Rätselhaftes Erdinneres

josef

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#1
RÄTSELHAFTES ERDINNERES
Ändert der Erdkern gerade seine Rotationsrichtung?
Bis vor kurzem ging die Wissenschaft davon aus, dass sich der innerste Kern der Erde etwas schneller dreht als der Rest des Planeten. Doch das könnte nun anders werden

Der harte Erdkern ist in eine Schicht aus flüssigem Metall eingebettet und dreht sich. Aber in welche Richtung? Und warum?
Getty Images/iStockphoto

Die tiefste Bohrung des Menschen kam gerade einmal 12.262 Meter weit in Richtung Erdinneres. Das ist nicht einmal ein Tausendstel des Erddurchmessers von 12.742 Kilometern. Dennoch weiß die Wissenschaft relativ gut über das Innere der Erde Bescheid – auch wenn es nach wie vor einige spannende Fragen gibt, über die nach wie vor heftig diskutiert wird.

Einer der umstrittensten dieser Fragen widmet sich eine Studie, die am Montag im renommierten Fachblatt "Nature Geoscience" erschien: Darin behaupten die chinesischen Seismologen Yi Yang und Xiaodong Song (beide Uni Peking), dass der innerste Kern unseres Planeten in den letzten zehn Jahren aufgehört hat, sich schneller zu drehen als der Rest des Erdinneren. Und sie gehen noch weiter: Womöglich ändert der Erdkern alle paar Jahrzehnte seine Rotationsrichtung – und diese Änderungsphase findet gerade statt.

Die vier Schichten des Erdinneren
Die neuen Untersuchungsergebnisse sind nicht unumstritten, was mit der Natur der Sache zu tun hat: Das Innenleben der Erde ist und bleibt eine rätselhafte Angelegenheit, auch wenn einige Grundlagen außer Streit stehen. Sehr grob gesagt besteht die Erde aus vier Schalen, nämlich aus der äußeren Kruste (oder dem oberen Mantel), dem größtenteils festen Erdmantel, gefolgt vom äußeren Kern aus flüssigem Metall und schließlich dem inneren Kern aus Eisen und Nickel, der in etwa so heiß ist wie die Oberfläche der Sonne.


Schematischer Aufbau des Erdinneren. Die Kilometerangaben beziehen sich auf die Entfernung von der Erdoberfläche.

Dieser innere Kern wurde erst 1936 von der dänischen Seismologin Inge Lehmann entdeckt, nachdem sie untersucht hatte, wie sich seismische Wellen von Erdbeben durch den Planeten bewegen. Sie konnte damals zeigen, dass der Planetenkern mit seinem Durchmesser von rund 7.000 Kilometern einen festen inneren Kern besitzen muss, der hauptsächlich aus Eisen besteht und von einer Hülle aus flüssigem Eisen und anderen Elementen umgeben ist.

Die heißdiskutierte Erdkernrotation
Da dieser innere Kern mit einem Durchmesser von rund 2.500 Kilometern durch den flüssigen äußeren Kern vom Rest der festen Erde getrennt ist, kann er sich anders drehen als die Erdoberfläche. Die Drehung des inneren Kerns steht wiederum im Zusammenhang mit dem Magnetfeld, das im äußeren flüssigen Metallkern erzeugt wird, sowie mit der Gravitationswirkung des Erdmantels. Doch wie sich dieser innere Kern bewegt, ist in der Wissenschaft umstritten.

Mitte der 1990er-Jahre gehörte Xiaodong Song, einer der beiden Autoren der neuen Studie, zu den ersten Wissenschaftern, die meinten, dass der innere Kern mit einer anderen Geschwindigkeit rotiert als die Erdoberfläche. Seitdem haben Seismologen Hinweise darauf gefunden, dass die Drehung des inneren Kerns sich etwas schneller vollzieht als jene der Erdoberfläche. Doch in ebendiese Frage kam zuletzt einige Bewegung.

Verlangsamung und Beschleunigung
Im Vorjahr etwa untersuchten der Seismologe John Vidale und die Geowissenschafterin Wei Wang (beide University of Southern California in Los Angeles) seismische Wellen, die durch US-Atomtests in den Jahren 1969 und 1971 erzeugt worden waren. Auf Basis dieser Daten ermittelten sie im Fachblatt "Science Advances", dass der innere Erdkern in diesen Jahren "subrotierte", sprich: Er drehte sich langsamer als der Erdmantel. Erst nach 1971 beschleunigte sich die Rotation wieder.

