Vor 80 Jahren begann die Deportation der Juden - eine Schau zu den dunkelsten Abschnitten der jüngeren Geschichte am Wiener Heldenplatz

josef

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SCHAU AUF DEM HELDENPLATZ
„Die Schoah begann hier in Wien“
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Das Modell für die Vernichtung der europäischen Juden, es wurde in Wien entwickelt. Vor genau 80 Jahren begann die Nazi-Deutschland-weite Deportation der Juden in die Vernichtungslager. Eine Ausstellung auf dem Wiener Heldenplatz beleuchtet nun die zentrale Rolle von Österreichern in der Schoah – und auch den Widerstand dagegen. „Man schiebt die Schoah weit ab“, kritisierte IKG-Präsident Oskar Deutsch am Freitag bei der Eröffnung, „dabei begann alles hier in Wien.“
Online seit heute, 13.17 Uhr
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„Das Wiener Modell der Radikalisierung. Österreich und die Shoa“ nennt sich die Ausstellung, die ab sofort rund um die Uhr auf dem Heldenplatz zu sehen ist. Organisiert wurde sie von zentralen Institutionen der Zeitgeschichte, umgesetzt hauptsächlich von Forscherinnen um Michaela Raggam-Blesch, Heidemarie Uhl und Isolde Vogel.

Die Rolle von Wien und von Österreichern bei der Deportation und vor allem die Modellentwicklung der systematischen Vernichtung der Juden, die sich in Wien vollzogen hat, wird in der Ausstellung behandelt, für die das Haus der Geschichte Österreich (hdgö) mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und dem Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien sowie dem Verein zur Förderung kulturwissenschaftlicher Forschungen zusammengearbeitet hat.


SCIENCE
Wien als Modell der Judenverfolgung



Bis 10. Dezember ist sie frei zugänglich auf dem Heldenplatz zu sehen – und liefert ein Bild über die Rolle von Österreicherinnen und Österreichern im Vorgehen gegen die jüdischen Mitbürger – ab dem ersten Moment des „Anschlusses“ – mehr dazu in science.ORF.at.

Übergriffe kurz nach „Anschluss“
Am Abend des 13. März 1938 fallen im Wiener Hotel Regina zwischen Reinhard Heydrich, Chef der Sicherheitspolizei, und Ernst Kaltenbrunner, Führer der österreichischen SS, weitreichende Entschlüsse für die Konfiszierung jüdischen Eigentums. Wovon sogar Heydrich und Kaltenbrunner überrascht sein werden, ist, mit welcher Vehemenz die Bevölkerung im März 1938 gegen die 170.000 damals in Wien lebenden Juden vorgeht. "Das Maß der gegen sie gerichteten Gewalt ging deutlich über alles hinaus, was seit 1933 an antisemitischen Ausschreitungen im Altreich stattgefunden hatte“, erinnerte bereits der Historiker Robert Gerwarth in seiner Heydrich-Biografie vor einigen Jahren.

ORF.at/Gerald Heidegger
Bewusst niederschwellig will man auf dem Wiener Heldenplatz die Rolle Wiens in der Judenverfolgung beleuchten

„Bedingungslos dem Nationalsozialismus angeschlossen“
„Dass es Österreich als Staat damals nicht gegeben hat, spielt keine Rolle, es waren Österreicherinnen und Österreicher, die sich bedingungslos dem Nationalsozialismus angeschlossen haben“, formulierte es der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien, Deutsch, am Freitag deutlich.
In Wien, das zeigt die Ausstellung, hat die 1938 von Adolf Eichmann eingerichtete „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ im Jahr 1941 das organisatorische Modell der Deportationen in die Ghettos, Vernichtungslager und Mordstätten entwickelt. Es wurde zum Vorbild für die Deportationen aus dem gesamten Deutschen Reich.

Wien sollte als erste Stadt „judenfrei“ sein
Im Oktober 1940 trug der damalige Reichsstatthalter Baldur von Schirach bei Adolf Hitler seinen Plan vor, Wien als erste Großstadt im Deutschen Reich „judenfrei“ zu machen. Im Februar 1941 begannen die systematischen Deportationen aus Wien.

