Wie funktioniert die Atommüll-Endlagerung?

SuR

... wie immer keine Zeit ...
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#1
Tagesspiegel, 25.11.03

Das ganze Zerfallswissen dieser Welt
Zum Lehrgang bei der ersten „Atommüll-Schule“ in einem Schweizer Stollen – Klassenziel: Wie funktioniert die Endlagerung?

Von Deike Diening, Meiringen

Sein Arbeitsplatz liegt 450 Meter unter dem Fels und zugleich 1730 Meter über dem Meer. „Ich zweifle immer noch, ob das möglich ist mit den Endlagern“, sagt Toni Baer. Baer ist ein gesunder, freundlicher Mann mit gebräuntem Gesicht. Und das, obwohl er hier, im Granitstollen an seinen Arbeitstagen seit 20 Jahren kein Tageslicht sieht. Baer muss eine Schweizer Passstraße oberhalb von Meiringen nehmen, um heraufzukommen, und bei schlechter Witterung die Seilbahn. Eine Tunnelfräsmaschine hat zwei Kilometer Stollen säuberlich in das Granitgestein gegraben. Darin herrschen konstante 13 Grad Celsius, egal, was oben in der Welt passiert. Es ist die Forschungsstation Grimsel, und Toni Baer ist ihr Techniker. Näher kann man der Idee des atomaren Endlagers zurzeit nicht kommen.

Die Schweizer, die Meister der Tunnel, der Tresore und der Bunker, haben eine weltweit einzigartige Schule gegründet. Sie nennt sich ITC, „School of Underground Waste Storage and Disposal“, kurz, eine Schule dafür, wie man atomaren Müll in den Untergrund schafft. Sie hat ihren Sitz im kleinen Innertkirchen, aber sie richtet sich an die ganze Welt. An alle, die zu Endlagern forschen, sie begutachten, bewilligen oder bauen. Ein Endlager soll immerhin eine Million Jahre halten.

Denn die Probleme des „geologischen Tiefenlagers“ sind auf der ganzen Welt ähnlich. Es fängt schon mal damit an, dass es noch gar keines gibt. Keines in Deutschland, keines in der Schweiz, in England oder Frankreich. Seit über vierzig Jahren wird geforscht, ob Granit, Salz oder Ton den richtigen Untergrund bildeten für strahlende, Wärme entwickelnde Abfälle. Aber wenn es so weit ist, will niemand ein Endlager in seiner Nähe wissen. Wie eine heiße Kartoffel halten sie deshalb den Müll in der Luft. Sie schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu, können nicht entscheiden, entscheiden um. Und noch bevor das erste Lager steht, geht die erste Atomgeneration in Pension. Die Hexenmeister verlassen die Bühne, bevor die Zauberlehrlinge alle Sprüche kennen.

Hier, an der Schule, soll nun all das Wissen vernetzt werden, das in der Welt zum Thema Endlager existiert: die Forschungen der Schweden, die Erfahrungen der Deutschen, die Ansichten der Japaner. Nicole Schubarth-Engelschall ist vom Bundesamt für Strahlenschutz. Als sie geboren wurde, lag der Müll schon da. Im Jahr 2000 gab es allein in Deutschland über eine Million Kubikmeter radioaktiven Müll – dazu kommen noch 2000 Kubikmeter Wärme entwickelnde Abfälle. Die Geologin, 30 Jahre alt, ist ebenfalls im Stollen bei 13 Grad gelandet, um „zu gucken, was die anderen machen“ und über alternative Standorte zu Gorleben nachzudenken. Wolfgang Kickmaier, der Geologe und Organisator der Schule, sagt, man müsse die Erfahrungen koordinieren. Sonst mache man ja alles doppelt und dreifach auf der Welt.

