Der "Pompeji-Effekt" beschreibt für Archäologen wie Gabriel Zuchtriegel Fundorte, die aussehen, als hätten die Bewohner erst vor einer Minute das Zimmer verlassen. Dieser zeigt sich laut dem Direktor des archäologischen Parks Pompeji auch bei einem neuen Fund, der am Freitag präsentiert wurde: Ein Bäderkomplex mit angeschlossenem Bankettsaal in einem Privathaus zeigt, welchen Luxus wohlhabende Bürger der antiken Stadt zu repräsentativen Zwecken erschaffen ließen.
Das Becken im freskenverzierten Innenhof ist für Fachleute besonders beeindruckend.
Archäologischer Park Pompeji
Es könnte sich dabei um die größte und am besten erhaltene private Badestätte handeln, die bislang in der untergegangenen Stadt am Fuße des Vulkans Vesuv entdeckt wurde. Sophie Hay, eine der beteiligten Archäologinnen, spricht
laut der BBC von einer Jahrhundertentdeckung.
Die Bäder, bestehend aus Heiß-, Warm- und Kaltraum (Caldarium, Tepidarium, Frigidarium) sowie einem Umkleideraum (Apodyterium), konnten bis zu 30 Personen aufnehmen. "Es gibt nur wenige Häuser, die einen privaten Badekomplex haben, also war es wirklich etwas für die Reichsten der Reichen", sagt Zuchtriegel. "Und dieser hier ist riesig."
Die Säulenhalle des Frigidariums ist das Herzstück des privaten Bäderkomplexes.
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Fußbodenheizung und Ölbehandlung
Als Gast würde man sich zunächst in den Umkleideraum begeben, dessen Wände rot gestrichen sind. Beim Umziehen könnte man das geometrische Mosaik auf dem Boden bewundern, das über Marmoreinsätze verfügt. Dann würde man das Caldarium betreten, wo man warm baden konnte. Es wurde über den danebenliegenden Heizungsraum und ein ausgeklügeltes Leitungssystem erwärmt: Von einer Leitung an der Straße gelangte kaltes Wasser in den Raum, das in einem Bleikessel erhitzt wurde. Warme Luft wurde zudem als Fußbodenheizung unter dem Mosaik durchgeleitet.
Der Umkleideraum wirkt mit den Marmoreinsätzen im Bodenmosaik heute relativ modern.
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Im Gegensatz zu heutigen Saunafans kühlte man sich danach nicht sofort ab, sondern begab sich in den Warmraum. Dort erhielten Gäste eine Massagebehandlung, ihnen wurde Öl in die Haut eingerieben und die überschüssige Substanz mit einem
Striegel oder Streicheisen abgeschabt.
Erst danach ging es in die Kalthalle, die den beeindruckendsten Raum darstellt. Dort befindet sich in der Mitte des Säulenhofes ein großer Pool mit kleiner Stiege. Die Säulen des zehn mal zehn großen Hofes (der auch Peristyl genannt wird) waren rot bemalt, auf den Fresken konnten die Badenden die Abbildungen von Athleten betrachten. Zuchtriegel entwirft vor dem geistigen Auge eine entspannte Szenerie: An heißen Tagen sei es gewiss eine willkommene Abkühlung gewesen, die Beine ins Becken zu hängen und sich bei einem Kelch Wein mit Freunden zu unterhalten.
Der Grundriss zeigt rot markiert die Baderäume, in der Mitte liegt der Kaltraum mit dem großen Becken. In Cal(i)darium und Frigidarium wurden Wasserrohre geleitet. Violettblau markiert wurde der schwarze Salon, der bereits vor einigen Monaten enthüllt wurde.
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Renovierungsarbeiten
Bereits im Vorjahr war der
imposante Bankettsaal ausgegraben worden, der sich neben diesem Badkomplex befindet. Die schwarzen Wände sind mit mythologischen Darstellungen verziert. Auch das
kleinere blaue Zimmer, das wohl für Rituale genutzt wurde, befindet sich in diesem Gebäude. Offenbar wurden die Räumlichkeiten gerade renoviert, jedenfalls fand man am Boden des blauen Zimmers Muschelschalen, die wohl zermahlen an die Wände angebracht werden und dadurch für einen schimmernden Effekt sorgen sollten. Unter einer Treppe wurde auf grobem Putz mit Kohle ein riesiger Phallus gezeichnet.
