Oral History / Erinnerungen

Geist

Worte im Dunkel
Mitarbeiter
#1
Dies soll ein Thread sein, in dem ihr die Erinnerungen von euch selbst, verwandter oder euch persönlich bekannter Menschen festhalten könnt.

Das Thema Oral History ist natürlich mit Unschärfen beladen, die man als Leser oder Zuhörer letztendlich selbst gegebenenfalls mit Hilfe entsprechender offizieller Berichte oder Protokolle herausfinden muss. Die erzählenden Personen waren zum Zeitpunkt des Erlebten oft noch Kinder. Alles, was ihnen damals groß, weitläufig oder sonstwie überdimensioniert erschien, hätten sie im Erwachsenenalter wahrscheinlich ganz anders beschrieben.

Ich möchte euch bitten, nichts dazuzuerfinden, sondern nur das wiederzugeben, was die Leute euch tatsächlich erzählt haben, bzw. nur das, woran ihr selbst euch mit Bestimmtheit erinnert.
Schreibt bitte auch immer den ungefähren Zeitraum dazu, damit man die Informationen eventuell mit Zeitungsberichten oder in Archiven lagernden Infos in Einklang bringen kann.

Interessant ist auch, ob es gelingt, Erzählungen und Berichte über das selbe Ereignis, die selbe Person, den selben Ort oder den selben Zeitraum von verschiedenen Leuten zu sammeln, sodass sie sich ergänzen, erweitern oder schlechtestenfalls widerlegen.

Erwünscht sind jedenfalls Anmerkungen oder Besprechungen zu den Berichten. Wenn jemand etwas zu dem Geschriebenen weiß, dann möge er darauf bezogen antworten.

Direkt dazugehörig ist dieser Artikel zum Thema wie Erinnerungen sich im Laufe der Zeit ändern -> http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,355525,00.html

In diesem Zusammenhang möchte ich auf dieses Projekt hinweisen, das schon eine beachtliche Zahl an Berichten und "Geschichte"n gesammelt hat -> http://www.menschenschreibengeschichte.at/
 
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Geist

Worte im Dunkel
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#2
Bombenangriffe zwischen 25. Juli 1944 - 27. April 1945

Ich beginne mit Erinnerungen meiner Mutter zu den Bombenangriffen, die sie als 5 - 6jähriges Kind miterlebte. Sie lebte mit meiner Großmutter in Linz-Urfahr Bereich Rosenauerstraße.
Ich kann nur in geringen Teilen beurteilen, was davon tatsächlich genau so war, wie sie es erzählt hat und was durch den Lauf der Zeit und Erzählungen anderer Personen abgewandelt und ergänzt wurde.

Bei Bombenangriffen:

Immer wenn es möglich war, begaben sich die beiden bei Fliegeralarm in den Stollen bei der Urfahrwänd. Das ist der Rudolfkeller, der hier in Beitrag 27 mit Lageplan erwähnt wird. Sie hatten ihr Luftschutzstockerl mit, damit sie nicht am Boden sitzen mussten, denn dort stand oft das Wasser centimeterhoch. Von oben tropfte es herunter. Angeblich saßen sie mit Schirm dort unten. Zur Beleuchtung hatte meine Mutter eine kleine Laterne mit, die sie heute noch hat, denn die einzige Beleuchtung war am Stollenanfang. Weiter hinten war es dunkel.

Einmal waren sie bei Fliegeralarm gerade in der Stadt unterwegs und hätten es nicht mehr rechtzeitig zum Rudolfkeller geschafft. Deshalb gingen sie in einen Luftschutzkeller im Bereich Botanischer Garten (ev. Aktienkeller?). Dort standen sie allerdings fürchterliche Ängste aus, da angeblich bei nahen Erschütterungen Sand von der Decke rieselte und sie befürchteten, der Stollen würde nicht standhalten.

Ein andermal mussten sie in den Keller des Gasthauses/Hotels "Zur Kaiserkrone" am Beginn der Knabenseminarstraße ausweichen, weil die Zeit drängte. Sie saßen möglichst weit hinten - ganz vorne am Eingang stand ein deutscher Soldat, der nicht zu bewegen war, in den Räumen weiter hinten Schutz zu suchen. Er meinte, wenn hier eine Bombe einschlägt, wäre es egal, ob er vorne oder hinten ist. Angeblich starb er kurz danach bei einem Bombentreffer vor dem Haus. Meine Mutter erinnert sich auch noch an brennende Schaltkästen, die ein fürchterliches Funkensprühen erzeugten.
Mit in diesem Keller war ein Geschäftsbesitzer aus der Rosenauerstraße, der ideologisch dem Dritten Reich zugeneigt war trotz des Umstands, dass auch er in Schutzräumen Unterschlupf suchen musste. Er betrat den Keller mit den Worten: "Möge das Schauspiel beginnen!" Am Ende des "Schauspiels" lag sein Geschäft/Haus in Trümmern.

Eine andere Geschichte handelt von einer Bewohnerin einer Wohnung in einem Haus in der Nähe. Diese Frau wollte gerade mit ihrem Luftschutzkoffer in den nächsten Keller laufen, als sie bemerkte, dass sie etwas im Haus vergessen hatte. Sie stellte den Koffer am Gehsteig vor dem Eingang ab und lief rauf. Angeblich schlug noch während sie oben war und dieses Ding, das sie vergessen hatte, suchte, eine Bombe ein und tötete sie. Am Ende des Angriffs stand ihr Koffer unbewegt am Gehsteig.

Bomben und Züge:

Wann immer es meiner Großmutter möglich war, brachte sie meine Mutter zu Verwandten nach Peuerbach hinaus. Dort gab es keinen Bombenkrieg. Einmal kam jedoch ein Bombenangriff in Linz dazwischen, sodass nach dem Angriff meine Großmutter meine Mutter auf ihren Rücken band und so mit ihr durch die zerbombte Stadt zur nächsten Möglichkeit ging, einen Zug zu besteigen. Dazu musste sie an tiefen Bombentrichtern auf der Straße vorbeiklettern, aus denen es rauchte und Wasser aus zerrissenen Leitungen sprühte. Das mit dem Zug war dann auch nicht so einfach, da viele Linien zerstört waren. Einer sammelte die Leute ein und fuhr dann auf komplizierten Wegen in ungefähr diese Richtung.

Bei einer anderen Gelegenheit fuhren die beiden mit dem Zug nach Gmunden zur Familie meines Großvaters. In Attnang-Puchheim stiegen sie um. Als sie ungefähr drei Kilometer außerhalb von Attnang waren, fuhr der Zug lt. ihren Erinnerungen auf eine Tellermine auf (es war ziemlich sicher keine Tellermine). Es gab zahlreiche Tote und Verletzte, vor allem in den vorderen Waggons. Da ziemliches Chaos herrschte und sie ohnehin kaum helfen konnten, setzte eine Gruppe von Leuten, darunter auch die beiden, den Weg zu Fuß entlang der Gleise nach Gmunden fort, wo sie nach einigen Stunden auch ankamen und vom Urgroßvater empfangen wurden. Angeblich fuhr erst zu diesem Zeitpunkt eine Lok von Gmunden Richtung Attnang ab, um zum Ort des Unglücks zu gelangen.
 
