Massaker im Gefangenenhaus Krems-Stein am 6. April 1945 und "Kremser Hasenjagd"

josef

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Gedenken an „Kremser Hasenjagd“

Zum "Massaker im Zuchthaus Krems-Stein"
Gedenken an „Kremser Hasenjagd“

In KremsStein ist nun eines Massakers gedacht worden, das im Zweiten Weltkrieg SS-Soldaten an Gefangenen verübt haben. In die Geschichte ging es als „Kremser Hasenjagd“ ein. Hunderte Gefangene wurden kurz nach ihrer Freilassung erschossen.

1.800 Gefangene waren im April 1945 in der Strafanstalt Stein inhaftiert, knapp ein Drittel davon waren politische Häftlinge. Als die Versorgungssituation infolge der Endwirren des Krieges immer schlechter wurde, beschloss die Gefängnisleitung alle Häftlinge freizulassen.

„Die Freilassung war mitten im Gang als die SS und der Volkssturm angekommen sind, die Häftlinge zurückgedrängt haben in die Anstalt und im so genannten Ökonomiehof die vielen hundert, die sich dort um ihre bereits bereitgestellten Zivilkleider abzuholen, die sind von oben aus angrenzenden Wohnungen mit Maschinenpistolen und Handgranaten niedergemacht worden“, sagt Winfried Garscha, Obmann des KZ-Verbands Wien.


Verharmlosung darf man nicht zulassen
Am Sonntag gedachten zahlreiche Menschen, darunter auch Angehörige, den Ereignissen von damals. Kränze wurden vor der Justizanstalt in Krems Stein niedergelegt. Fritz Höllischs Vater war viele Jahre in Stein als politisch Gefangener inhaftiert. „Es sind ja einige nicht beim Tor hinaus, sondern gleich über die Mauer gegangen und er ist den Weg über die Mauer auch gegangen. Vorne war für ihn klar, da kommt er nicht raus“, so der Sohn. Er gibt sich als Soldat aus und überlebt. Dieses Glück hatten jedoch nur wenige. Hunderte Menschen kamen am 6. April in Stein ums Leben.


Gerade in Zeiten, in denen Europa in vielen Ländern einen Rechtsruck erlebe, müsse man an Naziverbrechen erinnern, betonte man bei der Gedenkveranstaltung. „Ich bin die Tochter eines Widerstandskämpfers der von den Nazis geköpft wurde, nach einem unfairen Gerichtsverfahren. Ich denke, dass man die Verharmlosung durch die Neonazis nicht zulassen darf, sondern eben diese Gräueltaten, die die verbrochen haben immer wieder aufzeigen muss, damit die jungen Leute nicht glauben, es war eh nichts los“, so Elisabeth Hedrich aus Wien.
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josef

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#3
Ich habe mir das über die "Kremser Hasenjagd" durchgelesen und irgendwie ist mir das nicht bekannt vorgekommen. Nach kurzer Recherche habe ich gelernt, dass es 1945 zwei "Hasenjagden" gab.
Der Begriff "Kremser Hasenjagd" für die Morde von Gefangenen aus Krems-Stein wird erst seit einigen Jahren wegen der Parallelität der Abläufe und Handlungen mit den Verbrechen im Mühlviertel verwendet! Jedenfalls kam die Bezeichnung 2005 bei den Beiträgen zum Thema noch nicht vor.

lg
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#4
Der Historiker und Autor Robert Streibel, der sich durch die Aufarbeitung der NS-Zeit in und um Krems besondere Verdienste erwarb, präsentierte sein neuestes Werk „April in Stein“ über das Massaker im Gefangenenhaus Krems-Stein im April 1945:
Roman schildert Gefängnis-Massaker

Am Freitag wurde das jüngste Buch des Historikers Robert Streibel präsentiert. „April in Stein“ ist ein Roman über einen Massenmord an knapp 400 Inhaftierten des Zuchthauses Krems-Stein kurz vor Kriegsende, als die Rote Armee in Niederösterreich war.

Der Massenmord geschah am 6. April 1945: Der Direktor des Zuchthauses Stein wollte die Häftlinge freilassen. Es waren hauptsächlich Regimegegner und Widerstandskämpfer, die Gefängistore wurden geöffnet. Doch SS, SA und Wehrmacht griffen hart durch: Unzählige Menschen wurden im Gefängnishof erschossen. Jene, die flüchten konnten, wurden in den umliegenden Dörfern aufgegriffen. Allein in Hadersdorf (Bezirk Krems) wurden 61 Geflüchtete von der SS exekutiert.

„SSler hat einfach abgedrückt“
Dieses Massaker an etwa 400 Menschen ist Thema des Romans von Robert Streibel. In dem Buch geht es nicht nur um die Opfer, sondern auch um die Täter, „um zu überlegen, wie es so weit kommen kann. Dass Personen, die vielleicht von ihrer Einstellung her Nazis gleich von vornherein auch Massenmörder sind, wäre zu einfach. Welche Situation erfordert es, dass man dann plötzlich Dinge macht, die man für unbegreifbar hält?“

Der Roman beruht zu 80 Prozent auf Tatsachen. Der Autor hat unzählige Gespräche mit Überlebenden und Zeitzeugen geführt. So schildert etwa Josef Streibel, Jahrgang 1932, seine Erinnerungen: „Wir haben Fußball gespielt und in der Nähe war ein großer alter Kastanienbaum. Da ist einer gesessen. Von hinten ist ein SSler gekommen, hat ihm die Pistole an den Kopf gehalten und abgedrückt, und der Mann ist umgekippt. Das war ein Erlebnis, das man überhaupt nicht mehr vergisst.“

