Region Lunz am See erlangte durch spezielle Sedimentablagerungen den weltweiten Ruf als reichhaltiger Fossilien-Fundort

josef

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Fossilien bezeugen Klimakatastrophe
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Vor 233 Millionen Jahren kam es zu einer der größten Umweltkatastrophen der Erdgeschichte. Ein internationales Forschungsteam des Naturhistorischen Museums sucht im Raum Lunz am See (Bezirk Scheibbs) nach Spuren dieser Krise.

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Vor einer Viertelmilliarde Jahren löste ein weltweiter Klimawandel, der vermutlich durch eine Reihe großer Vulkanausbrüche verursacht wurde, ein Massensterben in den Meeren des Mesozoikums aus. Spuren dieser sogenannten „Karnischen Krise“ können heute noch gefunden werden – unter anderem in der Region Lunz am See.

Weltweit angesehener Fossilien-Fundort
Unter Paläontologen, die sich mit den Lebewesen und Lebenswelten aus früheren Teilen der Erdgeschichte befassen, genießt die Region Lunz am See weltweit den Ruf als reichhaltiger Fossilien-Fundort. Das liegt daran, dass sich in der Gegend durch spezielle Sedimentablagerungen im Mesozoikum eine Konservat-Lagerstätte gebildet hat, in der eingeschlossene Lebewesen besonders gut erhalten geblieben sind.

Mesozoikum
Das Mesozoikum wird auch Erdmittelalter genannt und in Trias, Jura und Kreide unterteilt. Es begann vor 250 Millionen Jahren und endete vor 66 Millionen Jahren. Das heutige Österreich war damals fast gänzlich mit Wasser bedeckt.

In dieser Region untersucht ein internationales Team unter der Leitung des in Gablitz (Bezirk St. Pölten) lebenden Paläontologen Alexander Lukeneder vom Naturhistorischen Museum Wien das Ökosystem im Zeitraum des großen Massensterbens vor 233 Millionen Jahren. Im Rahmen des Projekts, das vom Land Niederösterreich und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften finanziert wird, wird diese einzigartige Fossilfundstelle zwei Jahre lang erforscht.

Erdschichten sind wie Buchseiten
Im Gespräch mit noe.ORF.at erklärt Alexander Lukeneder, dass man ein Gesamtbild der Fundstelle erstellen wolle. Es sei nicht mehr so wie früher, dass sich jeder nur auf eine spezielle Fossilienart konzentriere. Stattdessen wollen Lukeneder und sein Team herausfinden, welche Arten wie gelebt haben oder wer wenn gejagt hat. Außerdem sollen die Untersuchungen Erkenntnisse zu den damaligen klimatischen Bedingungen liefern, etwa zur Meerestemperatur oder zur Regenmenge. Zu jener Zeit war fast ganz Österreich mit Wasser bedeckt, mit flachen Bereichen voller Korallen, so Lukeneder.

Fotostrecke mit 4 Bildern
NHM Wien_Christina Rittmannsperger
Alexander Lukeneder im Erdmittelaltersaal des Naturhistorischen Museums in Wien
Alexander Lukeneder NHM Wien
Ammoniten-Fossil aus der Trias

Alexander Lukeneder NHM Wien
Versteinerte Farne aus der Trias

Alexander Lukeneder NHM Wien
Fisch-Fossil aus der Trias

Für die Ausgrabungen wird eine dreieinhalb Meter dicke Erdschicht untersucht. Diese setzt sich aus rund 1.000 Sedimentschichten zusammen. Jede dieser Schichten ist wie die Seite eines Buches, auf der vermerkt ist, aus welcher Zeit sie stammt. In einer Schicht könne zum Beispiel ein bestimmter Fisch neben einem Ammoniten liegen, in einer anderen wiederum ein Exemplar einer Borstenwurmart, erklärt Lukeneder. Bei den Ausgrabungen werden die Schichten abgetragen, gewaschen, getrocknet und in kleine Teile aufgespaltet, um sie analysieren zu können. Die Proben gehen dafür an Kolleginnen und Kollegen auf der ganzen Welt.

Fossilien
Fossilien sind Überreste von Lebewesen, die älter als 10.000 Jahre sind. In der Region Lunz konnten bereits Fossilien von Ammoniten (Kopffüßern), Tintenfischen, Muscheln, Schnecken, Borstenwürmern, Lungenfischen, Quastenflossern und Pflanzenfossilien gefunden werden.

