Torque-Vectoring - Innovation der Saison bei Elektroautos

josef

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#1
INNOVATION DER SAISON
Neuer Schub: Antriebsräder einzeln ansteuern
Echtes Torque-Vectoring lässt sich beim Elektroauto viel einfacher realisieren. Notwendig ist es auch hier nicht wirklich

Audi betreibt ein Modell mit echtem Torque-Vectoring, den RS8 e-tron. Das ist man sich als Allradpionier einfach schuldig.
Foto: Audi

Die Geschichte des Allradantriebs ist untrennbar mit Audi verbunden. Damit hat man sich in den 1980er-Jahren aus der Opel- und Ford-Ecke in die Premiumklasse hochgearbeitet, wo man seither mit BMW und Mercedes auf Augenhöhe wettbewerbt. Es ist damals mit dem Slogan Vorsprung durch Technik und dem Begriff Quattro eine regelrechte Manie entstanden. Der damalige Audi- und spätere VW-Konzernchef Ferdinand Piëch verstieg sich sogar zur Bemerkung, der Aufpreis eines künftigen Allradantriebs läge in der Größenordnung eines Satzes Winterreifen, was viele zu dem irrigen Schluss verleitete, man könne sich Winterreifen dadurch überhaupt ersparen.

Tatsächlich gab es bald kein Automodell mehr, das nicht auch mit Allrad zu haben war. Das war der Höhepunkt des klassischen Maschinenbaus in der Automobiltechnik. In den 1990ern bedeutete Allradantrieb automatisch Automobilkompetenz. Damals wurde auch der Begriff "Torque-Vectoring" kreiert. Interessanterweise verwendet heute Tesla auf seiner Webseite den viel eleganteren deutschsprachigen Begriff "oment-Vektorsteuerung". Und jetzt holen wir noch ein Stück weiter aus.


Der Steyr-Traktor Typ 80, wegen seiner 15 PS "15er" genannt, hatte dank seiner großen Antriebsräder gewissermaßen Allradantrieb.
Foto: Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

Ein alter Traktor hatte extrem große Hinterräder und ganz kleine Vorderräder. Im Gatsch geht es nämlich immer nur darum, die Umfangskraft auf dem Antriebsrad möglichst gering zu halten, damit das Rad nicht durchdreht. Um das gleiche Drehmoment bei geringer Umfangskraft zu übertragen, kann man entweder einen extrem großen Raddurchmesser wählen oder die Anzahl der angetriebenen Räder verdoppeln. Insofern hat auch ein einachsgetriebener 15er-Steyr praktisch Allradantrieb, weil die Vorderräder ohnehin nur mehr dazu da sind, dass der Traktor nicht nach vorn kippt und bei Bedarf um die Kurve gelenkt werden kann.

Jetzt kommt die nächste Überlegung: Da das rechte und linke Rad in der Kurve unterschiedlich lange Wege zurücklegen, braucht man ein Ausgleichsgetriebe oder Differenzial. Bei gleichmäßigem Untergrund sorgt es für harmonische Kraftübertragung über beide Räder. Bei großen Reibwertunterschieden rechts und links kann es aber vorkommen, dass ein Rad ganz zum Stillstand kommt und das andere durchdreht. Für diesen Fall muss es eine Möglichkeit geben, wenigstens einen Teil des Drehmoments auf das Rad mit festem Untergrund zu lenken. Dafür gibt es die sogenannte Differenzialsperre.

Damit kann man zwar verhindern, dass ein Rad komplett durchdreht. Das heißt, mit unterschiedlichen Methoden kann ein Rad abgebremst werden, womit dem anderen wieder Drehmoment zufließt. Das ist aber keine Drehmoment-Vektorsteuerung vulgo Torque-Vectoring, sondern schlicht Umleitung eines Teils des Motordrehmoments aufs stillstehende Rad, damit das Auto wieder fährt.



Und hier der BMW X6 mit Torque-Vectoring aus dem Jahr 2008.
Foto: BMW

Torque-Vectoring bedeutet hingegen, nicht nur ein bestimmtes Rad mit Drehmoment zu versorgen, indem man ein anderes abbremst, sondern gezielt mit noch mehr Drehmoment zu beaufschlagen. Das ist auf mechanischem Weg extrem aufwendig. Hier müssen mit kompliziertesten Zahnradkombinationen die Kräfte umgeleitet werden. Sämtliche Realisierungsversuche, von Mitsubishi EVO 7 bis BMW X6, waren jedenfalls den Aufwand nicht wert. Die fahrdynamischen Vorteile blieben auch bei jüngeren Versuchen fragwürdig.


Tesla beschickt beim entsprechend ausgestatteten Model S die Hinterräder unterschiedlich mit Drehmoment.
Foto: Tesla

Beim Elektroauto hingegen ist echtes Torque-Vectoring wesentlich einfacher und effizienter zu erreichen. Voraussetzung dafür ist allerdings ein zweiter Motor an der Hinterachse, sodass die Hinterräder über elektronische Steuerung rechts und links praktisch beliebig mit Drehmoment beaufschlagt werden können. Tesla etwa nützt das bei seinen Spitzenmodellen der Reihen S und X. Audi stattet deshalb das Topmodell des e-tron, mittlerweile Audi RS8 e-tron, ebenfalls mit zwei Motoren an der Hinterachse aus. Das war man sich offenbar als Allradpionier von Anfang an schuldig.

Dass auch ohne dieses "echte" Torque-Vectoring eine fantastische Fahrdynamik erreicht werden kann, beweist etwa der Porsche Taycan, der mit nur zwei Motoren auskommt. Wenn bei der extrem hohen Leistung eines Elektrosportwagens ein Rad abgebremst anstatt ein anderes stärker angetrieben wird, entsteht gefühlt der gleiche fahrdynamische Effekt. Mittlerweile wird aber auch beim Taycan von einem dritten Motor gemunkelt, schließlich will man sich nicht schon im Autoquartett Tesla geschlagen geben.
(Rudolf Skarics, 27.12.2023)
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