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Geist

Worte im Dunkel
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#3
Kriegsende und Besatzungszeit:

Linz:

Fürchterliche Erinnerungen hat sie an die ersten Russen, die nach Linz kamen. Angeblich preschten derbe Soldaten (sie beschreibt sie als Mongolen) auf Rössern über Straßen und Gehsteige, die auf alles feuerten, was ihnen nicht geheuer erschien, unter anderem auf die Klospülung in ihrer Wohnung. Die beiden mussten die Wohnung verlassen, weil Amerikaner sie bezogen. Das war wahrscheinlich nur kurzfristig, weil Urfahr dann ja in der russischen Zone lag. Nachdem sie die Wohnung wieder beziehen durften, fanden sie dort jede Menge Zeugnisse, aus denen hervorging, dass amerikanische Soldaten und ihre Krankenschwestern sich auch mal zu vergnügen wussten. Von unschätzbarem Wert aber waren der prall mit Schokoladen oder Kakaocremes gefüllte Küchenkasten, den die Amerikaner zurückließen. Einen Teil ihres Gewandes fanden sie dann unten im Keller in der Waschküche wieder.

Später gab es dann sogar mit russischen Soldaten lustige Momente. Immer wenn man über die Nibelungenbrücke nach Linz ging, musste man von der russischen in die amerikanische Zone und wieder zurück. Bei den Posten musste man den Identitätsausweis vorzeigen. Meine Mutter hatte keinen eigenen Ausweis, weil sie ohnehin nicht ohne Großmutter irgendwohin gehen durfte. Da sie aber unbedingt auch so einen Ausweis haben wollte, hat ihr die Großmutter einen gebastelt aus einem alten Heft, hat ihr Foto reingepickt und ihre Daten hingeschrieben, für jedermann klar ersichtlich, dass das natürlich kein offizieller Ausweis ist, für meine Mutter als Kind damals jedoch von höchster Wichtigkeit.
Beim nächsten mal, als sie zurück nach Urfahr gingen und meine Großmutter den Ausweis vorzeigte, tat dies auch meine Mutter mit ihrem selbstgemachten, nicht sehr zur Freude meiner Großmutter. Der russische Soldat meinte nur "Nix guter Ausweis" und nahm meine Mutter mit hinein zum Kommandanten. Meine Großmutter musste währenddessen draußen warten. Der Kommandant sah den "Ausweis" an und meinte er wäre doch nicht gültig ohne Stempel. Es wurde dann noch viel geredet und die Russen lachten viel, was meine Großmutter draußen vor der Türe gleichzeitig beruhigte und berunruhigte. Jedenfalls hatte meine Mutter dann einen relativ ungewöhnlichen Identitätsausweis mit gültigem Stempel.

Peuerbach:

Zeitweise war meine Mutter auch wieder in Peuerbach untergebracht. Hier zogen zuerst irgendwelche Soldaten ihr nicht bekannter Zugehörigkeit durch. Danach erzählt sie von einem Soldaten, der von einer Peuerbacherin versteckt wurde, nachdem er desertiert ist. Von welcher Seite dieser Soldat stammte, ist jedoch unbekannt. Jedenfalls wurde er gesucht und als die Soldaten zu dem Haus besagter Peuerbacherin kamen, dachten natürlich alle, das wäre das Ende für ihn. Sie stürmten ins Haus und fanden allerdings nichts. Offenbar war er rechtzeitig geflohen.

Sie berichtet weiters von unendlich langen Pferdewagenzügen von "Zigeunern", die Richtung Deutschland fuhren. Endlos zog sich die Schlange durch Peuerbach, die Wägen waren voll behangen mit ihren Habseligkeiten. Stunden- und tagelang saß sie am Fenster und beobachtete die Wägen, wie sie vorbeizogen. Einige Zeit kam dieser Zug auch zum Stehen. Zu einem kleinen Teil wurde den Leuten von den Peuerbachern mit Lebensmitteln ausgeholfen. Es gab keine Übergriffe, Diebstähle oder sonstiges Unangenehmes, sondern es lief alles sehr friedlich ab.
 
C

c1.at

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#5
spannend spannend spannend

eine gute idee finde ich, denn die besten geschichten mit allen höhen und tiefen schreibt nun mal das leben.
werde es verfolgen und auf weitere geschichten warten.

danke für die erste!
vielleicht kann ich auch mal was beitragen...
 

Stoffi

Well-Known Member
#6
ich hatte einmal eine Dame bei meiner Unterirdischen Wien Führung mit, die mir folgendes erzählte:

Sie wohnt im 2ten Bezirk am Donaukanal, und es muß in den letzten Kriegswochen gewesen sein, alle Hausparteien waren im Keller, oben ist nurmehr die Atterlier geflogen, angebelich waren sie 2 Wochen im Keller bis ein Sowjetsoldat gekommen ist - und in besten Deutsch - nach Soldaten gefragt haben, dann haben Sie gewußt das der Krieg zu Ende war.

ps. Die Idee ist super, ich habe eine 91 jährige Tante aus Polen, die hat soviel "Oral History" in sich, das ist ein Wahnsinn... vielleicht poste ich auch Sachen von ihr hier rein..
 
E

Engelbert

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#7
Oralhistorische Zeitzeugenberichte

Ein Hallo an alle Oralhistoriker!

1. Mein erster Bericht ist nur kurz und soll über über eine Geheimdienstliche Info bei einen Verhör eines Abgeschossenen Britischen Piloten enstanden sein. Ein Kunde erzählte mir eine Geschichte über seinen Vater,der war ein Hochrangiger SS Offizier.Nach dem Krieg gab es Beschränkung für SS und Gestapoangehörige entweder die Ausübung einer Beschränkten Arbeit nur in der Schwerindustrie oder wie bei diesen Fall in der Textilindustrie.Jedenfalls war der Kämmerer von Adolf Hitler sein bester Freund und einmal im Jahr gab es ein Treffen . Bei einem dieser Treffen erzählte der Kämmerer über den Geheimdienstbericht des Britischen Piloten!
Die Deutsche Piloten wunderten sich nach dem die Spitfire oder eine Hurrican vielen Treffer auch im Motorbereich und Tragflächenkühler erhalten hatte noch weiterflog und den Heimat Fliegerhorst erreichten.Warum war das möglich , eine Me 109 Motor hatte nach Feindlichen Beschuß einen Kolbenklemmer wenn der Kühler oder die Peripherie des Motors getroffen wurde. Der Britische Pilot gab an das die Mechaniker im Motoröl ein Molybdän Gemisch beigefügt hatten das eine Art Notschmierung auch bei Ausfall des Kühlsystemes und darauf Folgende Kolbenklemmer entgegegwirkt .Der Flugzeugmotor der Britische Jäger war noch bis zu einer Halben Stunde Funktionstüchtig! Weiters gab es eine Ähnliche Geschichte in Russland.
Da wunderte sich auch die Deutsche Luftwaffe warum die Russischen Jäger noch bei Hohen Minus Temperaturen noch Einsatzbereit waren und die Deutschen Jäger nicht mehr Starten konnten da das Motoröl zu Dickflüssig war und der Motor beim Starten nicht mehr durchdrehte . Ein Abgeschossener Russischer Pilot wurde bei einen Verhör darauf befragt. Dieser gab an das Motoröl von Russische Flugzeugen mit einen gewissen Anteil Benzin verdünnt wurde und dadurch Dünnflüssiger war. Dieses ermöglichte ein Starten der Motoren auch unter Hohen Minustemperaturen!

