Weltweit entstehen immer wieder gigantische Erdlöcher - das Phänomen sorgt für Rätselraten und wilde Spekulationen

josef

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MYSTERIÖSE RIESENLÖCHER
Wenn sich im Boden plötzlich gewaltige Löcher auftun
Weltweit entstehen wie aus dem Nichts immer wieder gigantische Erdlöcher. Das Phänomen sorgt für Rätselraten und wilde Spekulationen. Ein Forscher erklärt, was dahintersteckt

In der Wüste der Al-Mahra-Provinz im Jemen liegt ein Einsturzloch, das als "Höllenbrunnen" bekannt ist. Im September 2021 wurde das Erdloch, um das sich zahlreiche Mythen ranken, von Geologen untersucht. Die Formation, die vielen Einheimischen als Gefängnis hinterlistiger Geister gilt, hat 30 Meter im Durchmesser und ist rund 112 Meter tief.
Foto: AFP

Eine entlegene Bergbauregion in Chile und die belebte New Yorker Bronx weisen wenig Gemeinsamkeiten auf, möchte man meinen. Doch sowohl in der US-Millionenmetropole als auch in der südamerikanischen Atacama-Region klaffen seit kurzer Zeit gewaltige Erdlöcher.

In der Bronx gab der Boden nach einem heftigen Unwetter nach. Das entstandene, etwas unförmige Loch mit rund 15 Metern Länge wurde einem daneben geparkten Van zum Verhängnis. Videos zeigen, wie der Asphalt nachgibt, das Fahrzeug kippt und gänzlich in dem Loch verschwindet.


Im Bild das gigantische Loch, das auf dem Gebiet der chilenischen Alcaparrosa-Mine in der Atacama-Region aufgetaucht ist.
Foto: APA/AFP/JOHAN GODOY

Weitaus größer dimensioniert ist das Erdloch, das in Chile entstand. Die kreisrunde Öffnung misst 25 Meter im Durchmesser und ist rund 200 Meter tief. Bei beiden Vorfällen – sowohl in Chile als auch New York – kamen keine Menschen zu Schaden.

Aliens oder doch Physik?
Wie aus dem Nichts auftauchende Erdlöcher sorgen immer wieder für Staunen. Sie kommen in Mexiko ebenso vor wie in Kroatien oder China. Kaum ein Kontinent verfügt nicht über eines der sogenannten Sinkholes, die ob ihrer kreisrunden Erscheinung häufig Anlass zu wilden Spekulationen geben. Erklärungsansätze reichen dann von kosmischen Einflüssen bis hin zu Machenschaften außerirdischer Wesen.

Solche Geschichten bringen Wolfgang Lenhardt zum schmunzeln. Der Leiter der Abteilung für Geophysik der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (Zamg) kennt die Formationen von Forschungsreisen etwa nach Südafrika nur zu gut. Die Auslöser für die Entstehung solch überdimensionierter Löcher sind gänzlich irdischer Natur. Ihre außergewöhnliche Form geht auf das Wechselspiel physikalischer Kräfte zurück.

Wo immer die berüchtigten Sinkholes auftauchen, sorgen sie für Staunen, häufig aber auch für große Zerstörung.
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Steter Tropfen höhlt den Untergrund
Alles beginnt mit kleinen unterirdischen Hohlräumen, in die Wasser einsickert. In den meisten Fällen löst dieses mit der Zeit immer mehr Material auf, wodurch sich die Kammer über Jahre oder Jahrzehnte zusehends vergrößert. "Dieser Auflösungsprozess des Gesteins infolge der Wassereinwirkung ist der dominierende Prozess", erläutert Lenhardt im Gespräch mit dem STANDARD. Während der Entstehung übt das gesammelte Wasser einen gleichmäßigen Seitendruck auf die Gesteinswände aus – was auch die kreisrunde Form bedingt.

"Bleibt der Wasserkörper in dem geschaffenen Hohlraum gefangen, würde er alles im Gleichgewicht halten, führt aber zu weiteren Auflösungsprozessen, welche die Kavernen weiter vergrößern", sagt Lenhardt. Für gewöhnlich sei es aber unvermeidlich, dass die Flüssigkeit aus der gebildeten Kammer in tiefere Schichten oder andere Hohlräume abfließt. Dadurch wird die ganze Struktur instabil, die Einsturzgefahr wächst. Auch wenn Wasser aus solchen unterirdischen Kavernen entnommen wird, führt das zu einer Destabilisierung.


