Verschwundene Arbeit: Berufe, die es nicht mehr gibt

K

Klissi

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#2
Na ja, das ein oder andere ist ja nicht gänzlich verschwunden, Trotzdem sehr interessant. So Sesselträger würde ich begrüßen :)
 

josef

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#3
Peitschenmacher

Wegen des Holzstiels der Peitschen zählte man die Tätigkeit der Peitschenmacher zu den holzverarbeitenden Gewerbebetrieben. Durch die Verdrängung der Pferde- und Ochsengespanne im Fuhrwerkswesen und in der Landwirtschaft durch die Motorisierung verschwand auch dieser Beruf.
Zum Betrieb eines PKW's, LKW's oder eines Traktors benötigt man keine Peitsche mehr, dafür einen "Gasfuß" :D

Peitschenmacher bei der Stielherstellung:
(Bildquelle ubk, - Zeitschriftenfragment aus der Zwischenkriegszeit)
 

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H

Hans1982

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#8
Der inzwischen verstorbene Schauspieler Götz Kauffmann hat Orgelbauer gelernt. Goldschmied ist ein weiterer Beruf der so ziemlich ausgestorben ist
 

josef

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#11


Türmer waren „Alarmanlage“ des Mittelalters
Schon im Mittelalter wurden Gebäude von einer Art Sicherheitsdienst bewacht, damals waren das die Türmer. Sie schlugen Alarm, wenn es einen Brand gab oder andere Gefahr drohte. In Villach hielt der Türmer bis 1934 Wache auf dem Stadtpfarrturm.
In Villach musste ab 22.00 Uhr Ruhe herrschen, der Nachtwächter bzw. Türmer machte die Bürger in Reimform darauf aufmerksam. Historiker Gernot Rader zitiert einen der Reime: „Hört Ihr Herren und lasst Euch sagen, unsere Uhr hat zehn geschlagen. Bewahrt das Feuer und das Licht, damit im Haus kein Unglück g’schieht.“ Im Mittelalter sei die Gefahr der Brände sehr groß gewesen, die Menschen verwendeten ja offenes Feuer. Das zeigte sich nach dem großen Erdbeben im Jänner 1348, als in Folge der Erschütterungen die halbe Stadt abbrannte.

Warnschüsse zeigten Ort der Gefahr an
Der Türmer war auch mit einem Gewehr ausgestattet. Im Notfall gab er, je nach Ereignis, Schüsse ab, so Rader: „Drei Schuss war das Zeichen, dass es in der Stadt brannte. Zwei Schuss im Stadtinneren und ein Schuss in den Vororten.“ Der Türmer musste auch einen Überblick über andere Gefahren haben, so habe es auch Räuberbanden gegeben, die versuchten in die Stadt einzudringen, sagte Rader.


ORF/Petra Haas
Vom Turm konnte der Wächter die ganze Stadt überblicken

Angestellte der Stadt
Die Türmer waren von der Stadt angestellt und so etwas wie Beamte im Außendienst. Manche von ihnen dürften recht gesellig gewesen sein, denn laut Rader habe es die Weisung an die Wirte gegeben, ihnen ab zehn Uhr abends nichts mehr zu trinken gegeben. Die Feuerlöschordnung von 1805 war noch strenger, die Feuerwächter mussten einen moralischen Lebenswandel haben. Damit ihre nächtliche Aufmerksamkeit nicht abschweifte, durften sie auch niemanden bei sich übernachten lassen."

Türmer mussten auch musikalische Fähigkeiten haben, denn nach den Alarmschüssen musste er die Trompete blasen und mit einer roten Fahne die Richtung eines Brandes anzeigen. 1885 wurde in Villach eine der ersten Telefonleitungen vom Turm zur Feuerwehr gelegt. Mit der technischen Weiterentwicklung wurden die Türmer überflüssig. Einer der letzten war Johann Furlan: „Er war als Amateurfunker mit der ganzen WElt in Verbindung. Am 1. Jänner 1934 ging er in Pension.“

Ehrentürmer 1993 ernannt
So ganz wollte man aber auf einen Türmer nicht verzichen, 1993 stellte der damalige Bürgermeister Helmut Manzenreiter den Kirchenwirt Raimung Rainer als Ehrentürmer ein. Über die 239 Stufen kann man heute noch Kärntens höchsten Stadtpfarrturm erklettern und die originale Türmerwohnung besichtigen.


