Wien: Am Karlsplatz wurden die Reste eines Einkaufszentrums aus der Zwischenkriegszeit entdeckt

josef

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#1
Einkaufszentrum beim Wien Museum entdeckt

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Überraschender Fund bei Bauarbeiten am Karlsplatz: Bei Grabungen vor dem Wien Museum hat die Stadtarchäologie die Reste eines Einkaufszentrums freigelegt. Die „Verkaufshallen am Karlsplatz“ haben in der Zwischenkriegszeit Luxusgüter feilgeboten.
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„Die Stadt ist voller Geschichten, die zwar nicht geheim sind, aber die niemand kennt“, sagte Museumsdirektor Matti Bunzl bei der Präsentation der Grabung. Im Zuge dieser wurden Teile der Fundamente des Gebäudes freigelegt, das sich am Standort des heutigen Wien Museums befand.

Pelze, Schuhe und Motorräder
Erbaut und eröffnet wurden die Verkaufshallen im Jahr 1922. Bekannte Geschäftsleute boten dort ihre Produkte in den diversen Hallen und Kojen feil. Bekleidung, Pelze, Schuhe und antike Uhren waren genauso erhältlich wie Autos, Motorräder und das Phänomobil, ein motorisiertes Dreirad. Einige Jahre lang war dort auch ein Gasthaus, das sich „Erster Wiener Stadtheuriger“ nannte, zu finden.

Erfolgreich dürfte das Konzept jedoch nicht wirklich gewesen sein. Das dürfte auch der Grund dafür sein, dass die Existenz des Einkaufszentrums nahezu vergessen ist. Gemeinsam mit den schlechten Besucher- und Absatzzahlen sorgte die Rezession ab 1930 schließlich endgültig für das Aus. Zuletzt wurde das Einkaufszentrum fast nur mehr als Autowerkstätte genutzt. 1934 wurde die Ausstellungshalle abgerissen.

APA / Herbert Pfarrhofer
Die Stadtarchäologie ist auf Fundamente der alten Verkaufshallen gestoßen

APA / Herbert Pfarrhofer
In mühevoller Kleinstarbeit werden die Fundamentreste freigelegt


APA / Herbert Pfarrhofer
Die Überreste des Einkaufszentrums werden nicht für die Nachwelt erhalten, …


APA / Herbert Pfarrhofer
… alles wird aber genauestens dokumentiert


APA / Herbert Pfarrhofer
Die Bautechnik des Einkaufszentrum hat überrascht, …


APA / Herbert Pfarrhofer
… denn für die Fundamente wurde grober Magerbeton verwendet

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde auf der Fläche das Wien Museum gebaut, das jetzt saniert und neu gestaltet wird. Das Haus ist bereits geschlossen und weitgehend ausgeräumt. Wie das Museum jetzt einmal mehr beteuerte, liegt das Projekt sowohl zeitlich wie finanziell im Plan. Der Generalunternehmer sei bereits ausgeschrieben worden, ab November wird das Gebäude entkernt. Das Vergabeverfahren soll im Frühjahr 2020 abgeschlossen werden. Auch der eigentliche Baubeginn wurde terminisiert. Er wird mit Sommer 2020 angegeben.

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ORF-Wien heute
Jetzt ist es archäologisch bestätigt: Wiens allererste Shopping-Mall war am Karlsplatz

Es wird weiter in die Vergangenheit gegraben
Die Überreste des Einkaufszentrums werden nicht für die Nachwelt erhalten, wie Grabungsleiter Martin Mosser erläuterte. Er sprach heute von einer „dokumentierten Zerstörung“. Interessante Erkenntnisse lieferte der Fund jedenfalls, wie betont wurde. So habe etwa die Bautechnik überrascht, also konkret, dass grober Magerbeton für die Fundamente verwendet worden sei. Auch, dass der Bauplatz einst beträchtlich aufgeschüttet und begradigt wurde, fand man heraus.

