Studie simuliert die Folgen eines Einsatzes der derzeit weltweit existierenden 15.000 Atomwaffen

josef

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#1
Was bei einem globalen Atomkrieg passieren würde
Das Ende des Mittelstreckenvertrags erinnert daran, dass es weltweit rund 15.000 Atomwaffen gibt. Eine neue Studie plus Video simuliert die Folgen ihres Einsatzes



Es ist schon wieder einige Zeit her, dass man Gedanken an einen Atomkrieg recht gut verdrängen konnte. Doch das Ende des Washingtoner Vertrags über nukleare Mittelstreckensysteme Anfang dieses Monats und die jüngsten Tests sowohl auf russischer wie auch auf US-amerikanischer Seite rufen in Erinnerung, dass auf der Welt rund 15.000 Nuklearsprengköpfe gelagert sind – und jeweils rund 7000 davon vom russischen und vom US-amerikanischen Präsidenten aktiviert werden können.

Zur Beruhigung trägt auch nicht gerade bei, dass Donald Trump den Einsatz von Atomwaffen nicht grundsätzlich ausschließt, und dass mit Indien und Pakistan zwei Atommächte in einer potenziell explosiven Auseinandersetzung um den Kaschmir stehen.

Wir halten bei zwei vor zwölf
Auch aus diesen Gründen steht die Weltuntergangsuhr der Zeitschrift "Bulletin of the Atomic Scientists" aktuell auf zwei vor zwölf. Damit ist der Wert eingestellt, der zwischen 1953 und 1960 herrschte, als die damaligen Supermächte recht intensiv Atom- und Wasserstoffbomben testeten und der Kalte Krieg tatsächlich heiß zu werden drohte.

Was aber passiert, wenn die Atomwaffenarsenale tatsächlich zum Einsatz kommen sollten? Damit haben sich aus wissenschaftlicher Sicht in erster Linie Atmosphärenforscher beschäftigt. Eine der ersten Arbeiten stammt vom späteren Nobelpreisträger Paul J. Crutzen, dem Mitentdecker des Ozonlochs und dem Erfinder des Begriffs Anthropozän. Er kam 1982 mit einem Kollegen zum Schluss, dass es nach einem atomaren Schlagabtausch zu enormen Bränden und in der Folge einer fatalen Freisetzung von Stickoxiden und Sauerstoffradikalen kommen würde. Das wiederum würde zu einer mehrjährigen Abkühlung der Erde und zu einem Zusammenbruch der Nahrungsmittelproduktion auf der nördlichen Hemisphäre führen.

"Nuklearer Winter"
Ein Jahr später legte der Klimaforscher Richard Turco mit Kollegen im Fachblatt "Science" eine bahnbrechende Modellrechnung vor, die auch begriffsbildend wurde: Turco und seine Kollegen prägten damals die Bezeichnung "nuklearer Winter" für eine radikale Abkühlung der Erde auf Temperaturen von minus 15 bis minus 25 Grad Celsius. Diese sogenannte TTAPS-Studie wurden in den Modellrechnungen seither immer wieder leicht modifiziert, aber weitgehend bestätigt – so etwa auch in einem Bericht des Goddard-Instituts für Weltraumforschung der Nasa im Jahr 2007.
Die neueste Modellrechnung stammt von einer Gruppe um Joshua Coupe (Rutgers University), die sich ebenfalls ganz auf die Klimafolgen aufgrund eines Atomkriegs beschränken. (Würden etwas mehr als die Hälfte der Atombomben in Großstädten detonieren, dürften allein dadurch rund drei Milliarden Menschen sofort getötet werden.)

Laut den Simulationen von Coupe und seinen Kollegen, die im Wesentlichen die älteren Modellrechnungen bestätigen, würden die nuklearen Detonationen etwa 147 Millionen Tonnen Ruß in die Atmosphäre blasen – und zwar so hoch, dass sie sich in der Stratosphäre verteilen und die Sonne verdunkeln würden. Dazu gibt es auch ein anschauliches Video:

Dinge Erklärt – Kurzgesagt

Sieben Jahre Dunkelheit
Wie die Forscher in der jüngsten Ausgabe des Fachblatts "Journal of Geophysical Research: Atmospheres" schreiben, würden die globalen Temperaturen im ersten Jahr nach der Katastrophe um sieben Grad Celsius sinken, um dann in der permanenten Dunkelheit um weitere neun Grad zu fallen. Zusätzlich würde eine Reduktion der Niederschläge die Produktion von Lebensmitteln nachhaltig erschweren. Erst nach rund sieben Jahren würde sich der Ruß und damit auch der nukleare Winter wieder einigermaßen verziehen.

