Zillingdorfer Wald
Hallo Gemeinde :baaaeee .
Ich bin zwar schon seit längerer Zeit ein eifriger Leser dieses Forums, hatte aber bis jetzt nicht die Gelegenheit meinen "Senf" dazuzugeben.
Vielleicht kann ich etwas Licht in die Sache um das Gelände in Neudörfl bringen. Da ich in diesem Ort wohne, habe ich Zugang zu einer Art Chronik von Neudörfl aus dem Jahr 1982.
Dort steht folgendes geschrieben:
ZILLlNGDORFER WALD - GEHEIME KOMMANDOSACHE
Mitten im Zweiten Weltkrieg - im Jahre 1943 - wurde der östlich an Neudörfl angrenzende Zillingdorfer Wald zum "kriegswichtigen Objekt". Unter dem Deckmantel geheimer Kommandosache geschah zunächst für die Bewohner Neudörfls gar manch Merkwürdiges.
Auf dem schmalen Ackerstreifen zwischen Pöttschinger Straße und Waldsaum entfaltete sich eines Tages, beginnend von der Höhe des Gasthauses Fischer bis zum Wald hause der Familie Glaserer, rege Bautätigkeit.
Ausländische Fremdarbeiter in Zivil errichteten innerhalb kürzester Zeit zahlreiche Baracken, die teils als Unterkünfte, teils als Büros dienten. Als letztes Gebäude wurde unweit des heutigen Grenzgasthofes ein Haus gemauert, das offensichtlich dem Leiter des gesamten Projektes als Wohnung diente.
Was hatte das alles zu bedeuten? fragten sich die Neudörfler. Groben Schätzungen nach befanden sich hier mehrere hundert ausländische Zivilisten, die von deutschen Soldaten bewacht wurden. Ortsbewohnern war der Zutritt nicht gestattet.
Bald verbreitete sich das Gerücht, dass hier im Zillingdorfer Wald die immer wieder ins Gerede gebrachte "Wunderwaffe" oder zumindest ein Teil davon produziert werden sollte. Dies trug bei den Neudörflern jedoch keineswegs zu ihrer Beruhigung bei, begannen doch um diese Zeit bereits die Bombenangriffe auf militärische Ziele in Wiener Neustadt, und man befürchtete, dass die Amerikaner nun auch Neudörfl bombardieren würden.
Diese Befürchtung blieb zunächst unbegründet, auch dann noch, als jenseits der Pöttschinger Straße, also in unmittelbarer Nähe der unheimlichen Anlage eine Flakbatterie Stellung bezog.
Alles schien in ruhigen Bahnen zu verlaufen. Täglich kam ein Trupp der Fremdarbeiter mit Zisternen zum öffentlichen Gemeindebrunnen, der sich in der heutigen Matthias Kollwentz-Straße vor dem Hause Nr. 47 befand, um frisches Wasser für das Barackendorf zu holen.
Mit der Zeit schlossen einige der Fremdarbeiter sogar Bekanntschaft mit den Dorfbewohnern. Unter ihnen befanden sich viele Holländer und Belgier, größtenteils junge intelligente Männer. Wenn auch die Einheimischen selbst nicht viel zu essen hatten, ein Butterbrot konnten sie noch immer entbehren.
Wer jedoch versuchte, den Ausländern das Geheimnis des Zillingdorfer Waldes zu entlocken, wurde enttäuscht. Entweder die Fremden wussten selbst nicht, worum es ging, oder sie hatten Angst, auch nur das Geringste zu verraten.
Und doch sprach es sich in Neudörfl bald
herum, dass im Wald ein groß angelegtes Netz von Betonbunkern errichtet wurde. Offenbar sollten in diesen unterirdischen Fabriken in naher Zukunft kriegswichtige Erzeugnisse hergestellt werden.
Dazu sollte es jedoch nicht mehr kommen.
Wieder heulten eines Tages die Sirenen und kündigten feindliche Bomber an. Und wenig später, quasi im Vorbeifliegen, fielen in unmittelbarer Nähe des Barackendorfes die ersten Sprengbomben. Es hatte den Anschein, als wollten die Amerikaner diskret ankündigen: macht euch keine Hoffnungen, wir wissen längst, was hier geschieht. Nur aus Rücksicht auf die Fremdarbeiter haben wir das Gelände bisher verschont...
Von diesem Tag an wurden die Arbeiten an dem Projekt eingestellt. Die Arbeiter blieben wohl noch da, doch ihre Tätigkeit bezog sich nicht mehr auf den Weiterbau der Anlage. Das Barackendorf war fortan ein normales Lager für Internierte. Die Annahme, dass aus ihren Reihen die geheime Kommandosache verraten wurde, ist nicht von der Hand zu wei¬sen.