Knapp 30 Schüler gehören zur ersten Klasse und hören seinem Vortrag zu. Sie unterhalten sich in Abkürzungen. Sie kommen aus Japan, Litauen, Finnland, Rumänien und Deutschland. Die jüngsten sind Mitte 20. Es ist eine erste Klasse, die aus internationalen Experten besteht: Physikern, Geologen, Ingenieuren. Was man so braucht, um ein Endlager zu bauen. Eine rumänische Nuklearphysikerin im Strickkostüm tippt auf ihre Brust: eine Anstecknadel von Tschernobyl leuchtet darauf, das war einmal ihr Arbeitsplatz. Auf ihrer Umhängetasche steht „Nuclear Energy in Romania“, und sie ist froh, dass man sie eingeladen hat, in ein Land, das mehr Geld für Entsorgung ausgeben kann als Rumänien. Denn hier wird geforscht und präsentiert nach Industrieländerart mit Grafiken, Power-Point-Präsentationen und ausfahrbarem Zeigestock. In einem Punkt sind sich alle Teilnehmer des Seminars einig: Das Problem aus der Welt zu schaffen heißt, es ganz weit in sie hinein zu schaffen. Ins geologische Tiefenlager. Irgendwann zerfällt es dann von selbst. So weit der Plan.

Die Slowakei nickt kurz. Auch Asien dämmert am Rande zum Schlaf. Kein Wunder, wenn man bedenkt, was sie hier in drei Wochen zu verdauen haben: Die Schweizer berichten von ihren Experimenten im Stollen, wie sie mit einem Heizer versuchen, die Wärme entwickelnden Abfälle zu simulieren. Sie beobachten, welche natürlichen Stoffe im Gestein die Radionuklide beschleunigen und welche ihren Transport behindern. Sie erzählen, dass der Mensch – als künstliche Barriere – Zement und Bentonit einbaut. Sie müssen wissen, was mit einem Lager passiert, wenn Gesteinsschichten sich verschieben, wenn Granit in Scherzonen auseinander bricht, wenn Wasser an den Rändern leckt, welche Gase sich entwickeln. Wie man ein Lager überwacht. Wie man in der Bevölkerung für Vertrauen wirbt – was ein ganz heikler Punkt in allen Ländern ist. In der Schweiz gibt es die Nagra, die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle. Sie hat zusammen mit der internationalen Atomenergiebehörde IAEO die Schule angeschoben. Ihr Pressesprecher Heinz Sager steht in der gelblich beleuchteten Station und sagt „Wir sind die Guten“. Die Aufgabe seiner Organisation ist es, für die Schweizer Atomindustrie die Endlager zu bestellen. Die Nagra, sagt er, räumt jetzt quasi nur noch auf, was ohnehin da ist.

Wolfgang Kickmaier, der Geologe und Organisator der Schule, hockt wie ein großer Vogel auf dem Treppengeländer. Sein Oberkörper bleibt stets ruhig, aber zugleich lieben es seine Beine, sich umeinander zu wickeln. Kickmaier – Ehering, keine Angst vor langfristigen Entscheidungen – hatte gesagt, mehr, als man annehmen würde, liege an dem Wort „End“ in Endlagerung. Das sei das grundsätzliche Problem. Es klinge eben so endgültig. Die heutige Generation sei keine mehr, die sich gerne festlegt. Sie habe Angst vor endgültigen Entscheidungen. So, als wäre die nicht längst gefällt, als das erste Atomkraftwerk seine Arbeit aufnahm. Jetzt, sagt Kickmaier, ist das Geld da. Wir haben das Know-how. Warum nicht das Zeug ein für alle Mal loswerden? Toni Baer, der Techniker im Forschungslabor, hatte gesagt: „Und dass wir das wollen, beweisen wir ja jeden Tag, indem wir es produzieren, oder?“
 

josef

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#2
Atommüll - Zwischen- und Endlagerprobleme in den USA
Zwischenlager erreichen Kapazitätsgrenze
Während Länder wie Deutschland nach der Katastrophe in Fukushima den Ausstieg aus der Atomkraft planen, feiern die USA deren Renaissance. Mit neuen Kernkraftwerken wächst auch der Atommüll, viele Zwischenlager geraten an ihre Grenzen und werden zum Sicherheitsrisiko. Als Gesamtendlager wurde Yucca Mountain in Nevada bestimmt - vor rund 30 Jahren. Doch der Streit darüber dauert bis heute. Nun, unter Präsident Donald Trump, könnte sich das Blatt aber wenden.


