Wasser, Schiene, Straße, Luft - Welt in Bewegung: NÖ.Landesausstellung 2019 Wiener Neustadt

josef

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#1
Landesausstellung: Wasser, Schiene, Straße, Luft

Wie man vorankommt, ist Spiegel der erreichten technischen Stufe, mitunter auch jener der kulturellen. Die Landesschau in Wiener Neustadt spannt dabei einen weiten Bogen vom Mittelalter bis in die Nächstzeit: Welt in Bewegung.
Kinder und ihr Spielzeug. Stets schwingt da das jeweilige gesellschaftliche Milieu, das technische Niveau mit. Nehmen wir etwa Kaiser Maximilian, dessen 500. Todesjahres wir heuer gedenken. Als Knirps ist er häufig zu sehen mit Turnierrittern auf Rädern; passt gut zu seinem Cognomen "der letzte Ritter".


Ritter auf Rädern: Spielzeug Kaiser Maximilians

Oder, 400 Jahre später, es ist viel Wasser die Leitha runtergeflossen, der "Ziegenbockwagen". Ferdinand Porsche schenkte 1919 seinem zehnjährigen Sohn Ferry zu Weihnachten das erste Auto. In der Austro-Daimler-Lehringsabteilung, Wiener Neustadt, wo der geniale Herr Papa bis 1923 werkte, ließ dieser dem Sohnemann einen kleinen Zweisitzer mit luftgekühltem Zweizylinder-Viertakter, 3,5 PS stark, zusammenbasteln, 60 km/h schaffte der Bubi-Renner.


"Ziegenbockwagen": Spielzeug von Ferry Porsche

"Fahrten auf der Straße waren verboten. Ferry tat's trotzdem, die Polizei drückte ein Auge zu", weiß die routinierte Kulturvermittlerin Gerlinde Trompler zu berichten, die unsereins durch die NÖ Landesausstellung Welt in Bewegung! (bis 10. November) geleitet und mit Geschichte und Geschichten aller Art versorgt, auch launigen wie diesen, besten Dank nochmal.

Die Ritter finden sich im Museum St. Peter an der Sperr, der Ziegenbock – na ja, ein Modell und ein historisches Foto mit Ferry am Volant – in den Kasematten. Den Weg zwischen den Ausstellungsorten bewältigt man per pedes, per Pedal, Auto, E-Scooter oder wasweißich, nicht mehr rechtzeitig behördlich zugelassen wurden Drohnentaxis, Beamen, Wurmlochreisen. Damit wäre auch der Wasser-Schiene-Straße-Luft-Mobilitätsbogen gespannt, der sich geografisch über Stadt, Region, Habsburgerreich/ Österreich und die Welt erstreckt.

Abgesehen vom weniger mitreißenden, weil reichlich zeitgeistkorrekten Blick auf heute und morgen in "Röhre 3" der Kasematten – interaktiv, fokussierend auf junge, auch ganz junge Besucher, man kann sich zum Beispiel den CO2-Abdruck einer Reise von A nach B mit dem jeweiligen Verkehrsmittel errechnen lassen; abgesehen davon also gibt es sozusagen eine große Rahmenhandlung (König Löwenherz [1157-1199] bis 1945) und eine kleine (Kaiser Maximilian I. [1459-1519] bis 1919).

Schotterfeld
Denn: Mit dem Lösegeld für Englands König finanzierten die Babenberger weiland Wiener Neustadts Gründung (1192), "auf dem Reißbrett geplant, eigentlich auf einem Schotterfeld", wie Guido Wirth, Geschäftsführer der Landesausstellung, im Gespräch mit dem Standard formuliert. Als späte Rache legten die Alliierten dann im Zweiten Weltkrieg die Stadt in Schutt und Asche, vordergründiges Argument war natürlich die Rüstungsproduktion, Me 109 etc.

Und die Kleine? Max, seit 1508 Kaiser des Hl. Römischen Reiches Deutscher Nation, wurde 1459 auf der Burg in Wr. Neustadt – sie beherbergt seit 1751 die Theresianische Militärakademie, ihres Zeichens älteste aktive, durchgängig der Offiziersausbildung gewidmete Institution der Welt – geboren, er starb, wie gesagt, vor 500 Jahren. 400 Jahre später war dann mit den Pariser Vororteverträgen auch Habsburgs Reichsgedanke perdu.

Maximilians ebenfalls kaiserlicher Vater Friedrich III. (1415- 1493), errechneten die Ausstellungsmacher, legte während seiner Regentschaft 33.826 Reisekilometer zurück, den CO2-Abdruck der Pferde und beim Kutschenbau wollen wir nicht wissen.