Ebenso unauffällig, wie sie eines Tages aufgetaucht waren, verschwanden die Fremdarbeiter. Als die Russen Anfang April 1945 in Neudörfl einzogen, stand das Barackendorf bereits gespensterhaft leer und verlassen da.
Es dauerte nicht lange, und auch die Baracken waren verschwunden. Daran waren allerdings nicht die Russen schuld, sondern die Dorfbewohner und mit ihnen auch mutige Leute aus den benachbarten Ortschaften und selbst aus Wiener Neustadt.
Beinahe fachmännisch wurden die Holzbaracken abgetragen, nachdem alles Inventar, bestehend aus Betten, Tischen, Stühlen und Kästen verladen worden war. Wer das Holz nicht verheizte, baute sich daheim entweder einen Schuppen, einen Hasenstall oder ähnliches.
Selbst der Ziegelbau des geflüchteten Projektleiters wurde in kürzester Zeit dem Erdboden gleichgemacht. Einrichtungsgegenstände und Bücher dieses Hauses findet man bestimmt noch heute in manchen Wohnungen.
Nachdem sich die Kriegswirren einigermaßen gelegt hatten, bot sich auch die Gelegenheit, die Geheimnisse der Anlage zu lüften. Inmitten des Waldes stießen die neugierigen Entdecker auf gewaltige Betonbauwerke, die sich größtenteils unter der Erde befanden.
Fertig gestellt war kein einziges davon, vielmehr waren die Bunker schon vielfach von Gras und Schlingpflanzen überwuchert.
Nie wurde einwandfrei geklärt, wozu diese Anlage dienen sollte. Noch heute kann man die Reste im Zillingdorfer Wald sehen.
ZILLlNGDORFER WALD - ARSENAL DES SCHRECKENS
Im Winter 1944/45, zu einer Zeit also, als die russische Front unseren Grenzen immer näher rückte, stand der Zillingdorfer Wald erneut im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Anders aber als bei der früheren "gehei¬men Kommandosache" wusste bald jedermann im Ort, worum es nun ging.
Es begann mit dem Eintreffen eines Lastzuges auf dem Neudörfler Bahnhof. Er wurde auf ein Abstellgleis geschoben und von Soldaten streng bewacht.
Bald fuhren etliche Dutzend Pferdewagen vor dem Bahnhof auf. Dann begannen russische Kriegsgefangene, Kisten aus den Wag¬gons auf die Fuhrwerke zu verladen. Ein deutscher Soldat auf dem Kutschbock, ein paar Russen zu Fuß daneben, so bewegte sich alsbald ein Wagen nach dem anderen vom Bahnhof durch die heutige Matthias-Kollwentz-Straße in Richtung Zillingdorfer Wald.
Tag und Nacht, tagelang, wochenlang rollte ein beladener Pferdewagen nach dem anderen, säuberlich mit einer Plane zugedeckt, durch das Kurial. Ab und zu bettelte ein russischer Gefangener unterwegs um ein Stück Brot, und meist war es nicht vergeblich. Die Soldaten auf den Kutschböcken schauten gnädig drüber hinweg.
Der Zillingdorfer Wald war für Zivilisten fortan Sperrgebiet. Obwohl niemand genau wusste, was hier gelagert war, ahnte doch jeder, dass es sich um ein Arsenal des Schreckens handelte.
Der Winter verstrich, und die Bevölkerung hatte beinahe vergessen, dass sie unweit eines Vulkans wohnte, der jeden Augenblick ausbrechen konnte.
Am Karfreitag war es so weit. Eine gewaltige Detonation rollte über den Ort. Glaubten viele zuerst, die nahen Russen wären zum Angriff übergegangen, wurde man bald eines anderen belehrt. Deutsche Soldaten schickten die neugierig auf der Straße versammelten Leute in die Luftschutzkeller und warnten sie vor Splittern. Man war dabei, das Munitionsdepot im Zillingdorfer Wald zu sprengen, um es nicht in die Hände der heranrückenden Russen fallen zu lassen.
Und dann brach über Neudörfl ein Inferno herein, das die bisherigen Bombenangriffe in den Schatten stellte, vor allem, was seine Dauer betraf.
Zu den ständigen Explosionen gesellte sich das Pfeifen von Granatsplittern, die krachend in Hausmauern und Dächer einschlugen und eine tödliche Gefahr für jene darstellten, die sich im Freien aufhielten.
Nachts war der glühende Feuerschein der nicht enden wollenden Detonationen weithin sichtbar und gab einen Vorgeschmack auf die nahende Front.
Erst am Karsamstag wurde es stiller, wenngleich noch immer das Knattern explodierender Munition zu vernehmen war.
Damals waren viele Neudörfler der Auffassung, dass die Sprengung der im Zillingdorfer Wald gelagerten Munition die Russen veranlasst hätte, in anderer Richtung vorzustoßen. Tatsächlich kamen die Russen dann auch Ober das Rosaliengebirge in Richtung Wiener Neustadt.
