Spanien - Marokko: Projekt eines Eisenbahntunnels zwischen Europa und Afrika

josef

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PROJEKT
Könnte ein Eisenbahntunnel Europa mit Afrika verbinden?
Ab 2030 könnte ein 40 Kilometer langer Tunnel unter der Straße von Gibraltar entstehen. In 30 Minuten könnte man dann mit dem Zug von Spanien nach Marokko fahren


14 Kilometer ist die Straße von Gibraltar an ihrer engsten Stelle breit. Hunderte Schiffe verkehren hier jeden Tag. Eine neue Machbarkeitsstudie soll ergründen, ob unter der Meerenge ein Eisenbahntunnel verlaufen könnte.
REUTERS
Von der Küste Tarifas im Süden Spaniens aus wirkt Marokko nur einen Katzensprung entfernt. Die Konturen des gegenüberliegenden Festlands sind klar erkennbar, sofern sie nicht hinter kolossalen Frachtschiffen verschwinden, die die Meerenge durchqueren. Die Straße von Gibraltar ist ein Schmelztiegel des internationalen Handels, der Migration und der Artenvielfalt. Täglich fahren hier 300 Frachtschiffe durch. Migranten nutzen die an ihrer engsten Stelle nur 14 Kilometer breite Meerenge immer wieder, um nach Europa zu gelangen. Gleichzeitig wimmelt es zwischen den Frachtern und Schiffen von Walen und Delfinen, die in der Meerenge ein besonders gutes Nahrungsangebot finden.

Inmitten dieses Knotenpunkts planen Spanien und Marokko eines der größten Infrastrukturprojekte beider Länder: einen gewaltigen Unterwasser-Eisenbahntunnel, 40 Kilometer lang, ein Verbindungsglied zwischen zwei Kontinenten. Einen Tunnel, der es ermöglichen soll, in 30 Minuten mit dem Zug von Europa nach Afrika zu fahren und umgekehrt, der den Handel und den Tourismus fördern und saubere Energie nach Europa bringen soll. Mit Hochgeschwindigkeitszügen, die 300 Meter unter der Wasseroberfläche verkehren.

Alte Idee
Die Idee eines solchen Verbindungsglieds klingt so vielversprechend, dass sie seit vielen Jahrzehnten im Raum steht. Seit den 1930er-Jahren haben afrikanische und europäische Länder immer wieder unterschiedliche Projekte vorgeschlagen, um die Distanz über das Mittelmeer schnell überwinden zu können. Von Brücken mit hunderte Meter hohen Türmen bis hin zu schwimmenden Brücken und einer künstlichen Insel war bereits vieles im Gespräch. 1979 dachten Spanien und Marokko erstmals konkret über einen Eisenbahntunnel nach, der die beiden Länder miteinander verbinden sollte – ähnlich wie der rund 50 Kilometer lange Eurotunnel zwischen Frankreich und Großbritannien, der 1994 eröffnet wurde. Dann kam es jedoch zu diplomatischen Konflikten, einige Studien zweifelten an der technischen Umsetzbarkeit des Tunnels, das Projekt geriet ins Stocken und wurde für viele Jahre auf Eis gelegt.

Bis zum vergangenen Jahr. Bei einem Treffen im Februar 2023 in Rabat einigten sich Spaniens damalige Verkehrsministerin Raquel Sánchez und Marokkos Wasserminister Nizar Baraka darauf, das Vorhaben nach vielen Jahren des Stillstands wieder voranzutreiben. Vor wenigen Monaten segnete Spaniens Regierung die Finanzierung für eine Machbarkeitsstudie für den Unterwasser-Eisenbahntunnel in Höhe von 2,3 Millionen Euro ab, an der auch die EU beteiligt ist. Stellt sich heraus, dass das Projekt tatsächlich umsetzbar ist, könnte man 2030 mit dem Bau beginnen, so die Hoffnung beider Länder.

Wirtschaftliche Bedeutung
Das Projekt sei von "größter geostrategischer Bedeutung für unsere Länder und für die Beziehungen zwischen Europa und Afrika", sagte Sánchez. Würde ein Hochgeschwindigkeitszug durch den Tunnel zwischen Spanien und Marokko verkehren, würde das die Reise- und Transportzeiten deutlich verkürzen und dem wirtschaftlichen und kulturellen Austausch helfen – nicht nur zwischen Spanien und Marokko, sondern zwischen Europa und Afrika insgesamt.

Beispielsweise könnte durch den Tunnel grüner Wasserstoff von Marokko nach Spanien transportiert werden, der für die Energiewende in Spanien und Europa benötigt wird, argumentieren Befürworterinnen und Befürworter. Sollte Marokko in Zukunft den Bau einer geplanten Gasleitung von Nigeria nach Marokko fertigstellen, könnte über den Tunnel auch Gas weiter nach Europa transportiert werden. Spanien und Marokko könnten zudem beide von einer Zusammenarbeit beim Ausbau ihres Zugnetzes profitieren, hieß es von Ministerinnen und Ministern beider Länder.

13 Millionen Passagiere
Laut dem derzeitigen Vorschlag würde der Tunnel zwischen der spanischen Stadt Tarifa und der marokkanischen Stadt Tanger errichtet werden. Ungefähr 40 Kilometer soll der Tunnel lang sein, 28 Kilometer davon würden unter Wasser in rund 300 Meter Tiefe verlaufen, der flachsten Passage in der Straße von Gibraltar, der Rest als Tunnel unter dem Festland. Tarifa beziehungsweise Tanger ließen sich dann jeweils in ungefähr einer halben Stunde mit dem Zug erreichen. Rund 13 Millionen Passagiere könnten laut Schätzungen jährlich durch den Tunnel fahren.

