Hagelwetter und Wetterschiessen
Von Dr. Wilh. Trabert.
Vortrag, gehalten den 14. Februar 1900.
Ich will nun nicht vom uralten Wetterzauber sprechen, nicht von jenen Stangen mit Strohbüscheln, mit welchen man einst in Frankreich mit Sicherheit der Hagelgefahr begegnen zu können glaubte, ich will hier nur von den Versuchen, durch Schießen dem Hagel entgegenzutreten, sprechen, denn auch dieser Versuch ist uralt.
Ende des 18. Jahrhunderts war das Wetter schießen in Österreich, auch in Baiern und im Kurfürstenthum Augsburg-Trier sogar außerordentlich verbreitet. Um diese Zeit trat man aber auch allenthalben dem Wetterschießen und Wetterläuten energisch entgegen; überall stieß man aber auf den Widerstand des Volkes.
In Baiern wurde so lange und so heftig von den Gemeinden um Wiedergestattung des Schießens petitioniert, dass 1811 die Akademie der Wissenschaften in München mit der Erstattung eines Gutachtens vom Staate betraut wurde.
Dem Akademiker I m h o f wurde diese Aufgabe übertragen, und obwohl man damals nicht nur noch weniger, vielmehr geradezu gar nichts vom Hagelprocess wusste, konnte Imhof eine vernichtende Kritik des Wetterschießens verfassen, gestützt auf „Versuche", die uns freilich durch ihre unwissenschaftliche und leichtfertige Ausführung geradezu verblüffen. Ich erwähne sie nur, um darauf aufmerksam zu machen, dass sich schon 1811 die wissenschaftlichen Kreise mit dieser Frage befassen mussten.
Auch in Österreich wurde 1785 das Wetterschießen von Kaiser Josef II. verboten, und obwohl mit der größten Strenge vorgegangen wurde, gegen das revoltierende Volk Militär einschreiten musste, Strafen von mehreren Jahren Eisen verhängt wurden, hat es sich in manchen Gegenden doch erhalten bis auf den heutigen Tag, und in Windisch-Feistritz sind vor nunmehr vier Jahren von dem Bürgermeister Albert Stiger die Versuche im großen Stile wieder aufgenommen worden. Stiger ging dabei von dem Gedanken aus, dass das eigentlich Charakteristische, vor jedem Hagelwetter die beängstigende Ruhe und Stille sei, dass diese offenbar ein wesentliches Moment bei der Bildung des Hagels sei, und dass der, welcher diese Stille breche, damit auch die Bedingung für die Entstehung des Hagels beseitige.
Zunächst wurde auch von S tiger mit gewöhnlichen Pöllern geschossen, dann aber versuchte er die Wirkung der Schüsse durch Aufsetzen eines konischen Schalltrichters zu erhöhen, und zu diesem Zwecke verwendete er zunächst einen alten ausrangierten Locomotivrauchfang der Südbahn.
Hatte man früher schon die Schießversuche S t i g e r s in der Bevölkerung mit Kopfschütteln und mit Spott behandelt, so zweifelte man bei dem Transporte des Rauchfanges in die Weingärten schon völlig an Stigers gesundem Verstande.
Aber es sollte nicht lange dauern. Während bis 1896 seit 30 Jahren der Hagel alljährlich die Weinernte vernichtet hatte, blieb im Jahre 1896, im ersten Schießjahre, der Hagel aus. Viele wurden.— obwohl ja gewiss ein Jahr absolut nichts beweist — bekehrt, ja manche Nachbarn entschlossen sich, auch Schießapparate aufzustellen, aber im allgemeinen zweifelte man doch in Windisch- Feistritz noch recht sehr an der Wirksamkeit des Schießens.
Da kam der 1. Juli 1897, ein furchtbar drohendes Wetter zog mit großer Geschwindigkeit vom Bachergebirge her, das eigenthümliche Sausen, das Hagelgeräusch war bereits hörbar, alles hielt die Ernte von Windisch-Feistritz für verloren, auch Stiger zweifelte, aber geschossen wurde doch. Windisch-Feistritz blieb verschont, in der Umgebung ging das Hagelwetter mit furchtbarer Gewalt nieder. Seit diesem Tage ist in Windisch-Feistritz alles von der Wirksamkeit des Schießens überzeugt.
Nun aber kehrte sich die Sache um, nun kamen die Bauern der Umgebung mit der Beschuldigung, Stiger habe ihnen den Hagel hingeschossen, und nur mit Mühe gelang es, die Leute, zu beruhigen. Sie sollen eben auch schießen, rieth ihnen Stiger an.
So verbreitete sich denn das Wetterschießen allmählich in ganz Steiermark, aber auch in Italien wurde es mit außerordentlicher Wärme aufgenommen, und obwohl dort erst seit zwei Jahren geschossen wird, bestehen doch daselbst bereits 3000 Schießstationen, und im November vorigen Jahres wurde in Casale Monferato ein internationaler Schießcongress abgehalten, auf dem man sich mit Entschiedenheit für die Wirksamkeit des Wetterschießens aussprach.