Südbahn
Zurück zur Schau. Sie veranschaulicht, was da in Stadt und Region alles geschah und wie technisch potent sie weiland war. Den industriellen Hauptimpuls gab der Südbahnbau (Wien-Triest), als erster Teilabschnitt ging 1842 der von Wien nach Gloggnitz am Semmering in Betrieb. Noch im selben Jahr wurde die Wr. Neustädter Lokomotivfabrik gegründet. Trompler: "1870 wurde die 1000. Lok gebaut, die Produktion lief bis 1910. Ab 1942 wurden dort dann in den Raxwerken Teile für Wernher von Brauns V2 gefertigt."


Lok-Modell

Eine andere Verkehrsverbindung ging schon 1803 in Betrieb, der Wiener Neustädter Kanal – und nein, der wurde nicht mit Karavellen befahren, die zählen zur Lebenswelt von Fritz und Max. Der Wasserweg endete am Wiener Heumarkt, er erfährt dieser Tage eine Wiederbelebung als Radweg. Wirth: "Ich hab's selbst noch nicht probiert, aber angeblich ist man per Rad 3,5 Stunden in eine Richtung unterwegs." Und apropos gute Verkehrsanbindung: Die und der Umstand, dass die biennal veranstaltete Landesausstellung heuer eben in einer Stadt läuft, bewirke, dass sie noch besser besucht sei als 2017, um rund 25 Prozent.

Das innovationsfreudige Milieu führte in weiterere Folge zu massiven Aktivitäten im verbrennungsmotorischen Bereich. Erwähnenswert in erster Linie ist da Austro-Daimler, ist auch Ferdinand Porsches Tätigkeit dorten – neben dem "Ziegenbock" phänomenal dokumentiert mit der 5,5-Meter-Luxuslimousine 846, Baujahr 1931. 8 steht für die Zylinder, 46 für 4,6 Liter Hubraum, was für eine Pracht. Wobei, "das Einbringen des Gefährts in die Kasemattenröhre war eine spannende Herausforderung", berichtet Wirth.

Sascha kommt, Sascha siegt
Das wird mit dem anderen Austro-Daimler leichter gewesen sein, dem putzigen Sascha. Alexander "Sascha" Kolowrat-Krakowsky hatte den Wagen bestellt, Porsche konstruierte ihn 1922, noch selben Jahres nahmen drei Saschas an der sizilianischen Targa Florio teil, erfolg- weil siegreich in ihrer Klasse. Von den fünf gebauten Autos gibt's noch zwei, einer, ganz in Rot, ziert die Landesausstellung.

Zur Historie ist im Kral-Verlag übrigens ein profundes Buch von Christian Zach erschienen: Austro Daimler (Band 1: 1899-1919).

Beim weiteren Rundgang durch beide Adressen stolpern wir über etliche G' schichtln und Kuriositäten. Wussten Sie, dass Josip Broz Tito, nachmaliger Partisanenführer und Staatschef Jugoslawiens, bis 1913 Mechaniker und Testfahrer bei Austro-Daimler war? Oder dass Jochen Rindt 1963 für Semperit (eine weitere lokale Mobilitätsgröße) in Kottingbrunn Reifen testete?


Der "letzte echte" Semperitreifen.

Dass der Wr. Neustädter Franz Xaver Reimspieß das Austro-Daimler-Logo erfand und auch das von VW? Dass der Matador-Erfinder von 1899, Johann Korbuly – ihn störte, dass die Bauklötze seiner Kinder dauernd zusammenfielen -, ab 1915 in Pfaffstätten bei Traiskirchen produzierte?

Oder dass 1928, zur Eröffnung des Flugplatzes Vöslau-Kottingbrunn, die Münchner Fallschirmpionierin Helly Tussmar vom Himmel fiel, "Heldin des Tages", klare Sache. Oder dass, um diesbezüglich zum Abschluss zu kommen, einerseits für die Lizenzfertigung des deutschen Jagdflugzeugs Albatros D.III (Oeffag D.III) im Ersten Weltkrieg Motoren von Austro-Daimler verwendet, andererseits für die Herstellung der Holzpropeller extra Grödnertaler Herrgottschnitzer hierhergeholt wurden?

Damit bleiben wir auch finalmente in der Luft. 1909 wurde in Wr. Neustadt das Flugfeld gegründet, Flugpionier Igo Etrich optimierte dort sein erstes Fluggerät, 1910 fand der Jungfernflug der Etrich Taube (Etrich II) statt. Im 2. Weltkrieg wurden, auch dies Bestandteil der Schau, 8000 Jagdflieger Me 109 in der Stadt produziert.