Lehren aus der Geschichte ziehen
Bei der Buchpräsentation in der Justizanstalt Stein wurde auch darauf hingewiesen, wie wichtig die Auseinandersetzung mit Zeitgeschichte ist, und die Beschäftigung mit dem Massaker von Stein, auch für die Nachkommen der damaligen Gefangenen. „Mein Großvater wurde in Hadersdorf erschossen“, erzählt Gerhard Pazderka, „die Lehre aus der Biographie meines Großvaters ist für mich, dass es wichtig ist, sich für Menschenrechte zu engagieren, und den Mund aufzumachen, wenn andere schweigen.“

Unvorstellbar ist heute auch die Brutalität des NS-Regimes, angesichts der Ausweglosigkeit der Situation. „Das alles hat sich wenige Tage oder Wochen vor dem Kriegsende abgespielt“, sagt Autor Robert Streibel, „der Fanatismus war aber offenbar so groß, dass man alles darangesetzt hat, dass Gegner des Regimes die Befreiung nicht erleben sollten.“

Einer der wenigen Überlebenden war der griechische Widerstandskämpfer Gerasimos Garnelis. Er ist nach 1945 in Krems gelieben, vor sechs Jahren ist er gestorben. Eine Gasse gegenüber der Justizanstalt Stein wird nun nach ihm benannt.
Text- u. Fotos: http://noe.orf.at/news/stories/2701052/

1. Gedenktafel bei der Justizanstalt Stein
2. Gefängnishof in Stein während der NS-Zeit
 

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Heute vor 70 Jahren...

...fand das Massaker im Gefangenenhaus Krems-Stein mit einigen hundert Toten statt und mehr als 100 weitere freigelassene politische Gefangene wurden in der Umgebung von Krems (Hadersdorf, Mautern, Furth, Paudorf, Hörfarth, Statzendorf usw.) von den Schergen des NS-Regimes ermordet!
 

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#7
Heute vor 70 Jahren...

...fand das Massaker im Gefangenenhaus Krems-Stein mit einigen hundert Toten statt und mehr als 100 weitere freigelassene politische Gefangene wurden in der Umgebung von Krems (Hadersdorf, Mautern, Furth, Paudorf, Hörfarth, Statzendorf usw.) von den Schergen des NS-Regimes ermordet!

Am Ortsende von Furth (Richtung Paudorf) befindet sich bei einer kleinen Kapelle eine Gedenktafel zur Erinnerung an die dort am 6. April 1945 von der SS erschossenen 26 Ex-Häftlinge!

LG
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#9
"Kremser Hasenjagd": Rekonstruktion eines NS-Verbrechens
Kann es nach 75 Jahren noch gelingen, Licht in ein fast vergessenes Endphaseverbrechen des Zweiten Weltkriegs zu bringen? Eine Spurensuche im niederösterreichischen Mautern an der Donau

Die Ortseinfahrt von Mautern.
Foto: Karl Reder

Eine unscheinbare Wiese an der südöstlichen Ortseinfahrt von Mautern: Der fast vergessene Tatort aus einer besonders dunklen Zeit. Am 6. April 1945 gegen Mittag überqueren vier Männer die Donaubrücke zwischen Krems und Mautern am Ostrand der Wachau in Niederösterreich. Es handelt sich um ehemalige Häftlinge der Strafanstalt Stein, die kurz zuvor entlassen worden waren.

In jenen Tagen steht die Rote Armee bereits in Wien, während Krems und Umgebung noch von der deutschen Wehrmacht gehalten werden. Tausende Flüchtlinge drängen entlang des Donautals nach Westen. Im mit knapp 2.000 Insassen völlig überbelegten Gefängnis in Stein gehen die Lebensmittel zu Ende, und zur Evakuierung der Häftlinge fehlen die Transportkapazitäten. In dieser aussichtslosen Situation lässt Franz Kodré, der Direktor des "Zuchthauses", die Zellentüren öffnen und die Gefangenen frei. Viele von ihnen waren von der NS-Justiz aus politischen Gründen inhaftiert worden. Sie machen sich nun allesamt zu Fuß in alle Himmelsrichtungen auf den Heimweg.

Aus dem kommunistischen Widerstand
Unter der vierköpfigen Gruppe, die nun durch Mautern Richtung Süden marschiert, befinden sich zwei ehemalige Eisenbahner, der 49-jährige aus Böheimkirchen stammende Ferdinand Praher und der 35-jährige Sankt Pöltener Johann Neumayer. Beide kommen aus dem kommunistischen Widerstand und saßen nach ihrer Verhaftung durch die Gestapo und anschließenden Verurteilung langjährige Zuchthausstrafen in Stein ab. Nun aber wähnt man sich endlich in Freiheit; es ist ein trügerischer Glaube.

Johann Neumayer wird nach Stein zurückgebracht, er überlebte aber den Krieg.
Foto: DÖW

Kurz vor dem Ortsende von Mautern hält der kleine Trupp bei einem Haus. Neumayer, der bereits Zivilkleider trägt, bittet die Bewohner um Wasser und um eine Schnur zum Zusammenbinden seiner Habseligkeiten. Als er nach zehn Minuten wieder auf die Straße tritt, sind seine drei Begleiter, darunter Praher, spurlos verschwunden.

