Ecuador: Hinweise auf 2.500 Jahre alte Siedlungsgeschichte im Westen des Amazonas-Tieflandes gefunden

josef

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URBANE STRUKTUREN
Jahrtausendealtes Netz aus Städten in Amazonien entdeckt
Eine detaillierte Untersuchung weist eine 2.500 Jahre zurückreichende Siedlungsgeschichte im Westen des Amazonas-Tieflandes nach
Im Jahre 1541 brach der spanische Konquistador Francisco de Orellana von der Westküste Südamerikas zu einer Expedition ins Amazonastiefland auf. Sein Hauptinteresse galt dem Zimt und dem sagenhaften Goldland Eldorado, das sich den damaligen Legenden zufolge irgendwo im dichten Urwald Amazoniens befinden musste. Reichtum errang Orellana zwar nicht, dafür sicherte er sich als erster Europäer, der den Amazonas von West nach Ost befuhr, einen Platz in den Geschichtsbüchern.

Orellana kam mit abenteuerlichen Erzählungen zurück aus dem Dschungel. Er behauptete, auf Kriegerarmeen gestoßen zu sein, die aus Städten entlang des großen Flusses strömten und seine Boote mit einem Pfeilregen bedachten. Als spätere Expeditionen den Fluss befuhren, entdeckten sie nichts von all dem – und Orellana wurde als Lügner abgestempelt.


Im Amazonasgebiet verbergen sich vermutlich zehntausende bisher unentdeckte künstliche Strukturen, wie kürzlich eine Untersuchung nahelegte. Dass diese Siedlungen mancherorts miteinander vernetzt waren, belegt eine aktuelle Studie.
Foto: Mauricio de Paiva

Ungeahnte Siedlungen
Es sollten mehr als 400 Jahre vergehen, ehe sich Orellanas Geschichten zumindest teilweise als Tatsachen entpuppten: In den 1980er-Jahren wurden im mittleren Amazonasgebiet große archäologische Stätten entdeckt, die die Existenz ausgedehnter präkolumbischer Siedlungen entlang des Flusses bestätigten. Nach weiteren Untersuchungen im Verlauf der letzten Jahrzehnte kristallisierte sich eine bisher ungeahnte Besiedelungsgeschichte Amazoniens heraus.

Monumentale archäologische Stätten kamen ans Licht. Wo heute dichter Dschungel vorherrscht, entdeckte man Gebäudereste und Plattformen, künstliche Hügel, Straßen, große landwirtschaftliche Nutzflächen mit Dämmen und Kanälen. Die Funde bewiesen, dass die Ureinwohner der vermeintlich menschenleeren tropischen Waldgebiete bemerkenswerte Landschaftsgestalter waren, die ihre Umwelt über lange Zeiträume hinweg verändert haben. Doch waren diese einzelnen Siedlungen auch untereinander verbunden, oder handelte es um Einzelphänomene?

Zwischen Anden und Amazonas
Wie umfassend das Ausmaß der Besiedelung in diesen Breiten schon vor Jahrtausenden tatsächlich war, führt nun ein Forschungsteam um Stéphen Rostain vom französischen Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung (CNRS) in einer detaillierten Untersuchung vor Augen. Die Gruppe nahm sich ein rund 300 Quadratkilometer großes Gebiet im oberen Amazonas an den östlichen Hängen der ecuadorianischen Anden vor und konzentrierte sich eher auf die "Lücken" zwischen den bisher untersuchten Siedlungen.

Das Upano-Tal erstreckt sich im Süden Ecuadors, eingeklemmt zwischen den Anden im Westen und dem Cutucú-Gebirge im Osten. Die Gegend ist geprägt von hohen Schwemmlandterrassen an den Ufern des Upano-Flusses und liegt in einer Region, in der die Ökosysteme des Amazonas und der Anden aufeinandertreffen. Bei vorangegangenen Projekten, bei Ausgrabungen und Kartierungen mithilfe von Light Detection and Ranging (LIDAR) wiesen Forschende zahlreiche Strukturen nach, doch ob es sich um ein überregionales urbanes Netzwerk aus Bauwerken oder punktuelle, zeitlich entkoppelte Siedlungen handelte, war bisher unklar.


Das Team um Stéphen Rostain fand im Süden Ecuadors ein regelrechtes Netzwerk von Siedlungen, die durch Straßen miteinander verbunden und in eine ertragreichen Agrarlandschaft eingebettet waren.
Illustr.: Rostain et al.

System urbaner Zentren
Diese Frage konnte die nun im Fachjournal "Science" präsentierte Studie erstmals beantworten: Das Team entdeckte Hinweise auf ein dichtes System präkolumbischer urbaner Zentren, dessen Anfänge auf eine Zeit bis vor 2.500 Jahren zurückreichen. Die Siedlungen bestanden aus an natürlichen Hängen gelegenen Häusern mit Gruben und Feuerstellen; große Gefäße, Mahlsteine und verbrannte Samen zeugten von intensiver landwirtschaftlicher Tätigkeit.

Die neuen Datierungen deuten auf die Abfolge von mindestens fünf kulturellen Phasen hin: Die ersten Erdplattformen und Straßen gehen auf die sogenannte Kilamope- und spätere Upano-Kultur zurück und wurden zwischen etwa 500 v. Chr. und 300 bis 600 n. Chr. errichtet. Die Träger dieser Kulturen waren sesshafte Agrargesellschaften, die das Tal dicht besiedelten, wo die fruchtbaren vulkanischen Böden gute Erträge bescherten. Angebaut wurden vor allem Mais, Bohnen, Maniok und Süßkartoffeln.

Bedrohte Gartenstädte
Die von Rostain und seinen Kolleginnen und Kollegen zusammengetragenen Beweise zeichnen letztlich das Bild einer großflächig ausgebreiteten agrarbasierten Zivilisation, die eine Urbanisierung aufwies, wie sie in Amazonien noch nie zuvor dokumentiert wurde. Das Team zog sogar Parallelen zu ähnlichen Maya-Stadtsystemen in Mittelamerika. Die mindestens 15 identifizierten, aus rechteckigen Erdplattformen und Plaza-Strukturen bestehenden Siedlungen waren durch Fußwege und Straßen miteinander verbunden und wie regelrechte Gartenstädte zwischen ausgedehnten Agrarlandschaften und Flussläufen eingebettet.

Ob es zwischen den Siedlungen immer friedlich zugegangen ist, darf allerdings bezweifelt werden. Trotz der scheinbaren architektonischen und räumlichen Homogenität dieser Stätten deutet einiges darauf hin, das die Beziehungen der Orte untereinander nicht immer ganz friktionsfrei verliefen. Das Team fand periphere Gräben, die den Zugang zu einigen Siedlungen blockierten, versperrte Straßen und bauliche Verstärkungen – alles Hinweise darauf, dass sich deren Bewohner vor einer äußerlichen Bedrohung zu schützen suchten.
(Thomas Bergmayr, 14.1.2024)
Jahrtausendealtes Netz aus Städten in Amazonien entdeckt
 
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