Schon vor 1860 Jahren ergriff man Maßnahmen zur Eindämmung einer Epidemie im Römischen Reich

josef

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Corona und die Antoninische Pest
Maßnahmen zur Eindämmung einer Epidemie im Römischen Reich
Ob sich Geschichte wiederholt? Ja! Gerade in Zeiten, wo Sars-CoV-2, kurz: das Coronavirus in aller Munde ist und pandemisch die globalisierte Welt in Angst und Schrecken versetzt, in Zeiten, wo kriegerische Ereignisse im Nahen Osten, gepaart mit einer Migration von Bevölkerungsteilen ihre Auswirkungen auch auf Mitteleuropa haben, da ist es hilfreich, einen Blick zurück in die Vergangenheit zu werfen. Offensichtlich reagiert der Mensch 1860 Jahre nach der sogenannten Antoninischen Pest (165–180/90 n. Chr.) mit stereotypen Verhaltensmustern und Strategien. Diese nachdenklich stimmenden Koinzidenzen und deren Folgen seien aus aktuellem Anlass aufgezeigt.

Als das Österreichische Archäologische Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in den Jahren 2015–2018 Forschungen zu den archäologischen Spuren und Auswirkungen der Antoninischen Pest vornahm, war von Sars-CoV-2 noch keine Rede. Quarantänemaßnahmen waren fern alltäglicher Wahrnehmung und die Schließung von Grenzen ein Thema, das man zu diesem Zeitpunkt eher mit dem Versuch der Eindämmung von Flüchtlingsströmen entlang der "Balkanroute" denn mit Maßnahmen zur Bekämpfung einer Pandemie verbunden hatte.

Eine der ältesten historisch überlieferten Pandemien: die Antoninische Pest
Wir schreiben das Jahr 169 n. Chr.: Kaiser Marcus Aurelius, der einen starken Bezug zu Wien (Vindobona) hat und wahrscheinlich hier verstorben ist, der "stoische Philosophenkaiser", hat ein Problem. Seit dem Beginn der 60er-Jahre des 2. Jahrhunderts n. Chr. herrscht Krieg mit den Parthern, deren Reich sich vor allem über Territorien der heutigen Länder Syrien, Osttürkei, Iran und Irak erstreckt, also über jene Gebiete, die auch nun als "Krisenherde" angesprochen werden. Sein Mitregent Lucius Verus, ein genialer Stratege, "löst" zwar das Problem im Osten und beendet den Krieg siegreich, doch gleichzeitig erheben sich die germanischen Stämme nördlich der Donau. Sie überschreiten die Donaugrenze, um über die Bernsteinstraße, die von Carnuntum nach Aquileia bei Grado (Italien) führt, die durch die Absenz der römischen Truppen bedingte Gunst der Stunde zu nutzen.


Die Trasse der römischen Bernsteinstraße von Carnuntum bis Aquileia. Das an einem neuralgischen Punkt errichtete Militärlager / die Quarantänestation von Ločica bei Celje (Slowenien) und die Bedrohungsszenarien um 169 n. Chr.: von Norden germanische Aggressoren, von Osten die Antoninische Pest.
Grafik: H. Sedlmayer, ÖAW/ÖAI

Marcus Aurelius ist gezwungen, rasch zu handeln, seine Truppen aus dem Nahen Osten an die Donau, in das Gebiet des heutigen Österreich (Noricum) und Ungarn (Pannonien) zu verlegen. Und damit beginnt auch schon die Tragödie: Zur selben Zeit bricht nämlich im Osten die Antoninische Pest, wahrscheinlich eine Pocken- oder Masernepidemie, aus. Der römische Arzt Aelius Galenus von Pergamon beschreibt die Symptome der Krankheit mit Fieber, Ausschlägen und Bläschen.