MFG Tom!
 
E

Engelbert

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#8
Kleine Ergänzung zu meinen Bericht

Ein Hallo an alle Oralhistoriker!

1. Mein erster Bericht ist nur kurz und soll über über eine Geheimdienstliche Info bei einen Verhör eines Abgeschossenen Britischen Piloten enstanden sein. Ein Kunde erzählte mir eine Geschichte über seinen Vater,der war ein Hochrangiger SS Offizier.Nach dem Krieg gab es Beschränkung für SS und Gestapoangehörige entweder die Ausübung einer Beschränkten Arbeit nur in der Schwerindustrie oder wie bei diesen Fall in der Textilindustrie.Jedenfalls war der Kämmerer von Adolf Hitler sein bester Freund und einmal im Jahr gab es ein Treffen . Bei einem dieser Treffen erzählte der Kämmerer über den Geheimdienstbericht des Britischen Piloten!
Die Deutsche Piloten wunderten sich nach dem die Spitfire oder eine Hurrican vielen Treffer auch im Motorbereich und Tragflächenkühler erhalten hatte noch weiterflog und den Heimat Fliegerhorst erreichten.Warum war das möglich , eine Me 109 Motor hatte nach Feindlichen Beschuß einen Kolbenklemmer wenn der Kühler oder die Peripherie des Motors getroffen wurde. Der Britische Pilot gab an das die Mechaniker im Motoröl ein Molybdän Gemisch beigefügt hatten das eine Art Notschmierung auch bei Ausfall des Kühlsystemes und darauf Folgende Kolbenklemmer entgegegwirkt .Der Flugzeugmotor der Britische Jäger war noch bis zu einer Halben Stunde Funktionstüchtig! Weiters gab es eine Ähnliche Geschichte in Russland.
Da wunderte sich auch die Deutsche Luftwaffe warum die Russischen Jäger noch bei Hohen Minus Temperaturen noch Einsatzbereit waren und die Deutschen Jäger nicht mehr Starten konnten da das Motoröl zu Dickflüssig war und der Motor beim Starten nicht mehr durchdrehte . Ein Abgeschossener Russischer Pilot wurde bei einen Verhör darauf befragt. Dieser gab an das Motoröl von Russische Flugzeugen mit einen gewissen Anteil Benzin verdünnt wurde und dadurch Dünnflüssiger war. Dieses ermöglichte ein Starten der Motoren auch unter Hohen Minustemperaturen!

MFG Tom!
Weiters gab es noch andere größere Probleme wie bei meinen Bericht angesprochen !
http://kurfurst.org/Engine/Boostclearances/DB_Niederschrift6730_DB605DBDC_20-1-45.pdf
 
#9
Geschichte struwwelpeter 1

Dies betrifft meine eigenen Erinnerungen:
Ort: Wiener Neustadt, ehemaligen Wöllersdorfer Werke
Zeitraum: so gegen 1970-1980
Wir waren damals eine Gruppe Jugendlicher und waren oft in diesem Gelände unterwegs.
Eines Tages haben wir ein grosses unterirdisches Objekt gefunden, dessen Funktion wir nicht verstanden. Jedenfalls war es voll mit verrosteter Munition.
Wir waren hocherfreut über den Fund und haben mit Plastiksackerl einige Dutzend von dieser Munition nach Hause mitgenommen. Zu Hause angekommen habe ich meinen Fund einmal in einer Hütte deponiert. Da ich doch sehr erschöpft war (war ja ziemlich schwer), wollte ich mich erst am nächsten Tag darüber stürzen.
Am nächsten Tag aber welche Enttäuschung, mein Großvater hatte diesen Plastiksack gefunden und ihn natürlich "entsorgt". War damals eine echte Enttäuschung für mich.......

Ein Freund hat von einer Leuchtspurpatrone das Geschoß demontiert und weil ihm fad war, während des Schulunterrichts mit dem Zirkel die Masse ausgekratzt.
Naja, was soll man dazu sagen....

Dazu passt auch dass während dieser Zeit eine Schulexkursion zur Hirtenberger Patronenfabrik stattgefunden hat. Wir haben praktisch direkt von der Produktion Teile der Patronen sowie fabriksneue Patronen "mitbekommen".
Manche von uns habe diese auf Halsketten gehängt... ich habe sogar meiner damaligen Freundin eine solche Kette geschenkt.

Zum unterirdischen Objekt: dies wurde damals mit schwerem Geraet planiert und die über Tage ragenden Betonteile demontiert. Denke nicht dass die Munition vorher geraeumt wurde.
Ueberhaupt absurd: dieser Teil ist grossflaechig (einige km2)als "Wasserschutzgebiet" gekennzeichnet - also wo einst eine der groessten Waffenproduktionsstaetten der Monarchie mit den giften Chemikalien bestand. Es gab ja dort auch keinen Abfluss etc. alle giften Bestandteile versickerten direkt in das Steinfeld (es gab damals auch grosse Probleme mit den sanitaeren Verhaeltnissen).
 
#10
Geschichte Struwwelpeter II

Meine persönliche Erinnerung:
Irgendwann um 1975 begannen wir auch stillgelegte Fabriken zu besuchen.
Wir hatten da eine Papierfabrik, in welcher auch ein eigenes Flusskraftwerk zur Stromerzeugung installiert war. Zuerst vorsichtig, aber nach mehreren Besuchen montierten wir dort munter die Messgeraete ab (Voltmeter, Amperemeter etc.), kurz alles was irgendwie interessant erschien.
Mit Fahrraedern haben wir den Fund nach Hause transportiert und dort in alle Einzelteile zerlegt.

Wir haben auch nach versteckten Objekten gesucht und eine massive Eisentuer war immer abgeschlossen. Eines Tages war diese jedoch offen und dieser Raum war mit einem hohen (einige Meter hoch) Eisengitter geteilt. Auf der nicht zugaenglichen Seite des Raumes war ein Messgeraet mit Quecksilber. Ich war schon ca. die Haelfte des Zaunes hochgeklettert um auf die andere Seite zu kommen um dieses Geraet abzubauen. In diesem Augenblick schrie mir mein Freund zu „geh bleib da, es zahlt sich nicht aus - dort drueben ist ja nicht viel“. Daraufhin bin ich zurueck.