Nun soll laut Xiaodong Song, der dreißig Jahre lang in den USA forschte, und seinem jungen Kollegen Yi Yang aber wieder alles ein bisschen anders sein: Die beiden Seismologen gehen vereinfacht formuliert von der Theorie aus, dass zwei gigantische Kräfte um die Kontrolle über das Innerste der Welt kämpfen. Das Magnetfeld der Erde, das durch wirbelnde Eisenströme im flüssigen äußeren Kern erzeugt wird, zieht quasi am inneren Kern und bringt ihn ins Trudeln. Diesem Impuls wirkt der Erdmantel entgegen, die viskose Schicht über dem äußeren Kern und unter der Erdkruste, deren immenses Gravitationsfeld den inneren Kern erfasst und seine Drehung verlangsamt.

Gibt es einen 70-Jahre-Rhythmus?
Anhand ihrer neuerlichen Untersuchung seismischer Wellen, die von den 1960er-Jahren bis heute aufgezeichnet wurden, vermuten Song und Yang nun, dass dieses enorme Tauziehen den inneren Kern in einem Zyklus von etwa 70 Jahren hin und her bewegt. In den frühen 1970er-Jahren drehte sich der innere Kern im Verhältnis zur Erdoberfläche nicht. Von da an drehte sich der innere Kern allmählich schneller in Richtung Osten und überholte die Rotationsgeschwindigkeit der Erdoberfläche.

Danach verlangsamte sich die Drehung des inneren Kerns, bis sie irgendwann zwischen 2009 und 2011 zum Stillstand kam. Und nun beginne der innere Kern sich relativ zur Erdoberfläche allmählich nach Westen zu drehen. Wahrscheinlich wird er sich erst beschleunigen und dann wieder abbremsen, um in den 2040er-Jahren einen weiteren scheinbaren Stillstand zu erreichen und seinen letzten Ost-West-Drehzyklus zu vollenden, vermuten die Forscher.

Auswirkungen für die Erdenbewohner
Dieser 70-Jahre-Rhythmus könnte auch für uns spürbar sein, nämlich durch subtile Verschiebungen im Magnetfeld des Planeten oder durch eine geringfügige Veränderung der Tageslänge.

Die Untersuchung wird von Fachkollegen wie John Vidale durchaus gelobt: Es sei eine sorgfältige Studie von exzellenten Wissenschaftern; viele Daten seien darin eingeflossen. Dennoch blieben viele Fragen offen – etwa wie sich die Behauptung der langsamen Rotationsänderung mit anderen Studien vereinbaren lasse, die schnellere Änderungen registrierten. Vidales Zwischenbilanz zur Frage der Erdkernrotation: "Ich denke mir immer wieder, dass wir kurz davor sind, es herauszufinden. Aber ich bin mir nicht sicher."

Die einzige Methode, die Klärung bringen kann, ist für alle an der Erdoberfläche Betroffenen freilich denkbar unangenehm: die bei Erdbeben minutiöse Beobachtung der seismischen Wellen quer durch den Planeten mit seinen 12.742 Kilometer Durchmesser.
(tasch, 24.1.2023)

Originalpublikationen:
Bericht in "Nature"
Bericht in der "New York Times"

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josef

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SELTSAME ANOMALIE
Im Erdinneren gibt es möglicherweise kilometerhohe "Berge" aus uraltem Ozeanboden
Eine bei Erdbebenbeobachtungen entdeckte Schicht rund um den Erdkern könnte aus früherem Ozeangrund bestehen, der ins Innere des Planeten wanderte

Eine Illustration des inneren Aufbaus der Erde. Eine besonders extreme Grenzschicht ist der Übergang zwischen dem flüssigen Erdkern und dem zähflüssigen Erdmantel.
Bild: Getty Images/iStockphoto

Dass das Erdinnere aus Schichten aufgebaut ist, ist bekannt. Unser Wissen darüber stammt großteils aus seismischen Beobachtungen. Bohrungen reichen nur bis maximal zwölf Kilometer Tiefe, alles, was darunter liegt, muss auf indirektem Weg erforscht werden.

Zu Hilfe kommt der Forschung hier die Tatsache, dass Erdbeben Wellen ins Innere des Planeten schicken, wo sie, je nach den inneren Gegebenheiten, gestreut und reflektiert werden. Die Geschwindigkeit der Bebenwellen ist dabei nicht überall gleich. Das führt zu Brechungseffekten, ähnlich der Brechung von Licht auf Wasserflächen. Auch der Mond wurde auf diese Weise untersucht, seismische Messgeräte sind Teil etlicher Missionen zur Untersuchung von Planeten des Sonnensystems.