Porträt des Galenus, des Leibarztes des Kaisers Marcus Aurelius und medizinischen Beraters zur Eindämmung der Antoninischen Pest.
Foto: Georg Paul Busch 1715/1756, © Herzog Anton Ulrich-Museum, Braunschweig

Er reist auf Wunsch von Marcus Aurelius nach Aquileia an die obere Adria, wo die Epidemie unter den aus dem siegreichen Orientfeldzug heimkehrenden Soldaten bereits grassiert. Die Soldaten schleppen das Virus ein, welches im Nildelta von Ägypten in einzelnen Ortschaften bereits 70 bis 90 Prozent der Bevölkerung dahingerafft hat. Es verbreitet sich rasch unter dem Militär und in der Folge auch unter der Zivilbevölkerung über das gesamte Reich. Der Mitregent Lucius Verus stirbt 169 n. Chr. in Aquileia an den Folgen der Epidemie.

Erste Sofortmaßnahmen: Truppenverstärkung und Quarantänestation
Wie reagiert der Kaiser Marcus Aurelius auf diese Doppelbedrohung? Zur Abwehr der germanischen Aggressoren wird an den Grenzen verstärkt Militär stationiert. Das Mutterland Italien ist aber sowohl von den Germanen als auch den eigenen infizierten Soldaten und Bewohnern bedroht. Der Kaiser richtet daher die praetentura Italiae et Alpium, einen an den Ausläufern der Alpen gelegenen "Checkpoint" beziehungsweise eine Schutzzone für Italien ein.
Topografisch gesehen gibt es an der Bernsteinstraße eine bedeutende Engstelle, die jeder und jede auf dem Weg von Norden nach Süden und von Ost nach West in Richtung Italien passieren muss. Dieser "Hot Spot" liegt in Ločica bei Celje im heutigen Slowenien. Von hier gelangt man über den Trojane-Pass Richtung Italien – wer den Karst passiert, befindet sich in der padanischen Ebene, auf freiem Weg nach Rom.
Der Kaiser lässt an dem neuralgischen Punkt in Ločica ein Militärlager für eine neu ausgehobene Legion, die legio II Italica, bauen. Die Truppen werden für die Verstärkung der im Osten dezimierten Einheiten benötigt. Dort, wo ihr Lager noch heute unter der Erde liegt, hat das Österreichische Archäologische Institut geophysikalische Messungen mit Radar und Magnetik durchgeführt.


Geophysikalische Untersuchungen in Ločica bei Celje (Slowenien). Im Hintergrund der Trojane-Pass, über den die Bernsteinstraße nach Italien führt.
Foto: Stefan Groh, ÖAW/ÖAI


Die Ergebnisse sind gerade heute von historischer Bedeutung: Man kann nämlich nachverfolgen, in welcher Reihenfolge, mit welchen Prioritäten die Gebäude im Lagerinneren in Krisenzeiten errichtet werden, welche Strategien und Akutmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie in Oberitalien im Jahr 169 n. Chr. ergriffen wurden.

Man beginnt mit dem Mauerring, der Befestigung. Im Inneren konzipiert man die Abwasserkanäle, und dann errichtet man als erstes Gebäude, vielleicht auf Anraten des Leibarztes Galenus, ein für damalige Zeiten riesiges valetudinarium – ein 8.250 Quadratmeter großes Heeresspital.

Der Grundriss des Militärlagers von Ločica bei Celje (Slowenien) mit den Innenbauten. Rot das Heeresspital (valetudinarium) und Grün der Speicherbau (horreum).
Grafik: H. Sedlmayer, ÖAW/ÖAI

Daneben einen ebenfalls übergroßen (2.500 Quadratmeter) Speicherbau (horreum) für Getreide, mit dessen Volumen man 5000 Menschen, also die gesamte Bevölkerung einer römischen Stadt in Noricum, ein Jahr lang hätte versorgen können. Nur diese beiden Gebäude werden fertiggestellt. In den 34 Abteilungen des Heeresspitals versorgt man 500 Erkrankte beziehungsweise Infizierte und hält sie in Quarantäne. Mit der sehr rasch neu geschaffenen Infrastruktur konnte man somit zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung einer Stadt medizinisch versorgen bzw. isolieren. Analogien zu den aus dem Boden gestampften Spitalsbauten in Wuhan und zu befürchteten Nahrungsmittelengpässen tun sich da auf.