Einige Zeit spaeter besuchte eine andere Gruppe Jugendlicher diese Fabrik und einer davon ueberkletterte diesen Zaun. Es war jedoch eine unsichtbare Eisenschiene am Plafond eingezogen, welche unter Starkstrom war. Dieser Jugendliche wurde, nachdem er in die Naehe des Stromkreis kam, von diesem angezogen und stuerzte tot ab.
 
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#11
Struwwelpeter Geschichte III

Und nun die dritte persoenliche Geschichte:
In einer anderen Papierfabrik haben wir ein eingelagertes Archiv entdeckt, mit Buchhaltungsunterlagen, Rechnungen und so weiter von ca. 1920 beginnend.
Ein wesentlicher Fund war eine Mappe betitelt mit „Personalangelegenheiten 1933-„.
Die gesamte Korrespondenz ueber hauptsaechlich Bewerbungen und deren Absagen sowie einige Teile ueber den beginnenden Nationalsozialismus.
Also diese Mappe hat mich am meisten gepraegt, zeigt sich doch die brutale Wirklichkeit waehrend der grossen Arbeitslosigkeit, die Hoffnungslosigkeit, bitterste Armut und gibt auch irgendwie eine Vorstellung wie der Nationalsozialismus seine Anhaenger fand.
So etwas kann man sich heute nicht mehr vorstellen, da ja im Falle einer Arbeitslosigkeit ein Grundeinkommen gesichert ist-dies gab es zu dieser Zeit nicht oder nur sehr kurz.
Es war eigentlich ein purer Existenzkampf.

Ich weiss auch noch von meinem verstorbenen Onkel welcher erzaehlte, dass sein Vater das Glueck hatte, immer eine Beschaeftigung gehabt zu haben, dadurch hatte er ein kleines, aber staendiges Einkommen und konnte so zu einem gewissen Wohlstand kommen, im Gegensatz zu so vielen Anderen.
 

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#14
Peuerbach:

Sie berichtet weiters von unendlich langen Pferdewagenzügen von "Zigeunern", die Richtung Deutschland fuhren. Endlos zog sich die Schlange durch Peuerbach, die Wägen waren voll behangen mit ihren Habseligkeiten. Stunden- und tagelang saß sie am Fenster und beobachtete die Wägen, wie sie vorbeizogen. Einige Zeit kam dieser Zug auch zum Stehen. Zu einem kleinen Teil wurde den Leuten von den Peuerbachern mit Lebensmitteln ausgeholfen. Es gab keine Übergriffe, Diebstähle oder sonstiges Unangenehmes, sondern es lief alles sehr friedlich ab.
Zu diesem Thema habe ich in folgendem Buch [Nationalsozialismus in Wels, Band 1. Hermann Volkmer, Migrationen in Wels während der NS-Zeit. Stadt Wels 2012, 186 - 189] interessante Informationen gefunden, siehe Anhang.
 

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Molinarius

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#15
"Neben den Schienen" Bhf. Moosbierbaum...Kindheitserinnerungen - Teil 1

Danke, lieber Josef!
Mit Kindheitserinnerungen kann ich auch aufwarten, habe sie in (derzeit) sieben Kapiteln unter dem Übertitel "Neben den Schienen" zusammengefasst und in unserer Dorfzeitung veröffentlicht.
Hier der erste (noch kurze) Teil:

TAGTRÄUMEREIEN

Tschuuu – tschuuu – tschuuu ... langgezogene, dumpfe, fast urtümliche Laute waren es, die mich Tag für Tag frühmorgens aus meinen kindlichen Träumen in die Aufwachphase begleiteten. Tschu – tschu – tschu – ein kurzes, stakkatoartiges Stampfen, und ich war wach. Und jetzt ging es wieder von vorne los: Tschuuu – tschuuu – tschuuu – sie hat es geschafft!
Der dominierende Auspuffschlag der schwer arbeitenden Dampflok, die ihren langen Güterzug aus unserem Bahnhof Richtung Westen zog, wurde immer schneller und schneller. Das Auspuffgeräusch mischte sich nun mit dem Geklapper der Räder auf den Schienenstößen. Die rollenden Achsen des langen Lastzuges begannen aber bald immer mehr das zunehmend leiser werdende Stampfen der Maschine zu übertönen. Irgendwann kam dann der Zeitpunkt, an dem von der Lok nichts mehr zu hören war. Das Rollgeräusch des Zuges verklang leise, bis das Rauschen des Windes in den Blättern der Bäume hinter unserem Haus wieder die natürliche Geräuschkulisse darstellte.
Ich aber war nun endgültig munter und „tagträumte“ nun so vor mich hin, wie schön es wäre, mit dem Einundachtziger - so nannten die Eisenbahner den morgendlichen Güterzug in ihrer geheimnisvollen Zahlensprache - einmal in das ach für mich noch so weit entfernte St. Pölten mitzureisen …
 
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Molinarius

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#16
"Neben den Schienen" Bhf. Moosbierbaum...Kindheitserinnerungen - Teil 2

Kapitel 2:

AUSSICHTSPUNKTE

Finstere, qualmende Ungeheuer waren es damals für mich kleinen Buben, die da an der Spitze einer Reihe von Waggons ihre schwere Arbeit verrichteten. Ausschließlich Dampfloks zogen in den späten Fünfzigerjahren an unserem Küchenfenster, das mir so oft als Aussichtsstützpunkt diente, vorbei. Von hier, nur etwas mehr als zehn Meter vom Durchfahrtsgleis entfernt, konnte ich aus sicherem Abstand das Treiben am Westkopf unseres Bahnhofes beobachten. Näher noch, nur durch einen kleinen Weg von den Schienen getrennt, befand sich unser Gartenzaun, aber hier war es mir natürlich noch viel zu gefährlich! Sicherer war immer noch das Fenster, vor allem jenes, von dem man aus unserer Küche fast endlos nach Westen blicken konnte. Von hier sah ich genau auf das Einfahrsignal, das weit entfernt, so auf halbem Weg nach Trasdorf, neben den Schienen stand. Für mich sah es aus wie eine schwarze, einarmige Vogelscheuche, die beim Nähern eines Zuges ihren Arm gegen den Himmel streckte. Jetzt galt es, sofort das Fenster zu wechseln! In der kalten Jahreszeit musste natürlich noch vorher die beschlagene Scheibe freigewischt werden, damit ich einen freien Blick auf den vorbeiratternden Eisenbahnzug hatte. Im Hochwinter half das aber auch sehr wenig, denn die Eisblumen wehrten sich hartnäckig und bis ich ein kleines Loch darin freibekam, konnte ich höchstens nur noch den letzten Waggons nachsehen!
Allmählich lernte ich natürlich auch, die verschiedenen Signalbilder zu deuten. Die Vogelscheuche hatte nämlich doch noch einen zweiten Arm. Der war normalerweise nicht zu sehen, da er senkrecht nach oben stand und von ihrem langen Körper verdeckt wurde. Streckte sie diesen auch zum Himmel, dann bedeutete es für mich, ein Güterzug ist im Anrollen. Und so wurde ich in meiner kleinen Welt geprägt von der großen Eisenbahn, eine Prägung, die mich auch in meinen späteren Jahren nicht mehr loslassen sollte, denn wenn ich irgendwo ein verrostetes Schienenpaar sehe, kommt fast automatisch wieder meine Kindheit zurück!
 
