Betrachtungen zur PKW-Erzeugung in der ehemaligen DDR

josef

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DDR-Autos: Mobile Mangelwirtschaftszone
Awtowelo, EMW, IFA, Horch, Melkus, Wartburg: Automobilbau in der DDR war mehr als nur der Zweitakter- "Plastebomber " Trabi. Ein kleiner Rundgang durch die industrietraditionsreiche Region zum Geschehen vor 1989
Dass es in der DDR mehr Panzer als Pkw gab, ist üble Nachrede. Dass für Private Autos Mangelware waren, ist hingegen eine korrekte Beobachtung.
Vor 30 Jahren krachte die "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!"-Mauer zusammen, bis zu diesem Stichjahr wurden in der sowjetischen Besatzungszone des Deutschen Reiches und nachmalig der DDR etwas über 4,9 Millionen Autos produziert (in etwa das, was ihre deutschen Volksgenossen in den vereinigten westlichen Besatzungszonen, der BRD, jährlich bauten. Heute klopfen die vereinten Deutschen weltweit fast 16 Mio. Autos pro Jahr heraus).


Sokol 650 (Nachbau Auto Union 650; 1949)
Foto: Andreas Stockinger

Ein paar Importe aus der Sowjetunion, der Tschechoslowakei, Rumänien, Jugoslawien machten das Kraut auch nicht fett, die Bruderstaaten des Comecon, gern auch Rat für gegenseitige Mangelwirtschaftshilfe benannt, waren selbst nicht besser dran, oft noch schlechter. Im Schnitt waren das in der DDR also vielleicht 150.000 Neuzulassungen pro Jahr.

Dabei wären die Voraussetzungen ziemlich gut gewesen, jedenfalls was das industrielle Erbe der Zwischenkriegszeit betrifft – das damalige Mitteldeutschland, speziell Sachsen und Thüringen, hatte eine große Tradition im Automobil- und Motorradbau.


Greifzu BMW Formel 2 (1951)
Foto: Andreas Stockinger

Die Auto Union war hier beheimatet – DKW in Zschopau, Audi und Horch in Zwickau, Wanderer in Schönau (Chemnitz) -, ferner BMW in Eisenach, Framo in Frankenberg, Ostner (O.D.-Lieferdreiräder) in Brand-Erbisdorf, Phänomen (Motor[drei]räder) in Zittau, Simson in Suhl, Vomag in Plauen.

Aber. Es lag alles in Schutt und Asche, Audi und BMW retirierten flugs gen die Westzonen. Als alles darniederlag und die Menschen in der Sowjetzone darangingen, "aufzuerstehen aus Ruinen", machte die Autoindustrie der nachmaligen DDR erste Gehversuche auf Basis der alten industriellen Basis, sofern deren Reste nicht als Reparationsleistung nach Osten zum großen Bruder verfrachtet wurden.


Melkus RS 1000 (1969)
Foto: Marius Becker

Und gleich es gab die seltensten Blüten. Stalins motorbegeisterter Sohn Wassili etwa hatte einen Narren gefressen an vier erbeuteten Auto-Union-Silberpfeilen. Im Rahmen der Sowjetischen Aktiengesellschaft Awtowelo (=hauptsächlich das beschlagnahmte BMW-Werk Eisenach und Simson in Suhl) wurden 1949 frühere Auto-Union-Techniker zusammengetrommelt. Sie bastelten auf Basis der Auto-Union-Renner eine Zweiliter-V12-152-PS-Rakete namens Sokol (Falke) – Kenner sprechen von "Typ 650", nach Stalins Tod '53 war schon wieder Schluss.

Zu jener Zeit machte auch Paul Greifzu seinem Namen Ehre. Auf Basis der Legende BMW 328 entwarf der Suhler einen eigenen Silberpfeil mit 140 PS, in dem er 1951 Erfolge einfuhr – etwa als Sieger des Avus-Rennens in Berlin.


IFA F8 Cabrio (1958)
Foto: Jens Wolf

Ostblock-GT 40
Freunden der Automobilhistorie mehr sagen wird, um noch kurz im Sportbereich zu bleiben, Melkus. Der Dresdner Heinz Melkus war einer der ganz wenigen privaten Autobauer der DDR, er krallte sich einen Wartburg 353, steigerte die Leistung des 1,0-Liter-Dreizylinder-Zweitakters von 50 auf 70 PS, und optisch orientierte sich der gefällige Mittelmotortyp an scharfem Ford-Gerät: Der 1969 bis 1973 101-mal gebaute RS1000 ist sozusagen ein Ostblock-GT 40.