In der That liegen ja eine Reihe sehr sonderbarer Thatsachen vor. Seit geschossen wird, wurde Windisch-Feistritz nicht mehr vom Hagel heimgesucht, ja selbst am 9. August 1898, als ein Hagelzug in geradliniger Bahn direct über Windisch-Feistritz hinwegzog, der vorher, in St. Bartholomä die Hälfte der Ernte vernichtete, war derselbe in Windisch-Feistritz soweit abgeschwächt, dass kein nennenswerter Schaden entstand; als aber das Wetter über Windisch-Feistritz hinüber war, brach es mit der alten Wucht los, so dass in Ober-Pulsgau wieder die Hälfte bis drei Viertel der Ernte vernichtet wurden.
Ganz ähnliche, sehr auffallende Thatsachen gibt es mehrere, und auch aus Italien liegen Berichte von vielen höchst merkwürdigen Erscheinungen vor, welche die ungemein rasche Verbreitung des Glaubens an die Wirksamkeit des Schießens erklärlich machen.
Es kann das alles Zufall sein, aber in vielen Fällen wäre es ein sehr sonderbarer Zufall; und umso mehr drängt sich die Frage auf: Ist denn vom wissenschaftlichen Standpunkte aus überhaupt eine Wirksamkeit des Schießens denkbar?
Um auf diese Frage zu antworten, müssen wir uns klarmachen, was beim Schießen denn eigentlich geschieht. Geschossen wird, wie schon erwähnt, durchaus mit Pöllern, denen ein konisches Eisenrohr aufgesetzt ist, das bei den neuesten Schießapparaten eine Länge von 4 m und einen oberen Durchmesser von etwa 10 cm hat. Wenn nun geschossen wird, dann haben wir zu beachten, erstlich die Detonation, welche entsteht, zweitens aber einen ganz eigenthümlichen Wirbelring, ähnlich den Rauchringen der Raucher, der in sich rotiert und pfeifend wie ein Geschoss mit großer eschwindigkeit dahinsaust.
Bei den horizontalen Schießversuchen, die in St.Katharein bei Brück a. d. Mur von Herrn Suschnig, Procuristen und Werksleiter der Firma C. Greinitz Neffen, mit außerordentlichem experimentiertalente in ganz systematischer Weise angestellt wurden, sind Geschwindigkeiten von 50—70 m pro Secunde gemessen worden. Die verticale Geschwindigkeit ist aber, wie dies auch die Helmholtz'sehen theoretischen Untersuchungen der Wirbelringe verstehen lassen, wesentlich größer; es ist bisher nicht gelungen, sie zu messen.
Dass bei verticalen Schüssen dieser Wirbelring beträchtliche Höhen erreichen kann, das geht klar aus dem Umstände hervor, dass man bei den Versuchen in St. Katharein den Ring bis zu 28 Secunden lang sausen hören konnte!
Noch weit merkwürdiger ist aber die enorme mechanische Energie, welche diesem Wirbel innewohnt. In St. Katharein wurde auf ein in 100 m Distanz aufgestelltes Gerüst geschossen, das mit Packpapier überzogen war, dies wurde regelmäßig vom Ringe zerfetzt. Da aber manchmal der Ring durch den Wind aus seiner Bahn abgelenkt wurde, so waren, um doch die Einschlagstelle des Ringes genau fixieren zu können, in 20, 40, 60 und 80 Metern Vorscheiben aufgestellt, die durch Sackleinwandstücke gebildet waren, die durch Leisten beschwert wurden. Wiederholt kam es nun bei den Versuchen, denen Director Pernter und ich beiwohnten, vor, dass diese Holzleisten von 3 cm Breite und l1/« cm Dicke vom Ringe getroffen und in 2, 3, ja einmal in 5 Stücke zersplittert wurden, wobei eines dieser Holzstücke bis 18 m weit geschleudert wurde. Ja vor kurzem kam es vor, dass bei den Versuchen mit einer neuen Pulverart eine der großen, etwa faustdicken Stangen, an denen die Leinwandlappen angenagelt sind, einfach zerbrochen wurde. Ich war zwar bei diesem Versuche nicht anwesend, aber ich habe eine Photographie der ganzen Situation, die gleich aufgenommen wurde, gesehen.
Auch Stiger sah einmal eine Schwalbe todt aus der Luft fallen. Die Energie dieses Wirbelringes ist also jedenfalls eine ganz erstaunlich große.
Nun aber wollen wir zur Frage übergehen, die sich ja uns allen aufdrängt: Wie wäre denn eine eventuelle Wirksamkeit des Schießens auf die Hagelbildung überhaupt zu denken?
Es sind offenbar nur zwei Möglichkeiten vorhanden. Es könnte sich entweder um eine Abschwächung jener Bedingungen handeln, welche zum raschen und plötzlichen Aufsteigen und damit zur intensiven Condensation führen, also um eine Beeinflussung der Bewegungsvorgänge beim Hagelwetter; oder aber es könnte sich speciell um eine Verhinderung der Hagelbildung, also entweder um eine Verhinderung des Zusammenfließens der unterkühlten Tröpfchen oder gar um eine Verhinderung des Entstehens solcher Tröpfchen handeln, eine Annahme, die überhaupt nur dann einen Sinn hätte, wenn wir voraussetzen wollten, dass unter dem Einflüsse einer ganz geheimnisvollen und uns noch unbekannten Kraft speciell beim Hagelwetter bis in sehr niedere Luftschichten hinab solche unterkühlte Tröpfchen sich bildeten.
