckname-maria-st-egyden.8735/

lg
josef
 

josef

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"Nachlese" Usertreffen 19.11.2011 "Isabella" Trasdorf

Neue Erkenntnisse, Fakten und noch zu verifizierende Aussagen aus Diskussionen und Zeitzeugenerzählungen – Usertreffen 19.11.2011 zum Großraum Zwentendorf:

Ich stelle hier meine beim Treffen gewonnen (subjektiven bzw. neuen) Erkenntnisse zum Thema Mun.Sichtungsstelle und A4-Heimatlager Trasdorf-Dürnrohr ein und ersuche auch die übrigen Teilnehmer ihre Meinungen, Erkenntnisse, Theorien, Thesen, Vermutungen usw. darzulegen:

Trasdorf – Dürnrohr, ehem. Mun.Sichtungsstelle/A4-Heimatlager “Isabella”:
Der Zeitzeuge aus Trasdorf (Alter ?, war während der Kriegszeit “Schulbub”): Bezeichnete die lt. US-Geheimdienst-Lageplanskizze Nr. 13. – 28. als “Dynamit-Lager” bezeichneten Bunkerbauten (-> Komplex im September 1944 noch in Bau) an der Ostseite des Geländes als “Panzerbunker”!
Angeblich waren dort (in den letzten Kriegsmonaten ?) Panzer hinterstellt (Typ unbekannt), die auf einem nach SO führenden Feldweg vom “Isabella-Gelände” aus zu einer Schottergrube fuhren und dort die steilen Wände am Grubenrand “mit viel Lärm” (-> Zeitzeuge) hochfuhren…

In der Bevölkerung wurde zwar von “der V2” gesprochen, aber gesehen hat NIEMAND etwas! (Deckt sich mit meinen im Februar 2011 geführten Gesprächen mit Bewohnern aus Trasdorf (-> es wurde zwar von V2 gesprochen, gesehen hat niemand etwas,” die Züge fuhren ja in der Nacht…”)! Von den “Panzern” hat niemand erzählt!

Wenn die Angaben des Zeitzeugen stimmen => reine Spekulation:
Neben Munitionssichtungsstelle und A4-Heimatlager “Isabella” Sitzenberg-Reidling (-> Bedienbahnhof) taucht auch die Bezeichnung “Feldzeugkommando Moosbierbaum” auf (z.B. US-Geheimdienstbericht ADI(K)-Bericht No. 221/45). Vielleicht war zu Kriegsende ein Feldzeugkommando mit angeschlossener Panzerreparaturwerkstätte in Trasdorf, wobei die reparierten Schadfahrzeuge in der Schottergrube Probefahrten unternahmen…???

Zur Kernfrage, ob tatsächlich A4 in Trasdorf-Dürnrohr gelagert wurden, erhielten wir wieder keine Antwort! Fakt ist nur, dass die Lagerhütten vorhanden waren…
Der einzige Hinweis darauf stammt aus dem Bericht von “Siegfried Selle” (ehem stellvertr. Dienststellenleiter von “Isabella”, verstorben 1997), abgedruckt in 4 Teilen ab Folge 13./April 2003, im “Moosbierbaumer Dorfblattl”.

Am Beginn unseres gestrigen Treffens übergab Hr. Rudolf Reither (vom Heimatkundlichen Verein Moosbierbaum) Herrn Richter den Lageplan von “Isabella” aus dem Nachlass von S. Selle. (Plan wird von Hr. Richter gescannt und mir zur Weiterleitung/Veröffentlichung im Forum zugesandt). Bei nur flüchtigen Blicken auf diesen “Selle-Plan” ist zu erkennen, dass dieser auf weiten Bereichen in keiner Weise mit den tatsächlichen Gegebenheiten (Aufklärer-Lubi, div. Kartenmaterial usw.) übereinstimmt!
Der mir in dankenswerter Weise vor längerer Zeit von @zwölfaxinger übermittelte Lageplan vom US-Geheimdienst (hier als Basis meiner Begehung veröffentlicht) stimmt genau mit den vorhandenen Aufklärer-Luftbildern überein!

Diese “Ungereimtheiten” bemerkten auch die Verfasser des “Selle-Berichtes” im 1. Teil, Dorfblattl-Ausgabe 13., April 2003, wo sie schrieben:
Verschiedenen Luftbildern zufolge befand sich „Isabella" südlich des Güterweges von Dürnrohr nach Bärndorf, der alten Römerstrasse, auf dem Gelände des heutigen Verbund-Umspannwerkes und breitete sich noch fast einen Kilometer weiter nach Westen aus. Die heutige Bauschuttdeponie der Marktgemeinde Atzenbrugg befindet sich im Bereich der Gleisanlagen und der Verwaltungsgebäude. Die von Herrn Selle beigefügten Skizzen zeigen allesamt eine andere Lage, was höchstens mit der hohen Geheimhaltung zu erklären ist.
Deswegen, aber auch wegen einiger weiteren Diskrepanzen, zweifle ich persönlich einiges an diesem Bericht an, solange nicht handfeste Fakten „am Tisch“ liegen!

lg
josef
 
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josef

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Gegenüberstellung/Vergleich Karten u. Lubi Trasdorf

Am Beginn unseres gestrigen Treffens übergab Hr. Rudolf Reither (vom Heimatkundlichen Verein Moosbierbaum) Herrn Richter den Lageplan von “Isabella” aus dem Nachlass von F. Selle. (Plan wird von Hr. Richter gescannt und mir zur Weiterleitung/Veröffentlichung im Forum zugesandt).
Wie versprochen bekam ich den "Selle-Plan", nochmals besten Dank an Richard!