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Molinarius

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#17
"Neben den Schienen" Bhf. Moosbierbaum...Kindheitserinnerungen - Teil 3

Und Nr. 3, passend zum Bild von der EK:

DER SCHRANKENWÄRTER

Ein für mich Dreikäsehoch riesig hoher Maschendrahtzaun mit zwei Reihen Stacheldraht darüber trennte unseren kahlgefressenen Hühnerhof vom Gemüsegarten. Hoch genug, um die schweren rotbraunen Rhodeländer- oder die etwas leichteren weißen Hampshire-Hennen vom paradiesischen Grün dahinter fernzuhalten, zu niedrig jedoch für einige vorwitzige Italiener-Hühner, die sich meine Großmutter einmal von irgendeinem Händler unterjubeln ließ. Natürlich war dann die Aufregung riesengroß, und Oma versuchte mit lautem, zischendem „Ksch-ksch“ das liebe Federvieh von ihren wertvollen Pflanzen weg- und durch das geöffnete Gittertürl in den Hühnergarten zurückzutreiben.
Das waren dann jene Momente, wo ich in ihr Heiligtum, das „Gartl“, wie sie es zu nennen pflegte, eindringen konnte um ungestört durch den Staketenzaun das Geschehen auf dem Bahnhof zu beobachten. Den komplett freien Blick zu den Bahnsteigen verwehrte mir jedoch eine Holzhütte, die auf der anderen Straßenseite zwischen dem Schranken und dem Gartenzaun des Fröhlich-Hauses situiert war.
Aus dieser Behausung trat dann des Öfteren ein Mann, ging zwischen die Geleise, deren drei damals die Straße querten, und blickte aufmerksam nach Westen. Näherte sich dann aus Richtung Trasdorf ein Zug, eilte er zum Schranken zurück, drehte an der dort angebrachten Kurbel, worauf sich unter Kettengerassel die Schlagbäume solange senkten, bis ein lautes „Tack“, wenn die Schrankensteher auf das Pflaster aufschlugen, den Schließvorgang abrupt stoppte. Nun konnte der Zug, ungehindert vom damals noch spärlichen Straßenverkehr, passieren. Hatte dann der letzte Waggon unter lautem Poltern den Kreuzungsbereich verlassen, drehte der Schrankenwärter wieder an seiner Kurbel, diesmal allerdings in die andere Richtung, die Schranken schnellten in die Höhe und die damals noch wenigen wartenden Autos setzten sich mit Geknatter, dichte Auspuffschwaden hinterlassend, in Bewegung. Der Mann aber verschwand wieder in seinem Häuschen.
Jetzt war natürlich meine Neugier geweckt. Was machte der Eisenbahner in der alten, blechgedeckten, windschiefen Hütte, aus deren kurzem Kamin im Winter sogar Rauch kräuselte? Durch das kleine, mit mehreren Sprossen noch unterteilte Fenster war von meiner Straßenseite natürlich nichts zu sehen. Irgendwann obsiegte mein kindliches Interesse über die gestrengen Warnungen meiner Großmutter, die Straße ja nicht zu überqueren – und plötzlich stand ich vor der offenen Hüttentür! Ich erschrak fast über meine eigene Courage, doch nun hatte ich das geheimnisvolle Innenleben vor mir.
Ein einfacher Tisch war zu sehen, daneben eine große Truhe (vielleicht eine Schatztruhe?), und darauf thronte, dösend oder gar schlafend, der Schrankenwärter! Ich sehe ihn noch heute deutlich vor mir sitzen: ein rundlicher Mann in einem durch oftmaliges Waschen ausgebleichten hellblauen Schlosseranzug, der durch die aufgenähten Flicken fast wie ein Harlekinsanzug wirkte. Er hatte die Hände unter dem Bauch gefaltet und die Schirmkappe tief ins Gesicht gezogen, so dass für mich nicht zu erkennen war, ob der Mann schlief oder aber doch wachte.
In der Folge machte ich dann öfter meine Besuche beim Schrankenwärter Josef Ott aus Dürnrohr, wobei ich natürlich schon manchmal in Versuchung kam, durch einen gezielten Steinwurf auf das Blechdach den Wachzustand des Mannes zu testen. Getraut habe ich mich dann aber doch nicht! Und der Inhalt der geheimnisvollen Schatztruhe? Er war nichts anderes als die Zylinder der Petroleumlampen für die Beleuchtung der Signale und der Weichenkörper und das dazugehörige Putzzeug!
Einige Jahre später war es dann mit dieser kleinen Welt vorbei, denn der Schranken erfuhr zu Beginn der Sechzigerjahre einen Umbau und der Antrieb wurde zum Bahnhofsgebäude versetzt, ein Vorläutewerk und ein Löffelrad wurden installiert und seit damals gibt es das charakteristische Vorläuten bei unserem Bahnübergang. Der Posten des Schrankenwärters aber wurde aufgelassen, auch die kleine Hütte verlor ihre Funktion und wurde in der Folge abgerissen.
 
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Molinarius

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#18
"Neben den Schienen" - ,Kindheitserinnerungen Teil 4