Das Resümee der Autoren möge man bitte auch den beiden eingangs erwähnten Präsidenten zur Kenntnis bringen: Ein nuklearer Angriff und die daraus resultierende Umweltkatastrophe wäre in jedem Fall auch für jenes Land selbstmörderisch, das ihn startet.
(tasch, 23.8.2019)

Originalartikel
Journal of Geophysical Research: Atmospheres: "Nuclear Winter Responses to Nuclear War Between the United States and Russia in the Whole
Atmosphere Community Climate Model Version 4 and the Goddard Institute for Space Studies Model E"

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#3
Selbst ein lokaler Atomkrieg hätte globale Folgen
Forscher modellierten die Folgen eines nuklearen Schlagabtauschs zwischen Indien und Pakistan. Die Folgen wären verheerend

Indien und Pakistan verfügen derzeit über 150 Nuklearwaffen, die Explosion einer einzigen wäre katastrophal.
Foto: APA/AFP

Der Einsatz von Nuklearwaffen ist derzeit keineswegs von der Hand zu weisen. Vor wenigen Tagen hat Pakistans Ministerpräsident Imran Khan vor der UN-Vollversammlung in New York mit einer emotionalen Rede vor einem "Blutbad" im Rahmen des Kaschmir-Konfliktes mit Indien gewarnt. Selbst den Einsatz von Atomwaffen hielt er für möglich. Sollten die Vereinten Nationen nicht eingreifen, sei ein weiterer Krieg zwischen den Atommächten Pakistan und Indien wahrscheinlich. Die Doomsday Clock – die Weltuntergangsuhr oder Atomkriegsuhr -, die von der Zeitschrift "Bulletin of the Atomic Scientists" zuletzt auf zwei vor zwölf gestellt wurde, hat diese Entwicklung berücksichtigt. Die Situation ist momentan also durchaus kritisch.

Was wäre, wenn ...
Klar ist aber auch, dass keine der beiden Seiten es tatsächlich so weit kommen lassen will – und doch arbeiten Forscher bereits an Szenarien, die sich mit den Folgen eines regionalen Atomwaffenkrieges auseinandersetzen: Wissenschafter von der University of Colorado Boulder und der Rutgers University haben die Konsequenzen eines solchen hypothetischen atomaren Konfliktes analysiert. Die Auswirkungen wären demnach keineswegs nur lokal, sondern würden rund um den Globus wahrscheinlich Millionen Menschenleben kosten.

Aktuell haben Indien und Pakistan jeweils rund 150 Nuklearwaffen zur Verfügung, bis zum Jahr 2025 könnten es mindestens 200 werden, so die derzeitige Schätzung. Was die beiden Länder damit anrichten könnten, hat nun ein Team um Brian Toon von der University of Colorado im Fachjournal "Science Advances" vorgerechnet. "Ein atomarer Krieg zwischen diesen beiden Nationen wäre ohne Vergleich in der menschlichen Geschichte", meint Toon.

Über hundert Millionen Tote
Nach den Analysen der Forscher erfolgt die nukleare Katastrophe in mehreren Stufen: Dem Einsatz von rund 250 atomaren Sprengkörpern über Großstädten in Indien und Pakistan dürften insgesamt zunächst mindestens 50 bis 125 Millionen Menschen zum Opfer fallen. Der Großteil dieser Menschen stirbt wahrscheinlich nicht sofort durch die jeweiligen nuklearen Explosionen, sondern durch die Feuer, die in der Folge ausbrechen.

Für den Rest der Welt mag es nach einem solchen lokalen Atomkrieg kaum besser aussehen: Die Forscher um Toon berechneten, dass ein Atomkrieg zwischen Indien und Pakistan mindestens 36 Milliarden Kilogramm an Ruß in die Erdatmosphäre transportieren wird. Diese schwarzen Wolken würden das Sonnenlicht rund um den Globus blockieren und letztlich die weltweite Durchschnittstemperatur um bis zu fünf Grad Celsius reduzieren.

Weniger Nahrungsmittel
In der Folge würde es global zu einer Verringerung der durchschnittlichen Niederschläge um 15 bis 30 Prozent kommen. Das wiederum hätte als Konsequenz, dass Pflanzen weniger Energie in Form von Biomasse speichern würden, und zwar bis zu 30 Prozent an Land und bis zu 15 Prozent in den Ozeanen.