Ein Problem, das keiner lösen will
Weltweit gibt es mehr als 400 AKWs, allein in den USA stehen 61 mit insgesamt 99 Reaktoren. Für den gefährlichen Atommüll gibt es auf dem ganzen Planeten jedoch kein einziges fertiges Endlager. Auch in den USA wird darüber seit Jahrzehnten gestritten. Mit der neuen Regierung unter Präsident Donald Trump dürfte das Thema wieder aus der Mottenkiste geholt werden.

Als geeignete Lösung für radioaktive Brennelemente wird die Einlagerung in tiefe Bergwerke angesehen. Doch so wie in Europa auch, etwa in Bure in Frankreich und Gorleben in Deutschland, will auch in den USA niemand ein dauerhaftes Atommülllager vor der Haustür. Das Gezerre um ein Endlager zieht sich seit drei Dekaden: 1987 wurde im US-Bundesstaat Nevada der Bergrücken Yucca Mountain als geeignetes Endlager für die rund 77.000 Tonnen Atommüll aus dem ganzen Land auserkoren. Insgesamt wurden bereits mehr als zehn Milliarden Dollar (rund 9,3 Mrd. Euro) in das Großprojekt investiert, 2011 hätte mit der Einlagerung begonnen werden sollen.


AP/John Locher
Yucca Mountain: Milliarden wurden schon investiert, um ein Endlager zu schaffen - bisher umsonst

Zurück zum Anfang
Doch der Widerstand vor allem Harry Reids, bis vor Kurzem demokratischer Senator von Nevada, war immer wieder erfolgreich. Auch Ex-Präsident Barack Obama stellte sich gegen das Projekt Yucca Mountain. Er stoppte 2009 nach langem Rechtsstreit die Pläne, ein Ausschuss sollte zunächst weitere Alternativen prüfen. Teile des Gebiets, durch das der Atommüll zum Lager transportiert werden müsste, wurden zudem zu Schutzgebieten erklärt, wie das Onlinemagazin Wired berichtete.

Auch verfügte Obama in einem Memorandum, dass Atommüll aus ziviler und militärischer Nutzung in unterschiedlichen Lagern aufbewahrt werden sollte, auch wenn das Energieministerium (Department of Energy, DOE) bestätigte, dass Yucca Mountain technisch geeignet wäre. Somit verschwand die Option Nevada vorerst in einer Schublade, einer Lösung ist man so nah wie 30 Jahre zuvor.

Zweifel an Sicherheit
Dabei wäre es höchst an der Zeit, ein Endlager zu finden: Der Atommüll wird weiterhin an Dutzenden Standorten im ganzen Land zwischengelagert, und nicht jedes Depot scheint dauerhaft geeignet. Im Jahr 2014 brachte ein Leck in einer Einrichtung in New Mexico Zweifel an der Verlässlichkeit solcher Zwischenlager auf, wie das Onlinefachmagazin Power Techology berichtete. In der Waste Isolation Pilot Plant (WIPP) geriet radioaktives Material aus einem Fass und kontaminierte die unterirdischen Tunnel der Anlage.

WIPP ist das einzige unterirdische Lager im Land. Sonst werden die nicht mehr gebrauchten, aber noch jahrhundertelang gefährlichen abgebrannten Brennelemente aus Reaktoren vorrangig in Kühlbecken auf den Arealen der AKWs aufbewahrt.

Suche nach der Zwischenlösung
In inzwischen geschlossenen Kraftwerken wie Maine Yankee im US-Bundesstaat Maine wurden etwa Silos gebaut, um die radioaktiven Überreste zu lagern. Im Kernkraftwerk Pilgrim in Massachusetts arbeitet der Betreiber Entergy an einer Übergangslösung für den sich türmenden Atommüll. Das AKW muss aufgrund seiner schlechten Sicherheitseinstufung 2019 schließen, wie das US-Magazin „New Yorker“ berichtete.


