Maly-Trostinec-Schau im Haus der Geschichte Österreich

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Worte im Dunkel
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Vergessener Ort der Vernichtung

Der Großteil der im Holocaust ermordeten österreichischen Jüdinnen und Juden ist an einem Vernichtungsort etwas außerhalb der weißrussischen Hauptstadt Minsk erschossen oder vergast worden. Der Ort Maly Trostinec ist nach wie vor weitgehend unbekannt. Eine Wanderausstellung, die derzeit im Haus der Geschichte Österreich (HdGÖ) gastiert, soll das ändern.

Eine Nachbarin hatte die Wienerin Rita Rockenbauer Anfang 1942 bei der Gestapo denunziert, weil sie noch Schmuck besaß, was Jüdinnen verboten war. Rockenbauer wurde verhaftet. Ihr „arischer“ Ehemann Emil, von dem sie sich kurz davor aufgrund seiner Untreue getrennt hatte, blieb unbehelligt. Monatelang war Rita Rockenbauer danach in einer Wohnung mit Dutzenden anderen untergebracht, in einem „Judenhaus“ in der Kleinen Sperlgasse 2. Neun solcher Quartiere gab es in Wien.

In diese Häuser brachte man Jüdinnen und Juden aus ganz Österreich gebracht, um eine spätere Deportation einfacher zu gestalten, vergleichbar mit der zwangsweisen Unterbringung in einem Ghetto. Rita Rockenbauer musste am Aspanger Bahnhof in Wien die Waggons reinigen, die von den Transporten in den Osten zurückkamen. „Weiß nicht wie ich das alles ertragen soll meine Teuersten – jetzt ist es vorbei mit mir“, schrieb sie an ihren Ex-Mann. Kurze Zeit später wurde sie abgeholt.


Privatsammlung Soukup
Hochzeitsfoto von Rita und Ernst Rockenbauer

Wanderausstellung erstmals in Wien
Rita Rockenbauers letzte Monate sind Teil einer Ausstellung, die derzeit im HdGÖ zu sehen ist und sich dem Vernichtungsort Maly Trostinec widmet, der im heutigen Weißrussland liegt. Die Wanderausstellung ist seit 2016 in Deutschland, der Schweiz, Tschechien, Weißrussland und nun erstmals in Österreich zu sehen und entstand in Zusammenarbeit mit deutschen, österreichischen und weißrussischen Institutionen, um die Erinnerung an einen wenig bekannten Schauplatz des Holocaust aufrechtzuerhalten.
Die Schau befasst sich mit der deutschen Besatzungspolitik in Weißrussland, mit Zwangsarbeitslagern, mit Partisanenkämpfern, Tätern und mit europäischen und weißrussischen Opfern. Dazu kommt ein Schwerpunkt über die aus Wien deportierten Jüdinnen und Juden. Unter den in Maly Trostinec ermordeten Menschen sind nach aktuellem Forschungsstand die österreichischen Opfer die größte Gruppe, mit fast 10.000 namentlich bekannten Personen, darunter viele Kinder und alte Menschen.

Im Wald erschossen
Unter ihnen waren neben Rita Rockenbauer außerdem die Wiener Schriftstellerin Lily Grün und der Tiroler Skisportpionier Rudolf Gompertz. Die für die Deportation bestimmten Menschen wurden am helllichten Tag in einem offenen Lastwagen zum Aspanger Bahnhof gebracht. Jeweils tausend Personen wurden in Güterzüge gepfercht und auf eine 1.300 Kilometer lange Fahrt in den Osten geschickt, die in der Sommerhitze des August 1942 mehrere Tage dauerte, da andere Züge im Krieg Vorrang hatten. Der Zielort: das Dorf Maly Trostinec.

