Steinbruch Unterklien in den 1930er Jahren: Teil der Außenansicht
Steinbruch Unterklien in den 1930er Jahren: Innenaufnahme der Kaverne mit Feldbahn
1944
Während des 2. Weltkrieges entwickelte sich Friedrichshafen zu einem der wichtigsten Standorte der Kriegsindustrie des Deutschen Reiches. Die Zerstörung selbiger war auch Anlass für die massive Bombardierung der Stadt durch die Alliierten in den Jahren 1943 bis 1944, die Friedrichshafen zu zwei Dritteln zerstörte.
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Daher entschied die Fa. „Zahnradfabrik Friedrichshafen“ im April 1944, einen Teil ihrer Produktionsstätten in die Kavernen des Hohenemser Steinbruchs Unterklien zu verlegen.
95 Die Kavernen waren in einer Höhe von 40 m über der Sohle nebeneinander angeordnet und hatten ein Ausmaß von 30 m x 20 m x 20 m. Die Kavernen entstanden seinerzeit beim Abbau der Glaukonitschichten für die Wetz- und Pflastersteingewinnung.
Im selben Monat (April 1944) schloss die Marktgemeinde Hohenems einen Pachtvertrag mit der Textilfirma F. M. Rhomberg über die Verpachtung einer im südlichen Teil des Steinbruchs gelegenen Kaverne ab. Die Dornbirner Firma gedachte, sie als Lagerraum zu verwenden.
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Bei der Anfang Mai 1944 stattgefundenen Verhandlung zur Erteilung der bau- und gewerbepolizeilichen Genehmigung zur Betreibung eines Lagerraumes durch die Fa. F. M. Rhomberg wurde festgestellt, dass eine sichere Verwendung der Galerie durch wenige Baumaßnahmen sichergestellt werden kann. Zudem wurde das Ansuchen der Zahnradfabrik Friedrichshafen um die Bewilligung zur Einrichtung eines Rüstungsbetriebes in der Felswand des Steinbruchs Unterklien angesprochen. Da die anwesenden Sachverständigen durch eventuell notwendige, größere Sprengungen den Einsturz der Galerien befürchteten, rieten sie von einer Verwendung als Niederlassung eines Industriebetriebes ab.
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Trotz einer positiv verlaufenen Bauverhandlung wurde der Fa. F. M. Rhomberg die aufsichtsbehördliche Genehmigung zur Einrichtung eines Lagerraumes nicht erteilt.
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Kurz nach dieser Absage an das Dornbirner Textilunternehmen gab die Bauleitung der Marktgemeinde Hohenems dem Bürgermeister bekannt, dass die deutsche
Fa. Zahnradfabrik Friedrichshafen sich im Steinbruch Unterklien niederlassen wird. Zur Entschädigung sollte die Marktgemeinde Hohenems einen Pachtzins für das verwendete Gelände erhalten.
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Derartige Niederlassungen im Vorarlberger Unterland waren damals nicht außergewöhnlich: So errichteten beispielsweise auch die Firmen Dornier (Flugzeugbau) und Daimler-Benz Produktionsstätten am österreichischen Bodenseeufer.
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Das Bauvorhaben der Zahnradfabrik Friedrichshafen begann im Mai 1944 und wurde vermutlich unter dem Decknamen „Rheinanke I + II“ (
Anm.: Rheinanke = Bezeichnung für Forellenfisch)
höchst diskret abgewickelt.
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Als Grundlage für die Errichtung des neuen Werks dienten die durch den Pflasterund Wetzsteinabbau entstandenen Höhlen im Unterkliener Steinbruch. Die talseitigen, offenen Seiten wurden zugemauert und die bestehenden Kavernen wurden in fünf Höhenstufen erweitert
100 und zu rund 4.000 m²
101 großen Fertigungshallen ausgebaut.