Für die Landwirtschaft wäre dies letztlich eine Katastrophe, eine weltweite Nahrungsmittelknappheit wäre unausweichlich. Und diese würde wohl auch für mehrere Jahre anhalten. Die Modellberechnungen gehen davon aus, dass die Rußwolken über zehn Jahre in der Atmosphäre für Dunkelheit sorgen.

"Unsere Untersuchungen basieren auf modernsten Modellberechnungen und zeigen, dass selbst ein solcher lokaler Atomkrieg großräumige Rückgänge bei der Produktivität von Pflanzen an Land und Algen im Ozean zur Folge hätte", sagt Co-Autorin Nicole Lovenduski. "Die entsprechenden Konsequenzen für Organismen in den oberen Bereichen der Nahrungskette inklusive des Menschen wären dramatisch."
(Thomas Bergmayr, 3.10.2019)

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#4
Hier wird das Horrorszenario "Atomkrieg zwischen Indien und Pakistan" weitergesponnen:

Lokaler Atomkrieg würde die ganze Welt in eine Hungersnot stürzen
Eine aktuelle Studie rechnet vor, was passiert, wenn es zwischen Indien und Pakistan zu einem nuklearen Schlagabtausch kommt

Ein Atompilz nach dem französischen Wasserstoffbombentest "Canopus" (2,6 Megatonnen TNT) am 24. August 1968 erhebt sich über dem Fangataufa-Atoll in Französisch-Polynesien.
Foto: APA/AFP

In Zeiten der Corona-Krise treten andere globale Katastrophenszenarien in der öffentlichen Aufmerksamkeit in den Hintergrund. Das bedeutet freilich nicht, dass sich die entsprechenden Gefahren einfach in Luft auflösen. So waren beispielsweise die beiden Atommächte Indien und Pakistan im vergangenen August einem bewaffneten Konflikt um die umstrittene Region Kaschmir so nahe wie davor schon lange nicht mehr. Indien drohte sogar indirekt mit einem nuklearen Erstschlag: Verteidigungsminister Rajnath Singh hatte angedeutet, dass sein Land in Zukunft seine Verpflichtung zu "No First Use", also das Bekenntnis dazu, Atomwaffen nur zu Verteidigungszwecken zu verwenden, überdenken werde.

Hinzu kommt, dass wichtige internationale Verträge zur Rüstungskontrolle von Atomwaffen zuletzt beendet oder untergraben wurden. Diese Entwicklung könnte in ein neues nukleares Wettrüsten, eine weitere Verbreitung von Atomwaffen und niedrigere Eintrittsschwellen für einen Atomkrieg münden, warnen Experten. Kein Wunder also, dass die vom "Bulletin of the Atomic Scientists" jedes Jahr neu justierte symbolische Weltuntergangsuhr, die Doomsday Clock, vor wenigen Wochen auf einen in seiner 73-jährigen Geschichte noch nie erreichten Wert vorgerückt ist: Sie steht aktuell bei 100 Sekunden vor Mitternacht.

Ein Jahrzehnt der Abkühlung
Zwar würde ein regionaler Atomkonflikt zwischen Indien und Pakistan die Welt nicht direkt untergehen lassen, die Auswirkungen wären aber dennoch von globaler Tragweite. Eine internationale Forschergruppe hat nun in einer detaillierten Studie, die Klima-, Landwirtschafts- und Wirtschaftsmodelle kombiniert, die Folgen eines solchen nuklearen Katastrophenszenarios durchgerechnet. Das erschreckende Fazit: Ein lokaler atomarer Schlagabtausch, bei dem "nur" 100 Atomwaffen (also weniger als ein Prozent aller weltweit verfügbaren Nuklearwaffen) eingesetzt werden, würde der Welt ein Jahrzehnt der Abkühlung bescheren und dadurch zur schlimmsten weltweiten Nahrungsmittelverknappung in der modernen Geschichte führen.

Die Untersuchung, die von einem Team um Jonas Jägermeyr von der University of Chicago und dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung geleitet wurde, ist die erste, die vereinfachte Schätzungen des globalen Klimas und der landwirtschaftlichen Folgen eines Atomkonflikts aus der Zeit des Kalten Krieges verfeinert. Die Ergebnisse zeigen, dass ein plötzlicher Klimawandel schwere Ernteverluste verursachen, den weltweiten Handel praktisch zum erliegen und regionale Konflikte verschärfen würde – eine globale Krise wäre damit unausweichlich.
Grafik: Durchschnittliche Einbußen bei den Maiserträgen in den ersten fünf Jahren nach einem Atomkrieg zwischen Indien und Pakistan.
Grafik: Pnas/Jägermeyr et al.