Ein Einsturzloch in der türkischen Provinz Konya. Trotz häufiger Meldungen hat das Auftreten der überdimensionierten Erdlöcher nicht zugenommen, sagen Experten. Sie werden heute nur häufiger dokumentiert, da nahezu jeder Mensch mit Smartphone und zugehöriger Kamera ausgestattet ist.
Foto: AFP/VOLKAN NAKIPOGLU

Natürliche Vorgänge oder auch nahe Bergbauarbeiten können den Abfluss des gesammelten Wassers auslösen. "Dann bleibt nur noch ein Deckel aus Gestein darüber, und dieser Deckel kann leicht einstürzen", erklärt der Wissenschafter. So rund wie der darunterliegende Trichter erscheint dann auch das Einsturzloch. "Diese Erscheinungsform begeistert die Menschen immer aufs Neue ungemein", amüsiert er sich.

Risikobehafteter Bergbau
Die Destabilisierung des Untergrundes durch Wasser vermutet Lenhardt auch hinter dem aktuellen Ereignis in Chile. Es sei anzunehmen, dass auch hier Flüssigkeit die unterirdische Kammer in der Bergbauregion stabilisiert hat. "Diese dürfte in einen anderen Hohlraum geflossen sein – und dann ist alles eingestürzt." In Zusammenhang mit Bergbau entstehen viele solcher gewaltigen Einsturzlöcher, da dieser den Wasserabfluss begünstigen kann.


Im Jänner 2021 verursachte ein Einsturzloch beträchtliche Gebäudeschäden in der Walmer Street in Ost-Manchester. Glücklicherweise wurden keine Menschen verletzt.
Foto: AFP/Paul Ellis

Eine der schlimmsten Katastrophen der jüngeren österreichischen Geschichte dürfte auf diesen Mechanismus zurückgehen: das Unglück von Lassing. "Dort wurde Wochen vor dem Einbruch von unten kommend zu nahe zur Oberfläche abgebaut, wodurch das Deckgebirge geschwächt wurde und Wasser einbrechen konnte", erklärt Lenhardt.

Marode Rohre als Auslöser
Einsturzlöcher – auch Dolinen, Cenoten oder Sinklöcher genannt – treten hauptsächlich in Karstregionen auf. Das auf Granit stehende New York wäre damit also nicht sonderlich gefährdet. Für Erscheinungen wie das in der Bronx erschienene Loch hat Lenhardt eine andere Erklärung. "Es braucht nicht immer unterirdische Hohlräume, es genügt, dass undichte Leitungen unter der Erdoberfläche Hohlräume schaffen, die dann zu Einbrüchen führen", sagt er.


Im Februar 2021 beschädigte der Einbruch eines unterirdischen Hohlraums im kroatischen Mečenčani ein Wohnhaus.
Foto: Reuters/Antonio Bronic

Dieses Muster kennt der Wissenschafter von Aufenthalten in Südafrika, insbesondere aus den dortigen Townships. Die Wasserleitungen seien meist in desolatem Zustand, werden kaum oder gar nicht gewartet und weisen dementsprechend viele Lecks auf. Das führt nicht nur zu bedeutenden Verlusten von Wasser. "Es wird oft vergessen, welcher Gefahr Menschen dadurch ausgesetzt sind", erklärt er die Problematik der ausgespülten Hohlräume. "Wenn diese unter einem Haus liegen und einbrechen, verschwindet das ganze Haus."

Das Auftreten von Sinklöchern ist auch in Europa nicht auszuschließen. Da auch kalkhaltige Böden dafür prädestiniert sind, könnten sie an sich im ganzen Alpenraum vorkommen. "Rein theoretisch könnten das auch in Wien passieren", sagt der Experte. Allerdings werden die Rohrleitungen in der Bundeshauptstadt sehr gut gewartet, was die Wahrscheinlichkeit von Vorkommnissen wie etwa dem in der Bronx gegen null gehen lässt.


Diese Luftaufnahme zeigt ein Einsturzloch in der kroatischen Stadt Mečenčani im März 2021. Das gehäufte Auftreten der Erdlöcher in dieser Region wurde auf ein Erdbeben der Stärke 6,4 im vorangegangenen Dezember zurückgeführt.
Foto: AP/Darko Bandic

Städte wie Schweizer Käse
In anderen Weltregionen gestaltet sich diese Situation gänzlich anderes, etwa in Zentralamerika. Ein besonderer Hotspot für innerstädtische Sinklöcher ist die guatemaltekische Hauptstadt Guatemala-City. Manche Reiselektüre weist die in den Straßen klaffenden Löcher sogar als "Must-see"-Attraktion aus.


Im Mai 2022 tat sich ein Erdloch in Tegucigalpa, Honduras, auf.
Foto: EPA/Gustavo Amador

Das in Lateinamerika gehäufte Vorkommen liegt einerseits am stark von Karstgestein geprägten Untergrund, andererseits auch am schlechten Zustand der dortigen Wasserleitungen. Bekannt sind plötzlich einstürzende Hohlräume beziehungsweise die dadurch entstehenden Riesenlöcher auch aus Honduras oder Belize.