Von Tanger aus existiert bereits eine rund 300 Kilometer lange Schnellzugverbindung nach Rabat. Theoretisch könnte man dann, sofern auch die Verbindung von Madrid bis Tarifa ausgebaut wird, in circa fünfeinhalb Stunden mit dem Zug von Madrid nach Casablanca und von dort weiter nach Marrakesch fahren. Aber auch schnellere Verbindungen zwischen Madrid, Algier und Tunis wären durch den Tunnel möglich.


Großbritannien interessiert
Nicht nur Spanien und Marokko haben Interesse an dem Projekt. Auch Großbritannien hat bereits Interesse daran bekundet. Das Land besitzt mit Gibraltar, einer Landzunge an der Südküste Spaniens, ein eigenes Überseegebiet – ein Umstand, der in der Vergangenheit immer wieder zu Streitereien zwischen Spanien und Großbritannien geführt hat, wenn es etwa um die Hoheitsrechte vor der Küste Gibraltars ging.

Für Großbritannien wäre der Eisenbahntunnel eine Möglichkeit, nach dem Brexit eine stärkere Beziehung zu Marokko und anderen afrikanischen Ländern aufzubauen, sagen einige Expertinnen und Experten. Britische Touristen und Investoren könnten vermehrt nach Marokko reisen, marokkanische Produkte, allen voran Lebensmittel, wiederum verstärkt nach Großbritannien transportiert werden.

Technische Herausforderung
Allerdings dürfte die Fertigstellung des Tunnels, sofern dieser überhaupt umsetzbar ist, noch einige Zeit dauern. Derzeitige Pläne rechnen mit einer Bauzeit von ungefähr 15 Jahren und Kosten von rund sechs Milliarden Euro. Sofern 2030 mit dem Bau begonnen wird, wäre der Tunnel frühestens 2045 fertiggestellt.

Zudem musste das Projekt in der Vergangenheit mit einigen Herausforderungen umgehen, weshalb es letztlich auf Eis gelegt wurde: Im Meeresboden unter der Straße von Gibraltar befindet sich einerseits extrem hartes Gestein, was eine Bohrung mit damaligen Mitteln unmöglich machte, und andererseits instabiler Lehmboden, der die Konstruktion ebenfalls erschwert.

Eine ursprüngliche Variante des Tunnels, bei der dieser durch die engere, 14 Kilometer lange Meerenge verlaufen wäre, wurde verworfen, da der Tunnel dafür auf 900 Meter Tiefe gebaut werden müsste, wo er extremen Meeresströmungen ausgesetzt wäre. Die Straße von Gibraltar befindet sich zudem in einer Erdbebenzone zwischen der Eurasischen und der Afrikanischen Platte, was die Konstruktion zusätzlich erschwert.

Auch aus heutiger Sicht bleibt ein Tunnelbau in dieser Größenordnung und Gegend eine technische Herausforderung, die größer ist "als für jeden anderen Tunnel auf dieser Welt", heißt es von Expertinnen und Experten der Polytechnischen Universität in Madrid, die an dem Projekt beteiligt sind. Aus technischer Sicht wären diese Probleme zwar überwindbar. Ob das Projekt angesichts dieser Hürden jedoch auch wirtschaftlich wäre, ist laut den Experten fraglich.

Illegale Migration
Hinzu kommen politische Bedenken: Einige befürchten, dass Migrantinnen und Migranten den Tunnel für die illegale Einreise nach Spanien und Europa nutzen könnten. Denn Marokko werde bereits jetzt als Basis für die von Schleppern organisierte Überfahrt genutzt. Laut einem parlamentarischen Bericht hat Marokko 2022 56.000 Migrantinnen und Migranten an der Weiterreise nach Europa gehindert.

Anstatt in kleinen Booten die gefährliche Überfahrt über die Straße von Gibraltar zu riskieren, könnten Menschen versuchen, durch den Tunnel zu laufen oder sich an den Zügen festzuhalten – ein mindestens ebenso lebensgefährliches Unterfangen. In den vergangenen Jahren kam es beim Eurotunnel zwischen Frankreich und Großbritannien immer wieder zu solchen Fällen, da sich einige Migrantinnen und Migranten in Großbritannien bessere Aussichten auf Asyl erhofften. Viele Experten halten einen großen Anstieg der Migration aufgrund des Gibraltar-Tunnels jedoch für unwahrscheinlich. Dennoch dürften Ängste vor illegaler Migration nicht gerade zu einer Beförderung des Projekts beitragen.

In den kommenden drei Jahren soll ein spanisch-marokkanisches Komitee die Machbarkeitsstudie für den Tunnel abschließen, in der unter anderem die geologischen und technischen Rahmenbedingungen ein weiteres Mal geklärt werden sollen. Erst dann wird sich zeigen, ob das Projekt und die dafür beauftragten öffentlich-rechtlichen Unternehmen beider Länder diesmal tatsächlich jenen Fortschritt bieten können, den sie seit mehreren Jahrzehnten versprechen.
(Jakob Pallinger, 27.1.2024)
Könnte ein Eisenbahntunnel Europa mit Afrika verbinden?
 
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