Publiziert am 17.05.2019
Türmer waren „Alarmanlage“ des Mittelalters
 

josef

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#12
Der Türmer zu Villach
Im Mittelalter haben sie auf den Türmen der Städte Wache gehalten und die Leute vor Feuer und Banditen gewarnt. Heute ist der Beruf des Türmers eine touristische Attraktion: In Villach ist der 80 Jahre alte Raimund „Mundi“ Rainer Türmer auf dem höchsten Kirchturm Kärntens in Villach.
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Der Arbeitsplatz des 80-Jährigen ist der 94 Meter hohe Stadtpfarrturm in Villach. 239 Stufen führen nach oben, manche sind aus Holz, andere aus Stein. Die Stufen sind durchgetreten und krumm, für Besucher winden sie sich halsbrecherisch empor. Seit 26 Jahren ist das der beschwerliche Arbeitsweg für Raimund Rainer.

ORF
Türmer Raimund Rainer in seiner Dienstkleidung auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz

Spezielle Türmerkleidung
Tritt er seinen Arbeitstag als Türmer an, trägt er eine spezielle Dienstkleidung und ist mit Hellebarde und Laterne unterwegs. „Türmer wird man eigentlich dann, wenn man gefragt wird. Unser Turm wurde begehbar gemacht und revitalisiert. Der Bürgermeister Manzenreiter ist dann zu mir gekommen und hat gesagt, dass ein Türmer gebraucht wird“, so Rainer.

ORF
Der 94 Meter hohe Stadtpfarrturm ist der Arbeitsplatz des 80-Jährigen

Im Turm gibt es auch eine Türmer-Wohnung. „In der Küche hat der Türmer seine Mahlzeiten vorbereitet und es gibt ein Plumpsklo mit einem Kübel. Dieser Kübel wurde dann am Vormittag zum Viertelputzer hinunter auf die Straße gelassen und ausgeleert und für den Türmer wieder frisch hergerichtet“, so Rainer. Heutzutage bleibt die Toilettentüre verschlossen.

Tradition des Mittelalters
Türmer Raimund Rainer ist einer der letzten seiner Art, seine Arbeit fußt auf Traditionen des Mittelalters. „Der Türmer aus dem Mittelalter war eine wichtige Person, die vom Turm aus auf die Stadt hinunter geschaut hat, ob irgendwo Gefahr droht, Feuer ausbricht oder sonstiges. Er wurde dann mit seiner Trompete aktiv. Der Türmer von heute hat repräsentative Aufgaben“, sagt Türmer Raimund Rainer. Das Signalhorn ertönt heutzutage nur mehr bei Veranstaltungen.

ORF
Der Türmer hat heute nur mehr repräsentative Aufgaben, im Mittelalter war er eine wichtige Person

Konditorei in 5. Generation
Wenn Raimund Rainer nicht gerade als Türmer unterwegs ist, dann trifft man ihn in seiner Konditorei, die seit 160 Jahren von der Familie Rainer und das bereits in 5. Generation, geführt wird. „Schon als kleines Mädchen im Kindergarten und in der Volksschule bin ich mit meinem Papa vor allem am Wochenende in der Backstube gestanden und habe ihm über die Schulter geschaut. Ich bin da so mit reingewachsen und mache das bis heute sehr gerne“, so Katharina Rainer-Valtiner. Und die sechste Generation wartet schon auf ihren Einsatz.
Der Türmer zu Villach
 
#13
Peitschenmacher

Wegen des Holzstiels der Peitschen zählte man die Tätigkeit der Peitschenmacher zu den holzverarbeitenden Gewerbebetrieben. Durch die Verdrängung der Pferde- und Ochsengespanne im Fuhrwerkswesen und in der Landwirtschaft durch die Motorisierung verschwand auch dieser Beruf.
Zum Betrieb eines PKW's, LKW's oder eines Traktors benötigt man keine Peitsche mehr, dafür einen "Gasfuß" :D

