Landung von US-Truppen vor 80 Jahren auf der Insel Saipan (heute US-Außengebiet) ebnete den Weg für die japanische Niederlage

josef

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PAZIFIKKRIEG
Schlacht um Saipan: Der Anfang vom Ende des imperialen Japan
Vor 80 Jahren ebnete die Befreiung Saipans durch die USA den Weg für die japanische Niederlage im Zweiten Weltkrieg
9. Juli 2024, 15:00
Die Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944 – der D-Day – wird alljährlich als entscheidender Wendepunkt für den Zweiten Weltkrieg in Europa mit Gedenkfeiern gewürdigt. Dass nahezu zeitgleich auch mit einer großen Invasionsflotte dem Krieg auf den pazifischen Schauplätzen die letztlich entscheidende Wende gegeben wurde, spielt in der historischen Rückschau zumeist eine viel geringere Rolle. Dabei wurde hier bei der Schlacht um Saipan mit dem Sieg am 9. Juli 1944 das Tor für Angriffe auf die japanischen Hauptinseln weit aufgestoßen und damit die Niederlage des imperialen Japan vorgezeichnet – auch wenn die dortigen Machthaber dies noch geraume Zeit nicht akzeptieren wollten.

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Inselhüpfen
Die Schlacht um Saipan war Auftakt einer weitaus größeren Militäraktion, der Operation Forager. Dies war der Codename für den Eroberungsplan der Marianeninseln Saipan, Guam und Tinian. Von den Marianen aus war es möglich, die japanischen Nachschublinien in den Westpazifik zu unterbinden, und von hier aus waren die japanischen Hauptinseln in der Reichweite der Superfortress, des neuen US-Langstreckenbombers B-29. Dies war den japanischen Militärs bewusst. Sie definierten die Marianen daher als eines der wesentlichen Elemente der "Absoluten nationalen Verteidigungszone", die sich von den Kurilen, die Bonin-Inseln, die Marianen, Westneuguinea über Malaya bis nach Burma erstreckte.

Die US-Amerikaner hatten seit der Schlacht um Midway im Juni 1942 eine Überlegenheit im Pazifik gewonnen und konnten in die Offensive gehen. Mit der Taktik des "Inselhüpfens" konnten in der Folge die Salomonen, fast ganz Neuguinea sowie die Gilbertinseln und die Marshallinseln befreit werden.


Das japanische Friedensmahnmal auf Saipan.
AFP/YUICHI YAMAZAKI

Während die Japaner nun mit einem Angriff auf das weiter westlich zwischen Neuguinea und den Philippinen gelegene Palau rechneten, begannen die USA am 11. Juni mit überraschenden Luftangriffen auf die Flugfelder von Saipan und Tinian. Binnen zwei Tagen wurde dabei die Lufthoheit gewonnen. Ab 13. Juni nahmen Schlachtschiffe und Zerstörer die japanischen Küstenstellungen auf Saipan von See aus unter Feuer, allerdings mit mäßigem Erfolg.

Invasion
Am 15. Juni war schließlich der D-Day von Saipan: Bei Charan Kanoa an der südlichen Westküste der Insel landeten am Morgen die Invasionstruppen an vier Strandabschnitten, die in der Planung "Red", "Green", "Blue" und "Yellow" genannt wurden. Bis zum Abend konnten hier Brückenköpfe errichtet werden, doch die Verluste waren erheblich. Die Japaner setzten vor allem auf nächtliche Gegenangriffe, die allerdings durch schlechte Koordinierung nicht den erhofften Effekt hatten. Von Anfang an war klar, dass es für die Japaner keinerlei Chancen auf Nachschub gab. Dennoch hielt der japanische Befehlshaber Yoshitsugu Saitō stur an der Verteidigung der Insel fest – bis zum letzten Mann, wobei Saitō auch Zivilisten einrechnete. Saipan war der erste Kriegsschauplatz, an dem die US-Amerikaner mit einer nennenswerten Zahl von japanischen Zivilisten konfrontiert wurden. Rund 28.000 Menschen lebten hier und arbeiteten vor allem in der Zuckerproduktion.


Der Veteranenfriedhof auf Saipan.
AFP/YUICHI YAMAZAKI

Während die USA rund 95.000 Mann für die Invasion Saipans aufboten, hatten die Japaner hier nur etwas mehr als 31.000 Mann stationiert. Bis zum 19. Juni war die Zahl der einsatzbereiten Verteidiger auf die Hälfte reduziert, während die US-Amerikaner bis zu diesem Zeitpunkt 6000 Tote oder Verwundete zu beklagen hatten. Fast der gesamte Süden Saipans war nun unter Kontrolle der US-Truppen, und die Japaner versuchten nun, den Gegner mit selbstmörderischen Guerillataktiken zu schwächen.