Zwecks Dokumentation der fehlerhaften Darstellung der Gegebenheiten auf der Skizze von S.Selle, siehe vorhergegangenen Beitrag bzw. Zitat der Artikelverfasser vom "Moosbierbaumer Dorfblattl"
Die von Herrn Selle beigefügten Skizzen zeigen allesamt eine andere Lage
habe ich die "Selle-Skizze" mit der "US-Nachrichtendienst Skizze" aus ADI(K)-Bericht No. 221/45 (von @zwölfaxinger zur Verfügung gestellt) und dem Lubi-Ausschnitt vom Angriff am 01.03.45 der www.461st.org gegenübergestellt:

Die Skizzen und das Bild sind nicht eingenordet, sondern auf den senkrechten Verlauf der Bahnstrecke zwischen den Bahnhöfen Sitzenberg-Reidling und Moosbierbaum (Linie Herzogenburg-Tulln) am linken Rand, ausgerichtet.

ROT: Bahnstrecke zwischen Sitzenberg-Reidling und Moosbierbaum
BLAU: Normalspurige Anschlussbahn der Mun.Sichtungsstelle u. A4-Heimatlager "Isabella"
GELB: Verbindungsstraße zwischen Trasdorf und Dürnrohr
GRÜN: Die von uns am 19.11.2011 befahrene Route durch das ehemalige Mun.Sichtungslager u. "Isabella" Gelände, Kreise => Aufenthalts- bzw. Besichtigungspunkte.
 

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SuR

... wie immer keine Zeit ...
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Es geht vorwärts. Sehr schön! :bravo: Hoffe, Ihr hattet viel Spaß bei Eurem Treffen.
... Der mir in dankenswerter Weise vor längerer Zeit von @zwölfaxinger übermittelte Lageplan vom US-Geheimdienst (hier als Basis meiner Begehung veröffentlicht) stimmt genau mit den vorhandenen Aufklärer-Luftbildern überein!
Das ist aber kein Wunder, denn diese Lagepläne wurden ja in der Regel auf der Basis der Luftaufklärung angefertigt. Kann man in etlichen ADI-K Unterlagen nachvollziehen.
 

josef

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Teil 1 - Bericht von S.Selle im "Moosberbaumer Dorfblatt'l Ausgabe 13

Nach mehreren PN - Anfragen zu den laufend zitierten Berichten nach Aufzeichnungen von "Siegfried Selle", zum Lager "Isabella" in Trasdorf stelle ich die 4 Folgen, verfasst von J. Goldberger im "Moosbierbaumer Dorfblatt'l", ins Forum:

1. Teil, erschienen in Ausgabe 13 (April 2003):
Adolf Hitlers Waffenkammer oder
Trasdorf - die Wiege der Raumfahrt?


Verfasst von Vizeleutnant Josef GOLDBERGER, Schriftführer der „Moosbierbaumer Heimatkundlichen Runde" nach Schriften des Herrn Siegfried SELLE, vormals stellv. Dienststellenleiter des A4/V2 Heimatlagers „ISABELLA", Oberfeuerwerker und Sprengmeister, später Vizeleutnant des technischen Dienstes beim ÖBH/HMatA Wien, verstorben im Jahre 1997.

Einleitung
Das Tullnerfeld hat im Laufe der Jahrhunderte vieles über sich ergehen lassen müssen. Mit seinen fruchtbaren Gründen war es schon immer Siedlungsgebiet für fleißige Menschen, wurde aber auch immer wieder heimgesucht. Um nur einige zu nennen: Die Ilyrer, Römer, Hunnen, Türken, Magyaren, Schweden, die Bayern, Preußen und die Franzosen, alle verwendeten das Tullnerfeld um zu plündern, zu brandschatzen oder vielleicht auch nur zum Durchmarsch, aber alle bereiteten der Bevölkerung unendliche Pein und Sorgen.
Diese Abhandlung soll die letzte schwere Prüfung des südlichen Tullnerfelds während des zweiten Weltkrieges etwas näher beleuchten.

Orientierung
Es ist allgemein bekannt, dass die moderne Raumfahrt auf jenen Untersuchungen und Forschungen basiert, die von Wernher von BRAUN und Walter DORNBERGER und ihren Mitarbeitern vor und während des 2. Weltkrieges angestellt wurden. Außerdem ist in unserem Heimatbezirk bekannt, dass in diesem Zeitraum eine beachtliche Menge an Einrichtungen von den Deutschen im Tullnerfeld betrieben wurde.

Wie bei der älteren Bevölkerung sicher bekannt ist, befanden sich beiderseits der Straße zwischen Trasdorf und Dürnrohr größere militärische Anlagen.
Die bekanntesten dieser Anlagen waren wohl die Donau-Chemie in ihrer damaligen Form und das Hydrierwerk Moosbierbaum, welche durch die massiven Bombenangriffe der USAAF traurige Berühmtheit erlangten. Doch Ziel dieser Angriffe waren nicht nur diese beiden Fabriken. Die Luftaufklärungen der Alliierten haben noch andere Ziele nördlich von TRASDORF ausgemacht.