Weit schädlicher als die Erderwärmung
"Plötzliche Abkühlung ist für das weltweite Pflanzenwachstum sogar schädlicher als die gleiche anthropogene Erwärmung", sagt Jägermeyr. "Sie betrifft hauptsächlich die nördlichen Getreideanbauregionen und geschieht im Grunde genommen über Nacht, verglichen mit dem allmählichen, langfristigen systemischen Klimawandel, an den sich die Gesellschaft deshalb leichter anpassen kann."

Die in der Fachzeitschrift "Pnas" veröffentlichte Studie zeigt, dass der regionale Einsatz von Atomwaffen und die dabei verursachten Brände zu einer Freisetzung von geschätzten fünf Millionen Tonnen Ruß in die Erdatmosphäre führt, der bis in die Stratosphäre gelangt. Die Modelle sagen voraus, dass die Abschwächung der Sonneneinstrahlung einen weltweiten Temperaturabfall von durchschnittlich 1,8 Grad Celsius und einen Rückgang der Niederschläge um acht Prozent bewirkt. Diese plötzlichen Veränderungen würden 10 bis 15 Jahre andauern, ehe sich das Weltklima wieder erholt. Diese Abkühlungsperiode würde jedoch den anthropogenen Klimawandel nur verzögern, aber nicht rückgängig machen.

Dramatische Ernteeinbußen
Für die Pflanzenwelt wäre dieses Klimaintermezzo katastrophal, so die Autoren. Letztlich würde die abrupte Abkühlung die Landwirtschaft in vielen Regionen der Erde weitgehend beeinträchtigen. Man müsste mit erheblichen Ernteeinbußen bei Mais, Weizen, Sojabohnen und Reis rechnen. Im einzelnen heißt das: Die Maiskalorienproduktion würde in den ersten fünf Jahren um 13 Prozent, Weizen um 11 Prozent, Reis um drei Prozent und Sojabohnen um 17 Prozent sinken.

Video: 25,4 Kilotonnen-Atomwaffentest der USA im Bikini-Atoll am 21. Mai 1958.
Lawrence Livermore National Laboratory

Die landwirtschaftlichen Folgen seien dabei in Regionen in hohen Breitengraden wie den Vereinigten Staaten, Europa, China und Russland am schwerwiegendsten. Dort würden niedrigere Temperaturen bedeuten, dass die Pflanzen nicht mehr ausreifen, bevor der erste Herbstfrost einsetzt. "Die Auswirkungen auf den Anbau der Grundnahrungsmittel wären die schlimmsten in der modernen Geschichte", so Jägermeyer. "Dramatischer noch als das Dust Bowl-Ereignis in den 1930er Jahren in den USA und Kanada und die Auswirkungen der größten Vulkanausbrüche."

Fünf Milliarden Menschen betroffen
Um zu simulieren, wie sich die landwirtschaftlichen Verluste auf die globale Ernährungssicherheit auswirken würden, ergänzten die Wissenschafter Wirtschafts- und Handelsmodelle: Zunächst würden Lebensmittelreserven demnach zwar einen Teil der Ernteausfälle kompensieren können. Längerfristig anhaltende Ernteverluste würden letztendlich aber die Lager leeren und den Export von Lebensmitteln in südliche Länder, die für die Ernährung der Bevölkerung auf den Handel angewiesen sind, verringern. Bis zum vierten Jahr nach dem Atomkonflikt würden 132 von 153 Ländern – eine Gesamtbevölkerung von fünf Milliarden Menschen – unter Nahrungsmittelknappheit von über 10 Prozent leiden, so die Studie.

Es könnte sogar noch schlimmer kommen: Das Szenario mit fünf Millionen Tonnen Ruß war auf Basis von mehr als zehn Jahre alten Daten entwickelt worden. Die Forscher glauben, dass heute bei einem Atomkrieg zwischen Indien und Pakistan mindestens 16 Millionen Tonnen Ruß freigesetzt werden würden, da die beiden Länder über Waffen mit größerer Zerstörungskraft verfügen und auch ihre potenziellen Ziele größer geworden sind. In Summe könnte das heißen, dass die Folgen eines solchen atomaren Konfliktes in Wahrheit bis zu dreimal heftiger ausfallen könnten.