Beweise für eine globale Klimakatastrophe
Diese Erdschicht ist wie eine Zeitkapsel für einen rund zwei Millionen Jahre langen Zeitraum, in dem die globale „Karnische Krise“ stattfand. Laut Alexander Lukeneder kam es damals zu massiven Vulkanausbrüchen, die zu einer starken Klimaerwärmung führten. Durch massive Regenfälle wurden große Mengen an Sedimenten in die Meere geschwemmt, die zum eingangs erwähnten Massensterben in den Meeren führten. Die Erkenntnisse der Lunzer Fossilienforschung könnten diese Theorie untermauern.

Die Suche nach Fossilien ist jedoch nicht nur Expertinnen und Experten vorbehalten. Bereits im 19. Jahrhundert fanden Bergleute im Raum Lunz 1.000 Fossilien, als sie auf der Suche nach Kohle Stollen gruben. Knapp 140 Jahre später gibt es zahlreiche Leute, die als sogenannte Citizen Scientists (engl. für „Bürger-Wissenschaftler“, Anm.) hobbymäßig nach Fossilien suchen und ihre Funde melden.

Für diese Leute schuf Alexander Lukeneder im vergangenen Jahr die Fossilfinder App. Mit der kostenlosen Handyanwendung können Interessierte Fotos von Fundstücken an Alexander Lukeneder schicken, der diese dann untersucht. Mehr als 1.000 Funde erhielt der Paläontologe dadurch bisher. Die App wird auch bereits von Schulklassen im Unterricht verwendet und bietet so einen Zugang zu einer längst vergangenen Zeit.
28.04.2021, Michael Marsoner, noe.ORF.at

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...und noch ein Bericht:

Als in Lunz am See die Welt unterging
Niederösterreichische Fossilien zeugen von einer globalen Umweltkatastrophe. Ein Projekt des NHM widmet sich der Erforschung des triassischen Klimawandels
Der Klimawandel ist eine der größten, wenn nicht die größte Herausforderung unserer Zeit. Das sich rasch verändernde Weltklima hat der Menschheit vor Augen geführt, wie komplex die Vorgänge auf unserem Heimatplaneten miteinander verschränkt sind. Veränderungen auf der einen Seite der Erde können zu drastischen Ereignissen auf der anderen führen.

Doch das Klima der Erde war immer wieder durch massive Veränderungen geprägt. Manchmal sorgte wohl ein außerirdischer Impaktor blitzartig für völlig neue Bedingungen, wie vor 66 Millionen Jahren an der Grenze zwischen Kreidezeit und Paläogen. Andere Veränderungen liefen gradueller ab, vernichteten aber kaum weniger effektiv ganze Ökosysteme. Eine dieser globalen Umweltkatastrophen, die Karnische Krise in der Obertrias, hat ihre Spuren auch mitten in Österreich hinterlassen: in der Nähe von Lunz am See in Niederösterreich. Der Paläontologe Alexander Lukeneder vom Naturhistorischen Museum Wien (NHM) will nun im Rahmen von durch die Österreichische Akademie der Wissenschaften und das Land Niederösterreich geförderten Projekten erforschen, welche Mechanismen zu dem Massensterben in den mesozoischen Ozeanen geführt haben.

Treibhausklima
Die Karnische Krise ist nach der geostratigrafischen Stufe des Karnium benannt und dauerte zwei Millionen Jahre. Ihr fiel vor rund 233 Millionen Jahren etwa ein Drittel aller marinen Arten zum Opfer. Gleichzeitig markiert der auch als "Karnische Feuchtphase" bekannte Zeitraum auch den Beginn des Siegeszugs der Dinosaurier – auch an Land führten die klimatischen Veränderungen also zu einer Revolution.