MEINE ERSTE EISENBAHNFAHRT

Es gibt im Leben eines jeden Menschen Ereignisse aus seiner Kinderzeit, die ihm auch noch als Erwachsener immer in Erinnerung bleiben. Ein solches ist für mich meine erste Fahrt mit einem Eisenbahnzug.
Großmutter hatte eine Schwester in Unterradlberg und eine Schwägerin in Oberradlberg. Das bedingte natürlich ein reges gegenseitiges Besuchen, zur damaligen Zeit selbstverständlich nur per Bahn. Bei einer dieser Fahrten durfte ich Oma begleiten. Es ging zur Mitzi-Tante, der Schwester meines Großvaters, nach Oberradlberg.
Wie war das aufregend für mich kleinen Buben! Endlich durfte ich einmal mit einem jener Züge, die sonst immer nur bei meinem Fenster vorbeizogen, mitfahren. Zu so einer „großen“ Fahrt musste man natürlich entsprechend gekleidet sein. Also wurde ich in eine Lederhose gesteckt, bekam eine dicke Weste übergezogen und zu guter Letzt auch noch einen Filzhut auf den Kopf gesetzt. Und schon ging es ab zum Bahnhof, hinein in den Warteraum zum Fahrkartenschalter. „Eine Ganze und eine Halbe, Oberradlberg retour!“, rief Großmutter dem hinter einem Glasfenster sitzenden Beamten zu. Der Mann wandte sich zu einem Hängekasten, in dem eine größere Menge verschiedener Kartonkärtchen steckten, suchte zwei, ein größeres und ein kleineres, heraus, drückte sie in einen Prägeautomaten und schob sie schließlich durch eine kleine Öffnung im Glasfenster meiner Oma zu. Nachdem diese bezahlt hatte, begaben wir uns auf den Bahnsteig. Auf meine Frage: „Oma, wie weit ist es bis Oberradlbergretour?“, erklärte sie mir lachend, dass die Station Oberradlberg hieße und „retour“ ja „zurück“ bedeute. Somit war mein kindlicher Wortschatz um das erste Fremdwort bereichert!
Auf dem Bahnsteig, der damals nur aus gestampftem grauem Sand bestand und nicht einmal eine Sitzgelegenheit hatte, angekommen, blickte ich gespannt nach Osten, denn von dort sollte unser Zug kommen. Und wirklich, schon nach kurzer Zeit sah ich in der Ferne eine immer größer werdende grauweiße Rauchwolke in den Himmel steigen. Damals, 1959, waren nämlich alle Züge noch mit Dampflokomotiven bespannt, und so ein schwarzes Ungeheuer war es auch, dass sich mit seinem langen grünen Schwanz bedrohlich zischend und letztendlich quietschend mir kleinem Buben näherte. Nun zog die schnaubende Maschine so dicht an mir vorbei, dass ich fast ihren heißen Atem zu spüren vermeinte. Ängstlich hielt ich die Hand meiner Großmutter, die mir dann auch auf das für ein Kind viel zu hohes Trittbrett half.
Der Waggon, den wir bestiegen, hatte einen Seitengang und geschlossene Abteile, war also auch ein für die damalige Zeit schon ziemlich seltener zweiachsiger Coupéwagen. Da die Abteile alle besetzt waren, mussten wir mit Klappsitzen am Gang vorlieb nehmen.
Der Fahrdienstleiter mit der roten Kappe gab das Abfahrtssignal und kurz darauf setzte sich unser Zug ruckelnd in Bewegung, begleitet vom schweren Stampfen der Dampfmaschine, das schneller und schneller wurde und bald in ein gleichmäßiges Auspuffgeräusch überging. Im gleichen Maße verfärbte sich der schwarzgraue Rauch, der zuerst unseren Waggon fast komplett umhüllte, in immer hellere Töne, bis er schließlich nur mehr in Form von weißen Fetzen an unserem Waggonfenster vorbeiflog.
Ein wenig später ging wieder ein Ruck durch unseren Zug, die Bremsen kreischten, und die Garnitur kam zum Stillstand. Durch ein halb geöffnetes Fenster weiter vorne in unserem Gang drang ein zweimaliges lautes „Trasdorf Haltestelle“, ausgerufen vom Schaffner, der zu diesem Behufe auf dem Bahnsteig Aufstellung nahm. Etliche Leute stiegen aus und ein paar andere zu, der Schaffner gab mit seiner Kelle das Abfahrtssignal und sprang im letzten Moment auf die schon anfahrende Garnitur.
Ähnliche Szenen spielten sich ab nun bei jeder der folgenden Stationen ab. Irgendwo dazwischen betrat der Beamte auch unseren Wagen, rief in jedes Abteil ein fragend-forderndes „Jemand zugestiegen?!“, hinein, bis er schließlich vor uns stand. Ich streckte ihm stolz meine Karte entgegen, worauf er mit einer riesigen Zange ein ovales Loch in das kleine Kartonstück hineinstanzte.
Herzogenburg war dann der nächste größere Bahnhof. Hier gab es mehrere Gleise, auf denen eine ganze Reihe von Güterwagen herumstand. Auch eine Dampflokomotive war zu sehen, die offensichtlich gerade von der anstrengenden Verschubarbeit pausierte. Jetzt hatte ich etwas länger Zeit, durch mein Fenster das geschäftige Treiben auf dem Bahnhof zu beobachten, denn unsere Garnitur musste einen Gegenzug abwarten. Dieser ließ nicht lange auf sich warten, und der Mann mit der roten Kappe gab mit seiner Kelle wieder das Abfahrtssignal. Mit lautem Stampfen verließen wir wieder den Bahnhofsbereich, und nach der Station Unterradlberg hatten wir bald unser Ziel Oberradlberg erreicht.
Nun galt es einen längeren Fußmarsch ins Ortszentrum zu bewältigen. Tante Mitzi erwartete uns schon und lud uns auf eine kleine Jause ein. Sie besaß nämlich dort ein Gasthaus und ich freute mich schon auf das Soda-Himbeer, das mir dort kredenzt wurde. Die beiden Frauen tauschten ihre Neuigkeiten aus, was naturgemäß einige Zeit in Anspruch nahm, während der ich mich schrecklich langweilte und den Zeitpunkt der Abreise schon ungeduldig herbeisehnte.
Endlich war es soweit, und nach vielem Händeschütteln und Abschiedsküssen ging es wieder zur Station. Oberradlberg hatte keinen Bahnhof, nur einen kleinen Unterstand, daher auch keinen Fahrkartenverkauf. Den brauchten wir ohnehin nicht, da wir schon in Moosbierbaum unsere Retourkarten gelöst hatten.
Wir mussten nicht lange am Bahnsteig warten, da hielt schon mit lautem Bremsengequietsche unser Zug. Kaum hatten wir im letzten Wagen platzgenommen, setzte sich die Garnitur schon in Bewegung. Diesmal saßen wir in einem der zur damaligen Zeit üblichen grünen Zweiachserwaggons mit Holzbänken und Fallfenstern. Diese waren natürlich sehr interessant, konnte man sie doch mit einem starken Ruck am darunter hängenden, gelochten Lederriemen komplett öffnen, was mir meine Großmutter zwar vorführte, aber leider sofort wieder verschloss. Von außen drang nämlich der rußige Dampf der Lokomotive in unser Abteil, was klarerweise die paar wenigen Mitreisenden mit einem lauten „Fenster zu!“ quittierten.
Jetzt drückte ich meine Nase an die Fensterscheibe und wandte meine Aufmerksamkeit den immer schneller werdenden Telegraphenmasten zu, an deren Spitze mehrere Drahtpaare auf weißen Isolatoren gespannt waren. Ein Paar davon schwenkte bei jedem zweiten Mast ein Stück nach unten, um beim nächsten wieder zu den anderen zurückzukehren. Ich versuchte diese Drähte mit den Augen zu verfolgen, was natürlich ein mit fortschreitender Zugsgeschwindigkeit immer schneller werdendes Nicken meinerseits zur Folge hatte. Zusammen mit dem monotonen Schlagen der Waggonräder auf den damals noch nicht verschweißten Schienenstößen hatte das unweigerlich eine einschläfernde Wirkung auf mich.
Ich verschlief mehrere Stationen und auch den Schaffner, bis mich Oma in Traismauer weckte.
Erst viele Jahre später erfuhr ich von meinem Freund Robert Kemptner, was es mit diesem merkwürdigen auf- und abziehenden Drahtpaar auf sich hatte. Robert war nicht nur Fahrdienstleiter, sondern auch ein glühender Eisenbahnfan und klärte mich darüber auf, dass dies ein Signaldraht für die Streckenarbeiter war, die ihr mobiles Telefon an der tiefsten Stelle einhängten, um damit mit dem nächsten Bahnhof sprechen zu können.
Kurz nach der Haltestelle Trasdorf durfte ich dann bis zum Aussteigen in Moosbierbaum auf die hintere Plattform hinaus. Da wir uns wie gesagt im letzten Waggon befanden, hatte ich einen herrlichen Ausblick auf die nach hinten fliehende Landschaft. Ein unbeschreiblicher Eindruck für einen kleinen Jungen wie mich!
Viele Jahre später noch nutzte ich immer wieder diese freistehenden Plattformen, um einen ungehinderten Blick auf die vorbeiziehende Landschaft zu haben. Leider wurden diese im Laufe der Zeit immer weniger, und jetzt gibt es überhaupt nur mehr geschlossene Waggons. Nur bei Nostalgiefahrten gibt es diese Möglichkeit noch, jedoch herrscht dort meist dichtes Gedränge von Gleichgesinnten, die alle dasselbe im Sinn haben. Manchmal gelingt es mir aber doch, eine Plattform für mich alleine zu ergattern. Es ist einfach ein wunderbares Gefühl, das glänzende Schienenpaar, einem unendlich langen gleichschenkeligen Dreieck gleich, dessen Spitze am fernen Horizont verschwindet, zu betrachten. Während dessen genieße ich den Fahrtwind, der mir immer wieder ölig-rußig riechende Rauchfetzen aus dem Schlot der Maschine zuträgt. Ich höre dann das rhythmische Stampfen der Dampflok und das metallische Kreischen der Räder auf den dahinfliehenden Schienen, das Ganze manchmal unterbrochen vom langgezogenen Pfeifen der Lokomotive, wenn sie vor einem unbeschrankten Bahnübergang auf unsere Garnitur aufmerksam macht.
Und dann denke ich mich gerne zurück in jene lange vergangene Zeit, in der ich als kleiner Bub an der Hand meiner Großmutter bei meiner ersten Zugsfahrt auf der Plattform des letzten Waggons ehrfürchtig die vorbeiziehende Landschaft bestaunte...
 