"So schrecklich die unmittelbaren Auswirkungen des Einsatzes von Atomwaffen auch sein mögen, deutlich mehr Menschen würden außerhalb der Zielgebiete aufgrund von Hungersnöten sterben", sagt Koautor Alan Robock von der Rutgers University im US-Bundesstaat New Jersey. "Die Verbreitung von Atomwaffen geht heute ungebremst weiter – es gibt de facto ein nukleares Wettrüsten in Südasien", so der Forscher. "Unsere Untersuchung ist daher – leider – keine historische Betrachtung zum Kalten Krieg."
(tberg, 16.3.2020)

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#7
NUKLEARER WINTER
Könnten die Meere die Menschheit nach einem Atomkrieg ernähren?
In einem nuklearen Winter würde die globale Nahrungsmittelproduktion einbrechen. Forscher untersuchten, wie stark die Fischerei betroffen wäre
Neun Staaten der Welt sind aktuell im Besitz von Atomwaffen. Zusammen verfügen sie nach Schätzungen der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen über etwa 13.400 Sprengköpfe – der absolute Großteil davon gehört den USA und Russland. Etwa 4.000 Sprengköpfe sind jederzeit einsatzbereit, 1.800 davon können ihre Ziele binnen Minuten treffen. Auch wenn die Zahl der Atomwaffen auf unserem Planeten seit dem Kalten Krieg erheblich zurückgegangen ist, bleibt die Möglichkeit eines Atomkriegs jederzeit gegeben. Eine kürzlich veröffentlichte Studie beschäftigt sich mit der Frage, wie die Menschheit die Hungersnöte überstehen könnte, die einer solchen Katastrophe unweigerlich folgen würden.


Schon ein lokaler Atomkrieg hätte globale Folgen: In die Atmosphäre geschleuderte Staub- und Rußpartikel würden die Erde merklich verdunkeln und abkühlen.
Foto: APA/AFP

Welche verheerenden Folgen ein Atomkrieg hätte, wurde schon vielfach untersucht. Klar ist: Sie würden weit über Tod, Zerstörung und Verstrahlung in den direkt betroffenen Gebieten hinausgehen. Schon in den 1980er-Jahren legten Atmosphären- und Klimaforscher Modelle vor die zeigten, dass selbst ein lokaler Atomkrieg zu einer mehrjährigen globalen Klimaabkühlung führen würde – mit dramatischen Auswirkungen auf die Landwirtschaft und damit die Nahrungsmittelproduktion. Der umfangreiche Einsatz von Atomwaffen würde große Mengen an Ruß in die Erdatmosphäre befördern, die sich dort verteilen und das Sonnenlicht rund um den Globus blockieren würden. Über Jahre würde die Temperatur sinken, Niederschläge würden abnehmen, die Erträge Landwirtschaft drastisch einbrechen.

Simulierte Schreckensszenarien
Aber wie betroffen wären die Meere vom nuklearen Winter? Könnte die Menschheit den Nahrungsmittelschwund durch Fischerei kompensieren und so die schwierigen Jahre überdauern? Dieser Frage gingen Forscher um Kim Scherrer von der Autonomen Universität Barcelona nach. Für ihre Studie im Fachblatt PNAS simulierten sie sechs unterschiedliche Atomkriegsszenarien zwischen den USA und Russland bzw. Indien und Pakistan und die Folgen der globalen Abkühlung für die Biomasse der Meere. In ihren Modellen berücksichtigten sie auch, wie sich die plötzlich steigende Nachfrage auf die Fischbestände auswirken würde und welche Effekte unterschiedliche Strategien zum Fischereimanagement vor dem Krieg hätten.


Auch die marinen Ökosysteme hätten unter einem nuklearen Winter zu leiden. Dennoch könnte die Fischerei einen zentralen Beitrag zur Welternährung leisten – wenn sie in guten Zeiten nachhaltig betrieben wird.
Foto: Imago

Das Ergebnis: Die Fischbestände würden in den Jahren nach einem atomaren Krieg wie zu erwarten einbrechen, und zwar im schlimmsten Szenario, einem totalen Atomkrieg zwischen den USA und Russland mit tausenden Atombombenexplosionen, um bis zu 30 Prozent. Bei einem lokalen Krieg zwischen Indien und Pakistan, bei dem "nur" einige Hundert Atomwaffen eingesetzt würden, wären es zumindest vier Prozent. Wenn es die Infrastruktur zuließe, könnten die weltweiten Fischereierträge kurzfristig gesteigert werden, um fehlende Nahrungsmittel aus der Landwirtschaft zu ersetzen. Spätestens ein bis zwei Jahre nach der Katastrophe wären die Einbußen der Fischerei aber unabwendbar. Die entgangenen Landwirtschaftserträge wären damit nur noch zu einem sehr geringen Teil ausgleichbar.