AP/Steven Senne
Das AKW Pilgrim ist seit 1972 in Betrieb und gehört zu den unsichersten der USA

Bis dahin werden sich allein hier rund 800 Tonnen radioaktiver Müll angehäuft haben. Inzwischen lagert er großteils in einem zwölf Meter tiefen Kühlbecken, das dreimal so viel Material kühlt wie ursprünglich vorgesehen - „ein Desaster, das darauf wartet, sich zu ereignen“, zitierte der „New Yorker“ den Senator des Bundesstaats, Ed Markey.

Anfällig für viele Gefahren
In den vergangenen Jahren ging Entergy dazu über, ältere Brennstäbe in Stahlbetonfässer umzulagern. Dafür wurde eine gigantische Betoninsel gebaut, in der nun immer mehr dieser Fässer darauf warten, einer Lösung zugeführt zu werden. Obwohl von Beton umringt, sind sie dennoch nahe dem Meer und etwa vor Terroranschlägen aus der Luft relativ ungeschützt. Die Bewohner der Region fürchten, dass der Atommüll ihnen auch nach Schließung des Kernkraftwerks erhalten bleibt. Diese Entwicklung ist kein Einzelfall bei den 61 AKWs in den USA.

Ein möglicher Ausweg, den das Energieministerium im Sommer 2016 debattierte, ist eine Handvoll großer Zwischenlager. So sollte der Atommüll aus allen 30 Bundesstaaten, die AKWs betreiben, auf wenige überirdische Plätze zusammengezogen werden. Umweltschützer sprachen von „Müllparkplätzen“. Dort würde der Atommüll dann Jahrzehnte lagern, bis eine andere Lösung gefunden wird. Kritiker meinten, dass man so nur noch mehr Orte kontaminiert. Zudem müsste der Atommüll noch öfter auf Straßen oder Gleisen transportiert werden - eine unkalkulierbare Gefahr, die auch noch teuer wäre.

Neue AKWs in Arbeit
Die Zeit drängt, denn 2012 riefen die USA die Renaissance der Atomkraft aus, und erstmals seit der Katastrophe in Three Mile Island 1979 wurden wieder neue AKWs genehmigt. Das bereits bestehende Atomkraftwerk Vogtle in Georgia wird um zwei Reaktoren erweitert. Für den Neubau wurden acht Milliarden Dollar an Garantien für Kredite ausgegeben. Die neuen Reaktoren sollen Strom für mehr als eine Million Haushalte produzieren. In den USA befinden sich derzeit zudem zwei weitere Reaktoren in Bau und rund 20 in Planung.

Three Mile Island
1979 ereignete sich in der Anlage Three Mile Island in Pennsylvania ein schwerer Reaktorunfall mit einer Teilkernschmelze. 140.000 Menschen mussten in Sicherheit gebracht werden. Eine Explosion des AKW mit schwerer radioaktiver Verstrahlung konnte tagelang nicht ausgeschlossen werden.

Trotz der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima 2011 blieb die Regierung Obama strikte Befürworterin der Atomkraft, als Teil einer Energiewende soll sie die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringern. Rund ein Fünftel des US-Stroms wird in AKWs produziert.

Karten neu gemischt
Mit dem Ausgang der US-Wahl kommt nun wieder Optimismus bei Befürwortern der Yucca-Lösung auf. Denn mit dem Abgang der Regierung Obama verabschiedeten sich auch die größten Gegner des Endlagers in Nevada. Senator Reid ging Anfang Jänner in Pension. Obamas Energieminister Ernest Moniz sprach sich kurz vor Ende seiner Amtszeit noch ein letztes Mal gegen Yucca aus. Jeder Versuch, die Pläne wieder aus der Versenkung zu holen, seien zum Scheitern verurteilt, so Moniz. Im Bundesstaat Nevada habe man dafür keine politische Rückendeckung. „Eine konsensorientierte Herangehensweise ist die einzige Möglichkeit, hinter die Ziellinie zu kommen.“

Warten auf Entscheidung
Die Republikaner sind Yucca Mountain jedoch nicht abgeneigt. Trump wollte sich noch nicht festlegen, er versprach lediglich, das Thema zu prüfen. Auch sein Energieminister Rick Perry, ein Befürworter der Atomenergie, äußerte dazu noch keinen Standpunkt. Laut Insidern wurde das Thema jedoch in Trumps Beraterstab heiß diskutiert. Sein Übergangsteam, das auch etliche Unterstützer des Projekts umfasste, erkundigte sich beim Energieministerium bereits über mögliche rechtliche Hürden bei der Wiederaufnahme.