Zum einen Betrieb man östlich der Straße ein Gefangenenlager. Auf einem Teil dieses Lagers steht heute der Betrieb der Firma Gerhard RAUCH GesmbH.
In diesem Lager befanden sich:
Ein Bataillon russischer Kriegsgefangener mit einem Offizier als Kommandanten, 5 Unteroffizieren und 25 Soldaten als Wachen für die zirka 260 Russen und ein Bataillon Strafgefangene mit 3 Offizieren, 10 Unteroffizieren und 30 Soldaten zur Bewachung der ca. 220 Gefangenen verschiedener Nationalitäten.
Die Häftlinge dieser beiden Bataillone wurden je nach Eignung, Verlässlichkeit und der Gefahr von Fluchtversuchen für verschiedene Tätigkeiten herangezogen.
Hauptsächlich wurden sie in der Munitionssichtungsstelle SITZENBERG-REIDLING verwendet, welche sich westlich der Straße nach Dürnrohr befand. Auf diesem Gelände finden wir heute den Badeteich Trasdorf und das Gemeindesammelzentrum. Die Anlage „Föhrensee" liegt südlich außerhalb dieses Geländes. Andererseits fanden einige Ausgesuchte in einem zweiten Lager Verwendung, dazu später mehr.

Was hat das alles mit Raumfahrt zu tun? Nichts natürlich. Es sollte nur eine Einführung in die örtlichen Begebenheiten darstellen, eine geografische Groborientierung quasi, denn nur so kann man sich eine räumliche Vorstellung über jene Einrichtung machen, die hier eigentlich behandelt werden soll. In der nächsten Ausgabe unserer Dorfzeitung finden Sie ein Luftbild der USAAF (United States Army Air Force) und verschiedene Lagekarten.
Westlich und nordwestlich der Munitionssichtungsstelle befand sich noch ein großes Lager:


Das A4/V2 Heimatlager „ISABELLA"
Verschiedenen Luftbildern zufolge befand sich „Isabella" südlich des Güterweges von Dürnrohr nach Bärndorf, der alten Römerstrasse, auf dem Gelände des heutigen Verbund-Umspannwerkes und breitete sich noch fast einen Kilometer weiter nach Westen aus. Die heutige Bauschuttdeponie der Marktgemeinde Atzenbrugg befindet sich im Bereich der Gleisanlagen und der Verwaltungsgebäude. Die von Herrn Selle beigefügten Skizzen zeigen allesamt eine andere Lage, was höchstens mit der hohen Geheimhaltung zu erklären ist.

Die Bezeichnung „A4" war eine forschungsinterne und bedeutete „Aggregat der 4. Entwicklungsstufe", im Einsatz hieß die Rakete dann „V2", „Vergeltungswaffe Nr.2". Von diesen V - Waffen waren noch mehrere in Planung, aber schon V3 konnte nicht mehr verwirklicht werden.

Die Vergeltungswaffen
Die V1, erstmals am 12. Juni 1944 eingesetzt, also erst nach der Invasion vom 6. Juni 1944, erlangte ihre Berühmtheit durch die intensive Beschießung Londons mit den immensen Zerstörungen: Dieser Rakete werden ca. 6.000 Menschenleben und 16.000 Verwundete angerechnet, 23.000 Häuser wurden zerstört und etwa 750.000 durch die V1 beschädigt.
Auf England wurden rund 9.300 V1-Raketen abgefeuert. Von diesen erreichten nicht ihr Ziel:
2.800 wegen technischer Mängel, 2.080 wurden von der RAF abgeschossen, 1.500 wurden von der Flak abgeschossen, 520 wurden mittels Ballonsperren abgefangen.
Außerdem wurden auf Antwerpen 8.600 und auf Lüttich 3.100 der V1 abgefeuert. Von den 30.000 erzeugten V1 wurden ca. 21.000 tatsächlich abgeschossen.

Von der V2 kamen „nur" ca. 3.000 Stück zum Einsatz, erstmals am 8. September 1944, 1.000 davon trafen London und forderten 2.754 Menschenleben, 6.523 wurden verwundet.

Das Lager ISABELLA, wie einige andere auch (10 innerhalb des Reichsgebietes und 7 in besetzten Feindgebieten), wurde im Jahr 1943 in aller Eile von den Deutschen errichtet, um bei Luftangriffen der Alliierten möglichst nicht die gesamten Bestände der wertvollen V2-Raketen zu verlieren. Es handelte sich um ein reines Nachschublager, in dem noch keine Forschung oder Entwicklung betrieben wurde aber doch geplant war. Aus dem Buch des Herrn Richard RICHTER, „Die Geschichte der DONAU-CHEMIE" entnehmen wir, dass die Hafenanlagen an der Donau im Werk Pischelsdorf zu einem Drittel für die Trasdorfer Anlagen vorbehalten waren, um die Mittel für Forschung, Erzeugung und Lagerung der V2-Raketen auch auf dem Wasserweg zu- und abtransportieren zu können. Wir können also davon ausgehen, dass die Wiege der heutigen Raumfahrt nicht in Trasdorf lag, leider!

Trotzdem möchte ich in der Folge einige Begebenheiten schildern, die sich in und um diese Versorgungseinrichtung in ihrem kurzen Bestehen abspielten. Wie schon Eingangs erwähnt, stammen diese aus einem Schriftwerk des damaligen stellvertretenden Kommandanten dieses Lagers, Herrn Siegfried Selle, der dieses von März 1975 bis November 1978 unter Mithilfe eines Kameraden niederschrieb. Leider liegt uns davon nur eine Kopie vor, deren Qualität sehr zu wünschen übrig lässt. Außerdem hat der Verfasser seine Erinnerungen nach Fachgebieten geordnet, sodass die verschiedenen Begebenheiten meist aus mehreren Teilen des Schriftwerkes und auch aus anderen Quellen zusammengestellt werden mussten. Die damalige Kopiertechnik hat auch mehrere letzte und vorletzte Zeilen verschiedener Seiten nicht wiedergegeben.