Latvijas Nacionalais arhivs, Riga
Mindestens 55.000 Menschen wurden in Maly Trostinec ermordet

Dort, etwas außerhalb von Minsk, unter anderem in einem Blagowschtschina genannten Waldstück, befand sich damals einer der größten Vernichtungsorte des NS-Regimes. Mindestens 55.000 Personen, nach offiziellen weißrussischen Zahlen sogar über 200.000 Menschen wurden hier ermordet. Neun Todestransporte kamen ab Mai 1942 direkt aus Wien. Diese Menschen wurden aber nicht, wie es wenige Monate früher noch üblich war, ins Minsker Ghetto oder in ein Lager gebracht. Bis auf wenige, die für den Arbeitsdienst ausgewählt wurden, wurden sie sofort erschossen und in Gruben im Wald verscharrt oder in Gaswagen ermordet.

Die Täter kommen nur am Rande vor
Ein Gedenkstein der Republik Österreich wurde erst heuer im März eingeweiht. Auch abgesehen von diesem späten Akt des Erinnerns ist ein gemeinsames Gedenken kompliziert. In Weißrussland ist es üblich, die Helden der Roten Armee zu ehren. Ziviler, gar jüdischer Opfer eigens zu gedenken ist eine Seltenheit. Dabei löschte die deutsche Wehrmacht vor allem beim Abzug aus heutigem weißrussischen Gebiet über 600 Dörfer komplett aus. Fehlende Aufzeichnungen darüber verunmöglichen die Arbeit von Historikerinnen und Historikern aber.

Internationales Bildungs- und Begegnungswerk (IBB)
Der Gedenkstein der Republik Österreich wurde erst heuer eingeweiht

Die Regierung Minsk unter Aleksander Lukaschenko erklärte den Bau der Gedenkstätte Maly Trostinec zur Staatssache. Beim Bau seien allerdings bestehende Überreste so planiert worden, dass eine weitere Aufarbeitung nur mehr schwer möglich sei, sagt Uwe Neumärker, Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Zudem ist die thematische Ausrichtung heikel, was auch die gemeinsam erarbeitete Wanderausstellung betrifft: Die befasst sich nur am Rande mit Täterinnen und Tätern, weil in Weißrussland die Sorge groß gewesen sei, eine Aufarbeitung von Täterbiografien leiste einer Heldenverehrung Vorschub, so Neumärker.

In Österreich freigesprochen
Dabei ist gerade dieser Aspekt auch für Österreich wesentlich: Das Personal am Vernichtungsort Maly Trostinec war großteils deutsch, etwa ein Zehntel dürfte aber aus Österreich gekommen sein, schätzt Georg Hoffmann, Kurator und Historiker am HdGÖ, gegenüber ORF.at. Deutschen Behörden gelang es, 40 von ihnen namentlich zu identifizieren. Vor Gericht kam allerdings nur ein Einziger: der Gaswagenfahrer Josef Wendl, dem die Vergasung von an die 300 Menschen zur Last gelegt wurde. Er wurde 1970 von einem Schöffengericht freigesprochen.

Die Ausstellung über Maly Trostinec (der Name wird aus dem Kyrillischen unterschiedlich transkribiert, Anm.) ist unter all diesen Aspekten als Kompromiss zu betrachten. Doch dass „nichts gewusst“ kein Argument mehr sein darf, sei eine der Aufgaben des HdGÖ, betont Monika Sommer, die Direktorin des Hauses: „Wie sehr Österreich historische und politische Bildung notwendig hat, war nicht nur an den zahlreichen ‚Einzelfällen‘ sichtbar, sondern auch an den Vandalenakten gegen die Ausstellung ‚Gegen das Vergessen‘ vor unserer Haustür am Ring.“ Einige der dabei zerstörten Bilder sind inzwischen Teil der Sammlung des HdGÖ, „ebenso wie die Dokumentation des zivilgesellschaftlichen Engagements gegen die Zerstörung“.

Ausstellungshinweis
„Vernichtungsort Malyj Trostenez. Geschichte und Erinnerung“ ist bis 27. Oktober im HdGÖ zu sehen, dienstags bis sonntags 10.00 bis 18.00 Uhr, donnerstags 10.00 bis 21.00 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Magdalena Miedl, für ORF.at
Quelle: Maly-Trostinec-Schau: Vergessener Ort der Vernichtung
 
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