Detail aus dem blauen Zimmer.
Archäologiepark Pompeji
Die direkte Verbindung der Bäder mit einem großen Gesellschaftssaal deutet darauf hin, dass sich das römische Haus als Bühne für üppige Bankette eignete, die in der damaligen Gesellschaft eine wichtige Funktion hatten. Bankette waren für die Hauseigentümer bedeutende Gelegenheiten, Freunde oder Verwandte zu fördern oder ihren sozialen Status zu behaupten.
Einflussreiche Besitzer
Das Haus befand sich im südlichen Teil der "Insula 10" und muss einer wichtigen Persönlichkeit der lokalen Gesellschaft gehört haben. Die bemalten Wände zeigen, dass das Haus eine bedeutende Geschichte hatte. "Die Besitzer dieses Hauses müssen zur Elite der Stadt gehört haben und daher das Bedürfnis verspürt haben, einen Raum für die Unterbringung zahlreicher Personen einzurichten, denen sie reiche Bankette und die Möglichkeit zum Baden und Entspannen in den Bädern boten", wird Zuchtriegel in einer Presseaussendung zitiert.
Mit Inszenierungen bemühte sich der Gastgeber offensichtlich um das Wohlwollen seiner Gäste und konnte durch solche Maßnahmen wohl hinsichtlich seines politischen Engagements in der Stadt Wählerstimmen für sich gewinnen. Der Fund sei insgesamt "ein Beispiel dafür, wie die römische Domus als Bühne für Kunst- und Kulturspektakel diente", betonte der Direktor des archäologischen Parks.
Wohlstand und Sklaverei
Wie die Archäologin Sophie Hay betont, erzählt der Fund von düsteren Seiten des römischen Lebens. "Das Eindrucksvollste an diesen Ausgrabungen ist der krasse Gegensatz zwischen dem Leben der Sklaven und dem der sehr, sehr Reichen", erzählt sie der BBC. Während Gastgeberfamilie und Gäste sich in den Bädern entspannten, waren sie nur durch eine Wand getrennt von den Sklaven, die im Heizraum unter schwer erträglichen Temperaturen litten.
Im Heizraum mussten Sklaven für das Wohlbefinden der Familie und der Gäste schuften.
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Noch düsterer wird die Geschichte am Tag des Vulkanausbruchs im Jahr 79 nach Christus. Lava, Schlamm und Asche ergossen sich über die Stadt, deren Bewohnerinnen und Bewohner kaum die Möglichkeit zur Flucht hatten. Davon zeugen auch in diesem Gebäude zwei Skelette, die in einem kleinen, wenig dekorierten Raum gefunden wurden.
Ein schreckliches Ende
"Der pyroklastische Strom des Vesuvs kam jene Straße entlang, die direkt vor diesem Raum lag", sagt Hay. Er brachte eine Wand zum Einsturz, die einen jungen Mann in einer Ecke des Raumes zu Tode quetschte. Er trug einige Schlüssel bei sich; die Abnutzungserscheinungen an seinen Knochen lassen vermuten, dass er ein Sklave war.
Stillleben von der Fundstätte.
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Auf einem Bett fand man die Überreste einer Frau, die in Fötusstellung zusammengekauert lag. Sie war fortgeschrittenen Alters, ihre Zähne und Knochen sprechen aber für einen zeitlebens guten Gesundheitszustand. Es könnte sich um die Frau des Hausbesitzers handeln, vermutet die Archäologin – an ihrem Körper wurden
Schmuck sowie Gold- und Silbermünzen gefunden. Vermutlich hatten sich die Frau und der junge Mann in der Kammer versteckt und gehofft, den Vulkanausbruch dort in Sicherheit aussitzen zu können.
"Die Frau war noch am Leben, während er starb – stellen Sie sich das Trauma vor", schildert Hay die Szenerie eindrücklich. Dann habe sich das Zimmer mit dem Rest des pyroklastischen Stroms gefüllt, wodurch auch die Frau ums Leben kam.
(sic, APA, 17.1.2024)