So fing es an
Schon vor dem 2. Weltkrieg wurde von den Deutschen intensiv Raketenforschung betrieben. Ursprünglich sollten diese Forschungen zur bemannten Raumfahrt führen, die kriegerischen Absichten der nationalsozialistischen Machthaber führten aber bald zu einer Zweckentfremdung. Diese Raketen sollten große Bomben (etwa 1000 kg Sprengstoff) über große Entfernungen transportieren können und ein Ziel möglichst genau treffen können. Die V1 hatte eine Einsatzschussweite von 250 bis 320 km; damals eine beachtliche Weite. Nach den Blitzerfolgen der deutschen Wehrmacht in den Jahren 1938 bis 1940 entzog Hitler dem Raketenprojekt seine hohe Dringlichkeitsstufe, da man aufgrund der eigenen Überlegenheit die neuartigen Raketen offenbar nicht mehr benötigte. Trotzdem ließ GenObst Walther von BRAUCHITSCH die Raketenforschung in PEENEMÜNDE auf der Insel USEDOM in der Stettiner Bucht an der Ostsee weiterführen. Er ließ einen Stab von 4000 Technikern und Forschern, allen voran Wernher von Braun, die Raketenforschung gegen die ausdrückliche Anweisung Hitlers vorantreiben
 

josef

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Teil 2 - Bericht von S.Selle im "Moosberbaumer Dorfblatt'l Ausgabe 14

2. Teil, erschienen in Ausgabe 14:
Folge 2

So fing es an

Im Jahre 1943 gelang erstmals nach unzähligen Fehlversuchen der Start einer V2. Schon damals hatte Wernher von Braun die Grenzen der Feststoffrakete (V1) erkannt und konzentrierte die Forschung auf die flüssigkeitsbetriebenen V2-Raketen. Die erste V2 flog 297 km weit, von Zielgenauigkeit konnte aber noch keine Rede sein. Im Einsatz erreichte sie eine Geschwindigkeit von 5.500 km/h, eine Flughöhe von 90 km und eine Reichweite von 370 km bei schon viel besserer Trefferlage.
Am 7. Juli 1943 erteilte Hitler persönlich den Auftrag zur Produktion der V2. Die militärische Lage hatte sich schon derart verschlechtert, daß man mit Hilfe der V2 noch eine Wende herbeiführen wollte. Die Erzeugung lief auf Hochtouren (30.000 bis 35.000 Spezialisten wurden in Peenemünde zusammengezogen) als die Royal Air Force die Anlage mit einem gigantischen Bombenteppich schwerst beschädigte. Laufende Störangriffe waren an der Tagesordnung. Man entschloß sich, die V2-Erzeugung in die Gips- und Kalibergwerke im Harz zu verlegen. Schon vorher war die Errichtung von Lagerstätten befohlen, die durch ihre Streuung ein Bombardement erschweren sollten. Eines dieser Lager war jenes in Trasdorf.

Die Vorbereitungen
Im Frühjahr 1943 wurde mit der Errichtung des Lagers begonnen und es wurde in Rekordbauzeit von nur 6 Monaten fertiggestellt.
Während dieser Zeit wurde Herr Selle in Peenemünde an der V2 ausgebildet. In diesem Zeitraum erlebte er zahlreiche Luftangriffe der RAF und berichtete von großflächigen Zerstörungen und hunderten Todesopfern. Vor dieser Ausbildung wurde Hr. Selle von General Dornberger und von Wernher v. Braun persönlich mittels Handschlags vereidigt. Dadurch erhielt er in seinem Soldbuch die Eintragung „Geheimnisträger 1. Klasse“, was einen Einsatz an vorderster Front ausschloß.

Das Lager
Isabella bestand aus 45 Lagerbaracken, die alle mittels Feldbahngeleisen erreichbar waren. Insgesamt wurden 12 km dieser Geleise verlegt.
Die Feldbahn führte wieder zu einer Umladestelle, bei der Raketen von der Eisenbahn auf die Feldbahn und umgekehrt verladen wurden.
An Nebengebäuden gab es noch Munitionshäuser, Lokschuppen, Wachhäuser und Wohngebäude. Selbst ein Großteil der Munitionshäuser hatte einen Feldbahnanschluß. Bei der Verladestelle standen zwei Zehntonnen- Pionierkräne für die nötigen Umladearbeiten zur Verfügung, für sonstige Ladearbeiten ein Fünftonnen Straßenkran. Zur Ausleuchtung der Arbeitsstellen verwendete man sechs Azetylen-Scheinwerfer, da die Verladung nur nachts stattfand.

An Personal befand sich im Lager:
Ein Verwalter mit einem Schreiber, zwei Lagergruppen, eine Arbeitsgruppe (Lok- und Kranführer), ein Transportbegleitzug (32 Mann), ein Wachzug (3 Gruppen, insgesamt 23 Mann), in der Küche ein Koch mit drei weiblichen Gehilfen und fünf russischen Gefangenen (vereinzelt wurden verlässliche Russen auch für Verlade-, Instandsetzungs- und Bergearbeiten herangezogen).