Wenige Tage nach dem Einzug der Russen in Neudörfl wagten sich die ersten Neugierigen in den Zillingdorfer Wald. Was sie hier entdeckten, ließ sie erschaudern. Der Wald glich einer Kraterlandschaft. Granaten hatten die Baumkronen zum Teil abrasiert, teilweise lagen Baumstrünke obereinander oder in den tiefen Erdlöchern, die die gesprengten Granaten gerissen hatten. Überall lagen Reste und Splitter verschiedenartiger Munition verstreut, daneben unversehrte Kisten mit nicht explodierten Geschoßen - ein Schreckensdepot ungeahnten Ausmaßes.
Erst nach und nach wurden sich die Bewohner Neudörfls über den vollen Umfang des Depots klar. Die Sprengung war in der Eile nur unvollständig durchgeführt worden, und daher entdeckten die Leute ein Arsenal, das die breite Palette des Kriegsmaterial aufzeigte: Neben gewöhnlicher Karabiner-Munition lagen Geschosse für Maschinengewehre, Granatwerfer, Kanonen verschiedener Kaliber und alle Arten von Minen und Handgranaten herum.
Es hieß, dass einige Neudörfler sogar Pistolen, fein säuberlich in Kisten verpackt, fanden und nach Hause schleppten.
Von nun an zog der Zillingdorfer Wald mit magischer Gewalt abenteuerliche Gesellen aus nah und fern an. Es hatte sich herumgesprochen, dass mit den Messinghülsen der Geschoße ebenso ein Geschäft zu machen wäre wie mit den Kupferringen, die sich an den Granatköpfen befanden.
Mit Hammer und Meißel ausgerüstet, machten sich diese leichtsinnigen Typen Ober die gefährliche Ware her. Es kam, wie es kommen musste. Bei Explosionen verloren einige ihr Leben, andere wurden zu Krüppeln. Einem diese Männer mussten beide Hände amputiert werden. Ärzte trennten ihm später die bei den Unterarmknochen, so dass Elle und Speiche beider Arme wie zwei Zangen greifen konnten...
Natürlich war der Wald lange Zeit auch un¬widerstehlicher Anziehungspunkt für die Buben des Ortes. In Leuchtspurmunition fanden sie beispielsweise kleine Seidenfallschirme, mit denen herrlich zu spielen war. Aber auch große Fallschirme entdeckten sie, darunter vor allem jene grellroten, die beim Abwurf von Nachschub verwendet wurden. Aus ihnen ließen sich wunderschöne Hemden verfertigen, in denen lange Zeit jeder zweite Neudörfler herum lief.
Außer diesen eher harmlosen Funden zog aber etwas anderes die Buben an. Es waren die Zünder von Eierhandgranaten, die beim Abziehen zur Explosion gebracht werden konnten. Dieses gefährliche Spiel kostete einigen Buben mehrere Finger, doch darf man ruhig von einem Wunder sprechen, dass dabei nicht noch mehr passierte.
Ein weiteres begehrtes Sammelobjekt waren die verschiedenen Pulverstangen und -röhrchen, die sich in den Geschoßhülsen der Granaten befanden. Besonders die Röhrchen - den Makkaroni nicht unähnlich - eigneten sich für ein lustiges Spiel. An einer Seife angezündet, den Schuh daraufgestellt, flitzten diese Röhrchen alsbald wie Raketen durch die Gegend.
Praktisch waren diese Pulverstangen auch im Haushalt. Mit ihnen konnten die Hausfrauen monatelang in ihrem Küchenherd unterzünden - Papier war ja in diesen Zeiten rar.
Rar war damals auch Brennmaterial. Die Neudörfler zogen daher in Scharen in den Zillingdorfer Wald, um entweder umgestürzte Bäume einzusammeln oder auch welche umzuschneiden und heimzutransportieren. Beim Zersägen erlebten sie dann meist böse Überraschungen, denn die Stämme steckten voller Splitter, und so manche Säge wurde dabei ruiniert. Trotzdem half das Holz über den Winter.
Als Jahre später noch immer Menschen bei Explosionen im Zillingdorfer Wald zu Schaden kamen, entschloss sich die Behörde, den Wald endgültig zu säubern.
Einige Tage lang erschütterten abermals Detonationen den Ort, doch diesmal geschah es zum Vorteil der Bewohner. Sprengsachverständige sorgten dafür, dass ab nun der Zillingdorfer Wald keine Gefahren mehr barg.
Wenn man ihn heute durchstreift, kann es aber trotzdem noch vorkommen, dass man auf Relikte aus dieser Zeit stößt. Vorsicht ist daher noch immer geboten.
LG
Da Papa