Situation in Stein eskaliert
Was Neumayer nicht weiß, ist, dass in der Strafanstalt Stein in der Zwischenzeit die Situation vollends eskaliert ist. Fanatische Nationalsozialisten unter der Wachmannschaft wollen nicht akzeptieren, dass Regimegegner im letzten Moment pardoniert werden. Sie alarmieren kurzerhand den Kreisleiter mit dem Vorwand, im Gefängnis sei ein Aufstand ausgebrochen. Sofort werden alle verfügbaren Polizei- und Militäreinheiten nach Stein beordert, wo von einer Revolte freilich nichts zu bemerken ist. Trotzdem wird die Haftanstalt abgeriegelt, unter den Häftlingen bricht Panik aus. Angehörige der Waffen-SS und der Wehrmacht eröffnen das Feuer. Hunderte Häftlinge sterben im Kugelhagel. Der Direktor und drei ihm loyale Wachebeamte werden von einem Erschießungskommando an der Anstaltsmauer hingerichtet.

Danach schwärmen bewaffnete Greifkommandos aus, um die sich bereits im Umland befindlichen Häftlinge wieder festzunehmen. Viele der Angehaltenen werden nicht in die Anstalt zurückgebracht, sondern an Ort und Stelle erschossen. Mitbeteiligt bei dieser mörderischen Jagd (sie wird heute euphemistisch "Kremser Hasenjagd" genannt) sind nicht nur Soldaten und Polizisten, sondern auch Zivilpersonen, Angehörige des Volkssturms und der Hitlerjugend.

Berichte von Zeitzeugen
Jahrzehnte später, 2015, werden erstmals Erzählungen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen publiziert, die in jenen Tagen im April 1945 auf einem Feld an der südöstlichen Ortseinfahrt von Mautern die Leichen mehrerer erschossener Häftlinge gesehen haben. Katharina Fasl, damals elf Jahre alt, erinnert sich:
"Gegenüber der Kaserne war der Exerzierplatz, da waren große Gräben und wir sind oben gestanden und unten sind die in dem Graben drinnen, sind da drei oder vier Häftlinge gelegen. [...] An Details kann ich mich nicht erinnern, nur dass sie ganz mager waren, einer hatte die Augen offen, der andere hat sie zu gehabt. Ausgemergelte Gestalten, schiach mit einem Wort."
Doch wer die Menschen waren, die nur wenige Schritte außerhalb der Stadt Mautern den Tod gefunden hatten, und ob man sie später exhumierte, blieb auch nach den Augenzeugenberichten völlig im Dunkeln.

Jedoch nehmen manchmal Geschichten eine unerwartete Wendung, sobald neue Puzzleteile auftauchen: Im vorliegenden Fall ist es ein Zufallstreffer in einem Onlinearchiv: Anfang 2019 veröffentlicht der digitale Zeitungslesesaal "Anno" der Österreichischen Nationalbibliothek die Ausgaben der "Wiener Zeitung" des Jahrgangs 1948. Darin findet sich ein Aufruf des Kreisgerichts St. Pölten, dass Ferdinand Praher von sich Nachricht geben solle. Prahers Ehefrau Johanna hatte den Stein-Häftling bereits 1945 als vermisst gemeldet und nach zwei Jahren des vergeblichen Wartens die gerichtliche Todeserklärung ihres Ehemanns beantragt. In der "Wiener Zeitung" steht auch nachzulesen, wo man Praher zuletzt gesehen hatte – in Mautern.

Rekonstruktion eines Verbrechens
Rückblende 6. April 1945. Neumayer steht allein auf der Straße, seine Begleiter sind nirgends zu entdecken. Da berichtet ihm eine Passantin, ein Auto habe angehalten und sei mit den drei Männern Richtung St. Pölten davongefahren. Kurzerhand setzt Johann Neumayer seinen Heimmarsch allein fort. Er kommt bis nach Statzendorf, wird von Angehörigen der Waffen-SS angehalten, misshandelt und eingesperrt. Nur die Notlüge, er sei wegen des verbotenen Ankaufs von Schweineschmalz verurteilt worden, rettet ihm das Leben. Während rund um Statzendorf dutzende Häftlinge ermordet werden, bringt man Neumayer zurück nach Stein. Er überlebt den Krieg und kehrt gezeichnet nach Hause zurück.

Doch für das, was in Mautern geschehen ist, nachdem sich Neumayer und Praher aus den Augen verloren hatten, gibt es keine unmittelbaren Zeugen. Auf Basis von Forschungsarbeiten, die sich mit dem "Stein-Massaker" im Detail auseinandersetzen, lässt sich die Szene in Mautern annähernd rekonstruieren: Die drei Häftlinge werden mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem bewaffneten Kommando auf offener Straße aufgegriffen und in ein Fahrzeug gezwungen.

Der Wagen fährt nur wenige Hundert Meter weit und hält nahe der damaligen Luftwaffenkaserne in Mautern. Man lässt absitzen und führt Praher mit seinen beiden Gefährten auf eine mit Splitterschutzgräben durchzogene Wiese direkt neben der Straße, die im Volksmund "Exerzierwiese" genannt wird. Sie müssen sich an den Rand einer Grube aufstellen. Ihnen wird befohlen, die Schuhe auszuziehen, denn Schuhwerk gilt als Mangelware. Das wissen offenbar jene sehr genau, die hier mit kalter Routine am Werk sind. Dann fallen Schüsse. Die Mörder lassen die Leichen an Ort und Stelle liegen, besteigen ihren Wagen und fahren weiter Richtung Furth bei Göttweig, um nach weiteren Häftlingen Ausschau zu halten. Die ganze Aktion hat vermutlich nur wenige Minuten gedauert.

Derartige Szenen spielen sich an diesem und dem darauffolgenden Tag an zahlreichen Orten rund um Krems ab, so etwa in den Gemeinden Furth bei Göttweig, Gedersdorf, Hadersdorf am Kamp, Paudorf und Statzendorf. Mehrere Hundert Häftlinge werden außerhalb der Strafanstalt ermordet und in der Nähe der Tatorte verscharrt. Ein Großteil der Opfer liegt dort heute noch würdelos in unmarkierten Gräbern.