Mit Einbruch der Dunkelheit wurde über das Anschlußgleis der Bahn eine Zugsgarnitur vom Bahnhof Sitzenberg-Reidling so ins Lager verschoben, daß die letzten drei Waggons bereits unter den beiden 10 t-Kränen standen. Jeweils zwei Raketen lagen auf einer Kombination von 3 Waggons (zwei größere und ein kleinerer in der Mitte). Die Raketen wurden ohne Treibstoff und ohne Sprengkopf transportiert und wogen je 4.500 kg. Die Sprengköpfe wurden auf anderen Waggons transportiert und waren samt der Transportkiste je knapp zwei Tonnen schwer. Nachdem die Schutzplanen von den Waggons entfernt waren, wurden die Aggregate auf die Feldbahn verladen. Anschließend wurden die Raketen mit den Feld-bahnwagen zu den Lagerhallen gefahren und auf den dafür vorgesehenen Betonsockeln abgesetzt. Dieser Vorgang ist jedoch nicht genauer beschrieben, denkbar wären aber Gerüste mit Flaschenzügen. Über die Anzahl der A4-Waggons finden sich keine Angaben, aber es mußte in den Spitzenzeiten die ganze Nacht durchgearbeitet werden, um das Arbeitspensum zu schaffen.

Warnschuß? Nein danke!
Um die hohe Geheimhaltung des Projektes zu dokumentieren, schildert Herr Selle eine Begebenheit:
A4-Zuggarnituren wurden durch eine Wache (ein Offizier, ein Unteroffizier und 8 Soldaten) gesichert. Als in einem Bahnhof ein Eisenbahner die Kupplungen überprüfte, reagierte er zu spät auf den Warnruf der Wache und wurde, bevor er die Parole angeben konnte, erschossen. Die Angst vor Saboteuren war sichtlich groß.

Die Bomber kommen
Nachdem schon im Juni 1944 alliierte Bomber begannen, das Tullnerfeld zu bombardieren, hatten die Angreifer natürlich auch Luftbilder der Gegend zur Verfügung (genau ab 13. April 1944). Das Gefangenenlager und die Munitionssichtungsstelle waren zwar nicht die konkreten Angriffsziele, Fehlabwürfe wegen der Vernebelungen und aufgrund der Streuung richteten aber auch schwere Schäden an.
Ein Treffer im Lager Isabella hätte jedenfalls enormen Schaden an der Zivilbevölkerung und im Gefangenenlager angerichtet. Ob die genaue Bestimmung von Isabella den Angreifern überhaupt bekannt war, ist mehr als fraglich. Durch den übereilten Bau des Lagers hatte man auf jegliche Tarnung gegen Luftsicht schlicht vergessen. Es ist aber auch möglich, daß man sich bei der Befehlserteilung zur Errichtung desselben der Luftüberlegenheit noch so sicher war, daß man auf Tarnung einfach verzichtete. Mit Beginn der Angriffe stellte sich dies aber als folgenschwerer Fehler heraus. Durch die markante Anlage im Fischgrätmuster war das Lager selbst aus großer Höhe einwandfrei zu identifizieren.

Der Räumungsbefehl
Anfang Dezember 1944 machte die Lagermannschaft eindeutig die Beobachtung, daß Nachtaufklärer die Ladearbeiten fotografiert hatten. Nach sofortiger Meldung an den Sonderstab A4 in Berlin erhielt das Lagerkommando prompt den Räumungsbefehl.

Mit Beginn des Jahres 1945 rollten somit Tag und Nacht pausenlos V2-Züge aus dem Lager. Am Morgen des 5. Februar 1945 verließ der letzte mit V2 beladene Zug das Lager.

Es ist kaum vorstellbar, welche enormen Leistungen die gesamte Verlademannschaft im Kampf gegen die Zeit, die Kälte, Schneestürme und gegen Erschöpfung erbrachte, zumal dies alles nachts zu leisten war und bei Tag Schäden zu reparieren waren.

Zum damaligen Zeitpunkt waren dort 500.000 kg Sprengstoff eingelagert, der für die V2 eigens zusammengestellt wurde, um eine höhere Brisanz zu erreichen. Diese Menge entspricht rund 500 Raketen oder 2.750 t Gesamttonnage, was 110 Ladungen heutiger LKW-Züge entsprechen würde. Ein Volltreffer in diese Sprengstoffmenge hätte eine Kettenreaktion zur Folge gehabt, die in ihrer Wirkung mit der Hiroshima-Bombe vergleichbar gewesen wäre. Die Zerstörungen im Tullnerfeld wären katastrophal gewesen.
Noch während der Räumung des Lagers wurden von den Alliierten laufend Angriffe geflogen, um die Produktion in der Donau-Chemie und im Hydrierwerk Moosbierbaum empfindlich zu stören und um die Kampfkraft der umliegenden Flak-Batterien zu brechen oder wenigstens zu schwächen. Die Flak mußte zwar Verluste hinnehmen, fügte ihrerseits aber den Angreifern erhebliche Verluste zu.
 

josef

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Teil 3 - Bericht von S.Selle im "Moosberbaumer Dorfblatt'l Ausgabe 15

3. Teil, erschienen in Ausgabe 15:
Folge 3:

Ein Abschuss

Am 31. Jänner 1945 wurde bei einem amerikanischen Luftangriff ein viermotoriger B-24 Liberator („Befreier“)- Bomber von einer der umliegenden Flak-Batterien abgeschossen. Vermutlich nach einem Doppeltreffer zerbarst das Flugzeug in mehrere Teile, die brennend abstürzten. Weil um die abstürzende Maschine kein einziger Fallschirm zu erkennen war, war klar, dass sich kein Besatzungsmitglied retten konnte.
Der Rumpf des Bombers schlug ca. 100 m außerhalb des Nordwesttores auf einem Acker auf, die anderen Flugzeugteile einschließlich des Leitwerkes schlugen innerhalb des Lagers auf. Die Besatzung war tot, Pilot, Co-Pilot, Funker und der MG-Schütze der Bodenwanne waren bis zur Unkenntlichkeit verbrannt.
Nach ihrer Bergung (durch verlässliche russische Kriegsgefangene) wurden die Leichen auf dem Friedhof von Heiligeneich beigesetzt und nach dem Krieg in die Vereinigten Staaten überführt.
Die Besatzung war für den Absprung über Feindesland sehr gut ausgerüstet. Pilot und Co-Pilot trugen unter der Fliegerkombi Zivilkleidung, alle Besatzungsmitglieder hatten nachgedruckte Lebensmittel - Abschnitte, auf Taschentüchern gedruckte Landkarten des Donauraumes von Wien bis Linz, eine Pistole P-11 (Colt Goverment) und Proviant für eine Woche.