Peitschenmacher bei der Stielherstellung:
(Bildquelle ubk, - Zeitschriftenfragment aus der Zwischenkriegszeit)
 

josef

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#14
Aus Kärnten:
Berufe, die keiner mehr kennt
Heute gibt es unzählige Berufe, die man sich vor 100 Jahren nicht in den kühnsten Träumen vorstellen konnte. Dafür starben andere Berufe aus und wurden vergessen. Ende des 19. Jahrhunderts gab es noch Leichenbitter oder Alabasterer.
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Der Alabasterer war ein Künstler, der mit natürlichen Materialien arbeitet. Der Leichenbitter hatte die schwierigste Aufgabe, er musste Todesnachrichten überbringen und zum Begräbnis einladen. Der Zurichter richtete verschiedene Materialien für die Herstellung von Produkten her. Und es gab den Goldgrübler, so der Villacher Chronist Gernot Rader: „Der Goldgrübler hat die Senkgruben unter den Häusern im Mittelalter geleert. Das war damals so ein gutes Geschäft, dass er den Spitznamen ‚Goldgrübler‘ bekam.“

Der unbekannte Pfaidler
Über einen Beruf musste Rader umfangreich recherchieren: „Von dem ich nirgends eine Erklärung gefunden habe, das war der Pfaidler. Aber wenn man weiß, dass der Kärntner zum Hemd ‚Pfoad‘ sagt, so war der Pfaidler vermutlich ein Hemdschneider.“ Der Pfaidler war nur einer von damals 96 verschiedenen Berufen in Villach.

ORF/Marco Ventre
Marco Ventre mit Gernot Rader

Ein kleiner Auszug, welches Handwerk es 1888 in Villach goldenen Boden hatte: „Vier Zuckerbäcker, elf Bäcker, sieben Fleischer, 19 Viktualienhänder, das sind Lebensmittelhändler, 15 Spezereiwarenhänderl, die Gewürze verkauften, zwei Weinhändler, zwei Brauereien.“
In Villach gab es außerdem 23 Schneider, vier Hutmacher, 31 Schuhmacher, einen Handschuhmacher, drei Modistinnen und fünf Damenkleidermacher, so Rader. Zählt man die Hebammen auch zu den Handwerkern, so gab es damals in der Draustadt neun davon. Sechs Ärzte standen zur Verfügung und einige Berufe, die man nicht mehr kennt, wie der Feilhauer, der Feilen erzeugte.

Fotografen gab es damals schon
Weiters gab es noch den Gürtler: „Er hat Schnallen und Schließen für Gürtel erzeugt, dann gabs den Seifensieder, den Hadernhändler – das waren ausgediente Kleider, die man weiterverwenden hat. Trödler war ein ähnlicher Beruf.“
Damals wie heute gab es Fotografen, allerdings müsse man sich das anders vorstellen. „Auf einem Stativ stand die Plattenkamera, 13 mal 18 Zentimeter groß, das Objekt musste ruhig stehen bleiben. In der Hand hielt der Fotograf den Pulverblitz, wenn der gezündet hat, hat er geblitzt und das Gesicht war auf der Platte verewigt.“

Eitelkeit einst und heute
Heute funktioniert alles digital und mit etlichen Filtern und Funktionen kann man eine krumme Nase oder unschöne Falten retouchieren. Das ist keine Erfindung der heutigen Zeit, so Rader. Denn durch den Pulverblitz brannte sich das Gesicht des Fotografierten auf der Metallplatte ein. Der konnte sich dann aussuchen, was retouchiert werden sollte. Das sei schon damals so gewesen. Somit rettete sich aus der „guten alten Zeit“ eine menschliche Eigenheit in die heutige Zeit: Die Eitelkeit.

06.03.2020, red, kaernten.ORF.at

Links:
Berufe, die keiner mehr kennt
 

josef

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#17
Würdigung der einstigen Stiefelmacher aus Rechnitz im Burgenland:
Stiefelmachermuseum in Rechnitz
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Stiefel, oder auch Czismen genannt, aus Rechnitz (Bezirk Oberwart) waren über Jahrhunderte hindurch, etwas Besonderes. Mit der Industrialisierung verschwand dieses Handwerk. Heute erinnert an diese alte Tradition nur mehr das Stiefelmachermuseum in Rechnitz. Es wird vom pensionierten Stiefelmacher Julius Koch geführt.
Online seit heute, 19.20 Uhr
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Früher waren 50 Stiefelmachermeister – oder auch Czismenmacher genannt – in Rechnitz tätig. Sie waren berühmt für ihre genaue und qualitativ hochwertige Arbeit. Heute werden die Stiefel aus Rechnitz nur mehr zur Traditionspflege etwa von Volkstanzgruppen nachgefragt. Angefertigt werden sie so wie vor Jahrhunderten.