Provisorisch begraben
Aufgeschreckt von den Schüssen laufen einige Mauterner Frauen mit Bettlaken als improvisiertem Verbandszeug hinaus vor die Stadt. Doch sie können niemandem mehr helfen, die Männer sind tot. Man verscharrt die Leichen provisorisch. Ob sie später exhumiert werden, ist ungeklärt. Wahrscheinlich liegen Ferdinand Praher und seine zwei unbekannten Begleiter noch immer draußen vor der Stadt.


Luftbild von Mautern, zwei Tage nach der Erschießung der Häftlinge aufgenommen.
Foto: Luftbilddatenbank Dr. Carls GmbH, Bild-Nr. 3073, 08.04.1945

Zwei Tage nach der Erschießung der Häftlinge, am 8. April 1945, überfliegt eine US-amerikanische Fotoaufklärungsmaschine vom Typ F-5 Lightning der 15th US Air Force die Stadt Mautern und fotografiert den Ort an der Donau samt Kasernenareal aus großer Höhe. Die hochauflösenden Kameras an Bord der Maschine fertigen um die Mittagszeit Serien von Senkrechtaufnahmen an. Auf diesen Fotos ist der mutmaßliche Tatort der Mordaktion am südöstlichen Ortsrand von Mautern abgebildet. Rund 20 Hektar umfasst die Verdachtsfläche, wo die sterblichen Überreste vermutet werden (Ausschnitt A).

Auf demselben Foto ist am oberen rechten Bildrand auch das Gelände der Strafanstalt Stein gut zu erkennen samt dem frisch ausgehobenen Massengrab für die direkt im Gefängnis ermordeten Häftlinge (Ausschnitt B).

Letzte Chance auf eine würdige Bestattung
Auf Teilen der Verdachtsfläche in Mautern plant die hiesige Stadtgemeinde nun die Errichtung eines neuen kommunalen Zentrums. Das Bauprojekt könnte wohl die letzte Chance sein, nach 75 Jahren die sterblichen Überreste der drei Vermissten aufzuspüren und den Männern eine würdige Bestattung zu ermöglichen.

"Er hatte sich sehr auf ein Wiedersehen mit seiner Frau gefreut", gibt Johann Neumayer im Zuge seiner Zeugeneinvernahme 1946 mit Bezug auf Praher zu Protokoll. Ferdinand Prahers Ehefrau Johanna hat ihre letzte Ruhestätte auf dem Friedhof in Böheimkirchen gefunden. Am Grabstein eingraviert steht auch der Name ihres Mannes. Wird man in Mautern tatsächlich fündig, könnten die Eheleute zumindest im Tode wiedervereint werden.
(Karl Reder, 29.6.2020)

Karl Reder arbeitet als IT-Manager. Er beschäftigt sich mit zeitgeschichtlichen Themen in Niederösterreich aus regionalhistorischer Perspektive. Für seine zweibändige Publikation "Beiträge zur Stadtgeschichte von Mautern an der Donau" hat er sich auf die Spurensuche in die Zeitperiode von 1848 bis 1955 begeben. Darin wird unter anderem erstmals an die lokalen Opfer von Widerstand, Zwangsarbeit, der Schoah und der Euthanasiemorde während der Zeit des Nationalsozialismus erinnert.

Literaturhinweis
Karl Reder (Hg.), Manfred Schovanec: Beiträge zur Stadtgeschichte von Mautern an der Donau 1918–1955, Mautern 2015, ISBN 978-3-200-04023-6
"Kremser Hasenjagd": Rekonstruktion eines NS-Verbrechens - derStandard.at
 

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#12
1.836 Namen gegen das Vergessen
Viele Aspekte des Massakers der Nationalsozialisten an Justizhäftlingen des Zuchthauses Stein im Jahr 1945 gelten in der Forschung nach wie vor als ungeklärt. Ein neues Projekt versucht, Licht ins Dunkel zu bringen, und liefert dabei durchaus überraschende Erkenntnisse
Im Gastbeitrag berichtet Karl Reder über jüngste Bemühungen, die Lücken bei der Opferdokumentation im Zusammenhang mit den Steiner Häftlingsmorden zu schließen.
Wenn sich – wie zuletzt Anfang April 2022 – Vertreter der Opferverbände und Repräsentanten aus Politik und Verwaltung am Friedhof von Stein an der Donau einfinden, dann gedenken sie dort der Opfer eines abscheulichen Verbrechens. Am 6. April 1945 starben hunderte Justizhäftlinge der damals als "Zuchthaus" bezeichneten Strafanstalt Stein im Kugelhagel von Wehrmacht, Waffen-SS und Volkssturm.

Der Direktor wollte die Insassen des Gefängnisses angesichts des nahen Kriegsendes freilassen. Doch fanatische Nationalsozialisten unter der Wachmannschaft alarmierten die Kreisleitung in Krems unter dem Vorwand, eine Revolte sei ausgebrochen. Es folgte ein fürchterliches Blutbad, nicht nur im Zuchthaus selbst, sondern auch im Kremser Umland (euphemistisch "Kremser Hasenjagd" genannt). Das Massaker zählt zu den schlimmsten Gewaltexzessen während der Endphase des Zweiten Weltkriegs auf dem Gebiet der heutigen Republik Österreich.