Großangriff

Am 7. Februar 1945 (das war eine Woche nach dem erwähnten Flugzeugabschuss bzw. nur zwei Tage nach dem Abtransport der letzten V2) erfolgte ein Großangriff auf das Tullnerfeld mit ca. 400 - 500 Bombern des Typs B-17 und B-24.
Der Angriff zeichnete sich durch eine hohe Treffergenauigkeit aus. Schon beim ersten Schlag gingen alle technischen Einrichtungen verloren, die zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig waren. Die dieselelektrische Lok für die Normalspur samt der Halle und das Stromaggregat waren getroffen. Die Gleisanlagen waren an mindestens dreißig Stellen durch Bombentrichter unterbrochen, vier Lagerhäuser und drei Munitionsbunker waren dem Erdboden gleich.

Bomberpilot wurde gerettet
Eine andere Begebenheit möge aber auch zu denken geben:
Der Pilot einer abgeschossenen amerikanischen Maschine landete mit dem Fallschirm unverletzt innerhalb des A4-Lagers. Der Bürgermeister von Trasdorf, der von den Nazis eingesetzte Watzendorfer Gastwirt namens Josef Dinny, wollte diesen Piloten erschießen, wurde aber von einigen Wehrmachtsangehörigen daran gehindert. Der Amerikaner kam in das Kriegsgefangenenlager nach Gneixendorf, wurde dort von den Russen befreit und kam dann nach Trasdorf zurück, um mit dem Nazibürgermeister abzurechnen. Dieser hatte aber schon vor dem Einmarsch der Russen Reißaus genommen.

Schwierige Entminungen
Nach jedem Angriff wurden Schäden im Lager schnellstens wieder repariert um die Anlage funktionsfähig zu erhalten. Am 7. Februar 1945 glaubte man, eine ziemlich große Anzahl von Blindgängern beobachtet zu haben. Dies war ein Trugschluss, denn eine gewisse Anzahl der Bomben war mit Zeitzündern versehen und sah somit vorerst wie Blindgänger aus. Diese Bomben konnten innerhalb von wenigen Stunden oder auch erst nach über einem Tag hochgehen.

Ein weiteres Problem stellten für die Entminungsspezialisten die vielen verschiedenen Zünder dar, die dabei verwendet wurden.
Einer der besten Bombenspezialisten, ein namentlich nicht genannter Hauptmann der Luftwaffe, wurde, nachdem er schon 190 500-Pfund-Bomben entschärft hatte, mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet.
Beim Entschärfen seiner 191. Bombe geschah es, der Sprengkörper ging in die Luft und nahm dem Hauptmann das Leben. War es mangelnde Vorsicht oder einfach Schicksal? Man wird es nie mehr erfahren.

Am 8. Februar 1945 setzte die USAAF die Bombenangriffe fast in dem selben Ausmaß fort, um offensichtlich Reparaturarbeiten unmöglich zu machen. Viele Blindgänger und Zeitzünderbomben (man konnte sie nicht unterscheiden) wurden somit von anderen Detonationen wieder verschüttet, Entschärfungen wurden immer schwieriger, teilweise unmöglich.

Am 9. Februar 1945 waren schon eine Menge Störtrupps unterwegs, um Nachrichtenverbindungen zu reparieren, als per Funk die Luftlage durchgegeben wurde. Zu diesem Zeitpunkt hörte man auch schon das monotone Brummen der Bomberverbände. Herr Selle führte eine kleine Gruppe des Lagerpersonales, vor allem die verängstigten Frauen, Richtung Trasdorf. Schon nach 300 Metern mussten sie in einer kleinen Schottergrube Deckung suchen, da die erste Angriffswelle schon das Lager erreichte. Da die zweite Welle weiter nördlich im Bereich Dürnrohr-Zwentendorf niederging, schickte Herr Selle die Leute in den Steingraben, wo Erdhöhlen als Unterstand zur Verfügung standen, um Deckung zu suchen. Er selbst ging zurück ins Lager, um nach dem Rechten zu sehen. Was er vorfand, übertraf seine schlimmsten Befürchtungen: Die 12 Mann des Rücklasskommandos hatten in einem Luftschutzunterstand Schutz gesucht. Gerade dieser Unterstand hatte einen Volltreffer abbekommen, und keiner hatte überlebt!
 

josef

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Teil 4 - Bericht von S.Selle im "Moosberbaumer Dorfblatt'l Ausgabe 16

4. (letzter)Teil , erschienen in Ausgabe 16:
Folge 4

Vor dem Rückzug

Mit Beginn der letzten Märzwoche 1945 wurden alle Vorbereitungen getroffen, das Lager oder was davon noch übrig war, zu sprengen. Es waren, laut Herrn Selle, nur noch dreißig, zum Teil verwundete Männer übrig.