3D-Visualisierung eines römischen Heeresspitals (valetudinarium)
Foto: 7reasons

Weitere überraschende Befunde kamen zu Tage: Man baute lediglich Mannschaftsunterkünfte für zwei anstatt sechs Kohorten, für höchstens 1.500 Soldaten. Anhand der Grundrisse dieser Kasernen kann man, neben Soldaten der legio II Italica, auf die zusätzliche Präsenz einer mobilen berittenen Eliteeinheit aus Rom, nämlich der kaiserlichen Garde (equites singulares) schließen. Diese wurde explizit für den Grenz- und Quarantäneschutz abkommandiert und indiziert die Anwesenheit des Kaisers selbst.

Als weiterer Bau wird das Stabsgebäude (principia) errichtet, wo der Lagerkommandant und sein Krisenstab ihre Büros einrichten. Zuletzt beginnt man mit dem Bau eines großen Badegebäudes (thermae), das unabdinglich für die Einhaltung der hygienischen Maßnahmen ist. Die übrigen 150.000 Quadratmeter großen Flächen innerhalb der Lagermauern bleiben frei. Anscheinend überschlagen sich nämlich die Ereignisse: Die Thermen werden nicht mehr fertiggestellt, und die Truppe verlegt man vorzeitig an die Donau nach Lauriacum (Enns). Das Heeresspital und der Speicherbau dürften jedoch längere Zeit danach noch in Betrieb geblieben sein.

Auswirkungen der Epidemie
Marcus Aurelius schloss die Grenzen Italiens – einerseits, um das Eindringen von Aggressoren zu verhindern, andererseits, um mit einer Quarantänestation die Verbreitung des Virus einzudämmen. Die Stationierung einer fernab der pandemischen Ausbreitung aus Rom herangezogenen mobilen Eliteeinheit ist Teil dieses Konzepts.

Die Strategien im Kampf gegen das Virus sind auch für die damalige Zeit als sehr fortschrittlich zu bezeichnen und durchaus mit heute vergleichbar: In einem globalisierten römischen Weltreich ist die Wirksamkeit und Ausbreitung des Virus vorerst nicht absehbar. Sobald jedoch Erfahrungswerte gesammelt sind, werden unter Beiziehung von medizinischen Spezialisten umgehend Sofortmaßnahmen ergriffen: Man baut eine Quarantänestation und Speicherbauten für Lebensmittelvorräte, da nicht klar ist, wie lange die Krise dauern wird. Parallel dazu werden Elitetruppen abgestellt, die neuralgische Verkehrsknotenpunkte kontrollieren.

Wie geht diese Episode der römischen Geschichte aus? Kurzfristig erfolgreich, die römische Armee schlägt die Germanen, die Außengrenzen werden gesichert, die "Bernsteinroute" geschlossen. Mittelfristig sind weniger die militärische Bedrohung denn die Auswirkungen des Virus, der Antoninischen Pest, eine Gefahr für das römische Reich. Im Jahrzehnt nach diesen Ereignissen ist ein deutlicher Bevölkerungsrückgang und damit verbunden eine Verödung von Siedlungen und ein nachhaltiger wirtschaftlicher Niedergang merkbar.
Hoffen wir, dass unsere heutigen Maßnahmen und die medizinische Versorgung derart gravierende mittelfristige Auswirkungen auf die Bevölkerung verhindern. Zum Zeitpunkt der Publikation der archäologischen Forschungsergebnisse war die Aktualität der Thematik noch nicht abzusehen.
(Stefan Groh, 12.3.2020)

Stefan Groh hat Klassische Archäologie und Alte Geschichte an der Universität Graz studiert. Seit 1996 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter des ÖAI, seit 2009 in der Funktion als stellvertretender Direktor. Er führt Forschungsprojekte in Österreich und im Mittelmeerraum durch.


Literaturhinweise
S. Groh, Im Spannungsfeld von Macht und Strategie. Die legio II Italica und ihre castra von Ločica (Slowenien), Lauriacum/Enns und Albing, Forschungen in Lauriacum 16 (Linz 2018)
R.P. Duncan-Jones, The impact of the Antonine plague, Journal of Roman Archaeology 9, 1996, 108-136.
Corona und die Antoninische Pest - derStandard.at
 
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