Doch auch mehr als sieben Jahrzehnte später gibt es über die genaue Anzahl der Toten und Überlebenden unter den Häftlingen lediglich Mutmaßungen und grobe Schätzungen. Die in der Literatur kolportierten Angaben von 229 beziehungsweise 386 Toten wurden bisher nicht kritisch hinterfragt. Offenkundige Lücken bei der Opferdokumentation soll nun jedoch ein vom Zukunftsfonds der Republik Österreich gefördertes Projekt schließen, das der Historiker Robert Streibel gemeinsam mit mir initiiert hat. Wir beschäftigen uns bereits mehrere Jahre mit dem Thema, wobei Robert Streibel nicht nur einen Roman zu Stein geschrieben, sondern sich auch für die Gedenkarbeit verdient gemacht hat.

Neben den wissenschaftlichen und erinnerungspolitischen Aspekten soll der Aufwand auch Familienangehörigen ehemaliger Häftlinge im In- und Ausland zugutekommen. Bis in die Gegenwart suchen sie vereinzelt immer noch nach der letzten Ruhestätte ihrer vermissten Großväter oder Urgroßväter. Manche nehmen lange Anreisen in Kauf, um bei der Gedenkstätte am Steiner Friedhof Blumen für die damaligen Opfer niederzulegen.


Ehrengrab mit Gedenkstein am Friedhof Stein/Donau.
Foto: Karl Reder

Erfolgreiche Archivrecherchen
Die Umsetzung des Vorhabens erfolgt stufenweise. Zunächst galt es, die genaue Zahl und die Namen all jener Justizhäftlinge zu erfassen, die sich am Morgen des 6. April 1945 in Stein befunden hatten. Als besonderer Glücksfall für dieses Projekt erwies sich dabei der Fund von originalen Gefangenenregisterbüchern des ehemaligen Zuchthauses. Damit bot sich die einmalige Gelegenheit, die darin enthaltenen Häftlingsdaten vollständig zu digitalisieren.

In monatelanger Kleinarbeit mussten zunächst von einem Helferteam die handschriftlichen Registereinträge von rund 4.800 Personen in elektronische Listenform transkribiert werden. Es gelang schließlich, rund 1.830 Männer herauszufiltern, die sich an jenem schicksalsreichen Apriltag in Stein aufgehalten hatten. Dieses Datensegment wurde am Ende des Prozesses von den Schrifterkennungsexpertinnen Brigitte Urabl und Alexandra Schweißer von Vetera Legimus nochmals qualitätsgesichert. Zeugenaussagen aus den Volksgerichtsprozessen nach 1945, die den damaligen Häftlingsstand mit 1.836 Gefangenen bezifferten, konnten damit eindeutig bestätigt werden.

Die so erarbeitete Datenbasis bildet nun die Grundlage für die Phase 2, die weiterführende namentliche Identifizierung der Überlebenden und Toten. Als Quellen dienen hierfür beispielsweise Namenslisten jener Häftlinge, die von alliierten Truppen zu Kriegsende 1945 befreit wurden. Ergänzend dazu bieten sich regionale Friedhofsunterlagen und Exhumierungsberichte zur Überprüfung an. Anhand aufgefundener Erkennungsmarken gelang es bereits damals, die Identität eines Teils der Ermordeten im Zuge von Umbettungsarbeiten zu klären.

"Verbleib unbekannt"
Nach Abzug der überlebenden und nachweislich verstorbenen Häftlinge blieb eine größere Personengruppe übrig, deren Verbleib als unbekannt eingestuft werden musste. Zur Klärung der individuellen Schicksale kamen, angelehnt an die Herkunft der Opfer, differenzierte Methoden zur Anwendung.

Rund ein Drittel der 1.836 Häftlinge war auf dem Staatsgebiet der heutigen Republik Österreich geboren worden. Zur Recherche der Gefangenen aus Wien bediente sich Robert Streibel historischer Meldedaten. Parallel dazu nahm ich mithilfe von online verfügbaren Pfarrmatriken die Spur der aus den anderen Bundesländern stammenden Personen auf.

Neben Bürgern des Deutschen Reiches saßen in den Steiner Gefängniszellen auch sehr viele Ausländer. Sie waren als Zivilisten in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten oder als Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene innerhalb der deutschen Reichsgrenzen in die Mühlen der NS-Justiz geraten. Zur näheren Erforschung dieser Gruppe erfolgte die Kontaktaufnahme mit den diplomatischen Vertretungen von Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Kroatien, Serbien, Slowenien und der Tschechischen Republik. Den Behörden der genannten Staaten konnten vollständige biografischen Daten ihrer Landsleute zur Prüfung übergeben werden.

Ein Name, ein Schicksal
181 Namen umfasst beispielsweise die Aufstellung jener Stein-Häftlinge, deren Geburtsort innerhalb der Grenzen der heutigen Tschechischen Republik liegt. Darunter finden wir Aktivisten des tschechischen Widerstands genauso wie von der NS-Justiz verurteilte Sudetendeutsche.
Als einer der Männer auf der Liste tschechischer Häftlinge scheint Jaroslav Petráš auf, geboren 1921 im mährischen Řečkovice (Retschkowitz). Seit 1941 saß er in Stein ein, verurteilt wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu fünf Jahren Zuchthaus. Als die Exekutivkräfte am 6. April 1945 im Zuchthaus wahllos das Feuer auf die Häftlinge eröffneten, kam er inmitten der entstehenden Panik zu Sturz. Nach Kriegsende brachte er als einer der Ersten seine Erlebnisse zu Papier:
"Weil ich regungslos in einer Blutlache lag, wurde ich für tot gehalten, bekam nur einen harten Tritt und als Zugabe eine weitere Kugel, die mich am Rückgrat versengte [...]. Ich wagte nicht zu atmen, denn ich fühlte, die Lunge war getroffen."