Laut Mosser wird man demnächst noch mehrere Meter in die Tiefe, also weiter in die Vergangenheit, vorstoßen. Pflaster aus der Zeit vor dem Hallenbau wurde bereits entdeckt. Noch weiter unten lag einst das Bett des inzwischen längst umgeleiteten Wienflusses. Dass auch römische Funde in diesen Schichten schlummern, schließen die Archäologen nicht aus.
23.10.2019, red, wien.ORF.at/Agenturen

Link:
Kultur: Einkaufszentrum beim Wien Museum entdeckt
 

josef

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#2
...und noch ein "derStandard" Artikel mit mehr Hintergrundinfos:

VERGESSENER SHOPPINGTEMPEL
Reste einer einstigen Luxusmall am Karlsplatz ausgegraben
Am Wiener Karlsplatz stand einst eines der ersten Einkaufszentren. Stadtarchäologen stießen im Zuge des Umbaus des Wien-Museums nun auf die Fundamente

Der mondäne Eingangsbereich der "Verkaufshallen Karlsplatz". Das Foto entstand vor dem Abriss 1934.
Foto: Wien Museum/Martin Gerlach jun.

"Ein herrliches handgestricktes Seidentuch mit langen Fransen, ein Stück, das man auch – im Falle der Verarmung! – als Salondecke benutzen kann." Mit derart wortreichen Beschreibungen einzelner Waren malt eine entgeltliche Einschaltung im Wiener Journal vom 22. Oktober 1922 die Vorzüge der noblen Verkaufshallen aus, die wenige Monate zuvor am Wiener Karlsplatz eröffnet hatten. Getarnt als "Wiener Modebrief" preist die von einer gewissen Mizzi Neumann verfasste Anzeige in flottem Stil an, was es hier alles zu erstehen gibt – und bedenkt in einer fast gespenstischen Vorahnung der noch fernen Wirtschaftskrise gleich eine Zweitverwertung des guten Stückes.

Doch es ist nicht alles unerschwinglich: "Also endlich einmal etwas für den Mittelstand, der ja heute fast nichts mehr kaufen kann!", bewirbt die Anzeige eine "sehr kleidsame, tiefgegürtete warme Trikotbluse in blau-beige um 270.000 Kronen". Fazit der Modeexpertin: Die Verkaufshallen, "wo endlich einmal das System der Zentralisierung beobachtet wird", böten "ein geradezu ideales Shopping, sogar für den viel geplagten Berufsmenschen".

Frühes Luxusshopping
Dokumente wie dieses geben eine Ahnung davon, welchen Stellenwert das vornehme Geschäfts- und Ausstellungsgebäude, das zumeist schlicht als "Verkaufshallen Karlsplatz" bezeichnet wurde, für das Wiener Stadtleben gehabt haben dürfte. Und doch ist die frühe Luxus-Shoppingmall, die von 1922 bis 1934 in etwa auf der Fläche des Wien-Museums Waren aller Art feilbot, heute weitgehend in Vergessenheit geraten.

"Als wir im Zuge der aktuellen Umbauten des Wien-Museums Recherchen anstellten, stießen wir auf historische Pläne, auf denen die Umrisse eingezeichnet waren", sagt Heike Krause von der Stadtarchäologie Wien, die für die Begleitung derartiger Bauprojekte zuständig ist. Weitere Nachforschungen brachten Architektenentwürfe, zwei Fotografien und einige Zeitungsmeldungen bzw. -anzeigen zutage.


Die Fundamente der "Verkaufshallen Karlsplatz" sind Zeugnis des einst hochmodernen Shoppingcenters, das in der Zwischenkriegszeit am Standort des heutigen Wien-Museums errichtet wurde.
Foto: Constance Litschauer

Seit kurzem gibt es auch materielle Beweise: Bei Grabungen vor dem Wien-Museum haben die Archäologen einen Teil des Fundaments freigelegt. "Wir sind im Betonzeitalter", kommentiert Constance Litschauer, während sie das zarte, kaum einen halben Meter breite Fundament begutachtet. Das zickzackförmige Mäuerchen ist ein Teil der seitlichen Außenfassade, die hier einen Rücksprung macht.

Moderne Aborte
An einer Stelle direkt am Fundament zeugt eine tiefe Grube von der Bepflanzung, die die Fassade schmückte. In einer Ecke wieder um ragt ein Rohr hervor: "Ein Abort", wie Litschauer erklärt. Die edlen Hallen waren mit modernsten Wasserklosetts ausgestattet, die sogar "Geruchsverschlüsse", also Klodeckel, aufwiesen. Es konnten bereits ein Teil des Estrichs (ebenso aus Beton) und ein Eingang freigelegt werden. Ein Betonklotz stammt von einem Pfeiler, zersplitterte Holzbalken weisen auf Türschwellen im Inneren der Hallen hin. Die Funde werden nun nach und nach ausgewertet und in ein 3D-Modell integriert.