Die Wiener „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ wurde dabei zur Schaltstelle für die Durchführung der Transporte. Geleitet wurde sie von SS-Obersturmführer Alois Brunner, dem Nachfolger Eichmanns in dieser Funktion. Die SS-Männer der „Zentralstelle“ waren verantwortlich für die Durchführung von 45 Transporten zwischen 15. Februar 1941 und 9. Oktober 1942, bei denen mehr als 45.600 Menschen vom Aspangbahnhof in Richtung Osten deportiert wurden. Nach fünf ersten Transporten aus Wien im Februar und März 1941 begannen vor 80 Jahren, am 15. Oktober 1941, die reichsweiten Deportationen.


Lisa Rastl/Jüdisches Museum Wien
Listen der Deportationstransporte aus Wien 1941-–1945. Für die 45 Transporte vom Wiener Aspangbahnhof in den Jahren 1941/42 wird je ein Hängeregister mit Namenslisten angelegt. Die letzten drei Ordner umfassen weitere 33 kleine Transporte mit insgesamt knapp 2.100 Personen, die zwischen 1943 und Anfang März 1945 vom Wiener Nordbahnhof deportiert werden.

Schau, die sich an alle richten will
Diese Vorgänge will die Schau thematisieren, sie soll, wie man sagt, bewusst „niederschwellig“ zugänglich sein. Gezeigt werden aber auch jüdische Selbsthilfe und der mutige Widerstand Einzelner; zugleich das Schweigen über den Holocaust in Nachkriegsösterreich.

Verfassungsministerin Karoline Edtstadler betonte am Freitag die Bereitschaft der Bundesregierung, jede Form der Erinnerung an die Schoah zu unterstützen und genau auf gegenwärtige Entwicklungen im Bereich des Antisemitismus im Schatten der Pandemie zu schauen. Den Opfern müssten Namen gegeben werden, so Edtstadler mit Verweis auch auf das entstehende Denkmal für die Opfer der Schoah auf dem Ostarrichi-Platz vor der Nationalbank.

Deutsch erinnerte daran, dass er nicht müde werde, an die Schoah zu erinnern. „Man sagt mir oft, dass es doch einmal genug sein müsse“, so Deutsch. „Man schiebt die Schoah weit ab“, so der IKG-Präsident, der daran erinnerte, dass alles gerne auf das ferne Auschwitz projiziert werde. „Dabei“, so Deutsch, „begann alles hier in Wien.“ „Es ist geschehen und folglich kann es wieder geschehen“, zitierte Deutsch den Auschwitz-Überlebenden Primo Levi.

Uhl: „Wien stand damals für ganz Österreich“
„Man muss tatsächlich erinnern, dass Wien damals für Österreich stand“, sagte die Historikerin Uhl bei der Eröffnung und erinnerte daran, dass alle in Österreich lebenden Juden ja aus den Bundesländern zunächst enteignet und nach Wien vertrieben wurden. Und Wien sei im Umgang mit den Juden zum Beispiel für die NS-Politik geworden, so Uhl mit Verweis auf Eichmann und Schirach, die sich beide mit ihrem Vorgehen gegen die jüdische Bevölkerung bei Hitler profilieren wollten.
„Antisemitismus – und auch Rassismus – gehören leider noch immer nicht der Vergangenheit an. Wir wollen gerade hier, auf dem Heldenplatz, mit dieser Ausstellung und den Vermittlungsangeboten im Haus der Geschichte Österreich ein Zeichen gegen Antisemitismus setzen und Bildungsmaßnahmen niederschwellig zugänglich machen“, sagte hdgö-Direktorin Monika Sommer auf dem Heldenplatz.
„Jeder“, so Deutsch abschließend, „ist gerade auch in der Gegenwart ein Antisemitismus-Beauftragter.“

Hinweis zur Freiluftschau am Heldenplatz
Die Freiluftschau „Das Wiener Modell der Radikalisierung. Österreich und die Shoah" ist bis 10. Dezember auf dem Heldenplatz neben dem Äußeren Burgtor zu sehen (Eintritt frei). Am 9. November, dem Jahrestag der Pogromnacht, wird es kuratierte Führungen durch die Ausstellung geben.
15.10.2021, Gerald Heidegger, ORF.at
Schau auf dem Heldenplatz: „Die Schoah begann hier in Wien“
 
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