Trabant (ab 1958)
Foto: Peter Ending

Beim Zweitakt-Odeur sind wir zwangsläufig beim Hauptproponenten des DDR-Automobilbaus, dem Trabant vulgo Trabi. Geliebt (endlich ein Auto), gehasst (aber was für ein Kübel). Bis zum Wende-Nachrichtenhelden und Nachwende-Filmhelden hat es diese rollende Mangelerscheinung geschafft, aus dem Straßenbild ist er aber längst verschwunden.

Knapp 3,1 Millionen Mal verkaufte sich der ob seiner Kunststoffhaut gern auch Plastebomber oder Pappe genannte DDR-"Volkswagen" aus Zwickau 1958 bis 91, die letzte Version (1.1) des Fronttrieblers hatte statt des Zweitakters einen 1,1-Liter-VW-Viertakter unter der Haube, das endgültige Aus des legendären Fronttrieblers konnte der aber auch nicht verhindern. Schade immerhin, dass es die Studie Trabant nT von 2009 nicht in die Serie geschafft hat.

Wartburg 313/2 Cabrio (ab 1958)
Foto: Jens Wolf
Noch einmal Zwickau, diesmal Horch: Weil Sieger gerne posieren, wurde der 1940 konzipierte 930 S, Marke ästhetisch hochwertvolles Stromlinienfahrzeug, 1948 in vier Exemplaren für die sowjetische Besatzungsmacht gebaut. Und Zwickau als Autostandort heute? Im VW-Werk läuft die Produktion des Elektroautos ID.3 an ...


EMW 340-2 (Basis: Vorkriegs-BMW 326; 1953)
Foto: Andreas Stockinger

Wenn es eine andere DDR-Automarke gab, die zu so was wie Massenmobilität beitrug, dann Wartburg in Eisenach. Meist ist der kastige Typ 353 (1966- 88) gemeint, wie der Trabi mit Frontantrieb und Zweitakter; letztlich gehen die Wartburgs auf den geplanten DKW F9 (Frontantrieb, 3-Zylinder-Zweitakter) von 1940 zurück, aber unter Wartburg kamen auch schicke Typen wie das 312/2 Cabrio (1956-60) vom VEB Karosseriewerk Dresden auf den volkseigenen Planwirtschaftsmarkt, und der 313 (1957- 60), mit Hardtop oder Fetzendach, gilt überhaupt als einer der schönsten Sportwagen seiner Zeit. Stilistisch an den Mercedes 300 SL erinnernd, wurden sogar acht Stück in die USA, den Erzklassenfeind, verkauft. Produktionskennzahl total? 469 Stück. Heute so selten wie einst.


EMW 327/3 Coupé (Vorkriegs-BMW 327; 1955)
Foto: Andreas Stockinger

Dass man das Designkönnen der Hammer-Zirkel-und-Ährenkranz-Deutschen nicht unterschätzen sollte, zeigen auch Beispiele wie das Neumann-Coupé (1958) auf Basis des Weltkriegs-VW-Kübelwagens und das luftwiderstandsoptimierte Rovomobil (von Eberhardt Scharnowski, Klaus Arndt) auf Käfer-Basis Mitte der 1970er.

Von BMW und Eisenach war bereits die Rede, die Stadt tauchte mit Wartburg erneut auf, aber es gab auch ein direktes BMW-Nachflackern: EMW (Eisenacher Motorenwerk). Zunächst unter Awtowelo-Ägide (siehe Sokol) weitergeführt (knapp 9000 BMW 321 wurden bis 1950 gebaut), erfolgte '52 die Umbenennung in EMW, '53 in AWE (VEB Automobilwerk Eisenach). Der BMW 327 (1937-41) wurde zum EMW 327, der EMW 340 basierte auf dem BMW 326 (1936-41). Mit den Markennamen AWZ, IFA, Sachsenring und dem Hinweis auf das 1993 bis 1996 in Suhl gebaute E-Auto Hotzenblitz schließen wir die Betrachtungen.
(Andreas Stockinger, 17.10.2019)


der Nachwende-Hotzenblitz (1991)
Foto: Andreas Stockinger

Information:
Nur dies noch: Etliche teils hochkarätige Automuseen widmen sich inzwischen dem DDR-Thema, und als Buch besonders zu empfehlen wäre Deutsche Autos: Personenwagen und Nutzfahrzeuge in der DDR von Michael Dünnebier und Eberhard Kittler, erschienen 2017 im Motorbuch-Verlag.

DDR-Autos: Mobile Mangelwirtschaftszone - derStandard.at
 
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