Schlacht in der Philippinensee
Währenddessen versuchte die japanische Marine, auf die Invasion zu reagieren, und schickte eine Trägerflotte von den Philippinen aus Richtung der Marianen. Am 19. Juni kam es in der Philippinensee westlich der Marianen zur Konfrontation mit der US-Marine, die zahlenmäßig nur leicht, technisch jedoch enorm überlegen war. Bei geringen eigenen Verlusten konnten die US-Amerikaner bis zum folgenden Tag drei japanische Flugzeugträger versenken und hunderte japanische Flugzeuge abschießen. Die großteils schlecht ausgebildeten japanischen Piloten waren der Luftabwehr und den erfahrenen Kampffliegern der USA hoffnungslos unterlegen. Die US-Piloten nannten das Gefecht wegen der Ungleichheit in der Folge "The Great Marianas Turkey Shoot", also das "Truthahnschießen".


Ein japanischer Weltkriegspanzer auf Saipan.
AFP/YUICHI YAMAZAKI

Nach einem mühsamen Vorrücken der US-Amerikaner durch das gebirgige Zentrum der Insel musste sich Saitō bis zum 5. Juli mit dem Rest seiner Truppen – noch rund 5000 Mann – in den Norden der Insel zurückziehen. Der General erteilte am Morgen des 6. Juli den Befehl zum gyokusai. Diese finale Selbstmordattacke, auch Banzai-Angriff genannt, hat das einzige Ziel so viele Gegner wie möglich zu töten. Nach dem Befehl tötete sich Saitō durch traditionelles Seppuku, Admiral Chūichi Nagumo hingegen erschoss sich. Mindestens 3000 Personen nahmen in den Morgenstunden des Folgetages an dem Banzai-Angriff teil – der größte derartige Angriff des gesamten Pazifikkrieges. Unter den Selbstmordangreifern waren nicht nur Soldaten, auch Schiffpersonal, Hilfstruppen, Zivilisten und Verwundete nahmen an der militärisch sinnlosen Aktion teil. Zwar kamen auch drei Panzer und ein paar Maschinengewehre zum Einsatz, doch viele waren nur mit Messern und Stöcken bewaffnet. Dennoch konnten die Japaner ihrem Gegner noch ein letztes Mal erhebliche Verluste zufügen.

Sprung in den Tod
Das unnötige Sterben auf Saipan war jedoch damit noch nicht beendet: Zwar wurde die Insel von den US-Amerikanern mit dem Erreichen der Nordspitze am 9. Juli für gesichert erklärt. Doch viele Zivilisten glaubten die japanische Propaganda, die US-Amerikaner würden sie im Fall einer Gefangennahme foltern und vergewaltigen. Rund 1000 Zivilisten sprangen von den Klippen im Norden Saipans in den Tod. Diese tragischen Orte an der Steilküste sind heute unter den Namen Suicide Cliff und Banzai Cliff bekannt. Insgesamt starben bei der Schlacht um Saipan rund 30.000 japanische Soldaten – fast die gesamte Besatzung der Insel. Bis zu 10.000 Zivilisten kamen ums Leben. Die Verluste der US-Amerikaner beliefen sich auf rund 3200 gefallene Soldaten, mehr als 300 Vermisste und 13.000 Verwundete.


Auf dem Banzai Cliff steht dieses Denkmal für die Menschen, die hier in den Tod sprangen.
AFP/YUICHI YAMAZAKI

In Tokio war man sich nun der Tatsache bewusst, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war, dennoch war man zur Kapitulation noch lange nicht bereit. Allerdings entzog Kaiser Hirohito infolge des Saipan-Desasters der Regierung unter dem Premierminister Hideki Tōjō das Vertrauen. Tōjō musste am 18. Juli zurücktreten. Er wurde nach der japanischen Niederlage bei den Tokioter Prozessen als Kriegsverbrecher zum Tod verurteilt und Ende 1948 hingerichtet.


Auch dieses Mahnmal steht am Banzai Cliff.
AFP/YUICHI YAMAZAKI


Das Suicide Cliff im Norden Saipans.
AFP/YUICHI YAMAZAKI

Basis für Bombenkrieg
Die US-Amerikaner landeten am 21. Juli auf Guam und am 24. Juli auf Tinian. Bis zum 10. August waren die Marianen befreit und dienten nun als Operationsbasis für den strategischen Bombenkrieg gegen die japanischen Hauptinseln.


Die Enola Gay nach der Landung auf Tinian nach dem Abwurf der ersten Atombombe über Hiroshima.
AFP/THE NATIONAL ARCHIVES/-



Das Flugfeld auf Tinian, von dem die Bomber mit den ersten Atombomben starteten.
AFP/Satellite image ©2023 Maxar

Von Saipan und Guam starteten am 9. März 1945 325 Superfortresses, um Tokio zu bombardieren – der "Operation Meetinghouse" genannte Luftangriff war mit möglicherweise mehr als 100.000 Todesopfern und mehr als 267.000 zerstörten Gebäuden der folgenschwerste des gesamten Zweiten Weltkrieges. Von Tinian aus starteten schließlich im August 1945 ein Jahr nach der Befreiung der Marianen die B-29-Bomber "Enola Gay" und "Bockscar" mit den Atombomben "Little Boy" und "Fat Man" an Bord nach Hiroshima und Nagasaki. Nun war Japan endlich doch zur Kapitulation bereit, was die Invasion der japanischen Hauptinseln und so letztlich gigantische weitere Verluste auf beiden Seiten verhinderte.
(Michael Vosatka, 9.7.2024)
Schlacht um Saipan: Der Anfang vom Ende des imperialen Japan
 
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