Kurze Zeit später wurde Petráš von weiteren Projektilen schwer verletzt. Nach dem Blutbad musste ein aus Häftlingen gebildetes Totengräberkommando die Opfer in ein frisch ausgehobenes Massengrab im Gefängnishof werfen. Dabei bemerkte ein Grieche noch Lebenszeichen bei seinem tschechischen Kameraden, ließ ihn zunächst unbemerkt zur Seite legen und dann ins Anstaltsspital bringen. Dort blieb Jaroslav Petráš schwer verwundet zurück, während die übrigen Überlebenden am 8. April 1945 in Haftanstalten nach Bayern verschleppt wurden. Nach der Befreiung von Krems durch die Rote Armee verlegte man Jaroslav Petráš ins örtliche Krankenhaus, von wo er Ende Mai 1945 nach seiner Genesung den Heimweg antreten konnte.

Erste überraschende Ergebnisse
Über Vermittlung von Botschafter Jiří Šitler übernahm das Prager Innenministerium dankenswerterweise die Prüfung der vom Projektteam bereitgestellten Namensliste. Dabei lag der Schwerpunkt auf den rund 100 ungeklärten Fällen. Tatsächlich gelang es den Behörden, darunter eine überraschend große Anzahl von Personen zu identifizieren, die den 9. Mai 1945 überlebt hatten. Der offizielle Vertreter Tschechiens zeigte sich ausgesprochen interessiert und bedankte sich anlässlich eines Empfangs in der Botschaft Anfang Oktober 2022 persönlich beim Projektteam für den geleisteten Beitrag zur Erinnerungsarbeit beiderseits der Grenze.


Robert Streibel, Botschafter Jiří Šitler, Karl Reder (v. li.).
Foto: Tschechische Botschaft Wien

Doch welche Faktoren haben die Überlebensrate gerade der Tschechen im Zusammenhang mit der Auflösung des Zuchthauses Stein 1945 beeinflusst? Hier spielte sicher die Geografie eine Rolle: Besonders die aus den südlichen Regionen Böhmens und Mährens stammenden Männer profitierten von der relativen Nähe zur Heimat und ihren Ortskenntnissen. Wohl kam den Freigelassenen und Flüchtigen auch der Umstand zugute, dass die von Krems-Stein nach Norden verlaufenden Verkehrswege Anfang April 1945 noch nicht unmittelbar von Kampfhandlungen bedroht waren. Die durchwegs dünn besiedelten Gebiete mit ausgedehnten Wäldern entlang der Marschroute boten auch effektive Möglichkeiten, sich zu verstecken.

Der Beitrag aus Prag und die bisherigen Recherchen in Österreich bedeuten einen signifikanten Fortschritt bei der Zusammenstellung einer umfassenden Opferbilanz des Stein-Massakers. Von den Vermissten dürfte etwa die Hälfte ums Leben gekommen sein, wenn man die namentlich nicht identifizierten Toten in diversen bekannten Häftlingsgräbern berücksichtigt. Angesichts der trotzdem hohen Zahl ungeklärter Fälle können allerdings weitere, bislang ungeöffnete Massengräber im Raum Krems nicht ausgeschlossen werden.


Vorläufige Opferbilanz des Stein-Massakers (Stand Oktober 2022).
Foto: Karl Reder

Mythenbildung und Realität
Bei der Zusammenstellung der Namenslisten wurde grundsätzlich keine Rücksicht auf den jeweiligen Inhaftierungsgrund genommen. Nach derzeitigem Forschungsstand ist dieser ohnehin nur bei einem Bruchteil der Häftlinge bekannt.

Dass sich in Stein laut bisher gängigem Narrativ "hauptsächlich" oder "überwiegend" politische Häftlinge befunden hätten, entspricht allerdings nicht den Tatsachen. Der Anteil der dort im April 1945 wegen Hochverratsdelikten eingekerkerten Männer dürfte um die zehn Prozent betragen haben, wie aus Aufzeichnungen im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) und Haftunterlagen hervorgeht. Rechnet man Urteile hinzu, die sich auf nichtkonformistisches Handeln beziehen (beispielsweise Wehrkraftzersetzung, Rundfunkverbrechen oder Sabotage), dann erhöht sich dieser Wert auf rund 25 Prozent.

Bei den übrigen Gefangenen handelte es sich – freilich nach damaligem NS-Rechtsverständnis – um kriminelle Straftäter. Hier dominierten eindeutig alle Formen von Eigentums- und Wirtschaftsdelikten, während Gewalttäter klar in der Minderheit blieben. Zu den "Kriminellen" zählte man in jener Zeit aber neben Opfern der Wehrmachtsjustiz (wie etwa Deserteuren) auch Männer, die wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt wurden (Homosexuelle).

Eine detailliertere Aufschlüsselung und Untersuchung der Häftlingsgruppen, etwa nach Nationalität und Delikt, ist Gegenstand eines eigenständigen Publikationsprojekts. Hier besteht zudem die Hoffnung, dass in der Zukunft noch weitere verwertbare Datenbestände der Forschung zugänglich gemacht werden.

Neuer Impuls für die Gedenkarbeit?
Das Thema Stein führt unausweichlich auch zur Fragestellung, wie Erinnerungsarbeit aussehen kann, die politische und kriminelle Häftlinge als NS-Opfergruppen gleichzeitig in den Kontext rückt. Zweifellos ein schwieriges Terrain, wo vielleicht der Grundsatz "Verbrechen an Verbrechern sind auch Verbrechen" eine Orientierungshilfe bieten kann.