„Der Stiefel war ein normaler Gebrauchsartikel, der in jeder Berufssparte gebraucht wurde – egal, ob das ein Landwirt, ein Polizist oder ein Zöllner war“, so Koch.

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Das Stiefelmachermuseum in Rechnitz
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Stiefel aus Rechnitz
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Stiefelmacher in Rechnitz
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Stiefelmacher Julius Koch erklärt wie man den Stiefel fertigt
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Moderatorin Elisabeth Pauer im Gespräch mit Stiefelmacher Julius Koch
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Das Stiefelmachermuseum in Rechnitz
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Das Stiefelmachermuseum in Rechnitz
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Ein Stiefel im Stiefelmachermuseum in Rechnitz
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Ausgestellte Stiefel im Stiefelmachermuseum in Rechnitz

Spezielle Technik
15 bis 17 Stunden dauerte es bis die Stiefel gefertigt sind. Dabei kommt eine spezielle Technik zum Einsatz – es werden Holznägel verwendet. „Der Holznagel hat dieselbe Eigenschaft, wie die Trägersohle. Also bei Feuchtigkeit dehnen sich beide gemeinsam aus, bei Trockenheit trocknen beide wieder ein – deshalb die Haltbarkeit. Die Form des Stiefels wurde gewalkt und dann wurde der Stiefel verkehrt hinten mit einer Naht zusammengenäht. Das war sozusagen der Stiefel aus einem Stück Leder“, erklärte Koch.

„Wenn man einem Schuhmacher erklärt hat, dass die Rechnitzer Stiefelmacher Stiefel aus einem Stück Leder machen, hat der gesagt, dass es das nicht gibt“, so Koch. Es gab es doch. Aber im Lauf der Jahre wurden immer mehr Stiefel industriell gefertigt und bald war es vorbei mit der Zunft der Stiefelmacher. Ihr Können und ihre Traditionen werden aber im Stiefelmachermuseum in Rechnitz hoch gehalten.
31.05.2021, red, burgenland.ORF.at
Stiefelmachermuseum in Rechnitz
 

josef

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#18
Türmer zu Klagenfurt geht in Pension
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Mehr als sechs Jahre lang war Horst Ragusch Türmer im 92 Meter hohen Stadtpfarrturm Klagenfurt. Er zeigte den Besuchern die Sehenswürdigkeiten der Stadt und erläuterte Geschichte und Geschichten dazu. Nun geht er in Ruhestand. Künftig soll es ein Team von Türmern geben.
Online seit heute, 6.07 Uhr
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225 Stufen sind es bis zur Türmerstube und der Aussichtsplattform unter der Turmuhr. Ragusch ging sie rund 2.500-mal hinauf und hinunter, schätzt er, rund 1,5 Millionen Stufen: „Das ist aber nichts gegen die letzte Türmerin Helene Reichelt, die den Auf- und Abstieg 20.000-mal bewältigt hat.“ Der Weg war für Ragusch vorgezeichnet: „Ich bin gegenüber aufgewachsen. Meine Eltern waren die Wirte im damaligen Lindwurmstüberl, dem heutigen Augustin. Und ich bin da in der Stadtpfarrkirche St. Egyd Ministrant gewesen. Ich kann heute noch scheinheilig schauen.“

Sechseinhalb Jahre lang war Ragusch Türmer. Früher hatten Türmer vor allem Brände zu melden, jetzt sind sie historische Führer: „Ich wollte das gar nicht machen, aber dann habe ich mit meinem jetzigen Chef ein Gespräch gehabt. Am Ende haben wir beide gesagt, das war eine Fügung.“ Bei der „Langen Nacht der Museen“ seien in sieben Stunden 1.200 Besucher gekommen, also 150 pro Stunde, so Ragusch. Bei schlechtem Wetter sitze er aber alleine da.

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Horst Ragusch in Türmeruniform

Ehefrau am Turm kennengelernt
Der Stadtpfarrturm führt auch Menschen zusammen. Vor sechs Jahren, kurz vor der „Langen Nacht der Museen“, sei eine Besucherin vorbeigekommen, erzählte Ragusch, sie wurde seine Frau. Auch seine beiden Vorgänger hätten ihre Ehefrauen auf dem Turm kennengelernt.