Insgesamt rund 3000 Quadratmeter samt Innenhof betrug die Grundfläche des einstöckigen Gebäudes. Nur der mondäne Eingangsbereich, der hin zur Lothringerstraße ging, wies ein zweites Geschoß auf. Dazu kamen knapp 500 Quadratmeter Vorgärten. Der Flachbau war in eine Vielzahl von größeren Hallen und sogenannten Kojen in einer Größe von zehn bis 50 Quadratmetern eingeteilt.

"Es war von Anfang an als provisorisches Gebäude gedacht und wurde auch immer wieder adaptiert", sagt Krause. Der Stadt Wien, die im Besitz der Flächen war, kam die Vision der Firma G. Barth & Co eines zentralisierten Einkaufszentrums gerade recht. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges war die Konjunktur am Boden. Der wirtschaftliche Wiederaufbau wurde Anfang der Zwanzigerjahre mit allen Mitteln in Gang gesetzt. So wurden die Entwürfe des Wiener Architekten Robert Kalesa – mit einigen Abweichungen – 1921 genehmigt.

Der Flachbau bot auf rund 3000 Quadratmetern Verkaufsflächen für Waren aller Art.
Foto: Wien Museum/Martin Gerlach jun.

Das Konzept der Shoppingmall war jedenfalls eine absolute Novität. Zwar gab es schon seit dem 19. Jahrhundert Warenhäuser und innerstädtische Passagen, aber das Prinzip eines weiträumigen Gebäudes, das auf einer Verkaufsfläche verschiedene Geschäftslokale zusammenfasst, war noch weitgehend unbekannt.


Plakat zur Eröffnung 1922.
Foto: ÖNB

"Großzügiges Etablissement"
Der Andrang der Händler war zunächst groß, und als die Verkaufshallen im August 1922 eröffnet wurden, waren laut einer Pressemitteilung bereits alle Lokale vermietet. Die Medien feierten das "großzügige kaufmännische Eta blissement". Zu kaufen gab es nicht nur Textilien, auch antike Uhren, exklusive Hut- und Schirmmodelle, die neuesten Pelzmodelle, Automobile, "Phänomobile" (Dreiradwagen) und Motorräder.

Die Zurschaustellung von Luxusgütern kam aber nicht überall gut an, wie Heike Krause in den Archiven herausgefunden hat: Am Ende einer Kundgebung von Ar beitslosen im Dezember 1922 gegen Hunger und Armut nahm eine Gruppe vor den Verkaufshallen Stellung – wohl nicht zufällig. Auch dürften sich die Umsätze nicht wie erhofft entwickelt haben. Es gab häufige Fluktuationen bei den Händlern, 1927 zogen sukzessive Werkstätten in die Geschäftslokale ein. Im selben Jahr eröffnete im Mitteltrakt der angeblich "Erste Wiener Stadtheurige", der mit Musik und "staubfreien Prachtgärten" warb.

Niedergang nach Börsencrash
1929 ging es infolge des Börsencrashs und der Wirtschaftskrise auch in den Verkaufshallen bergab. Eine Fabrik für Verbandstoffe zog in die Gasthauslokalität, 1933 fiel die Entscheidung für den Abbruch, der schließlich 1934 erfolgte. "Die Verkaufshallen sind auch ein Spiegel der Geschichte der Zwischenkriegszeit", sagt Krause.

Schon wurden aber auch Hinweise auf die Zeit davor gefunden. So kam bei den Grabungen ein Stück Kopfsteinpflaster ans Licht, das aus der Zeit um 1900 stammen dürfte. "Darunter war vor der Regulierung das Bett des Wienflusses", sagt Heike Krause. "Wir hoffen, dass wir in den weiteren Schichten auf die Böschungen stoßen. In den Aufschüttungen könnten durchaus noch interessante Funde auftauchen." Bis die Arbeiten am Tiefspeicher des (derzeit geschlossenen) Wien-Museums beginnen, der an dieser Stelle geplant ist, wird also noch weiter Schicht für Schicht abgegraben. Vielleicht findet sich ja ein weiteres Überbleibsel aus der Zeit, als am Karlsplatz noch dem Luxus gefrönt wurde.
(Karin Krichmayr, 23.10.2019)

Link
3-D-Modell der Ausgrabung
Reste einer einstigen Luxusmall am Karlsplatz ausgegraben - derStandard.at
 
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