Für das Frühjahr 2023 ist als formaler Abschluss des Projekts jedenfalls die Erstellung eines vorläufigen Endberichts an den Zukunftsfonds geplant. In welcher Art und Weise die Ergebnisse danach in die öffentliche Gedenk- und Erinnerungsarbeit zum Stein-Massaker einfließen, ist noch offen. Aber zumindest kann dann auf 1.836 Namen zurückgegriffen werden, die vor dem Vergessen gerettet und für weiterführende Forschungen gesichert werden konnten.
(Karl Reder, 17.10.2022)

Karl Reder arbeitet als Projektmanager. Er beschäftigt sich mit zeitgeschichtlichen Themen in Niederösterreich. Für seine zweibändige Publikation "Beiträge zur Stadtgeschichte von Mautern an der Donau" hat er sich auf Spurensuche in der Zeitperiode von 1848 bis 1955 begeben. Aktuell arbeitet er an einer vertiefenden Publikation über das Zuchthaus Stein 1938 bis 1945, die nicht nur die Häftlingsgesellschaft näher beleuchtet, sondern erstmals auch eine umfassende Darstellung der Morde an Justizhäftlingen im Zuchthaus Stein und an den bislang bekannten Tatorten im Umland von Krems liefern wird.

Literaturhinweise
Streibel, Robert: April in Stein. Wien 2015. (Roman)
Petráš, Jaroslav: Události v káznici Stein a. Donau v dubnu 1945 [Die Ereignisse im Zuchthaus Stein an der Donau im Frühjahr 1945], (ungedrucktes Typoskript Brno 1965). DÖW 07187


Link
Vetera Legimus


Zum Thema
Die letzten Kriegswochen 1945 im Gefangenenlager Krems-Gneixendorf
1.836 Namen gegen das Vergessen
 
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#13
MAUTERN
Nach Massaker auf Spurensuche: Drei Leichen verschollen
NÖN-Krems, 15. DEZEMBER 2022
Kathrin Vollkrann

Zeitzeugin Katharina Fasl kehrt für die NÖN gemeinsam mit Karl Reder an den Schauplatz des Verbrechens vom 6. April 1945 zurück.
FOTO: Johann Lechner

Bei „Hasenjagd“ am 6. April 1945 wurden in Mautern drei bis fünf Häftlinge erschossen. Leichen könnten bis heute in der Nähe des geplanten Gemeindezentrums liegen.
Was Katharina Fasl am 6. April 1945 mitansehen musste, hat sich bis heute tief in ihr Gedächtnis eingebrannt: Sie ist Zeitzeugin der „Hasenjagd“, einem Massaker, bei dem hunderte Häftlinge der Justizanstalt Stein im gesamten Bezirk von den Nazis und deren Anhängern ermordet wurden.

Fasl berichtet: „Wir hörten Schüsse am ehemaligen Exerzierplatz. Meine Mutter lief zum Kasten, holte ein Leintuch und machte sich auf den Weg, um zu helfen.“ Fasl – damals zehn Jahre alt – musste Grauenhaftes mitansehen: „Wir haben nichts machen können, die drei Männer waren schon tot. Ein Offizier hat uns verjagt. Ich bin durch den Gatsch nach Hause gelaufen.“ Einen tiefen Schock haben die Bilder bei der heute in Paudorf lebenden Pensionistin hinterlassen: „Ich hab‘ mich damals mit den Schuhen ins Bett gelegt und konnte eine Woche nicht reden.“

Wo genau am Parkplatz gegenüber der Kaserne die Ermordung passierte, ist heute nicht ganz klar. Fasl fragt sich, ob die drei Leichen noch dort liegen und fürchtet: „Es könnte sein, dass die drei Erschossenen im Zuge des Neubaus des Gemeindezentrums auftauchen. Ich möchte, dass ihr Andenken gewahrt wird.“

Die Ereignisse des 6. Aprils 1945 arbeitet der Mauterner Karl Reder auf. Er schreibt an seinem zweiten Buch, das Ende 2023 fertig sein soll: „Es wurden im Bezirk Krems unzählige Häftlinge ermordet, über deren Verbleib nichts bekannt ist.“

Im Fall von Mautern gibt es Hinweise, dass die drei Häftlinge 1947 mit circa 30 weiteren Leichen exhumiert wurden. „Es gibt aber keinen finalen Beleg dafür. Laut Hinweisen ist in Mautern von drei bis fünf Leichen die Rede. Mautern war damals Teil von Krems, und für den Zeitraum existieren keine Unterlagen. Ich habe nur Hinweise im Landesarchiv gefunden“, beschreibt Reder die schwierige Spurensuche. „Es kann aber auch sein, dass die Leichen noch vergraben sind. Das Areal umfasst mehrere Hektar, auch das Gemeindezentrum.“ Reder arbeitet in seinem Forschungsprojekt auch an einer Liste, die alle Opfer vom 6. April benennen soll.