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Molinarius

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#19
"Neben den Schienen" - ,Kindheitserinnerungen Teil 5

DER VIEHWAGGON

Ein großes „U“ und ein großes „Z“ waren die ersten Buchstaben, die ich, noch nicht einmal des Lesens mächtig, geschweige denn ihre Bedeutung ahnend, immer wieder mit ungelenken Fingern auf ein leeres Blatt Papier malte. Der Tintenblei, den ich dazu verwendete, fehlte dann natürlich in der Schanklade, wo er neben dem dicken, zerfledderten Büchlein lag, in dem die kleinen „Vergesslichkeiten“ so mancher unserer Wirtshausgäste festgehalten wurden.
UZ, „Unsere Zeitung“, hieß die Kinderzeitschrift, auf deren gelber Titelseite die beiden Blockbuchstaben in kräftiger roter Farbe prangten. Alle paar Wochen gab es ein neues Heft für meine Schwester und mich, und zwar immer dann, wenn unser Großvater aus Oberösterreich zurückkehrte. Opa war nämlich Viehhändler und fuhr jedes Mal, wenn sich unser Stall leerte (und das konnte natürlich für mich nicht schnell genug gehen) zwecks Vieheinkaufs mit dem Zug ins ferne Mühlviertel. Dort, ganz oben in Aigen-Schlägl, traf er sich mit einem Kontaktmann, Martin Maierhofer hieß dieser, glaube ich, der immer ganz gut Bescheid wusste, bei welchem Bauern in der Umgebung gerade ein Stück Vieh feil war. Man wurde dann handelseins (oder auch nicht) und nach einigen Tagen, wenn Großvater genügend Kühe und Kälber zusammengekauft hatte, um einen Waggon zu füllen, trat er die Heimreise an.
Das alles war aber damals nicht so interessant für mich. Wichtig war, hatte er es nun mit oder nicht, das bewusste gelbe Heftchen. Oder vielleicht gar eine Micky Maus, mit der wiederum meine kleine Schwester das Lesen lernte? Annemarie aber hatte es etwas schwerer, sie las verkehrt, denn der große Bruder reklamierte die Zeitschrift natürlich sofort für sich!
Während Großvater schon zurück im Tullnerfeld war, oblag es dem Mühlviertler Martin, die gekauften Tiere von den entfernteren Bergbauernhöfen zum Bahnhof Aigen-Schlägl zu treiben, um sie dort in einen bereitgestellten Viehwaggon zu verladen. Angekuppelt an verschiedene Personenzüge (das war damals noch möglich) erreichte dann unser Waggon mit seiner muhenden Fracht den Bahnhof Moosbierbaum. Ich glaube mich noch zu erinnern, es war der Halb-Zwei-Uhr-Zug, der nicht ganz in unsere Station einfuhr, sondern gerade nur so weit, dass der letzte Wagen (unser Viehwaggon) vor der Magazinsweiche stehen blieb.
Der Schaffner zog Arbeitshandschuhe über, kuppelte ab, ein Pfiff aus der Signalpfeife, der Zug zog vor und die Fahrgäste konnten ungehindert am Bahnsteig aus- oder einsteigen. Der muhende Waggon stand nun einsam auf der Strecke, bis ein paar Eisenbahner anmarschierten, von denen einer die Weiche umlegte und ein anderer einen Beißer unter dem Wagenrad ansetzte. Und alle zusammen schoben sie dann, meist auch unter kräftiger Mithilfe von einigen Stammgästen aus unserem Lokal, den Viehwaggon am Magazinsgleis bis zur Rampe vor.
Nun stand er auf seinem endgültigen Platz, wurde mit Unterlegkeilen gesichert, und Großvater war der Erste, der mit misstrauischem Händlerblick die Plombe an der Wagentür überprüfte. Der Verschlusshebel wurde umgelegt und mit einem Ruck die Tür zur Seite gezogen. Nun war der Blick frei auf die in das für sie ungewohnte Tageslicht blinzelnden Tiere. Diese waren, die Kühe mit Ketten, die Kälber mit Stricken an in den Seitenwänden befestigten Metallringen angehängt. Luft und etwas Licht bekamen sie durch acht in Deckenhöhe eingelassene kleine, vergitterte Fenster, die im Winter wegen der Kälte bis auf einen kleinen Spalt mit einem Schuber verschlossen wurden. Besser war es für das Vieh im Sommer, denn dann wurde die Tür auch beim Transport offengelassen und durch eine brusthohe Holzwand gesichert. Jetzt begann die Zeit des Ausladens.
Es gab immer ein paar Stammgäste, die untertags in unserem Wirtshaus herumsaßen. Diese waren nun aufgerufen, für ein paar Schluck Wein und eine kleine Jause den Viehtrieb zu besorgen. Zu diesem Zweck bekam jeder der Helfer die Kette einer Kuh in die Hand gedrückt, und nun galt es unter lautem Zurufen oder dem Einsatz des mitgebrachten Knüppels das mitunter recht störrische Vieh vom Waggon die paar hundert Meter zu unserem Stall zu treiben. Großvater aber sah dem Entladevorgang zu und klopfte mit seinem Stock, den ein richtiger Viehhändler ja immer bei sich führte, hie und da so mancher Kuh auf das Hinterteil. Später dann, als ich schon zur Volksschule ging und auch groß und kräftig dazu war, durfte auch ich so manches Kälbchen am Strick nach Hause führen. Man kann sich vorstellen, wie mächtig stolz ich damals darauf war!