Man hat ja vielfach einer directen Umsetzung von Wärme in Elektricität beim Hagelwetter das Wort geredet, aber es ist dies lediglich eine Hypothese, zu deren physikalischer Begründung, vorläufig wenigstens, keinerlei Thatsaehen vorliegen.
In allen diesen Fällen — das ist jedenfalls das Wesentliche — würde es nun eines besonderen Energieaufwandes nicht bedürfen. Die für den Gewitterprocess nothwendige Energie ist ja längst in der Atmosphäre aufgespeichert, ist vorhanden und harrt nur des Momentes ihrer Auslösung. Nur um eine Beeinflussung dieser Auslösung würde es sich handeln, und es kann daher eine derartige Einwirkung durchaus nicht als principiell unmöglich bezeichnet werden, wie man dies etwa bei den Versuchen des sogenannten „Regenmachens" ruhig thun kann, denn hier haben wir thatsächlich die Energie nicht zur Verfügung, die zur Condensation des Dampfes erforderlich ist.
Die Wirkung des Schießens könnte man sich nun aber auch auf zweifache Weise vorstellen: es könnte der Schall das Wirksame sein, es könnte aber auch der entstehende Luftwirbelring, der sicher die Wolkenhöhe erreichen kann, die Hauptsache sein.
Wenn wir zunächst an die Schallwirkung denken wollen, so könnte man z. B. eine solche in dem Sinne annehmen, dass durch die Erschütterung, welche die Schallwellen mit sich bringen, die unterkühlten Tröpfchen zum Erstarren gebracht werden. Ein Zusammenfließen zum Hagelkorn wäre damit gewiss unmöglich gemacht; die winzigen Eiskügelchen würden langsam zu Boden sinken, unterwegs schmelzen und lediglich als Regen am Erdboden erscheinen.
Auch die eine merkwürdige Erscheinung, die in Steiermark so vielfach bemerkt wurde und in Casale von den verschiedensten Seiten als Thatsache betont wurde: wo geschossen wird, dort hören die Blitze auf, fände hierin eine ungezwungene Erklärung, denn mit dem Zusammenfließen der Tropfen hört auch die Neuerzeugung der Elektricität von selber auf.
Es muss aber betont werden, dass es durchaus nicht bewiesen ist, dass Schallwellen unterkühlte Tropfen wirklich zum Erstarren bringen können, und — auch das ist ja beachtenswert — in ganz Steiermark schreibt man dem Wirbelringe die Hauptwirkung zu.
Ich gestehe auch offen, dass, nachdem ich die Versuche in St. Katharein gesehen, ich diese Erklärung nicht mehr aufrecht erhalten möchte.
Da eine andere Einwirkung des Schalles wohl ausgeschlossen erscheint, bliebe somit nur die Möglichkeit einer Wirksamkeit des Wirbelringes übrig. Können wir uns nun durch ihn eine Verhinderung des Zusammenfließens der unterkühlten Tröpfchen oder eine Verhinderung der Abkühlung gewöhnlicher Tröpfchen auf Temperaturen unter Null denken? Vorstellen können wir es uns gewiss nicht, wir müssten einen geheimnisvollen elektrischen Einfluss zuhilfe nehmen, und wenn wir das nicht wollen, wenn wir uns nicht in ganz nebelhafte Hypothesengefilde begeben wollen, dann gäbe es nur eine Möglichkeit: es könnte eine mechanische Wirkung des Wirbelringes vorhanden sein. Es wäre nicht ausgeschlossen, dass bei der gewaltigen Energie desselben, bei der sicher vorhandenen nicht unbeträchtlichen Luftmischung in verticaler Richtung, die er hervorbringt, ein gewisser Ausgleich der in verticaler Richtung bestehenden Temperaturgegensätze und damit die Beseitigung oder doch Herabminderung jener günstigen Bedingungen geschaffen würde, welche der heranrückende Gewitterprocess zu seiner vollen Entfaltung an der betreffenden Stelle bedarf. Diese Wirkung würde auf eine Beeinflussung des Bewegungsvorganges, auf Abschwächung der Plötzlichkeit des Aufsteigens und der Condensation hinauslaufen.
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Das einfachste freilich wäre: absprechen, das Wetterschießen rundweg als Unsinn zu verwerfen. Dem Naturforscher ziemt aber, nur das als Unsinn zu verwerfen, was in Widerspruch steht mit anderen Naturthatsachen.
Das ist beim Wetterschießen nicht der Fall. Man kann nicht sagen, die bisherigen Versuche hätten bereits seine Wirksamkeit über allen Zweifel bewiesen, aber sie ermuntern zur Fortsetzung derselben. Wollte Gott, dass wirklich darin ein Mittel zur Abwehr dieses furchtbaren Feindes der Landwirtschaft gefunden wäre!