Die Kavernen selbst wurden innen am Boden mit Beton oder Eisenbeton ausgekleidet und die Wände mit Betonschichten zwischen zwei und sieben Metern verstärkt. Diese Abdichtung der Gesteinsmauern sollte zudem die Luftschutzsicherheit des Werks sicherstellen. Zur Beleuchtung wurde in den Hallen elektrisches Licht installiert. Die Belüftung wurde über den Luftaustausch der Zu- und Abluftöffnungen, nicht aber über ein eigenes System, geplant.
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Im November 1944 konnte die neue Produktionsstätte „Werk Ost“ in Betrieb genommen werden.
Produziert wurden in den Höhlen des Unterkliener Steinbruchs Zahnräder für Kriegsfahrzeuge und Panzer bzw. wahrscheinlich auch Flugzeugteile.
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Lageplan Steinbruch Unterklien, Mai 1944
Ansicht des Lagers mit Umzäunung und Wachturm (siehe Pfeil links) und dem getarnten Eingang (siehe Pfeil rechts) zum Glaukonit-Werk, Aufnahme um 1945
Aufgrund des im Steinbruch lagernden Vorkommens an Glaukonit wurde die Vorarlberger Produktionsstätte der Zahnradfabrik Friedrichshafen auch
„Glaukonit AG“ oder
„Glaukonit-Werke“ genannt. In einigen Akten taucht die „Glaukonit AG“ als „Glaubkönig AG“ auf.
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Der Zeitzeuge Josef Jank berichtet in einem Interview, dass die (teils) zweistöckigen Fertigungshallen aufgrund der weiß angestrichenen Wände nicht mehr wie Höhlen gewirkt hätten. „
Produziert wurden im Werk nach den Ausführungen Janks möglicherweise Bestandteile für Flugzeuge, ihm sei jedenfalls in Erinnerung geblieben, dass das Zahnradwerk im Berg für die Dornier-Werke gearbeitet habe.“
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Angeblich wurden auch Teile für die V2-Raketen hergestellt.
Die damals 20-jährige Augenzeugin Rosina Reinstadler berichtet, dass das Werksgelände der „Glaukonit AG“ großräumig eingezäunt war, jedoch habe sie keine Wachtürme in Erinnerung. Der gesamte Betriebsablauf habe unter größter Geheimhaltung gestanden und sei vom deutschen Militär geführt worden.
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1945
Zum Zeitpunkt, als in den Hallen bereits die ersten Maschinen standen und einige in Betrieb genommen wurden, suchte die „Glaukonit AG“ am 23.02.1945 um eine gewerbebehördliche Bewilligung zum Ausbau eines sogenannten „U-Betriebes“ (Untertage-Betrieb) an.
In der Niederschrift dieser Verhandlung wird unter anderem erwähnt, dass neben der Fertigungskavernen ein Kesselhaus (zur Lagerung der Dampfkessel, welche für die Beheizung genutzt wurden), zwei Wohnbaracken, eine Wirtschaftsbaracke und einige Holzbaracken zur Unterbringung der „ausländischen Gefolgschaftsmitglieder“ gebaut wurden.
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Baracke aus der Zeit der Zahnradfabrik. Diese Baracke heizte die Gebäude auf dem Steinbruchgelände.
Grundriss Erdgeschoss der Wohn- und Wirtschaftsbaracke
Grundriss Kellergeschoss der Baracke
Insgesamt waren in dem halben Jahr, in dem die „Glaukonit AG“ für die deutsche Kriegsindustrie produzierte, über 300 deutsche, polnische und russische Zwangsarbeiter beschäftigt.
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Trotz größter Bemühungen, die Existenz des „Glaukonit“-Werkes zu verschleiern, wussten die Schweizer um die Betriebsniederlassungen im Vorarlberger Unterland Bescheid, da der Betrieb direkt im Blickfeld der Beobachtungsposten am Säntis war.
