Hochwasser durch die Perschling im Tullnerfeld - Mängel an Dämmen seit 27 Jahren bekannt

josef

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Tullnerfeld
Dammbruch: Mängel seit 27 Jahren bekannt
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Das Hochwasser hat im Tullnerfeld schwere Schäden verursacht. Grund dafür waren auch mehrere Dammbrüche entlang der Perschling. Dass die Dämme saniert werden müssen, ist seit 27 Jahren bekannt. Trotzdem wurde das Projekt bis heute verzögert.
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„Das Thema ist mir viel zu heiß“, sagt ein Feuerwehrmann, der sich mit der Situation der Dämme über Jahre intensiv beschäftigt hat. Trotzdem will er auch unter Zusicherung der Anonymität nicht über die Gründe sprechen, warum die geplante Dammsanierung über Jahrzehnte nicht umgesetzt wurde.

Fest steht aber, dass die extremen Regenmengen, die im September auf das Tullnerfeld niedergingen und die Pegel der Perschling binnen kurzer Zeit ansteigen ließen, dem Damm die Grenzen der Belastbarkeit aufzeigten. Zunächst brach der Damm bei Langmannersdorf (Bezirk St. Pölten), woraufhin die Wassermassen innerhalb einer Dreiviertelstunde Atzenbrugg (Bezirk Tulln) erreichten und auf dem Weg zahlreiche Häuser unter Wasser setzen.


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Durch den Dammbruch wurden viele Häuser im Tullnerfeld überschwemmt

Doch damit war die Gefahr nicht gebannt. Denn in den folgenden Stunden brach der Perschlingdamm auch nach Atzenbrugg und überschwemmte Ortsteile von Moosbierbaum, sowie die Orte Kleinschönbichl und Erpersdorf weiter nördlich. An mehreren anderen Stellen ist der Damm zumindest teilweise eingestürzt.
Dammbruch offenbart Handlungsbedarf
Die Dringlichkeit einer Sanierung ist „seit 1997“ bekannt, sagt Rudolf Friewald, Obmann des zuständigen Wasserverbandes und langjähriger Bürgermeister von Michelhausen (Bezirk Tulln): „Damals hatten wir schon einen Dammbruch bei einem Hochwasser und in diesem Zeitraum haben wir gesagt, wir müssen ein Projekt starten.“

In den Folgejahren wurden viele Gutachten erstellt. Ende der 2000er Jahre zeigten etwa Bodensondierungen mehrere Schwachstellen auf. Immerhin wurde der Damm am Ende des Zweiten Weltkrieges durch Bombentreffer schwer beschädigt und danach nur notdürftig saniert. 2016 legte das Land wegen der Hochwassergefahr eine geplante Umfahrungsstraße auf Eis. Und seit 2018 wusste man durch Simulierungen auch, wie sich ein Dammbruch in der Region auswirkt.

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Luftaufnahmen aus 1945 (r.) zeigen Bombentreffer der Alliierten, an einer der Stellen ist nun der Damm gebrochen

Nicht nur der Naturschutz
Warum der Damm trotzdem bis heute nicht saniert ist? „Wir hatten eine relativ lange Verzögerung über viereinhalb bis fünf Jahre durch den Naturschutz, durch den Umweltanwalt. Nachdem man die Donau-Kahnschnecke gefunden hat, mussten wir ein Umsiedlungsprojekt starten, und wir mussten ständig neu zurück an den Start“, sagt Friewald.

Laut Recherchen von noe.ORF.at hat aber nicht nur der Natur- und Artenschutz die Sanierung verzögert. Denn zunächst wurden mehrere Varianten geprüft, teilweise wollten aber Landwirte dafür nötige Gründe nicht abtreten. Auch so manche Gemeinde hatte spezielle Wünsche und durch die lange Verfahrensdauer haben auch Gutachter immer wieder gewechselt, neue mussten sich dann erst wieder einlesen.

„Ein Fehler“ war laut dem ehemaligen Bürgermeister von Zwentendorf, Hermann Kühtreiber, der bis 2019 im Amt war, „dass man das reine Hochwasserschutzprojekt bzw. die Sanierung dessen mit den vielen Naturschutzthemen verquickt hat.“ Das betrifft etwa eine Fischaufstiegshilfe, die sich aber auch auf das Gewässer Alte Perschling auswirkte. Dieser Flusslauf gilt jedoch als Naturdenkmal, wo wieder eigene Vorgaben punkto Naturschutz gelten.

Offene Frage der Finanzierung
Aber auch die Frage der Finanzierung – in Summe sollte die Sanierung etwa 28 Millionen Euro für Bund, Land und Gemeinden kosten, ist laut Kühtreiber vor etwa zehn Jahren immer wieder verzögert worden: „Es gibt Protokolle, wo drinnen steht, dass eine lange Verfahrensdauer nicht unrecht ist, weil der Bund und das Land momentan zu wenig Geld haben.“ „Wir waren in der Prioritätenreihung nicht die ersten, sondern hinten angereiht“, meint auch Friewald.


HORA
Simulationen des Bundes zeigen genau, welche Auswirkungen ein 100-jährliches Hochwasser (hellblau) auf die Gemeinden hat

Von der Abteilung Wasserbau im Land heißt es dazu auf Anfrage, „dass die Förderrichtlinien des Bundes den Zeitpunkt der Einreichung an das Vorliegen einer wasserrechtlichen Bewilligung knüpfen. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass der Planungs-, Einreichungs- und Bewilligungsprozess aufgrund der dargelegten Umstände schwer kalkulierbar ist.“ Diese Bewilligung wurde von der zuständigen Bezirkshauptmannschaft Tulln erst im April 2023 erteilt.