Es galt folgendes zu vernichten:
Sämtliche Gleis- und Weichenanlagen, Vierzig Waggons, 20 Munitionsbunker (teilweise noch mit russischer PAK-Munition belegt), 12 Lagerhäuser (darin ca. 10.000 Paar Bergschuhe, 10.000 Paar Schi, 1000 Finnen-Akja, 10 Waggonladungen Schuhleder, eine große Menge Papierwaren und vieles mehr)
Die Sprengung erfolgte am 7. April 1945 um sechs Uhr abends. Zwei Stunden vorher konnten sich, laut Hrn. Selle, die Trasdorfer noch mit Brauchbarem eindecken. Zeitzeuge Josef Fitz, Jahrgang 1930, hingegen erzählt, dass die Leute erst nach der Sprengung nach Verwertbarem suchen konnten und auch einiges fanden. Der Großteil der vielfältigen Bekleidungsgegenstände war jedoch unbrauchbar oder wurde ein Raub der Flammen.

Eine weitere Ungereimtheit:
Herr Handelsberger berichtet, dass die Sprengung der Lagerreste durch die Waffen-SS erfolgt sei. Dem widersprechen sowohl Hr. Selle als auch der Zeitzeuge Josef Fitz: „Die Sprengungen sind durch die letzten Lagermannschaften selbst durchgeführt worden.“
Man fand auch eine Glocke. Offensichtlich wurde diese aus dem Osten zum Einschmelzen nach Hause verfrachtet. Es kam aber nicht dazu, sie wurde hier wahrscheinlich als Lagerglocke verwendet. Aus dem Osten? Ja, denn sie trägt zyrillische Lettern und das Bild des heiligen Nikolaus. Wer die Glocke aufbewahrt hat, wissen wir nicht. Sie wurde vorerst in der Pfarrkirche von Heiligeneich montiert, wo sie am 2. Dezember 1945 erstmals läutete.
Am 27. Juni 1948 wurde genau diese Glocke in der wiederhergestellten Dorfkapelle in Tautendorf eingeweiht. Bis heute dient sie den Tautendorfern als Gebetsglocke. (Aus dem Buch „Zeugen des Glaubens aus Holz und Stein“ von Alfred Fröhlich und Rudolf Reither).

Im Zuge der Recherchen konnten mir einige Zeitzeugen ein paar Erinnerungen erzählen:
Bei dem Großangriff am 7. Februar 1945 flüchtete die Familie Primer aus Trasdorf in ihren Erdkeller in der Erdpreß. Frau Anna Otzlberger, geb. Primer (Jg. 1931), Kremserstr. 45, erzählt:
Wir waren 11 oder 12 Leute, Vater Leopold und Mutter Anna, Schwester Leopoldine (heute Frau Kronawetter), Josef Primer (Bruder des Leopold), Frau Maria Sappert, Frau Hösl, ein polnischer Fremdarbeiter und noch ein paar Leute, aber die Erinnerung fehlt. An diesem Tag traf eine Bombe genau unseren Keller. Wir waren verschüttet und konnten erst nach einiger Zeit durch eigenes Graben und durch Hilfe von Außen befreit werden. Es war schrecklich. Frau Hösl und der Pole waren tot. Mein Vater und Onkel Josef waren schwer verletzt. Die beiden wurden ins Haus gebracht und versorgt. Es dauerte Stunden, bis endlich ein Rettungswagen die beiden nach St. Pölten ins Spital bringen konnte.“

Die Greißlerei Reisner wurde durch eine Bombe total zerstört.Opfer gab es dabei keine, die Familie war in einem Keller.
Am Anfang der heutigen Fabriksstraße schlug eine Bombe ein und richtete schwere Schäden an: beim Ferdinand Doppler, heute Fam. Altmann, wurden Haus und Einfahrt so getroffen, dass eine Menge Schutt vermischt mit Getreide auch im Hof der Nachbarn, Fam. Lust, zu liegen kam; der Familie Hasenzagl (heute Ferdinand Mandl) wurde der Stadel und ein Schuppen schwer beschädigt, die Binderwerkstätte Hinterleitner und deren Wohnhaus ebenso. Das Haus der Familie Munsch wurde von einer anderen Bombe total zerstört.
Herr Josef Muck kam im Steingraben durch eine Bombe um.
In der Bahnstraße, wo heute das Feuerwehrhaus steht, gab es ein Gefängnis. Hier befanden sich etwa 20 Gefangene, hauptsächlich Ausländer. Diese wurden den Bauern als Ersatzarbeiter zur Verfügung gestellt, um die an die Front Eingezogenen wenigstens teilweise zu ersetzen. Morgens ging die Wache mit den Männern durch das Dorf und verteilte sie an jene Häuser, die gerade Kräfte brauchten. Diese Arbeiter waren meist fleißig und zuverlässig, außerdem war bei den Bauern die Kost meist besser und reichlicher. Am Abend sammelte die Wache die Männer wieder ein und nahm sie in Gewahrsam.

In die Lehmwände des Scheuerweges wurden annähernd 30 Höhlen gegraben, in denen die Gefangenen aus dem Lager, welches sich auf der rechten Seite von der Dürnrohrerstraße befand, bei Bombenangriffen sicher untergebracht wurden.

Die Erdhöhlen im Steingraben standen nur dem Lagerpersonal als Luftschutzunterstand zur Verfügung. Sie wurden auch als Lagerräume genutzt.