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In den letzten Tagen vor Ende des 2. Weltkrieges, Ende April bis Anfang Mai 1945, suchte ein Großteil der Unterkliener Bevölkerung in den luftschutzsicheren Kavernen der „Glaukonit AG“ Zuflucht. Bis auf einige Ausnahmefälle leistete die Hohenemser Bevölkerung der französischen Besatzungsmacht keinerlei Widerstand. Nach der Machtübernahme ordneten die Franzosen die Räumung der „Glaukonit AG“ an. Die Maschinen wurden von der französischen Besatzungsmacht und von der Zahnradfabrik Friedrichshafen entfernt. Zudem wurden die Holzbaracken abtransportiert und die Massivbaracken geräumt.
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Kurz nach Einmarsch der Alliierten war geplant, das Gelände als Militärunterkunft zu verwenden. Nach der Instandsetzung der Baracken beim Steinbruch im Juli 1945 wurden außerdem Überlegungen laut, in diesen Gebäuden ein Ferienheim für französische Kinder zu errichten. Jedoch kamen beide Pläne, sowohl die Militärunterkunft als auch das Ferienheim, nicht zur Ausführung. Um die beim Bau des Werks der Zahnradfabrik Friedrichshafen entstandenen Kosten einigermaßen kompensieren zu können, schlug der damalige Hohenemser Bürgermeister Johann Amann vor, das Gelände der ehemaligen „Glaukonit AG“ an einen Feldkircher Champignonzüchter zu verpachten.
Die Vorarlberger Landesregierung unter Landeshauptmann Ulrich Ilg überlegte wegen der kritischen Ernährungssituation in Vorarlberg, die riesigen, nun leer stehenden ehemaligen Produktionshallen der Zahnradfabrik Friedrichshafen als Kühlräume zu nutzen.
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1947
Alle Pläne bezüglich der Zahnradfabrik wurden von der französischen Besatzung zunichte gemacht: Denn Mitte Jänner 1947 kündigte die französische Generaldirektion Innsbruck die Schleifung des ehemaligen Werkes der „Glaukonit AG“ an. Grund dafür war vor allem, dass die Franzosen verhindern wollten, dass sich in Zukunft wieder ein Rüstungsbetrieb dort niederlassen kann.
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Infolgedessen musste für die Lagerung der Vorarlberger Fleischvorräte in St. Margrethen, in der grenznahen Schweiz, ein Kühlhaus teuer angemietet werden.106 Am Freitag, den 16. Mai 1947 um halb zwölf Uhr mittags, fand die Sprengung der ehemaligen „Glaukonit AG“ statt.
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Durch die Mithilfe von Sprengmeistern des früheren Gemeinde-Steinbruchs konnte eine totale Zerstörung verhindert werden.85 Die Bevölkerung wurde durch schriftliche Bekanntmachungen und Durchsagen im Rundfunk über die bevorstehende Sprengung informiert und angehalten, zu dieser Zeit unbedingt die Gefahrenzone zu meiden. Zudem wurde die Detonation 15 Minuten vorher durch eine Sirene angekündigt.
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Um jegliche Schäden an den benachbarten Gebäuden und nahe gelegenen Leitungen so gering wie möglich zu halten, wurden Wasser- und Starkstromleitungen unterbrochen und sogar der Eisenbahnverkehr kurzfristig eingestellt. Zudem wurde vom Hochbauamt angeordnet, vor der Sprengung das Dach des in der Nähe des Steinbruchs wohnenden Anrainers „Schmalzer“, der der Betreiber des Gasthauses Breitenberg85 war, vorübergehend abzudecken.