Plädoyer für nachhaltige Fischerei
Die Verluste der marinen Biomasse ließen sich aber deutlich abmildern, schreiben die Autoren: Meeresschutz und nachhaltige Maßnahmen gegen Überfischung in den Jahren vor einem atomaren Krieg würden ein ganz anderes Resultat ergeben. Auf diese Weise könnten über mehrere Jahre hinweg an die 40 Prozent des heute durch die Fleischproduktion gedeckten Proteinbedarfs durch Fisch ersetzt werden. "Ich war überrascht, wie groß der Effekt wäre", sagte Scherrer. Und das wäre nicht nur im Falle verheerender Kriege relevant: "Es ist eine große Herausforderung, die Fischerei nachhaltig zu gestalten, aber unsere Studie zeigt, dass dies neben allen anderen Vorteilen auch dazu beitragen würde, globale Nahrungsmittelkrisen abzumildern."
(dare, 9.1.2021)

Studie
PNAS: "Marine wild-capture fisheries after nuclear war"

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#8
NUKLEARE EISZEIT
Welche Folgen ein Atomkrieg auf Atmosphäre und Ozeane hätte
Simulationen zeigen, dass die Welt Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende bräuchte, um sich von einem nuklearen Konflikt zu erholen

Ein nuklearer Schlagabtausch würde die Erde in Dunkelheit hüllen und die Temperaturen dramatisch sinken lassen.
Foto: imago images/blickwinkel/McPHOTO/M. Gann

Seit 2019 zeigt das Ziffernblatt der Weltuntergangsuhr 100 Sekunden vor zwölf, so nahe am nuklearen Abgrund waren wir nie zuvor in der 73-jährigen Geschichte der Doomsday Clock – das war freilich, bevor Russland die Ukraine angegriffen hat. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass die Zeiger beim nächsten Mal ein paar Striche weiter springen. Namhafte Forschungsinstitute wie das Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) warnen eindringlich vor dem raschen Anwachsen der Atomwaffenarsenale und seinen Konsequenzen.

Neun Atommächte
Fünf Staaten sind heute offiziell und vom Atomwaffensperrvertrag (NPT) anerkannt im Besitz von Atomwaffen: USA, Russland, Frankreich, China, Großbritannien. Außerdem verfügen auch Israel, Pakistan, Indien und Nordkorea über solche Waffen, doch sie sind keine Mitgliedsstaaten des NPT. Zusammen kommen diese neun Länder nach Schätzungen der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen auf über etwa 13.400 Sprengköpfe. Rund 4.000 davon sollen einsatzbereit sein, und 1.800 befinden sich in ständiger Alarmbereitschaft und könnten Ziele binnen Minuten erreichen.

Was der Einsatz von Atomwaffen anrichtet, wurde in Hiroshima und Nagasaki drastisch vor Augen geführt. Ein nuklearer Krieg, und sei er auf ein noch so kleines Gebiet beschränkt, würde die menschliche Zivilisation heute zwangsläufig für sehr lange Zeit weit zurückwerfen. Welche Folgen ein atomarer Schlagabtausch für das Weltklima und die Ozeane hätte, hat ein Team von der Louisiana State University nun näher untersucht. Die Kurzfassung: Es wäre der Anbruch einer buchstäblich dunklen, kalten Ära.

Ruß und Rauch in der oberen Atmosphäre
Hauptautorin Cheryl Harrison und ihre Gruppe spielten für ihre im Fachjournal "AGU Advances" veröffentlichte Studie unterschiedliche Atomkriegsszenarien durch – und alle endeten mit einer schwarzen Decke aus Ruß und Rauch in der oberen Atmosphäre, die die Sonne verhüllt. Im ersten Monat nach dem nuklearen Feuersturm würden die globalen Durchschnittstemperaturen um etwa 13 Grad Celsius sinken – eine dramatischere Temperaturveränderung als zu Beginn der letzten Eiszeit. "Es spielt dabei keine Rolle, wer wen bombardiert. Das können Indien und Pakistan oder die Nato und Russland sein. Sobald der Rauch in der oberen Atmosphäre gelangt, breitet er sich über den ganzen Globus aus und betrifft damit alle", sagte Harrison.

Konkret simulierten die Forschenden, was mit den Erdsystemen passieren würde, wenn die USA und Russland 4.400 100-Kilotonnen-Atomwaffen auf Städte und Industriegebiete werfen würden. In einem solchen Szenario verfrachten die Detonationen, besonders aber die nachfolgenden Brände 150 Millionen Tonnen Rauch und Ruß in die obere Atmosphäre.