Zu jener Zeit trug sich folgende Geschichte zu:
Ein Waggon mit einer Ladung Vieh war wieder einmal in Moosbierbaum eingetroffen. Anton Figl, ob seiner lauten und polternden Art „der Bürgermeister von der Goaßzeile“ genannt, ein guter Gast und Spezi meines Großvaters, meldete sich auch als Treiber. Als er nun eine widerspenstige Kuh an meinem Opa vorbeizog, rief er diesem zu: „Müllner, den Deppen möchte ich gerne kennen lernen, der diesen alten Krampen kauft!“
Und es kam, wie es kommen musste. Die Kuh wurde in unserem Stall aufgemästet, gepflegt, gestriegelt und entsprechend „behandelt“, denn so wie jeder gute Viehhändler kannte auch mein Großvater alle möglichen Tricks, wie man aus einer alten Kuh eine neue macht.
Nachdem etliche Monate ins Land gegangen waren, begann er einmal so ganz nebenbei den „Bürgermeister“ zu fragen: „Figl, was glaubst du, wer den alten Krampen gekauft hat, den du damals aus dem Waggon geholt hast?“ Auf dessen fragenden Blick gab er gleich selbst die Antwort: „Du selbst warst der Depp, der diese Kuh gekauft hast!“ Der war natürlich auch nicht um einen Konter verlegen: „Aber eine gute Kuh ist sie geworden, gibt viel Milch und auch ein Kalb hab ich schon von ihr!“
Auch eine zweite Anekdote ist mir noch in Erinnerung, eine, welche mir unser schon verstorbener Pfarrer Wagner viele Jahre nach dem Tod meines Großvaters erzählt hat: „Ich kam als junger Pfarrer nach Heiligeneich. Damals hatte unser Pfarrhof noch Rinderhaltung und ich brauchte eine neue Kuh. Also ging ich zum Müllner und fand auch bald eine, die mir gefiel. Auf meine Frage nach dem Alter des Tieres antwortete er mir, dass sie seines Wissens schon drei Kälber hatte, aber wie viele sie ledigerweise hatte, wüsste er nicht.“
Früher war es nämlich üblich, das Alter der Kühe nach der Anzahl der Kälber, die sie geboren hatten, zu zählen. Man kann sich das Erstaunen des jungen Pfarrers bildlich vorstellen, mit „unehelichen“ Kälbern konfrontiert zu werden!
Sie waren halt nie um einen Schmäh verlegen, die Viehhändler, aber es gibt sie leider nicht mehr in unseren Dörfern, genauso wenig wie die vielen kleinen Bauern und die Arbeiter, für deren Ställe sie den Nachschub besorgten.
 
#20
eine Überlieferung meiner Großmutter JG 1925

Kann nicht mehr viel betragen da meine Großeltern bereits verstorben sind, einige Erzählungen sind bei mir hängen geblieben.

Meine Großmutter erzählte einmal als sie Zuhause war und wir aus dem Fensten sahen wurden KZ Häflinge unter dem Fenster vorbei getrieben.
Sie wohnte damals in Steyr in der Tomizstraße neben dem Fußballplatz und über dem heutigen Tunnel, das Haus sieht wie damals aus!
Sie ließ aus Mitleid ein Stück Brot hinunter fallen und obwohl es in einer Dreckspfütze landete begann sogleich das Chaos... die Hälftlinge begannen sich um dieses kleine Stück Brot zu Prügeln, und dem nicht genug setzte es Hiebe von ihren Bewachern von allen Seiten um sie wieder vom Fleck zu bekommen!
Es gab keine Konsequenzen für Sie, nur so hätte sie das sicher nicht gewollt!

Mit dem zunehmenden Luftkrieg der auch Steyr erfasste, und so wurde sie veretzt da sie bei der SDP AG abreitete und im Rahmen der Verlagerung nach Schwechat "abkommandiert"! Zuvor musste sie um ihrer Eltern Willen einen bekannten Jugendfreund ihres Bruder heiraten, einen jungen Wehrmacht Soldaten.
Viel hat sie von Schwechat nie viel erzählt nur das der Weg zur Arbeit ständig ein anderer war, durch die vielen Luftangriffe sah am Tag danach alles völlig anders aus.
Franz Lehár sei sie auch in einem Hotel begenet und man hörte es an ihrer Stimme sie sehr bewundernd über ihn sprach. Heute würde man wohl Prommi Bonus dazu sagen :) Mädlschwärmerei
Auch zum Kaufen gab es ja faktisch nicht viel (LM Karten) so wurde getauscht was das Zeug hielt!
Die vielen Luftangriffe um Schwechat blieben nicht ohne "Folgen", und die Sehnsucht nach Nähe war groß, so das sie eine Affäre mit einem Italenischen Arbeiter nicht ohne Folgen blieb!! Heute würde man wohl One Nightstand dazu sagen :) so wurde Sie im Enden des Krieges Mutter eines Buben, und Geburtshilfe war schwer zu bekommen... auch ihre von den Eltern gewünschte Ehe wurde daraufhin annuliert, ein sehr sehr schweres Los zu dieser Zeit was viele Frauen tragen mussten!

Erst später kurz nach dem Krieg tritt mein Großvater in ihr Leben...


(Ihr Vater war Mitbegründer der 1. Holz Bau Gewerkschaft in Steyr, ein Magendruchbruch rettete ihn vor der Dollfuß Justiz, da er ein MG in ein Arbeiterhaus auf der Ennsleite (1934) montiert hatte.)
 
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