In Nevada fürchtet man diese sehr. Vertreter des Bundesstaats machten zuletzt einen Gesetzesvorstoß, der die Errichtung eines Endlagers empfindlich erschweren würde. In ihren Augen sollte das Energieministerium dazu das schriftliche Einverständnis des jeweiligen Gouverneurs, der Bundesstaatsregierung und der indigenen Bevölkerung benötigen. Ein solches Gesetz würde in weiterer Folge für jeden US-Bundesstaat gelten - und damit jedes Endlager in den USA unwahrscheinlich machen.

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josef

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#3
ATOMMÜLL
Suche nach Warnhinweis für die Ewigkeit
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Wie soll die Nachwelt in Tausenden Jahren auf radioaktive Abfälle, die zuvor in Endlagern zugeschüttet worden sind, aufmerksam gemacht werden? Dieser Frage geht die Atomsemiotik nach. Fachleute aus Wissenschaft, Ökonomie und Kunst debattieren über Alternativen zu Warnschildern und meterhohen Säulen. Möglichkeiten gibt es viele – doch Fragen auch.
Online seit heute, 0.04 Uhr
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Schon seit Jahrzehnten suchen Expertinnen und Experten nach einer Lösung, wie man die nachfolgenden Generationen auf Atommüll in der Erde aufmerksam machen soll. Im Grunde geht es darum, dass auch in Tausenden Jahren Menschen nicht dort graben sollten, wo die giftigen Stoffe liegen. Auf den ersten Blick scheint das Problem banal zu sein. Warum nicht einfach ein großes Warnschild aufstellen? Man könnte ja in allen Sprachen darauf hinweisen, dass man hier sein Leben riskiert. Doch so einfach ist die Sache nicht. Denn wer weiß heute, wie man in 10.000 Jahren kommuniziert – und in welcher Sprache?

Für das US-Endlager in New Mexiko, Waste Isolation Pilot Plant (WIPP), gibt es bereits seit den 1990er Jahren einen Plan für ein Warnsystem. In den nächsten zehn bis 20 Jahren wird die unterirdische Mülldeponie mit hochradioaktiven Transuranabfall voll sein. Die Hohlräume werden eingestürzt und mit Beton versiegelt. Um zu verhindern, dass das, was in rund 650 Meter Tiefe zugeschüttet wurde, von unwissenden Nachfahren ausgegraben wird, setzt man unter anderem auf 32 knapp acht Meter hohe Granitsäulen, die die Außengrenze des mehreren Quadratkilometern großen Areals markieren sollen.

Innerhalb dieser Grenze soll ein zehn Meter hoher und 30 Meter breiter Erdwall entstehen, der den tatsächlichen Fußabdruck des Endlagers markiert. Innerhalb des Walls befinden sich noch mehr Granitsäulen. Alle Säulen sollen in sechs Weltsprachen und in der Sprache der Navajo Warnhinweise gefräst werden. Für Nachfahren, die überhaupt nicht lesen können oder die Sprache nicht verstehen, sollen Gesichter, die Ekel und Panik ausdrücken, auf die Gefahr hinweisen. Es werden auch Hinweise in der Erde vergraben, und in einem großen Granitraum sollen Informationen über dieses Endlager bereitgestellt werden.
Symbole und Zeichen reichen nicht
Es sei „lediglich unser erster bewusster Versuch, über den Abgrund der tiefen Zeit hinweg zu kommunizieren. Es wird weitere geben, die wir in Erwägung ziehen sollten“, schrieb der Science-Fiction-Autor und Physiker Gregory Benford, der selbst bei der Ausarbeitung des Systems beteiligt war. Doch ob all das überhaupt umgesetzt wird, steht in den Sternen. Nach der Versiegelung um das Jahr 2035 müssen zunächst 100 Jahre gewartet werden, bis man den Plan umsetzt. Zuletzt hatte die in Paris ansässige Internationale Kernenergiebehörde (NEA) der OECD vorgeschlagen, mehrere Warnsysteme miteinander zu kombinieren. Es sei auch die Frage zu stellen, ob man – wie im Fall von WIPP – künftige Besucher und Besucherinnen abschrecken sollte.
AP/Susan Montoya Bryan
In ferner Zukunft soll auf dem Gelände des WIPP ein exorbitant großes Warnsystem installiert werden