In einer weiteren Modellvariante ging das Team von einem nuklearen Konflikt zwischen Indien und Pakistan aus, bei dem 500 100-Kilotonnen-Atomsprengköpfe gezündet werden. Auch hier landen immer noch mindestens 50 Millionen Tonnen Qualm und Ruß in der Atmosphäre. Zum Vergleich: Die Atombombe "Little Boy", die Hiroschima zerstörte, hatte eine Sprengkraft von 13 Kilotonnen TNT, Die Sprengkraft von "Fat Man", der Bombe, die die USA über Nagasaki abgeworfen haben, betrug 21 Kilotonnen.

Vereiste Häfen
Wenn die Lufttemperaturen sinken, werden auch die Ozeane kälter. Selbst Jahre nachdem sich der Rauch wieder verzogen hat, bleiben die Meere deutlich kühler als heute. Der globale Temperatursturz lässt das Meereis um mehr als 15 Millionen Quadratkilometer anwachsen, was einige wichtige Häfen vollkommen blockieren würde, darunter den Hafen von Tianjin in Peking, Kopenhagen und St. Petersburg. Ganz generell dürfte die Schifffahrt in der nördlichen Hemisphäre in weiten Teilen zum Stillstand kommen, was es wiederum sehr schwer macht, Lebensmittel und Versorgungsgüter an ihre Ziele zu transportieren.

Auch auf die Meeresbiologie würde sich der nukleare Winter unweigerlich auswirken. Dem Lichtmangel und dem Temperaturrückgang würden zuallererst die Meeresalgen zum Opfer fallen, sie sind das Fundament der marinen Nahrungsnetze – eine ozeanische Hungersnot und damit der Zusammenbruch der globalen Fischereiindustrien wären unausweichlich.

Folgen für Jahrtausende
Ehe sich die Erde vom Schlimmsten einigermaßen erholt hätte, dürften Jahrzehnte vergehen. Vor allem die Ozeane würden lange an den Veränderungen laborieren. Im angenommenen US-russischen Kriegsszenario dürften wohl Jahrhunderte ins Land ziehen, bevor tiefere Schichten der Ozeane in einen Zustand wie vor dem Atomkrieg zurückkehren. Bis die nuklearen Eiszeit zu Ende geht würde und das arktische Meereis sich wieder zurückgezogen hätte, dauerte es wahrscheinlich sogar Tausende von Jahren.

Die Ergebnisse ihrer Studie würden einmal mehr hervorstreichen, wie eng die globalen Erdsysteme heute miteinander vernetzt sind und wie empfindlich sie auf Störungen durch große Katastrophen wie Vulkanausbrüche, großflächige Waldbrände oder Kriege reagieren, so die Forschenden. "Der aktuelle Krieg in der Ukraine mit Russland und seine Auswirkungen etwa auf die Gaspreise zeigen uns eindringlich, wie anfällig unsere Weltwirtschaft und unsere Lieferketten gegenüber scheinbar regionalen Konflikten sind", sagt Harrison.

"Ein Atomkrieg hat schlimme Folgen für alle. Die Staats- und Regierungschefs der Welt haben bereits in den 1980er-Jahren auf unsere Studien verwiesen, um das nukleare Wettrüsten zu beenden," sagt Co-Autor Alan Robock von der Rutgers University. "Wir hoffen, dass diese neue Studie mehr Nationen dazu ermutigen wird, den Vertrag zum Verbot von Atomwaffen zu ratifizieren."
(tberg, 9.7.2022)

Studie

AGU Advances: "The new ocean state after nuclear war."

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Welche Folgen ein Atomkrieg auf Atmosphäre und Ozeane hätte
 

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#9
Selbst ein Mini-Atomkrieg könnte Hungersnöte verursachen
Der Einsatz von Nuklearwaffen hätte weitreichende Folgen auf die Ernährungssicherheit, zeigen Forschende in einer aktuelle Studie

Die Folgen eines nuklearen Winters für die Lebensmittelversorgung wären fatal – für Milliarden von Menschen, wie eine Studie zeigt.
Foto: Imago/United Archives Int WHA

13.400 Sprengköpfe horten die neun Atommächte mutmaßlich weltweit in ihren Arsenalen. Etwa 4.000 davon sind einsatzbereit und 1.800 in ständiger Alarmbereitschaft, um ihr Ziel innerhalb von Minuten zu erreichen. Erst kürzlich hat eine wissenschaftliche Studie im Detail verdeutlicht, welche Auswirkungen ein Atomkrieg auf die Atmosphäre und die Ozeane hätte. Nun zeigt ein weiteres Forschungsteam auf, welche Folgen eine nukleare Eskalation auf die weltweite Ernährungssicherheit hätte. Dabei wird deutlich, dass selbst ein kleiner Atomkrieg zu Hungersnöten führen könnte.

