WK-2-Spähpanzer "Daimler Dingo" der britischen Armee hatte österreichische Wurzeln

josef

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Daimler Dingo: Ins Land einischau'n
1938 beteiligte sich Österreich mit dem Austro-Daimler ADSK an einer Ausschreibung der British Army. Letztlich wurde daraus der berühmte WK-2-Spähpanzer Daimler Dingo
Österreich, das Land der Berge, gilt seit mehr als 100 Jahren in der Autowelt als eine Heimat des Allradantriebs. Alle Räder anzutreiben, um Schnee, Geröll, Schotter, trostlose Straßenverhältnisse zu überwinden, galt vor allem bis in die Dreißigerjahre des vorigen Jahrhunderts als wichtiges Kriterium bei der Entwicklung von Fahrzeugen, die in erster Linie militärischen Zwecken dienten. Wer in der Geschichte genialer österreichischer Automobilkonstrukteure blättert, kommt an großen Namen wie Ferdinand Porsche, Rudi Hruska, Robert Eberan von Eberhorst, Hans und Erich Ledwinka, Carlo Abarth oder Ferdinand Piëch nicht vorbei, das Allradkonzept spielte in deren technischen Überlegungen oft eine wichtige Rolle. Die Pilgerfahrten großer europäischer Automobilproduzenten nach Graz, wenn es gilt, 4WD in moderne Limousinen oder SUV-Modelle zu verpflanzen, hält weiter an, wer schafft es schon wie der Mercedes G, die Waldstrecken auf dem Schöckl im Höllentempo zu bezwingen.


Das Resultat der Ideenspende: Daimler Dingo.
Foto: Stockinger

Doch schwenken wir zurück, exakt in die Jahre 1936 bis 1938. Das Bundesheer der Ersten Republik versuchte sich trotz traditionell beschränkter Budgetmittel im Hinblick auf seine Beweglichkeit zu modernisieren. Kunden aus Balkanländern wie Rumänien, Bulgarien, selbst Jugoslawien, gesegnet mit beachtlichen Gebirgsmassiven, warteten auf Entwicklungen von Austro-Daimler oder Steyr in Richtung gepanzerte Radfahrzeuge mit Vierradantrieb zur Mobilisierung schneller Voraus- oder Spähabteilungen. Die Finanzierung der eigenen Aufrüstung durch Exporte schien auch für das Bundesheer ein wichtiges Konzept darzustellen. Der Vier-Achsen-Radpanzer ADGZ von Steyr war so ein Zielobjekt, der Anschluss 1938 verbannte ihn aber zur deutschen Polizei, 1942 wurde noch eine Kleinserie von rund 25 Einheiten nachgebaut.

Im Jahr 2000 wurde die Produktion des militärischen Geländekünstlers Steyr-Puch Pinzgauer nach Großbritannien verkauft und dort vorübergehend weitergeführt. Dass die Briten schon früher was für wehrhafte Offroadkompetenz made in Austria übrig hatten, zeigt das kuriose Beispiel des kompakten Allrad-Spähpanzers Austro-Daimler ADSK. Hier ein Größenvergleich mit einem Steyr-Pkw...
Foto: Heeresgeschichtliche Museum

Niemand konnte sich aber 1936 vorstellen, dass der österreichische Prototyp eines weiteren Radpanzers im Zweiten Weltkrieg mit rund 6600 gebauten Einheiten zum Star unter englischer Flagge werden sollte. Der etwas unhandliche ADGZ verlangte nach einem kleinen, wendigen Späh-Radpanzer als Ergänzung seiner selbst, die auch preiswerter in der Produktion sein soll. Austro-Daimler, schon im Verbund mit Steyr, präsentierte unter dem Kürzel ADSK, das steht, reichlich sperrig, für "Austro-Daimler Späh-Karren". Es entstanden fünf Prototypen: 3,2 t schwere, allradgetriebene Vierradpanzerwagen ohne Turm, die Radaufhängung folgte unabhängig an Dreieckslenkern und schräg liegenden Blattfedern. Im Heck arbeitete ein luftgekühlter Steyr-L-43-4-Zylinder-Reihenmotor mit 3,6 Liter Hubraum, 60 PS Leistung und gut für 75 km/h Spitze. Das Austro-Daimler-4-Gang-Getriebe hatte ein Untersetzungsgetriebe für den Geländeeinsatz. Vier Modelle für zwei Mann Besatzung, zwei für drei Mann, Bewaffnung jeweils ein Maschinengewehr, wurden dem Bundesheer vorgeführt. Doch das Interesse schien gering gewesen zu sein, der gleichzeitig im Versuch stehende Spähpanzer ADKZ, er scheiterte an mangelnder Geländetauglichkeit, verdrängte den klein wirkenden Prototyp, der mit 3,18 Meter Länge nicht größer war als der damals populäre Steyr-50-Kleinwagen.