Vor 233 Millionen Jahren befanden sich in der Gegend von Lunz am See ausgedehnte Sumpfwälder und ein tropisches Meeresbecken.
Illustration: NHM

Auslöser der Katastrophe dürfte massiver Vulkanismus im Gebiet der heutigen Pazifikküste Kanadas und der USA gewesen sein. Hier lagerten sich in einem geologisch kurzen Zeitraum gewaltige Mengen Basalt ab: Über einen Kilometer dick und mehr als 2000 Kilometer lang ist die Schicht, die den Wrangellia-Terran bildete. Durch die vulkanische Aktivität erhöhte sich der CO2-Gehalt der Atmosphäre drastisch, globale Erwärmung war die Folge. Während die Trias über weite Strecken ein von Trockenheit geprägtes Erdzeitalter war, kam es nun zu einem sprunghaften Anstieg der Niederschlagsmengen. Monsunartige Regenfälle spülten über Jahrtausende Sedimente in die Ozeane. Die Korallenriffe erstickten im eingebrachten Schlamm, und anoxische Meereswüsten breiteten sich am Grund aus.


Die Lunz-Formation bietet einen Blick in eine reiche mesozoische Flora.
Foto: NHM/Lukeneder

Konservatlagerstätte
Im Zentrum von Lukeneders Untersuchungen stehen Gesteine der Reingraben-Formation nördlich des Lunzer Sees. Hier sind kohleführende Sandsteine, die Lunz-Formation, aufgeschlossen, die für die darin enthaltenen Pflanzenfossilien berühmt sind. Unter den kohlehaltigen Ablagerungen liegen die tonigen Reingrabener Schichten. Diese sind fein geschichtet wie die Nougatkonfektwürfel eines bekannten Wiener Süßwarenherstellers und beinhalten eine Konservatlagerstätte von Weltrang. An dieser Stelle befand sich im Karnium ein Nebenbecken des Tethys-Meers.


Ein Aufschluss der Reingrabener Schichten. Die einzelnen Lagen werden zur Dokumentation markiert.
Foto: NHM/Lukeneder

Die Detailaufnahme zeigt ungefähr einen halben Meter der Reingrabener Schichten. Erkennbar ist die feine Schichtung der einzelnen Sedimentlagen.
Foto: NHM/Lukeneder

Das sogenannte Reiflinger Becken bot ideale Bedingungen für die Entstehung von Fossilien: Geringe Strömung und ein hoher Sedimenteintrag sorgten für eine optimale Einbettung, der Mangel an Sauerstoff im Wasser verhinderte die Zersetzung. Hier liegen Fossilien höchster Qualität in großer Zahl: Neben Ammoniten, Muscheln, Schnecken, Tintenfischen und Krebsen sind auch Borstenwürmer, Meerasseln und verschiedenste Fische mit allen Details erhalten. Sogar ein Lungenfisch wurde gefunden, der offenbar aus einem Fluss in das Meeresbecken eingespült wurde.


Ammoniten aus den Reingrabener Schichten.
Foto: NHM/Lukeneder

Kohlebergbau
Seit mehr als 140 Jahren sind die Schichten für ihren Fossilreichtum bekannt. Im späten 19. Jahrhundert wurde hier Kohle abgebaut, dabei wurden die fossilführenden Schichten entdeckt. Die Geologische Reichsanstalt und das Naturhistorische Museum gruben auf der Suche nach Fossilien vor und nach der Jahrhundertwende Stollen in den Berg, tausende Objekte wurden geborgen, doch zu einem guten Teil niemals aufgearbeitet.


Fische sind zwar seltener, aber in einem großen Artenreichtum vorhanden.
Foto: NHM/Lukeneder

Isotopenanalysen
Dies soll nun erfolgen. Neue Funde werden stratigrafisch dokumentiert und liefern damit Informationen, die bei den Altfunden weitgehend fehlen. Geochemische Untersuchungen der Sedimente und Fossilien, etwa durch die Analyse der Isotopenverteilung der Elemente Sauerstoff, Kohlenstoff und Strontium, ermöglichen Rückschlüsse auf den Sauerstoffgehalt, die chemische Zusammensetzung und die Temperatur des Wassers. Proben aus Lunz wurden bereits an diverse Institute in Italien, den USA, Japan und Deutschland geschickt.

NHMWien

In den einzelnen Schichten ist die Geschichte des dramatischen Wandels des Klimas vor 233 Millionen Jahren wie auf den Seiten eines Buchs niedergeschrieben. Sie erzählen vom Sterben der Riffe, der Entstehung sauerstoffarmer Todeszonen genauso wie von der Ausbreitung dichter Sumpfwälder mit Riesenschachtelhalmen, Farnen und Koniferen.
(Michael Vosatka, 28.4.2021)
Als in Lunz am See die Welt unterging
 
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