Sklaverei: Die unaufgearbeiteten Gräueltaten der Niederlande

josef

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Die Niederlande gehörten zu den brutalsten Sklavenhaltern, aber erst jetzt setzt langsam eine Diskussion über dieses düstere Kapitel ein
Kopi Susu heißt ein gemütliches kleines Café an der J. P. Coenstraat in Utrecht. "Das ist indonesisch und bedeutet 'Kaffee mit Milch'", erklärt Kulturhistoriker Rens Bleijenberg und deutet auf die alten Fliesen an den Wänden, auf denen Reisfelder und Kaffeeplantagen abgebildet sind. "Sie erinnern daran, dass sich hier früher ein Kolonialwarenladen befand, wo sich die Leute mit Schokolade, Reis und Kaffee eindecken konnten."

Das macht dieses Café zum idealen Startpunkt für eine neue Stadtführung ganz besonderer Art: für einen Aufklärungsspaziergang, der den Niederländern die Schattenseiten ihrer kolonialen Vergangenheit bewusst machen soll. Denn viele Straßen sind nach Herrschern und Eroberern wie Witte de With, Piet Hein oder Michiel de Ruyter benannt, die als nationale Helden verehrt werden, aber nach heutigen Maßstäben Kriegsverbrecher sind. "Anno 2018 müssten sie sich vor einem der Tribunale in Den Haag verantworten", so Bleijenberg.

Sklaverei erst spät abgeschafft
Schon 1949 wurde der 2. Dezember von der Uno zum Welttag für die Abschaffung der Sklaverei erklärt. Doch die Niederländer fangen gerade erst an, dieses dunkle Kapitel ihrer Geschichte aufzuarbeiten. Dabei gehörten sie zu den grausamsten Sklavenhaltern der Kolonialmächte und zu den Letzten, die die Sklaverei abschafften – erst am 1. Juli 1863, 30 Jahre nach den Briten und 15 nach den Franzosen.

Insgesamt wurden zwölf Millionen Menschen von den Europäern zwischen dem 15. und dem 19. Jahrhundert versklavt. Für etwa 600.000 waren die Niederlande verantwortlich. Doch das wurde hinter den Deichen lange Zeit verdrängt, wollte es doch so gar nicht zum Selbstbild der alten Handelsnation passen, die sich gerne moralisch überlegen zeigt und ihre Regierungsstadt Den Haag stolz als "Welthauptstadt für Frieden und Gerechtigkeit" bezeichnet.

"Gepfefferte" Vergangenheit
Mit den Aufklärungsspaziergängen will Utrecht daran etwas ändern. Organisiert wurden sie in Zusammenarbeit mit der Stadt und der Universität Utrecht von der Arbeitsgruppe "gepeperde namen" – gepfefferte Namen. "Weil uns der Gewürzhandel im goldenen 17. Jahrhundert unglaublichen Reichtum beschert hat, aber ohne Sklaven nicht möglich gewesen wäre", so Bleijenberg. "Unsere Vergangenheit ist in doppelter Hinsicht gepfeffert."

Das beste Beispiel: Jan Pieterszoon Coen, kurz J. P. Coen genannt, Generalgouverneur der Vereinten Ostindischen Handelskompanie (VOC). Er starb 1629 in Batavia, dem heutigen Jakarta. Fast jede niederländische Stadt huldigt ihm mit einer Straße, einer Statue oder eine Büste. Dabei hat Coen auf den indonesischen Banda-Inseln mehr als zehntausend Menschen ermorden lassen, um dafür zu sorgen, dass sie ihre Gewürze nicht auch an die Engländer und Portugiesen verkauften. "Daraufhin gab es dort nicht mehr genug Menschen, um die Gewürze zu ernten", erzählt Bleijenberg, "J. P. Coen holte per Schiff Arbeiter aus Afrika. Das waren die ersten Plantagensklaven der Niederlande."

Angst vor Schadenersatzforderungen
Offiziell entschuldigt für die Gräueltaten der Kolonialzeit hat sich Den Haag bis heute nicht. Dabei, so der Rotterdamer Bürgermeister Ahmed Aboutaleb, könnte dadurch "endlich ein Punkt hinter dieses schwarze Kapitel gesetzt werden". Doch um rechtliche Folgen und Schadenersatzforderungen zu vermeiden, belässt es die Regierung dabei, "Scham, tiefes Bedauern und Reue" auszusprechen, so Innenministerin Kajsa Ollongren am 1. Juli dieses Jahres, als die Niederlande am Sklavereidenkmal in Amsterdam traditionell ihrer Abschaffung der Sklaverei gedachten.

Allerdings soll in Kürze mit dem Bau eines nationalen Sklavereimuseums begonnen werden. Das Amsterdamer Reichsmuseum plant erstmals eine Ausstellung zum Thema. Und in vielen Städten wird nun diskutiert, ob die umstrittenen Helden aus der Vergangenheit von ihren Sockeln geholt werden müssen. Eine J.-P.- Coen-Schule in Amsterdam wurde bereits umbenannt. Und Eindhoven hat im Zuge einer Stadtsanierung einem Viertel neue Straßennamen verpasst.

Aufklärung statt Auslöschung
Aber, so warnen Historiker: Neue Namen könnten dazu beitragen, dieses schwarze Kapitel einfach auszulöschen. Utrecht hat sich deshalb bewusst gegen das Umbenennen von Straßen entschieden – und setzt mit den Stadtführungen auf Aufklärung.
(Kerstin Schweighöfer aus Utrecht, 2.12.2018)

foto: getty / ventura carmona
Eine Statue von J. P. Coen in der niederländischen Stadt Hoorn. Er war für den Tod von mehr als 10.000 Menschen verantwortlich

Die unaufgearbeiteten Gräueltaten der Niederlande - derStandard.at
 
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