Linguisten und Linguistinnen zweifeln überhaupt daran, dass Zeichen und Symbole allein reichen, um die Nachwelt zu warnen. Selbst das dreiblättrige Strahlenwarnzeichen ist nicht allen Menschen der Erde bekannt. Die Hunderte Jahre alten japanische Tsunami-Steine, in denen Sätze wie „Erinnert das Unheil der Tsunamis. Baut nicht unterhalb dieses Punktes“ eingraviert wurden, konnten ebenfalls die Menschen nicht davon abhalten, dort zu bauen, wo es gefährlich ist. Irgendwann, so hieß es, würden die alten Warnungen in Vergessenheit geraten.

Die 70er Jahre gelten als Geburtsstunde der Atomsemiotik, ihren Höhepunkt erreichte die Nischendisziplin doch erst ein Jahrzehnt später mit der Human Interference Task Force. In dieser Zeit zeigten sich die damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter und Ronald Reagan über die Zunahme des Atommülls in den Atomkraftwerken besorgt – besonders weil es gegenwärtig und zukünftig eine Gefahr darstellt. Ein Team aus Forschern und Forscherinnen – darunter der renommierte Semiotiker Thomas Sebeok – sollte deshalb Lösungsvorschläge für ein Warnsystem für künftige Generationen entwickeln.

„Strahlenkatze“ und spezielle Pflanzen sollten warnen
Sebeok selbst zögerte zuerst mit seiner Zusage, wie er Jahre später in der Fernsehdokumentation „Countdown für die Ewigkeit“ sagte. Das Projekt sei nicht richtig greifbar gewesen. „Ich frage: Wie weit voraus sollen wir denn denken? Die Antwort aus Washington lautete: 10.000 Jahre“, so der in Ungarn geborene Semiotiker, der 2001 in den USA gestorben ist. Er nahm sich dem Projekt an und studierte die Geschichte von Symbolen und Zeichen. Doch ein Warnzeichen zu „erfinden“, das auch 10.000 Jahre später noch verstanden werden soll, gestaltete sich als schwierig.

Zum Vergleich: Stonehenge wird auf 4.500 bis 5.000 Jahre geschätzt, Christi Geburt liegt 2.020 Jahre zurück und das Niebelungenlied („Uns ist in alten mæren wunders vil geseit von helden lobebæren“) wurde zu Beginn des 13. Jahrhunderts niedergeschrieben. Geht man davon aus, dass eine Generation eine Zeitdauer von 33 Jahren umfasst, dann müsste das Atommüllwarnsystem auch noch für die letzte von mehr als 300 Generationen verständlich sein. „Man wird nie wissen, welche Sprache die Menschen in 5.000 Jahren sprechen“, sagte Sebeok. Doch die Expertenrunde hatte Vorschläge geliefert, die noch heute durch die Debatte geistern.

Viele von ihnen scheinen aus der Welt der Science-Fiction zu stammen, und wurden damals von der Öffentlichkeit auch so bewertet. Zwei Forscher wollten etwa Katzen genetisch so manipulieren, dass sich ihr Fell verfärbt, wenn sie radioaktiver Strahlung ausgesetzt werden. Die Katze als Warnsystem für 10.000 Jahre wurde zwar nicht umgesetzt, allerdings gilt die „Ray Cat“ heute als Kultobjekt auf T-Shirts und kommt auch in Filmen vor. Ein anderer Vorschlag mit demselben Muster lautete: Man muss eine Pflanzensorte züchten, die in Anwesenheit von Strahlung erblüht.