Der Unterschied zwischen den Schichten ist teils extrem: Der Dichteunterschied zwischen Erdmantel und Erdkern ist größer als jener zwischen Luft und Felsgestein. Gerade dort kommt es zu einer Reihe komplexer Phänomene. Doch nicht alle Feinheiten des Aufbaus des Erdinneren sind durch die Beobachtung von Erdbebenwellen sofort erkennbar. Mehr Messpunkte und mehr Daten ermöglichen immer genauere Analysen der komplexen Reflexionsmuster von Erdbebenwellen.


Eine Illustration der Erdbebenwellen, die zur Untersuchung der ULVZ genutzt wurden.
Bild: Drs. Edward Garnero and Mingming Li at Arizona State University.

Erdbebenwellen werden langsam
Vor etwa drei Jahrzehnten wurden die bislang ungewöhnlichsten Strukturen im Erdinneren entdeckt, die sofort die Aufmerksamkeit der Forschenden auf sich zogen. Zwischen dem flüssigen Erdkern und dem zähen Erdmantel gibt es Strukturen, in denen Erdbebenwellen sich besonders langsam fortbewegen. Sie werden ULVZ genannt, eine englische Abkürzung für Zonen mit ultra-langsamer Geschwindigkeit. Sie sind mit nur etwa fünf bis 50 Kilometern Dicke relativ dünn, von höherer Dichte als der darüberliegende Mantel und erstrecken sich nicht über den ganzen Globus, sondern bilden markante Zonen.

Über ihre Zusammensetzung gab es zahlreiche Spekulationen. Ein gängiges Modell geht von teilweise geschmolzenem Material aus, ausgelöst durch thermische Unregelmäßigkeiten aufgrund der Vorgänge an der Kern-Mantel-Grenze. Doch manche der ULVZ befinden sich in großer Entfernung von den heißesten Bereichen der Grenzzone. Das legt nahe, dass andere, für die Region untypische Substanzen im Spiel sind.


Ein seismisches Messgerät, das in der Antarktis im Boden installiert wird.
Foto: Lindsey Kenyon

Eine neue Studie behauptet nun, dass es sich dabei um Material handeln könnte, das von der Erdoberfläche stammt. Die spektakuläre Theorie wurde Anfang April im Fachjournal "Science Advances" präsentiert.


Für die Messung nutzte ein Team unter Leitung von Forschenden der Universität Alabama ein Netzwerk aus 15 Messstationen in der Antarktis. Über 1.000 Erdbebenmessungen wurden so über einen Zeitraum von drei Jahren durchgeführt. "Seismische Untersuchungen wie die unsrige liefern die höchstauflösende Darstellung der inneren Struktur unseres Planeten, und wir stellen fest, dass diese Struktur weitaus komplizierter ist als bisher angenommen", sagt Samantha Hansen von der Universität Alabama.

Reflexion vom Erdkern
Gegenstand der Untersuchung waren Reflexionen – das "Echo" – von Erdbebenwellen vom Erdkern. Damit war es möglich, erstmals ein hochauflösendes Bild der Grenzzone zwischen Erdkern und Erdmantel auf der Südhalbkugel zu erstellen.

"Bei der Analyse von Tausenden von seismischen Aufzeichnungen aus der Antarktis fand unsere hochauflösende Bildgebungsmethode überall dort, wo wir sondierten, dünne, anomale Materialzonen im CMB", berichtet Hansens Kollege Edward Garnero.

Dieses Video illustriert die komplexe Dynamik der Erdbebenwellen im Erdinneren.IRIS Earthquake Science

Die einfachste Erklärung für die Zusammensetzung der gefundenen Zonen ist laut dem Team Material, das einst den Ozeanboden bildete und entlang der Plattengrenzen in tektonischen Subduktionszonen extrem langsam ins Erdinnere gezogen wurde.


Die Forschenden stellen sich die Zonen aufgrund ihrer variablen Dicke als Berge im Erdinneren vor. "Die Dicke des Materials schwankt zwischen einigen Kilometern und mehreren zig Kilometern. Das deutet darauf hin, dass wir im Kern Berge sehen, die an manchen Stellen bis zu fünfmal so hoch sind wie der Mount Everest", sagt Garnero.

Computermodelle unterstützen die These. Nicht nur das heutige Verhalten der Zonen lasse sich so erklären, sondern auch das Entstehen der heute beobachteten Verteilung.
(Reinhard Kleindl, 10.4.2023)

Studie
Science Advances: "Globally distributed subducted materials along the Earth’s core-mantle boundary: Implications for ultralow velocity zones"

Im Erdinneren gibt es möglicherweise kilometerhohe "Berge" aus uraltem Ozeanboden
 
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