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..ein Fahrgestell ohne Aufbau...
Foto: Spielberger

Neue Chance
Das Geld schien Steyr falsch investiert zu haben, doch eine neue Chance bot sich in England. Dort veröffentlichte die britische Armee eine Ausschreibung für ein gepanzertes Rad-Aufklärungsfahrzeug, bei der nur englische Anbieter teilnehmen durften. Steyr schloss eine Kooperation mit dem britischen Hersteller Morris (später Teil von British Leyland), lieferte vier Einheiten nach England, beteiligte sich mit dem Partner an der Ausschreibung, wobei der englische Partner den Steyr-Motor durch ein eigenes Aggregat ersetzte, als Tribut an die Bestimmungen des ausschreibenden Landes.

Die vier Prototypen wurden knapp vor dem Anschluss verschifft. Als Probleme mit dem englischen Motor von Morris auftauchten sowie weitere technische Hilfe notwendig schien, ging ein Notruf Richtung Steyr. Österreich war aber bereits untergegangen, die Wehrmacht verbot natürlich jede technische Assistenz für eine englische Ausschreibung.


...Geländeerprobung am Steyr-Werksgelände (1937/1938)...
Foto: Spielberger

Inzwischen wanderte das Projekt im Herbst 1938 zu Alvis und Daimler, wobei schlussendlich Daimler UK mit seinem Prototyp, der auf der österreichischen Entwicklung beruhte, den Zuschlag erhielt. Ein zündender Name fand sich bei einer Wanderung durch das Commonwealth: Dingo, der australische Wüstenhund, bekam die Ehre des Patrons, keine Überraschung, dass sich dieser Dingo später besonders bei den Kämpfen in Nordafrika wohlfühlte. Daimler spendete aus seinem Regal den Zweiliter-6-Zylinder mit 60 PS, die Allradaufhängung blieb, bei dem halbautomatischen Wilson-Vorwahlgetriebe wurden die Getriebestufen mit einem kleinen Schalthebel vorgewählt und mit einem Fußpedal geschaltet. Kupplung gab es keine, Getriebe und Motor stammen vom zivilen Daimler DB 18.

So zog also der Beuteösterreicher in den Zweiten Weltkrieg. Überall, wo die Briten kämpften, war der kleine Radpanzer präsent – gesucht und oft auch gefunden als Beutefahrzeug bei der Wehrmacht, die aus ihren rund 200 eingesammelten Einheiten unter "Panzerspähwagen MK I 202" eine eigene Klasse kreierte. Die Italiener lernten den Dingo meist auf ihren Rückzügen in Nordafrika kennen, Lancia erhielt trotzdem 1942 den Auftrag, 260 Kopien unter dem Namen "Lince" (Luchs) zu fertigen. Die "Rückkehr" des Dingos nach Österreich, genau genommen Kärnten, erfolgte am 9. Mai 1945, fast genau sieben Jahre nach der Auswanderung Richtung England: Eine Vorhut der North Irish Horse Dragon Division hinderte Tito-Partisanen in Bleiburg daran, ihre Massaker an Zivilisten fortzusetzen, und zwang sie zum Rückzug nach Jugoslawien.


...ein Prototyp mit Turm von Morris in England.
Foto: Heeresgeschichtliche Museum

Im Wiener Heeresgeschichtlichen Museum (HGM) steht ein fahrbereiter Dingo, er fand über Polen den Weg nach Österreich. Ungewöhnlich die Vorgeschichte: Im Sommer 1945 kehrten die aufseiten der Westalliierten kämpfenden polnischen Einheiten in ihre Heimat zurück, im naiven Glauben, freudig begrüßt zu werden. Dort herrschten bereits die Kommunisten, man entwaffnete die Soldaten, Teile wurden verhaftet, andere vertrieben. Der "heimische" Dingo landete auf einem Schrottplatz, bis ein Schweizer Sammler ihn entdecke, restaurierte und an das HGM verkaufte. Wert: rund 30.000 Euro. Weltweit existieren noch rund 120 Dingos, in Bruck/Leitha soll aber die lokale Feuerwehr in ihrer Sammlung den einzigen noch existierenden Prototyp von 1936, damals ADFK (Austro-Daimler Feuerwehr-Karren) genannt, hüten.

Der australische Wüstenhund musste nicht nach Down Under heimkehren: 1995 entwickelte der deutsche Rüstungskonzern Krauss-Maffei Wegmann ein gepanzertes Aufklärungsfahrzeug, basierend auf dem Unimog-Leiterrahmen mit Mercedes-Dieselmotor, 5,80 m lang, 12,5 Tonnen schwer, 3,10 m hoch, für fünf Mann Besatzung ausgelegt. Der brave Dingo durfte wieder den Namen liefern, das Fahrzeug entwickelte sich zum Erfolgsmodell, selbst unser Bundesheer verfügt über 99 Stück. Nun bellt der Wüstenhund in der Kaserne Zwölfaxing.

(Peter Urbanek, 2.1.2021)
Daimler Dingo: Ins Land einischau'n - derStandard.at
 
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