Me-109-Jagdflieger
Alle Fotos andreas stockinger

Und dass sie mit dem Element Luft heute noch zu tun hat, belegen der Kleinflugzeugbauer Diamond und der Drohnenhersteller Schiebel. Fazit? Bleiben Sie, wie die Welt, in Bewegung. Und schau'n Sie sich das an.
(Andreas Stockinger, 8.5.2019)
Landesausstellung: Wasser, Schiene, Straße, Luft - derStandard.at
 

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Symposion des niederösterreichischen Instituts für Landeskunde im Zusammenhang mit der Landesausstellung:

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Semmeringbahn

Symposion reist zurück in das 19. Jahrhundert
Niederösterreich war im 19. Jahrhundert von rasantem Wandel geprägt. Das in Wiener Neustadt stattfindende 39. Symposion des niederösterreichischen Instituts für Landeskunde wagt von 1. bis 3. Juli eine Reise zurück in die Zeit der Industrialisierung.
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Die Agrarrevolution, die Industrialisierung, der Ausbau des Bildungswesens, neue Massenparteien und unzählige Vereinsgründungen: Das 19. Jahrhundert brachte Wandel aller Lebensbereiche – und das war auch in Niederösterreich zu spüren. Das 39. Symposion des niederösterreichischen Instituts für Landeskunde greift die Themen rund um das ereignisreiche Jahrhundert auf, um ein Bild der historischen Entwicklung und der Veränderungen in Niederösterreich zu zeichnen.

20 Vortragende aus dem In- und Ausland
Die öffentliche Konferenz findet im Bernardisaal im Neukloster statt, versammelt mehr als 20 Vortragende aus dem In- und Ausland und greift zentrale Anliegen der historischen Forschung zum 19. Jahrhundert auf. Für den Abendvortrag am 1. Juli wurde mit Pieter M. Judson vom Europäischen Hochschulinstitut Florenz ein prominenter Gast gewonnen. Mit seinem Buch „Habsburg. Geschichte eines Imperiums. 1740–1918“ wurde er 2017 einem breiten Publikum bekannt. Am 2. Juli ist Dirk van Laak von der Universität Leipzig zu Gast. Sein Buch „Alles im Fluss“ erschien 2018. Eine Führung durch die niederösterreichische Landesausstellung „Welt in Bewegung“ soll das Programm des Symposions abrunden.

NÖ Landesbibliothek
Dieser Holzstich aus dem Jahr 1888 zeigt eine historische Lokomotive in Wiener Neustadt

„Das 19. Jahrhundert konfrontiert uns mit den Dynamiken der Modernisierung, mit neuen Formen von Macht und neuen sozialen Verwerfungen“, sagt Oliver Kühschelm, Dozent am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien, der gemeinsam mit Elisabeth Loinig, der Leiterin des niederösterreichischen Instituts für Landeskunde, die Tagung konzipierte. „Es war keine betuliche ‚alte Zeit’, aber ebenso wenig die Ära einer noch unschuldigen Fortschrittsbegeisterung. Neben dem Wandel und gegen ihn gerichtet, gab es auch Beharrung“, so Kühschelm.

Bei dem Symposion in Wiener Neustadt stehen u.a. Fragen nach der Rolle des Staates und den neuen Strukturen der Verwaltung im Fokus. Ebenso werden wirtschaftliche Veränderungen, Möglichkeiten zivilgesellschaftlichen Engagements und Elemente der städtischen und ländlichen Gesellschaft beleuchtet. Ausgangspunkt ist dabei Niederösterreich, doch Beiträge aus anderen europäischen Regionen sollen den Veranstaltern zufolge den Blickwinkel erweitern.

NÖ Landessammlungen
Dieses Ölgemälde aus dem 19. Jahrhundert stammt von Thomas Ender und zeigt den damaligen Blick auf das Stift Melk

1.500 Seiten regionale Geschichte
Das Symposion findet vor dem Hintergrund eines am Institut für Landeskunde laufenden Buchprojektes statt, das die Geschichte Niederösterreichs von 1780 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges in mehr als 50 Einzelbeiträgen darstellen wird. Elisabeth Loinig zufolge werden dazu im Frühjahr 2020 zwei Bände erscheinen. „Wir werden mit der neuen Publikation auf fast 1.500 Seiten regionale Geschichte für ein interessiertes Publikum aufbereiten und Entwicklungslinien nachzeichnen, die über Niederösterreich hinaus wissenschaftliche Relevanz besitzen.“ Das Symposion biete schon jetzt „die Möglichkeit, einigen Autorinnen und Autoren über die Schulter zu schauen“, so Loinig.
noe.ORF.at

Link:
Wissenschaft: Symposion reist zurück in das 19. Jahrhundert
 
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