Letzteres profitiert zumindest in touristischer Hinsicht von einem besonders gelegenen Einsturzloch: dem Great Blue Hole. Es liegt vor der Küste im Karibischen Meer, misst über 300 Meter im Durchmesser und ist bis zu 125 Meter tief. Die 1996 zum Nationaldenkmal ernannte Struktur zieht scharenweise Taucher an, auch Überflüge erfreuen sich großer Beliebtheit.


Von Korallen umgeben, befindet sich das Great Blue Hole im Karibischen Meer vor der Küste von Belize.
Foto: ImagoImages/Panthermedia

Heilige Quelle der Maya
Weiter nördlich findet sich ebenfalls eine beeindruckende Ansammlung teils kleiner, teils gewaltiger Löcher im karstigen Boden. Auf der mexikanischen Yucatán-Halbinsel gehören die Cenoten mit zu den beliebtesten Ausflugszielen von Touristinnen und Touristen sowie von Einheimischen. Der Begriff entstammt einer Maya-Sprache und bedeutet so viel wie "Heilige Quelle".

Ein Cenote ist eine Karsthöhle mit Grundwasserzugang, die auch als Brunnen genutzt werden kann. Eine Erscheinungsform ist jene als großes, offenes Kalksteinloch, das mit Regenwasser gefüllt ist. Im Schnitt haben sie eine Tiefe von 15 Metern, sie können auch mehr als 100 Meter tief sein. Offizielle Stellen schätzen die Zahl der Einsturzlöcher auf der gesamten Halbinsel auf 10.000. Bekannt ist bisher knapp über die Hälfte. Zum Teil wurden diese auch von der Geologischen Bundesanstalt untersucht.


Bei vielen der in Mexiko zu findenden Cenoten ist die Höhlendecke nur teilweise kollabiert – was Besucherinnen und Besuchern ein besonderes Badeerlebnis verspricht.
Foto: GettyImages/iStockPhoto/Arthur Enselme

Bei vielen der mexikanischen Cenoten ist die Höhlendecke nur minimal eingestürzt. So steigt man in den Untergrund und findet sich in einer Art unterirdischem Schwimmbecken, in das durch eine kleine Öffnung Sonnenstrahlen dringen.

Auf einen bevorstehenden Einbruch können zwar Risse im Boden hinweisen, vielfach gibt der Untergrund aber ohne jegliche Vorwarnung nach. Es gebe wenig, das sich gegen solch ein Szenario unternehmen lasse, sagt Lenhardt. "Man kann das Loch zwar mit Beton und Erdreich verschütten, aber das ist immens teuer." Ihm sei ein derartiger Fall aus dem September 1987 von der südafrikanischen Kloof-Mine bei Johannesburg bekannt, mit dem er selbst konfrontiert war.

Einsturzlöcher als Zeitkapseln
Sinkholes beschäftigen neben der Geologie auch andere wissenschaftliche Disziplinen, etwa die Archäologie. Die berühmte Maya-Metropole Chichén Itzá, seit 1988 Unesco-Weltkulturerbe, gilt als Beweis für die einstige Bedeutung von Cenoten. Schon der Name der archäologisch bedeutenden Ausgrabungsstätte weist darauf hin. Chichén Itzá bedeutet "Am Rande des Brunnens der Itzá", das ehemalige Zentrum der Hochkultur liegt tatsächlich zwischen zwei der Dolinen-artigen und mit Süßwasser gefüllten Kalksteinlöcher.


Rund 10.000 Cenotes auf der mexikanischen Yucatán-Halbinsel locken Touristinnen und Touristen, aber auch Archäologinnen und Archäologen an.
Foto: Marlene Erhart

Einerseits dienten sie als Trinkwasserspeicher, andererseits galten sie als Verbindung zur Götterwelt und wurden als religiöse Opferstätten genutzt. Als begabte Schmiede beschenkten die Maya ihre Götter mit Goldschmuck, Keramiken und Figurinen. Ihr starker Glaube an ein Leben nach dem Tod trieb jedoch auch grausamere Blüten aus. In den Einsturzlöchern brachten sie mitunter auch Menschenopfer dar.

Dementsprechend bargen Archäologinnen und Archäologen nicht nur Gold, sondern auch Menschenknochen vom Grund der beiden Cenotes von Chichén Itzá. Das bekannte Ausflugsziel ist aber keineswegs die einzige derartige Fundstätte. Bei nahezu jeder Niederlassung der Maya finden sich im Umkreis weniger Kilometer meist mehrere Einsturzlöcher. Forschende fanden darin bereits zahlreiche Artefakte, die vieles über das Leben der Maya und ihre Verbindung zu den Cenotes verrieten. (Marlene Erhart, 6.8.2022)

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