„Atomare Priesterschaft“ sorgte für Spott
Grundsätzlich waren unter den Vorschlägen aber auch so mancher, den man gleich umsetzen könnte. Es müssten Warnschilder aufgestellt werden, die je nach Entwicklung mit anderen Sprachen ergänzt werden. Auch das geplante Warnsystem beim WIPP in New Mexico fußt im Grunde auf dieser Lösung. Eine radikalere Schlussfolgerung zog Sebeok: Wenn nicht das eine Zeichen, das noch in 10.000 Jahren vor Atommüll warnt, gefunden werden kann, muss ein kultureller Kontext geschaffen werden, der die Zeit überdauert. Er sprach sich für eine „atomare Priesterschaft“ aus, die mit Hilfe von Legenden und Ritualen Fremde von atomaren Lagerstätten fernhalten.

AP/Eric Draper
Die Höhlen des WIPP werden in etwa 20 Jahren vollkommen zugeschüttet werden

Doch die „Priesterschaft“ brachte Sebeok ordentlich Kritik und Spott ein. Der Semiotiker erklärte später, dass er eine Gruppe von Weisen meinte, die von der Politik unabhängig agieren und dafür Sorge getragen hätten, dass die nachfolgenden Generationen über die Gefahren mittels mündlicher Überlieferung aufgeklärt werden. Damals sorgte der Vorschlag auch innerhalb der Expertengruppe für Gelächter. Doch heute vertreten insbesondere Künstlerinnen und Künstler die Auffassungen, dass Rituale das Kernstück eines Warnsystems für die Ewigkeit sein können.
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Statt der „atomaren Priesterschaft“ stand Anfang der 90er Jahre aber vielmehr die „feindliche Architektur“ im Mittelpunkt. Fachleute empfahlen etwa meterhohe Türme mit Stacheln („Landschaft der Dornen“), ein schwarzer Granitstein, der Sonnenenergie absorbiert, um unpassierbar heiß zu werden („schwarzes Loch“), oder „Verbietungsblöcke“, deren Masse Menschen einschüchtern könnte. Eingewendet wurde bei diesen Warnsystemen, dass diese Hochsicherheitsmaßnahmen die Nachfahren dazu verleiten könnten, erst recht nach „Schätzen“ zu graben.

Ewig andauernder Prozess
Nach den debattenreichen 90er Jahre war das Thema Warnsystem wegen Atommülls für Nachfahren eingeschlafen. Erst nach der Kernschmelze im Atomkraftwerk Fukushima im Jahr 2011 beschäftigten sich Fachleute weltweit wieder intensiver mit der Frage. Eine Studie aus der Schweiz empfahl, ein Endlager mit Millionen von Tonscherben zu markieren, die zu Symbolen wie Totenschädeln angeordnet werden. Eine andere Idee betraf sündhaftteure und witterungsbeständige Saphierplatten, auf denen reichlich Informationen gespeichert werden könnten, die man in eine Kammer nahe dem Gefahrenort unterbringt.

Viele Ideen sind freilich Gedankenspiele, um auf das Thema aufmerksam zu machen. In dem 2019 veröffentlichten Endbericht „Entsorgung radioaktiver Abfälle und Stilllegung – Generationsübergreifende Erhaltung von Aufzeichnungen, Wissen und Gedächtnis (RK&M)“ hieß es abschließend, dass es auch weiterhin das Ziel bleibe, potenzielle Eindringlinge abzuschrecken. Es sollte aber das Wissen über die Gefahr von Atommüll im Zentrum stehen. Denn es gehe nicht nur darum, eine Botschaft zu überliefern, sondern diese Botschaft „interpretierbar, aussagekräftig, glaubwürdig und im Laufe der Zeit nutzbar zu halten“.
18.01.2022, Jürgen Klatzer, ORF.at

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Atommüll: Suche nach Warnhinweis für die Ewigkeit
 
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