Die Munitionssichtungsstelle Sitzenberg-Reidling
Obwohl die beiden Einrichtungen in der Katastralgemeinde Trasdorf lagen, ist die Munitionssichtungsstelle nach jenem Bahnhof benannt, von dem das Zubringergeleise geführt wurde, und das war eben Sitzenberg-Reidling. Dieses wurde vom östlichen Bahnhofskopf in Sitzenberg Richtung Trasdorf verlegt und lag nördlich des Hauptgeleises auf einem tieferen Niveau.

Der Betrieb von solchen Sichtungsstellen war deshalb notwendig, da man verschossene Kartuschenhülsen dringend als Rohstoff brauchte und Munitionskisten in den Fabriken nicht immer neu hergestellt werden konnten. Außerdem mussten beschädigte Geräte zur Instandsetzung gebracht oder, so sie unbrauchbar waren, als Schrott wiederverwertet werden.
Zu einem gewissen Teil geschah dies auch mit erbeuteten Waffen, Geräten und Munition. Ein ganz gutes Beispiel dafür war die russische MP-41, die sich im Kampf ihrem deutschen Pendant, der MP-40 gegenüber als wesentlich verlässlicher erwies. Aber auch Beute-PAK (Panzerabwehrkanonen) wurden von den Deutschen erfolgreich eingesetzt.
Es wurden also erbeutete Waffen und Munition, wenn sie von der Truppe nicht gleich eingesetzt wurden, mit der Eisenbahn ins Hinterland gebracht, um in Mun-Sichtungsstellen sortiert, verpackt, zum Teil gelagert und später an die Bedarfsträger wieder ausgeliefert zu werden.
Und angeliefert wurde eine ganze Menge. Täglich trafen bis zu 60 Eisenbahnwaggon mit Material ein und wurden natürlich verarbeitet. Die etwa dreißig Waggon Altmetall (Schrott) täglich wurden schnellstens in Schmelzöfen abgefahren.
Unbrauchbare Munition wurde täglich gesprengt.
Für all diese Arbeiten standen Gefangene aus dem Lager gegenüber der Straße zur Verfügung. Der Betrieb gestaltete sich äußerst schwierig, da die Angehörigen des deutschen Strafbataillons aus allen Nationen Europas stammten und auch die Russen selbst verschiedene Dialekte sprachen.
Täglich mussten zwei Dolmetscher in fast einem Dutzend Sprachen alle Anweisungen und Verbote laut bekannt geben. Zweimal täglich unterzog man alle Gefangenen einer Leibesvisitation um Diebstähle zu verhinden.
 
H

hebbel

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@Josef :bravo: Sehr schön. Also hat diese "Ährenstruktur" der Feldbahngleise, wie in Slate auch angelegt, nicht getäuscht.

Vielen Dank
Dieter
 

josef

Administrator
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@Josef :bravo: Sehr schön. Also hat diese "Ährenstruktur" der Feldbahngleise, wie in Slate auch angelegt, nicht getäuscht.
Vielen Dank
Dieter
Ja, "Ährenstruktur" oder "Fischgrätmuster" an den 3 österreichischen Standorten ist jetzt endgültig nachgewiesen!

Trasdorf -> Isabella
St. Egyden -> Maria u.
Groß Mittel -> Lina

Nur die tatsächliche Belegung der Lagerstätten mit A4 ist noch nicht eindeutig erwiesen! Der Bericht von Selle weist einige, sagen wir mal salopp, "Unklarheiten" auf...

Nur ein kleines Beispiel: Bei durch Lubi und Geheimdienstberichten eindeutig erkannten 45 Lagerhütten für je 1 Stk. A4 :
Mit Beginn des Jahres 1945 rollten somit Tag und Nacht pausenlos V2-Züge aus dem Lager. Am Morgen des 5. Februar 1945 verließ der letzte mit V2 beladene Zug das Lager.
... usw.!

lg
josef
 

SuR

... wie immer keine Zeit ...
Mitarbeiter
... "Unklarheiten" ...

Nur ein kleines Beispiel: Bei durch Lubi und Geheimdienstberichten eindeutig erkannten 45 Lagerhütten für je 1 Stk. A4 : ... usw.!
Was genau ist an dieser Stelle denn jetzt unklar?


Die hatten ja, wenn ich das richtig sehe, nur ein Anschlußgleis und überschaubare Rangierflächen.
Daher *könnte* es notwendig gewesen sein, immer erst den einen Zug fertig zu beladen und abfahren zu lassen, bevor der nächste reinfahren und beladen werden konnte.
Und da die meisten Zugbewegungen sicher nachts passierten (wegen der am Tag weithin sichtbaren Rauchsäule der Lok) und das Verladen dieser hundeschweineteuren Waffensysteme sicher auch recht zeitintensiv war, wird da schon ein erheblicher Zeitdruck geherrscht haben.

Wie viele A4s passten denn durchschnittlich auf einen solchen Zug?
 

josef

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Was genau ist an dieser Stelle denn jetzt unklar?
...rollten somit Tag und Nacht pausenlos V2-Züge aus dem Lager...und das ca. 30 (bis max. 36) Tage bei einer Lagerkapazität von max. 45 Stk. A4? (1 Stk/Hütte).
Transportmittelbedarf von 3 Waggons für 2 Stk. A4! Ein Transportzug wird sicher aus mehreren solcher 3-er Kombinationen a 2 Stk. bestanden haben und da hätte man nicht den ganzen Jänner + 5 Tage im Februar zur A4-Räumung gebraucht...?
Wie viele A4s passten denn durchschnittlich auf einen solchen Zug?
@Henry ist gefragt:)

lg
josef
 
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