Der Blick von oben über die Stadt ist vertraut und doch immer wieder neu: „Man sieht, wie sich die Vegetation verändert, es gibt oft 160 Kilometer Fernsicht. Man sieht, wie die Nebelschwaden aus dem Rosental auftauchen. Im Herbst, wie die Blätter fallen, wie sich alles verändert. Der Turm hat wirklich Landschafts- und Kulturmagie. Du siehst halb Kärnten, die ganze Kette der Karawanken bis zu den Karnischen Alpen.“

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Die Heimatglocke im Turm

Schule der Wahrnehmung
Für Ragusch ist der Turm eine Schule des Sehens, des Wahrnehmens und über die Glocken auch des Hörens. Die dritte der fünf Glocken des Glockenensembles von St. Egyd ist die Marienglocke. „Sie hat Klangklasse 1a und ist eine der schönsten Glocken von ganz Kärnten, eine der reinsten. Das ist aber auch immer Geschmackssache.“

Eine der Glocken im Turm ist vom Klang her eine der tiefsten Glocken Kärnten: die Heimatglocke. Das Läuten ist für Ragusch ein meditativer Ausdruck: „Glocken, also Bronzeelemente, die von innen schwingen und mit Klöppeln geläutet werden, hat nur das europäische Christentum entwickelt.“

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Die Turmuhr oberhalb der Besucherplattform

Viel über Bauweise gelernt
Viel erfahren, lernen und weitergeben könnte eine der Philosophien von Ragusch sein: „Den Turm habe ich zusammen mit vielen anderen Forschern, die mir Infos weitergeben, erforscht, was Baugeschichte betrifft; welche Hölzer verwendet wurden, wie gemauert wurde, wie man einen guten Klang von Glocken bewirkt durch die Höhe der Glocken und wie man den Turm baut. Ich habe das Glück gehabt, sehr, sehr viel zu erfahren.“

Familie Reichelt
Helene Reichelt mit ihren Kindern auf dem Turm

Türmerin zog in der Stube sechs Kinder groß
Einzigartig ist die Geschichte der letzten Türmerfamilie. „Helene Reichelt kam vor genau 100 Jahren auf den Turm mit dem ersten Kind unterm Arm und hat gedacht, die Treppe hört nie auf. Es war eine Wohnung für arme Familien direkt nach dem Ersten Weltkrieg, dem Abwehrkampf, der Spanischen Grippe. Sie hat auf dem Turm in der neun mal neun Meter großen Türmerwohnung sechs Kinder großgezogen. Ihr Mann konnte am Anfang nicht lesen und schreiben, und die jüngste Tochter wurde Dozentin für Atomphysik“, so Ragusch – mehr dazu in Letzte Türmerin zu Klagenfurt.

ORF
Der Stadtpfarrturm von unten
„Das Schöne am Turm ist, es ist eine Klangoase inmitten einer vom Lärm umtosten Stadt“, so Ragusch. Die ursprüngliche Aufgabe der Türmer war es, Feuer zu sichten und Alarm zu schlagen: „Ich habe einmal ein Feuer gesehen in Richtung Saualm. Da wird einem schon ganz anders. Ich rufe ganz aufgeregt bei der Feuerwehr, an und die sagen, da brennt ein Bauer ein großes Feld ab. Und da stehen vier Löschzüge um das Feld herum.“

ORF/Iris Hofmeister
Blick auf den Turm

Reichelt, die letzte Türmerin, die dort tätig war, habe zweimal ein Feuer über ein Vierteltelefon gemeldet: "Das heißt, wenn jemand anderes bei dem Viertelanschluss telefoniert hätte, hätte sie es nicht melden können.

Künftig Team von Türmern
In Zukunft wird der Stadtpfarrturm zwar weiterhin betreut, aber nicht mehr von einem einzigen Türmer: „Das hat meine Frau auch gesagt. So einen schrägen Typen wie die werden Sie nie mehr finden. Aber ich denke, es ist gut. Und mein Chef Helmuth Micheler, der Tourismusverbandschef, möchte ein Team von Türmern aufbauen. Soll es gelingen, dass eine Vielfalt da neu entsteht.“
15.01.2024, red, kaernten.ORF.at

Link:
Echte Typen beim Türmertreffen zu Klagenfurt

Türmer zu Klagenfurt geht in Pension
 
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