Der Stadt Mautern ist die traurige Geschichte bekannt, laut Stadtrat Martin Hofbauer sei man vorbereitet: „Das Bauareal wurde vor Baubeginn sondiert und Kriegsrelikte entfernt. Wir haben die Firmen sensibilisiert und werden alles aufarbeiten, wenn etwas zum Vorschein kommt.“
Nach Massaker auf Spurensuche: Drei Leichen verschollen
 

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#14
GEDENKFEIER ZUM MASSAKER
Blutrausch 1945: Feier macht 295 Opfer unvergessen
NÖN-Krems, 27. MÄRZ 2023
Martin Kalchhauser


Mit einer Kranzniederlegung durch Polens Generalkonsul Bartlomiej Rosik, Bürgermeister Reinhard Resch und Tschechiens Botschafter Jiří Šitler endete der erste Teil der Gedenkfeier am Steiner Friedhof.
FOTO: Martin Kalchhauser

Mit der Verlesung der Namen aller 295 Opfer des Massakers zu Kriegsende in Stein - 251 starben am 6. und 7. April, 44 wurden am 15. April hingerichtet - sollen diese dem Vergessen entrissen werden. Die Gedenkfeier 78 Jahre nach Kriegsende verlief deshalb besonders berührend.
An den „Blutrausch der Angehörigen der Waffen-SS und ortsansässiger Nationalsozialisten“, dem kurz zuvor bereits entlassene Häftlinge des Zuchthauses Stein zum Opfer fielen, erinnerte Vizebürgermeisterin Eva Hollerer in ihren Begrüßungsworten.

Lasen auf dem Steiner Friedhof Namen 1945 ermordeter Menschen: Franz Langthaler, Fritz Wolrab, Dagmar Schindler, Eva Hollerer, Reinhard Resch, Jiři Šitler, Christa Hammer, Bartlomiej Rosik, Robert Streibel und Friedrich Alexander König (von links).
FOTO: Martin Kalchhauser


Lasen beim Denkmal bei der Justizanstalt: Winfried Garscha, Klaus Bergmaier, Wolfgang Mahrer, Pfarrer Matthias Martin, Elisabeth Kreuzhuber, Florian Kamleitner, Karl Reder, Alt-Abgeordneter Volkmar Harwanegg (kein Lektor, kam uneingeladen aufs Foto), Chrysanthos Galetsas, Pater Aristidis Ganosis und Harald Mörth (von links).
FOTO: Martin Kalchhauser

Die Vertreterin der Stadt Krems hieß zur Feier, die am Steiner Friedhof und beim Denkmal gegenüber der Strafvollzugsanstalt Stein stattfand, viele hochrangige Gäste willkommen. So waren unter anderem Tschechiens Botschafter in Österreich, Jiři Šitler, Polens Generalkonsul Bartlomiej Rosik, der Generaldirektor für den Strafvollzug, Friedrich König und Dagmar Schindler, die Bundesvorsitzende des KZ-Verbandes, nach Krems gekommen.

Dank an Historiker Streibel und Reder


Ein Ensemble der Voest-Werkskapelle umrahmte den ersten Teil der Feier musikalisch. „Das Massaker von Stein und die ,Kremser Hasenjagd' gehören zu den dunkelsten Kapiteln in der langen Geschichte unserer Stadt“, betonte Bürgermeister Reinhard Resch in seinen Worten. Er dankte den Historikern Robert Streibel und Karl Reder, die umfangreiche Dokumentationsarbeit geleistet haben. „Die Namen der 251 am 6. und 7. April Ermordeten sind bekannt. Es sind keine anonymen Opfer mehr.“ 1.833 Häftlinge aus 15 Nationen habe es damals in Stein gegeben. 1.307 hätten überlebt. „Von 270 Personen ist das Schicksal noch immer ungeklärt.“

„Opfer haben ein Recht auf Gedenken“
„Die Opfer haben ein Recht auf Erinnerung und Gedenken“, unterstrich der Stadtchef die Wichtigkeit der erstmaligen Verlesung aller namentlich bekannten Opfer des Massakers und weiterer 44 am 15. April hingerichteter Menschen. Resch stellte auch einen Bezug zur Gegenwart her und erinnerte an die Verantwortung jedes Einzelnen und auch der Politik. In der aktuellen blau-gelben Landesregierung gebe es „Menschen, die mit den Grund- und Freiheitsrechten spielen, Fake Facts verbreiten, Menschen herabwürdigen und Andersdenkende verhöhnen und verspotten“. Es dürfe nicht weggeschaut und weggehört werden.

Gäste verlasen alle Namen der Opfer
In Stein lasen Botschafter Jiři Šitler, KZ-Bundesvorsitzende Dagmar Schindler, KZ-Verbands-Landessekretär Ernst Wolrab, BH-Stellvertreterin Christa Hammer, Strafvollzugs-Generaldirektor Friedrich König, Vizebürgermeisterin Eva Hollerer, Historiker Robert Streibel, Alfred Müller (einer seiner Vorfahren war unter den Opfern) und Bundesheer-Oberst Franz Langthaler Namen vor. Im zweiten Teil der Gedenkfeier beim Denkmal gegenüber der Strafvollzugsanstalt Stein kamen folgende Personen zu Wort: Historiker Karl Reder, NS-Opferverbände-Sprecher Winfried Garscha, Bürgermeister Reinhard Resch, Pfarrer Matthias Martin, der Grieche Chrysanthos Galetsas, Vizebürgermeister Florian Kamleitner, Justizanstalt-Vertreter Harald Mörth, Gemeinderat Wolfgang Mahrer und Klaus Bergmaier als Vertreter des Bundes Sozialdemokratischer Freiheitskämpfer.

Griechen-Opfern bei Mahnmal gedacht
Metropolis Aristidis Ganosis von der griechisch-orthodoxen Religionsgemeinschaft feierte gemeinsam mit einigen anwesenden Griechen eine kleine religiöse Gedenkfeier vor dem Denkmal vis-à-vis des Haupteingangs der Justizanstalt Stein. Dieses war schon im Jahr 1946 errichtet worden. Seit 2015 erinnert dort auch der Gerasimos-Garnelis-Weg an einen aus Griechenland stammenden Überlebenden des Blutbads.
Blutrausch 1945: Feier macht 295 Opfer unvergessen
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