Die radioaktive Verstrahlung wäre klarerweise in der näheren Umgebung das größte Problem. Großflächig oder gar global hätte hingegen der Rußeintrag von Bränden, die durch Kernwaffen-Detonationen ausgelöst würden, mitunter fatale Auswirkungen auf die weltweite Nahrungsmittelproduktion.

Ähnliche Folgen wie jene eines Asteroideneinschlags
Das internationale Team um Lili Xia, vom Department für Umweltwissenschaften der Rutgers-Universität in New Brunswick, analysierte in sechs unterschiedlichen Szenarien, welche Auswirkungen die Detonation von Kernwaffen auf die Nahrungsmittelproduktion hätte und wie viele Todesfälle durch dadurch ausgelöste Hungersnöte zu erwarten wären. Ihre Arbeit ist in der aktuellen Ausgabe des Fachblatts "Nature Food" erschienen.
Die Problemstellung ähnelt jener des Asteroideneinschlags vor rund 66 Millionen Jahren auf die Erde. Dieser hatte den Eintrag von Sulfaten und Ruß in die Atmosphäre zur Folge. Durch das abgeschirmte Sonnenlicht kühlte die Erde ab, das Wetter veränderte sich und das Nahrungsangebot verknappte sich drastisch. Die bekanntesten Opfer dieser Katastrophe waren die Dinosaurier, darüber hinaus waren aber noch viele weitere Spezies betroffen. "Diejenigen, die nicht unmittelbar vom Einschlag betroffen waren, starben schließlich an Hunger", schreibt Deepak K. Ray von der Universität Minnesota in Saint Paul in einem Kommentar zu der aktuellen Arbeit. Ein ähnliches Szenario könnte sich auch durch Kernwaffendetonationen ergeben.

Ernteausfälle durch von Kernwaffenexplosionen entzündete Brände
Auch durch den Rußeintrag durch von Kernwaffenexplosionen verursachten Bränden würde Sonnenlicht davon abgehalten werden, die Erdoberfläche zu erreichen. Wie groß die resultierenden Ernteausfälle durch einen nuklearen Winter wären, hänge einerseits vom Ausmaß der Abkühlung, aber auch von den Veränderungen bei den Niederschlägen und der Sonneneinstrahlung auf die Erdoberfläche ab, die sich aus dem aufgewirbelten Ruß ergeben würden.

Konkret modellierte das Team um Lili Xia, wie sich ein einwöchiger Atomkrieg auf die Versorgung mit wichtigen Feldfrüchten und Meeresfischen sowie auf die Nutztierbestände auswirken würde. Ausgehend davon errechneten die Forschenden die Auswirkungen auf die Nahrungsmittelversorgung. Dabei wurde auch berücksichtigt, dass zunächst eingelagerte Lebensmittel zu Verfügung stünden und Lebensmittelabfälle in einer Notsituation reduziert würden. Weiters wurde angenommen, dass bei einer drohenden Hungerkrise die Felder hauptsächlich für die unmittelbare Lebensmittelproduktion für Menschen genutzt würden und weniger für Tierfutter oder Biokraftstoffen.

Mehrere Milliarden Hungertote in zwei Jahren
Trotz dieser Maßnahmen würde eine Kernwaffendetonation, die mehr als fünf Millionen Tonnen Ruß erzeugt, voraussichtlich in fast allen Ländern zu einer massiven Nahrungsmittelknappheit führen, wie die Berechnungen ergaben. Für einen Atomkrieg zwischen Indien und Pakistan würden die Forschenden innerhalb der ersten zwei Jahre nach Kriegsbeginn 2,5 Milliarden Hungertote erwarten. Bei einem Atomkonflikt zwischen der USA und Russland wären sogar fünf Milliarden Hungertote zu befürchten. Diese Ergebnisse "unterstreichen die Wichtigkeit von globaler Zusammenarbeit, um Atomkriege zu vermeiden", lautet das Fazit des Forschungsteams.
(16.8.2022, Tanja Traxler)

Studie
Nature Food: "Global food insecurity and famine from reduced crop, marine fishery and livestock production due to climate disruption from nuclear war soot injection"

Begleitkommentar zur Studie
Nature Food: "Even a small nuclear war threatens food security"

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Selbst ein Mini-Atomkrieg könnte Hungersnöte verursachen
 
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