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Zeitungsartikel zur Sprengung des Glaukonit-Werkes am 16.05.1947 Chronik des Steinbruchs Hohenems-Unterklien
Der St. Galler Rheinbote vom 21.05.1947, welcher die Schleifung des ehemaligen Rüstungsbetriebes als „
Schildbürgerstreich des alliierten Kontrollrates“ bezeichnete, berichtete Folgendes über die Sprengung: „
20 Minuten vor der Mittagsstunde schoß aus einem der Fabrikzugänge eine turmhohe Stichflamme. Die 100 Meter hohe Felswand geriet in Bewegung, eine Felsfläche von über 10 000 Quadratmeter löste sich und stürzte, Baumstämme unter sich begrabend zu Tal. Alle Gewölbe der ehemaligen Schattenfabrik wurden völlig zerstört…“
Die Schleifung selbst verlief weitgehend erfolgreich, auch die Schäden an den umliegenden Gebäuden hielten sich dank der umfassenden Sicherheitsmaßnahmen vor dieser Großsprengung in Grenzen. Dennoch bewirkte die Sprengung der Kavernen erhebliche Geländeverschiebungen, was unter anderem dazu führte, dass die Ableitung der steinbruchnahen Gräben und Bäche nicht mehr ordnungsgemäß funktionierte.
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Der Boden sackte ab, während er sich in einer Entfernung von 200 m hob und der Landgraben dadurch ein Stück weit zugeschoben wurde.
115 Daraufhin musste der Landgraben im Zuge der darauffolgenden Sanierungsarbeiten neu angelegt werden. In der Zeit, in der der Steinbruch wegen der Sanierungsarbeiten nach der Kavernensprengung durch die Franzosen nicht in Betrieb genommen werden konnte, erwarb die Gemeinde Hohenems einen neuen Kompressor, ausgestattet mit vier Bohrhämmern und einem 11,8 PS-Motor. Diese Investition war aufgrund der Lieferverpflichtungen gegenüber dem Landesbaudienst Vorarlberg erforderlich.
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Außerdem wurden im Steinbruch Unterklien neue Arbeitskräfte eingestellt, was eine Tagesleistung von 30 bis 40 t Rollier- und Bausteine ermöglichte. Ungeachtet zahlreicher Investitionen konnte der Steinbruchbetrieb Unterklien in diesen Jahren Gewinne schreiben. Die Produktion von Wetzsteinen war allerdings nach der Kavernensprengung nicht mehr möglich.
94 vgl. Stadt Friedrichshafen
95 vgl. Gemeindearchiv Hohenems: Schachtel 128_10, S. 235-237
96 vgl. Gemeindearchiv Hohenems: Schachtel 128_10, S. 227-229
97 vgl. Gemeindearchiv Hohenems: Schachtel 128_10, S. 217
98 vgl. Gemeindearchiv Hohenems: Schachtel 128_10, S. 197 Abb. 34: Lageplan Steinbruch Unterklien, Mai 1944 Chronik des Steinbruchs Hohenems-Unterklien
99 vgl. HÄFELE (2007), S. 34
100 vgl. Gemeindearchiv Hohenems: Schachtel 128_10, S. 186-187
101 vgl. Gemeinde-Archiv Hohenems: Schachtel 128_10, S. 137
102 vgl. HÄFELE (2007), S. 34 in Fußnote 8
103 HÄFELE (2007), S. 40
104 vgl. HÄFELE (2007), S. 42 Chronik des Steinbruchs Hohenems-Unterklien
105 vgl. Gemeindarchiv Hohenems: Schachtel 128_10, S. 185-187
106 vgl. Gemeindearchiv Hohenems: Schachtel 128_10, S. 108
107 vgl. HÄFELE (2007)
108 vgl. Gemeindearchiv Hohenems: Schachtel 128_10, S. 148
109 vgl. HÄFELE (2007), S. 45
110 vgl. Gemeindearchiv Hohenems: Schachtel 128_10, S. 109
111 vgl. Gemeindearchiv Hohenems: Schachtel 128_10, S. 124
112 vgl. Gemeindearchiv Hohenems: Schachtel 128_10, S. 122
113 vgl. Gemeindearchiv Hohenems: Schachtel 128_10, S. 117
114 vgl. Gemeindearchiv Hohenems: Schachtel 129_1, S. 132
115 vgl. NACHBAUR (2007), S. 34
116 vgl. BABUTZKY (1983), S. 306