Land sieht EU-Vorgaben verantwortlich
Weiters hält die Abteilung fest: „Das Land NÖ hat der Umsetzung des Projekts stets einen großen Stellenwert beigemessen. Gewässerökologische Erfordernisse, fußend auf der EU-Wasserrahmenrichtlinie (insb. Herstellung der Fischpassierbarkeit), stellten das Vorantreiben des Projekts ebenso vor große Herausforderungen, wie andere europäische Vorgaben des Natur- und Artenschutzes (FFH-Richtlinie).“

Naturschutzfachleute gestehen durchaus zu, dass durch die Donau-Kahnschnecke eine gewisse Zeit in Anspruch genommen wurde. Dennoch hätte man gewisse Auflagen oder Umstände, etwa dass die Alte Perschling ein Naturdenkmal sei und manche Teile des Damms in einem Natura-2000-Gebiet liegen, in den Planungen schon vorab berücksichtigen können. „Der Naturschutz allein ist sicher nicht Grund für die lange Verzögerung“, sagt auch Kühtreiber.

ORF/Schwarzwald-Sailer
Auch drei Wochen nach den heftigen Regenfällen stehen weite Teile des Tullnerfeldes noch immer unter Wasser

Immerhin: Seit dem Vorjahr gibt es für die Dammsanierung grünes Licht. „Erschütternd“ sei für viele damals aber gewesen, dass trotz des positiven Bewilligungsbescheides der Beginn der Sanierung frühestens für 2026 in Aussicht gestellt wurde, kritisiert Bürgermeisterin Marion Török (SPÖ). Das Tullnerfeld sei im Gegensatz zu anderen Regionen bei Überschwemmungen „immer mit einem blauen Auge davongekommen, somit waren wir in der Priorität ganz unten“.

Betroffene prüfen Klagen
Für so manche Betroffene fußen die schweren Schäden aber nicht auf den Folgen einer Naturkatastrophe, sondern auf einem technischen Gebrechen, den Dammbrüchen. Manche Bewohnerinnen und Bewohner prüfen deshalb auch Klagen gegen das Land. Das Thema Schadenersatz kam bereits im Vorjahr bei der Informationsveranstaltung auf. Von den geladenen Sachverständigen habe es laut Török damals aber keine konkrete Antwort gegeben, genauso vom Land. Nun fordert sie, dass betroffene Menschen „zu 100 Prozent entschädigt werden“.

ORF
Entlang der Perschling wurde bereits mit der Sanierung der gebrochenen Dämme begonnen

Das Land verweist in der Stellungnahme hingegen auf hydrologische Abflussuntersuchungen, dass es sich „im Bereich der Perschling zumindest um ein 300-jährliches Ereignis gehandelt hat. (…) Ein Hochwasser von diesem bisher nicht dagewesenen Ausmaß konnte vom Gerinne folgerichtig nicht abgeführt werden, weshalb es zum Überströmen des Dammes auf weiten Strecken gekommen ist, und dies unabhängig vom Zustand des Dammes. In einem solchen Fall ist auch das Risiko eines Dammbruchs leider nie auszuschließen.“

Als Sofortmaßnahme wurde auf behördliche Anordnung entlang der Perschling bereits eine Spundung und Akutsanierung durchgeführt. Das Projekt Dammsanierung soll nun laut Friewald nochmals überarbeitet und auf die Lehren des Hochwassers im September angepasst werden: Ziel sei „gezielt Überströmstrecken einzubauen, wo Flächen, Felder, dahinterliegen, die geflutet werden, aber die Dörfer dahinter gesichert werden können.“
04.10.2024, Stefan Schwarzwald-Sailer, noe.ORF.at
Siehe dazu auch die Beiträge
Es wird eine Katastrophe werden.
Die neue Weststrecke zwischen Wien und St. Pölten durch das Tullnerfeld bleibt mehrere Monate gesperrt.
Kohlekraftwerk und Müllverbrennungsanlage Dürnrohr


Dammbruch: Mängel seit 27 Jahren bekannt
 

josef

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#2
Einige Kilometer westlich der Damm-Schadstellen von Rust und Atzenbrugg besuchte @Bunker Ratte 2018 das Teilungsbauwerk. Diese um 1922 errichtete Wehranlage leitet bei Hochwasser das Wasser der "alten" Perschling in den durch Dämme geschützten Hochwasserkanal. Leider trat die "alte" Perschling an mehreren Stellen über die Ufer und die Dämme der kanalisierten, durch Dämme geschützten, "neuen" Perschling (Hochwasserkanal) brachen an mehreren Stellen...

Link zu Bericht von @Bunker Ratte:
"Alte Wehr" der Perschling bei Langmannersdorf
 

josef

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#3
In der Topothek Atzenbrugg fand ich einige historische Aufnahmen vom Bau des von Dämmen eingesäumten "Perschling-Hochwasserkanals" und dem Teilungsbauwerk bei Langmannersdorf:

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Topothek Atzenbrugg: Unsere Geschichte, unser Online-Archiv

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2 Fotos: Topothek Atzenbrugg: Unsere Geschichte, unser Online-Archiv
Die 3 Fotos stammen aus dem Archiv von Herrn Reither Rudolf, Moosbierbaum. Herr Reither ist einigen "Alt-Usern" die am Usertreffen 2011 teilnahmen als "Experte" zum Lager "Isabella", neben dem damaligen Museumskustos von Zwentendorf Richard Richter, bekannt.
 
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